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st. 243. zz.M,M i. KÜllge des Amjirts" Kerllm MIdsdIllt!.««.»»«. Die russische   Revolution. Die trostlose Finanzlage. DerRuss  . Korresp." wird aus Paris   geschrieben: Die Veröffentlichung des Geheimberichts des russischen Jinanzministers Kokoffzew an den Minister Stolypin   hat auch hier in Paris   wie eine Bombe eingeschlagen. Natürlich wußte jedermann, wie es um die russischen Finanzen be- stellt ist, jetzt aber wurde die schlimme Situation gewisser- maßen offiziell zugegeben. Darin liegt die Bedeutung der Publikation. In den Kreisen der Presse hat nun der ruw'che Finanzminister noch ein besonderes Odium aus sich"eladen insofern, als er dem Vertreter desJournal", Herrn Naudeau, über den Stand der Finanzen sehr optimistische Angaben gemacht hatte, und zwar am 22. September, das heißt also 4 Tage nachdem der Bericht an den Premier- minister abgegangen war! Damals malte Kokoffzew die Lage rosa in rosa: Die Finanzen ständen absolut günstig trotz ge- wisser schlimmer Gerüchte. Es habe einmal eine Zeit gegeben, in der die Dinge weniger glänzend gelegen hätten, aber das sei nun vorbei, und nur böswillige Feinde der russischen Re- gierung könnten es so darstellen, als ob irgend etwas zu be- sorgen sei:Wie der Terrorist, der seinem Feinde den Todes- stoß zufügen will und mitten im Gedränge eine Bombe nach ihm schleudert. Unschuldige tötet, so tragen die Alarm- schläger und Propagandisten der Panik der' Tatsache keine Rechnung, daß sie zwar momentan Rußland   schädigen, gleich- zeitig aber auch allen denen einen schweren Nachteil zufügen, die ihre-Ersparnisse in russischen Werten angelegt haben." Eigentlich widerspricht Kokoffzew sich ja selbst. Aus seinen letzten Worten klingt heraus, daß es sich nur darum handelt, die Situation nicht öffentlich zu kennzeichnen. A�er konnte er im Ernst glauben, daß es auf die Dauer möglich sei, der Welt eine mit Blumen bedeckte Wiese vorzutäuschen, wo sich doch ein unergründlicher Sumpf befand? Die Berpflegungsaktion der Regierung. Der Woronescher ZeitungWoroneschkoje Slowo" wird von glaubwürdiger Seite folgende Tatsache mitgeteilt: Das Ministerium des Innern hat dem Woronescher Kauf- mann Gerschuni das ausschließliche Recht auf Bestellung von Ge- treibe für das ganze hungernde Rußland   übertragen. Gerschuni ist verpflichtet, etwa 80 Millionen Pud Getreide für diejenigen Ort- schaften zu bestellen, in denen es für notwendig befunden wird. Die Verpflegungsausschüsse, die in allen Gouvernements existieren, haben das Recht auf selbständigen Einkauf von Getreide nur im Gebiete des. betreffenden Gouvernements. Fehlt es im Gouverne- ment selbst an Getreide, so müssen die Ausschüsse sich an Gerschuni wenden. Dieser ist an keinen Maximalprcis gebunden; er hat das Recht, das Getreide zu beliebigen Preisen zu bestellen. Für die Kommission bekommt Gerschuni eine Kopeke vom Pud. Somit er- hält er im allgemeinen etwa 800 000 Rubel.   Mit Recht bezeichnet die PetersburgerRjetsch" diese Hand- lungsweise der Regierung als Testimonium psupertstis(Armuts­zeugnis) der russischen Bureaukratie. Die Bureaukratie hat an- erkannt, daß die Verpflegungsaktion über ihre Kräfte hinausgeht. Das, was die Semstwos mit Leichtigkeit und ohne jegliche Eni- schädigung getan hätten, wird der Regierung eine nicht unerhebliche Summe an Kommissionsspesen kosten. Da aber Gerschuni an keine Maximalpreise gebunden ist, so ist auch mit Bestimmtheit zu er- warten, daß in dieser Richtung eine große Summe von Volksgeldern verloren gehen wird. Nach den Erfahrungen bei den früheren Verpflegungsaktionen kann man hier mit Millionen von Rubeln rechnen. Regierungsvorbereitnngen zur Dumawahl. Moskau  , 10. Oktober.  (W. T. B.) Der ehemalige Vorsitzende der Reichsduma, Muromzew, ist von der Teilnahme an den Sitzungen der Moskauer   Semstwo und der Stadtduma suspendiert worden, da gegen ihn wegen Unterzeichnung des Wiborger Aufrufs das Strafverfahren eingeleitet worden ist. 295 Meuterer. Kronstadt  , 16. Oktober.  (Meldung der Petersburger Tele- graphen-Agentur.) DaS Kriegsgericht fällte heute im Prozesse gegen 205 der Meuterei angeklagte Matrosen des Kreuzers Kaiser Alexander III. das Urteil. 45 Angeklagte wurden freigesprochen, einige wurden zu sechs Jahren Zwangsarbeit, die übrigen zu Ge- fängnisstrafen verurteilt. Die einheitliche Rechtsprechung in Deutschland  . Leipzig  , 16. Oktober. Mit dem preußischen Wahlrechtsflugblatt hatte sich heute das ReichSgerichi in zwei Fällen zu beschäftigen und dabei zu zeigen, daß eS seiner ersten Ausgabe, eine einheitliche Judikatur herzustellen, ge- wachsen war. In keiner Prozeßsoche sind so einander widersprechende Urteile gefällt worden, wie in der des preußischen Wahlrechtsflugblattes. Die beiden heutigen Fälle betreffen das Landgerichtsurleil aus Stargard   i. P. und das Landgerichtsurteil aus Glatz in Echtes. Im ersten Falle wurden die Genossen Witte und S i e t s ch l a g wegen Anreizung verschiedener Bevölkerungsklassen gegeneinander, begangen durch die Verbreitung des Flugblattes, zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt, im zweiten wurde das Flugblatt vom Neuroder Amts- gericht wegen hochverräterischen Inhalts und wegen Aufreizung zu Gewalttätigkeiten beschlagnahmt. Vom Landgericht in Glatz wurde die Beschlagnahme sanktioniert, hingegen lehnte die dortige Staats- anwaltschast ein Vorgehen gegen Verleger und Drucker ab. In der Begründung des Glatzer Urteils wird gesagt: In dem Flugblatt werde zum Verbrechen des Hochverrats aufgefordert. Es soll unternommen werden, die Verfassung des preußitchen Staates, der das Dreiklastenwahlrecht eingeführt habe, gewaltsam zu ändeni, indem diese Veränderung durch Straßcnkampf herbeigefiihrt werden solle und indem das Vorhaben dieser Veränderung der Verfassung durch Straßenkampf unmittelbar ausgeführt werden solle. ES handelt sich also um ein vollendetes Unternehmen zum Hochverrat im Sinne deS§ 82 des Strafgesetzbuches und hierzu wird auf- gefordert durch Verteilung dieser Druckschrift. Gleichzeitig sind aber auch die Voraussetzungen des Z 130 des Strafgesetzbuches dadurch gegeben, daß Gewalttätigkeiten begangen werden sollen von dem gesellschaft- lick abgegrenzten Teile der Arbeiterbevölkerung an dem ebenfalls gesellschaftlich abgegrenzten Teile der besitzenden Bürger und Aristokraten. Deshalb erfolgte die Beschlagnahme der Druckschrist, um die Bürger zu retten. Gegen diese Urteile hatte der Rechts- anwalt Genosse Heine- Berlin als Verteidiger der Betroffenen Revision beim Reichsgericht eingelegt. Zur Begründung derselben wies er zunächst auf die widerspruchsvollen Urteile hin und rügte dann, daß ihm in der Stargarder Ver- Handlung ein der tatsächlichen AufNärnng dienender A n- trag den Parteivorstand, dieVorwärts"-Redakteure und oie Redakteure des StettinerVolksboten" als Zeugen dafür zu laden, daß weder ein gewaltsames Vorgehen zur Aenderung des preußischen Wahlrechtes geplant, noch daß dies in der Tendenz des Flugblattes liege, oder die Tendenz der Parteitätigkeit überhaupt sei mit der famosen Begründung vom Stargarder Gericht ab- gelehnt,daß die Wahrheit oder Unwahrheit für die Beurteilung der zur Anklage stehenden Tat unerheblich sei und als wahr unter- stellt werden könne. Das schriftliche Urteil lasse nicht klar erkennen, was vom Gericht als wahr unterstellt worden sei. Das Urteil sagt dann weiter, daß dahingestellt bleiben könne, was der Verfasser mit den letzten Sätzen des Flugblattes gemeint habe, jedenfalls sei aber in ihnen eine Anreizung zu Gewalttätigkeiten enthalten. Im Urteil sei ferner nicht ausreichend klargelegt, inwiefern der öffentliche Frieden ge- fährdet worden sei, es sage nur,durch das Flugblatt werde eine zu Gewalttätigkeiten geneigte Sttmmung gegen die herrschenden Klassen hervorgerufen, die bei irgend einem Anlaß zu Gewalt- täligkeiten führen könnten, also sei angereizt worden." Der Richter meine nun, es sei zu Gewalttätigkeiten angereizt worden, folg- lich sei auch der Frieden gefährdet worden. Hier sei die Rüge aus§ 266 der Strafprozeßordnung zu erheben, weil das Wortalso" in dem Urteil da, wo die Beweise fehlen, als beweis- führend oder beweisersetzend erscheint. Eine iveitere Rüge, die auch die Begründung der Glatzer Entscheidung trifft, bezieht sich auf die Verletzung des§ 260 der S t r.- P.- O. Nach diesem Para- graphen kann der Richter über das Ergebnis aus seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Ueberzeugung ent- scheiden." Darunter ist aber doch zu verstehen, daß die Würdigung der Tatsachen mit den Mitteln der Logik und in loyaler Weise ge- schieht. Gegen diese» Grundsatz sei in beiden Prozessen verstoßen worden. In dem Flugblatt heiße es: Wollt Ihr die Hände in den Schoß legen?... Ihr verdientet die Entrechtung, wenn Ihr untätig bliebet! Und nun, sagt der Richter in der Urteilsbegründung, komme der entscheidende Satz, worin die Mittel zur Gewalt angegeben sind: Im Osten regt sich das russische Volk...." Statt daß der Richter nun den ganzen Satz anführt, reißt er ihn auseinander und knüpft an den ersten Teil die Bemerkung, daß dies die Anreizung zur Gewalt sei, das Volk solle es so machen wie in Rußland  . Der zweite Satzteil gibt aber gerade die Mittel an, die zur Aenderung des Wahlrechts angewendet werden sollen; er lautet:Erhebt Euch in Massen, gebt Euren Willen laut und nachdrücklich kund I Eilt in die Versammlungen, tretet in die Organi« sationen ein und unterstützt die Sozialdemokratie und die sozialdemokratische Presse." Der erste Satz wird angeführt, der entscheidende Teil weggelassen und nur so steht der richterlichenFeststellung" aus dem ersten Satze nichts mehr im Wege, daß es das deutsche   Volk wie das russische machen soll. Dasselbe Verfahren ist auch im zweiten Prozesse beliebt worden. Dort sagt der Richter in der Begründung: Beim unbefangenen Leser erwecke die Stelle von dem Hinweis auf die Erhebung des russischen Volkes den Eindruck, als ob auch hier mit russischen Mitteln gekämpft werden sollte- durch die zweite Hälfte des Satzes sei die richterliche Auffassung nicht erschüttert worden. In der Urteilsbegründung des Stargarder Gerichts heißt es dann, daß die beiden Angeklagten glauben machen wollten, sie hätten den Inhalt des Flugblattes vor der Verbreitung nicht ge­kannt. Dies sei nach ihren zahlreichen Versammlungsbesuchen nicht anzunehmen. Im Gegenteil hätten sie gerade daraus entnehmen müssen, daß im Flugblatt von der russischen Revolution die Rede sein würde. Die Angeklagten hätten sicher als eifrige Sozialdemokraten schon aus Neugierde das Flugblatt gelesen. Daß sie es nicht getan haben sollten, erscheine dem Gericht als ausgeschlossen. Die Be- gründung stützt sich st a t t auf Tatsachen, wie sie eS müßte, auf die Annahme, daß die Angeklagten das Flugblatt vor der Verbreitung gelesen haben müßten, weil sie Sozialdemokraten sind; also eine Be rurteilung wegen der Gesinnung. Bei- läufig sei, bemerkte Heine, zur Jllustrierung der Beweisführung des angefochtenen Urteils hervorgehoben, daß nach der nicht zu wider« legenden Angabe beider Angeklagten der Angeklagte Sietschlag daS Paket mit den Flugblättern von Witte noch uneröffnet über- nommen und den Inhalt sofort zur Weiterverbreitung an die Personen abgegeben habe, ein Tatbestandsmerkmal allerdings, das das Urteil verschweigt. Bei diesen erheblichen Mängeln in der Würdigung eines an sich ganz einfachen Tat- b e st a n d e s sei es angemessen, die Sache einem anderen Ge- richte zu überweisen. Und dies umsomehr, als in dem angefochtenen Urteil in einer nicht zu billigenden Weise die politische Ueber- zeugung des Angeklagten als Belastungsmoment ver- wertet ist. Dieses Flugblatt, fährt Heine fort, ist in ganz Preußen ver- breitet worden. In Berlin   hat ein Gericht die Beschlag- nähme aufgehoben, in Barmen-Elberfeld   erfolgte Freisprechung des Angeklagten, und derselbe Senat des Reichs- gerichts hat das freisprechende Urteil bestätigt und die Stargarder Strafkammer schicke ein paar Leute auf Monate ins Ge- fängniö, weil sie das Flugblatt verbreitet haben. In Langenbielau  ist daS Flugblatt zum Gegenstand einesobjektiven Versahrens" wegen Hochverrats gemacht worden, der dortige Staats- anwalt hat aber eine Verfolgung gegen Personen, sei eS des Druckers, des Verlegers oder der Verbreiter für unausführbar und zwar unausftihrbar aus objekttven Gründen abgelehnt. Diese widerspruchsvolle Rechtsprechung. dieses Tohuwabohu kommt eben daher, daß der Richter als Tatsache festgestellt bezeichne, was er als Tatsache festzustellen beliebt. Es könne nicht die Absicht des Gesetzgeber« sein, den höchsten Gerichtshof an alle diese Dinge zu binden. Es steht hier mehr auf dem Spiel als die paar Monate Gefängnis für die Angeklagten oder die Auf- Hebung der Beschlagnahme; e« handelt sich um die Stellung des höchsten Gerichtshofes, der berufen ist, eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen. Es steht aber auch seine eigene Stellung gegen die unteren Gerichte auf dem Spiele. Zu dieser Revisionsbegründung wußte der Reichsanwalt Zw ei g er t nichts anderes zu bemerken, als daß die Ablehnung des Beweiöantrages vom Stargarder Gericht unerheblich sei. Wie die VorwärtS"-Redaktenre, der Partcivorstand den Inhalt verständen und aussaßten, spiele für die Angeklagten keine Rolle. Er halte die Begründung und die Auffassung des Vorderrichters in der Sache für korrekt. Was der Verteidiger dagegen vorgebracht habe, liege auf einem ganz anderen Gebiete und müsse daher ganz unberücksichtigt bleiben. Der Verteidiger habe doch oft erlebt, daß verschiedene Gerichte in ein und derselben Sache verschieden geurteilt hätten, das zeige gerade die freie Ueberzeugung der Richter. Daß er nach alledem die Verwerfung der Revision be- antragte, ist selbstverständlich. Der vierte Senat entschied im Sinne des An- träges des Reichsanwalts, begründete aber nur die Ver- werfung in der Stargarder Sache. Den Angriffen der Verteidigung wegen der Beweiswürdigung der Richter sei der Senat nicht bei- getreten. Es fei in keiner Weise ersichtlich, daß der Richter die Grundsätze der freien Beweis Würdigung verletzt habe; auch den Beweisantrag wäre das Gericht abzulehnen berechtigt gewesen, da es ihn als wahr unterstellt hätte. Das Gericht war auch befugt, die den Angeklagten nachteiligen Ans- fassuitgen daraus zu ziehen. Die Tatbestandsmerkmale deS§ 130 seien objektiv und subjektiv nachgewiesen. Das nennt man in Deutschland   Recht, und zwar ein- heitliches Recht! Die Justizaktionen aus Anlaß des Wahl- rechtsflugblattes zeigen, wie dringend notwendig zur Rechts- sicherheit eine Reform der Gerichtsorganisatton und der Straf- Prozeßordnung an Haupt und Gliedern ist. Eine auf Willkür be- ruhende Verwaltungsjustiz gewährt ja fast mehr Rechts- sicherheit als dieser Forniclkram der Gerichte, der zeigt, daß ein Tatbestand je nach der politischen Ueberzeugung des Richtersfest- gestellt" werden kann, und daß nicht die Tat, sondern die politische Tendenz des Angeklagten zur Aburteilung ge- bracht wird._ Hus der Partei. Genosse Adolf Geck   sendet uns folgende Erklärung: Die Mann. heimerVolksstimme" kann mit ihrem Anathcma gegen denHof- ganger" der hadischcn sozialdemokratischen Kammerfraktion nicht zu Ende kommen. Sie fand im Dortmunder   Parteiblatt einen Partner und möchte nunauch die übrigen Parteiorgane vom radi- kalen Flügel" zur Stellungnahme auffordern. In ihrem heißen Bemühen, gegen den sozialdemokratischenHofgänger" Stimmung zu machen, vergaß dieVolksstimme" bisher, die tatsächliche Grund- läge zu erwähnen. Am Ende der diesjährigen Kammertagung entschied sich die Fraktion dafür, daß unsere Partei im landständischen Aus- s ch u ß, welcher die Staatsabrcchnung zu prüfen hat, vertreten werde und daß Geck als 2. Vizepräsident der Kammer für diesen Posten zur Wahl gestellt werden soll. In der Fraktionssitzung machte ich auf die Sitte aufmerksam, diese Tagung des land- ständischen Ausschusses mit einem Frühstück abzuschließen, zu welchem der Vorsitzende die betreffenden Kollegen des Landtages einladet. Die Fraktion vertrat die Ansicht, daß es sich hierbei um einen parlamentarischen Usus handle, dagegen die an das Kammerpräsidium ergangene und von diesem angenommene Ein» ladung des Hofes für uns unbeachtet bleibt. Der Kammer- vorstand hatte für diese Hofgängerei jedem Mitglied des Präsidiums zweitägige Diäten und dazu die Freifahrt in einer Droschke für beide Tage ausgetvorfen; der Empfang der Kammervertretung bei Hof war auf Donnerstag, den 20. September, bestimmt. Der rote Vizepräsident ging nicht zu Hofe, sondern revidierte damals als Mitglied der Kontrollkommission das Stuttgarter   Parteigeschäft. Außerdem empfing der rote Vizepräsident eine Einladung des Hof marschallamtes zum feierlichen Akt des Hofjubiläums; es war dem Vertreter der sozialdemokratischen Kammerfraktion auch ein Sitz bei der Festvorsteklung im Großherzoglichcn Hofthcater eingeräumt. Die Sozialdemokratie blieb bei Hofe stets unvertreten; es fehlt auch unter der Jubiläumsadresse der zweiten badischen Kammer an den Großherzog die Unterschrift des roten Vizepräsi» denten. Die Tagung des landständischcn Ausschusses mit dem herkömm- lichen parlamentarischen Frühstück fand nach dieser von mir ge- miedencn Hofrepräsentation der Kammer statt. Das Frühstück war diesmal nicht am Schlüsse der Tagung, sondern in einer dazu veranstalteten Pause. In der Schlußsitzung wurde die Staats- abrechnung unterzeichnet. In dieser Session des Landtages lud der Minister des großherzog Ii chen Hauses und der auswärtigen Angelegen- heiten, Freiherr von Marschall-Bieberstein, die Mit- glieder beider Kammern des Landtages zweimal zu einer parla- mentarischen Kur mit Abendessen in den Staatspalast ein. Die sozialdemokratische Fraktion nahm jedesmal offizielldaranteil, auch Prinz Karl als Mitglied der ersten Kammer erschien dazu. Dieses in tatsächlicher Beziehung. Wenn die Parteipresse es für wertvoll hält, darüber zu streiten, ob die badischen Genossen im Landtag nicht besser alle Repräsentationen(einschließlich des Vizepräsidiums) beiseite ließen, so hat sie dazu die Befugnis. Es steht ihr aber nicht zu, mich nach dem Dortmunder   Beispiel zu be- leidigen, weil ich nach Beschlüssen und Intentionen meiner Fraktion handelte. Von der MannheimerVolksstimme" ist man nichts Besseres gewohnt; sie hätte aber Anlaß genug, sich mit jenen zu be- fassen, welche in der Kammer die Beschlüsse der Fraktion miß». achtet haben. Eine Fälschung der Zentrumspresse. DasMünchener Tageblatt" hat dieser Tage behauptet, zu Pasing   habe der sozialdemolratische Gemeindebevollmächtigte N i m m e r f a l l in der letzten Sitzung deS Gemeindekollegiums den Anttag gestellt, es sei ein Gesuch an die Regierung um Belassung wenigstens eines Teiles der üb- lichen Lebensmittel st euer zu richten. Diesem Antrage sei auch stattgegeben worden. An diese Behauptung knüpfte das Zentrumsblatt die Worte:Sozialdemokraten arbeiten also daran. daß jene Steuern, die sie bisher am heftigsten bekämpft haben, be- lassen werden." In Wirklichkeit hat Genosse Nimmerfall einen solchen An- trag nicht gestellt, vielmehr hat er beantragt, es möchte eine aus Mitgliedern des Magistrats und des Kollegiums bestehende Kommission gebildet werden, welche sich mit den durch die'Auf- Hebung der lokalen Zuschläge im Jahre 1010 entstehenden ver- änderten Verhältnissen in den gemeindlichen Einnahmen schon jetzt zu beschäfttgen habe. Dieser Antrag wurde angenommen. So ist der Sachverhalt, den selbst ein farblos bürgerliches Blatt gegen die verlogene Zentrumspresse feststellen muß. Bon sozialdemokratischer Krankcnkassenverlotterung wußten dieser Tage wieder einmal die Scharfmacherorgane und sonstigen Ordnungs- blätter ein grauses Stücklein zu berichten. Die Koburger OrtS- krankenkasse, so wurde gemeldet, habe ein Defizit von 110 000 M. zu verzeichnen. Natürlich werde diese Kasse-von Sozialdemokraten geleitet, deren vollkommene Unfähigkeit... usw. nach bekanntem Rezept. In Wirklichkeit hat die Sozialdemokratie leider noch nicht die Mehrheit im Koburger Krankeniasienvorstand. und in Wirklich- teit ist nicht ein Defizit von 110 000 M. zu verzeichnen, sondern� eine Unterbilanz von 11000 M., von der 8000 M. abzuziehen sind, die satzungsgemäß dem Reservefonds hätten zufließen müssen und die nicht abgeführt tverden konnten. Wäre diese Unterbilanz durch die Verwaltung verschuldet, so wäre also nicht die Sozialdemokratie. sondern die bürgerliche Vorstandsmehrheit verantwortlich. Die Parteiorganisationen zum Parteitag. In der Parteiversammlung für den ersten Ham» b u r g e r W a h l k r e i s, die sich eines starken Besuches erfreute. erstatteten am Dienstag die Delegierten E. D u b b e r und Frau Zieh Bericht vom Mannheimer   Parteitag. Die Versammlung nahm einen glatten Verlauf. An der Debatte beteiligten sich die Genossen Stalten, Klimm eck und Schauenburg  , die sämtlich ihr Einverständnis mit den Mannheimer   Beschlüssen be- kündeten. Eine gegenteilige Meinung wurde nicht geäußert, weshalb man davon Abstand nahm, der Versaminlung eine Resolution zu unterbreiten. Bon den Organisationen. Ein neuesParteisekretariat ist für das obere Erzgebirge   eingerichtet worden. Genosse Jung- nickel- Chemnitz ist als' Sekretär gewählt worden. Er nimmt seinen Sitz in Annaberg   und soll besonders den 20. und 21. sächsischen Wahlkreis bearbeiten. Personalien. Genosse Reichstagsabgeordnetcr August Drees» bach, der im Frühjahr eine schwere Krankheit durchgemacht hat, ist nach Schluß deS Mannheimer   Parteitages, auf dem er als zlveiter Vorsitzender fungierte und durch dessen Vorbereitung er stark in Anspruch genommen war, aufs neue nicht unbedenklich erkrankt. Er mußte sich nach derMannh. Volksst." anfangs letzter Woche zur Kur nach Baden- Baden   begeben. Dreesbach leidet wieder an heftigen Asthmaanfällen, die der Arzt als die Folge einer besonders