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Mit einzelnem in Mannheim Beschlossenen war der Referent allerdings nicht einverstanden; so bemerkte er, dag die Delegierten unseres Kreises(er gehörte zu ihnen) nicht dafür hätten stimmen können, dasz die Resolutionen von Köln und Jena für einander nicht widersprechend erklärt wurden. Ferner bedauerte er, daß die zum Punkte der TagesordnungVerschiedenes" gestellten Anträge aus Mangel an Zeil kurzerhand abgewürgt wurden; besonders bedauerlich fei dies bei dem von unserem Kreise gestellten Antrag auf Aenderung des Ausschluß- Verfahrens. Der Parteivorstand weigere sich, ein Schiedsgericht bei Verstößen gegen Beschlüsse der Organisation einzuberufen, da er solche Verstöße nicht als einen Ausschlicßungsgrund anerkenne. Da- her könnte z. B. in Rixdorf ein von den Parteigenossen gewählter Stadtverordneter nicht ausgeschlossen werden, der mit den Bürger- lichen gehe und der Aufforderung der Genossen zur Niederleg'ung seines Mandats nicht Folge leiste. In der Diskussion betonte Genosie Flemming, daß die Arbeiter jeden Versuch der Gewerkschaftsführer, von der Maifeier etwas abzubröckeln, aufs entschiedenste zurückweisen müßten. Genosse Dr. Borchardt ging auf den zuletzt vom Referenten erwähnten Fall ein. Er teilte nicht die Meinung, daß man jetzt schon das Organilasionsstatut ändern solle. Wenn der Fall sich so ver- halte, wie vorgetragen, habe der Parteivorstand seine Beftignisse überschritten; denn die Prüfung der Frage, ob ein Ausschließungs- grund vorliege, übertrage das OrganisalionSstatut nicht dem Partei- Vorstand, sondern eben dem einzuberufenden Schiedsgericht. Genosie Wollermann erklärte ergänzend, daß die An- gelegenheit noch die Kontrolleure beschäftige; übrigens haben die Rixdorfer Genossen den Betreffenden aus ihren Listen gestrichen, nehmen keine Beiträge von ihm entgegen und werden sich ihn auf keine Weise aufzwingen lassen. Zum Schluß wies der Vorsitzende noch einmal auf die Not- wendigkeit der stetigen Agitations- und Organisationsarbeit hin. Erhöhung des Armenetats. Der Magistrat beantragt bei der Stadtverordncten-Bersammlung die Nachbewilliguiig von 18 000 M. für den laufenden Armenetat. Der größte Teil davon, nämlich 10 000 M., entfällt auf die Position: Entsendung in Walderholungs- stätten. Die Erholungsstätten für Kinder in Westend haben eine immer weitere Ausdehnung erfahren. Die im Januar 1905 be- standenen Plätze sind im Frühjahr d. I. auf 160 erweitert worden, es konnten aber tatsächlich täglich 180 200 Kinder draußen verpflegt werden, indem durch Errichtung von Zelten weitere Unterkunfts- Möglichkeit geschaffen wurde. Außerdem ist in diesem Jahre ein Versuch damit gemacht worden, Kindern auch während der Nacht dort draußen Unterkunft zu gewähren, um zu verhindern, daß in den engen und schlecht gelüfteten Wohnungen der Erfolg des Aufenthalts draußen wieder beseitigt wird und es steht zu erwarten, daß bei weitcrem Ausbau dieser Einrichtung damit ein teilweiser Ersatz für die besonderen Kinder-Lungenhesistätten geschaffen werden kann. Die Uebcrweisung, namentlich von Kindern. in die Erholungsstätten war so stark, daß die in den Etat ein- gesetzten 13 000 M. nicht ausreichten und eine erhebliche Nach- vewilligung erforderlich ist. Die Delegierten der Charlottenburger Gewcrkschaftskommission hielten am 12. dieses Monats im Beisein der Gewerkschafts- vorstände eine Versammlung ab, in welcher Genosse Scheible den Kasienbericht vom 3. Quartal 1906 vorlegte. Die Einnahmen bc- trugen 205,85 M., hinzu kommt ein.Kassenbestand von 1045,62 Vi. vom vorigen Quartal, macht die Gesamtsumme von 1251,47 M. Die Ausgaben beliefen sich auf 620,60 M., sodaß ein Bestand Won 630,37 M. vorhanden ist. Bemerkt sei, daß die Ausgaben zu den Gewerbegerichts-Ersatzwahlen vom 10. Juli dieses Jahres unter Punkt Ausgaben verrechnet stehen. Anschließend hieran wird von Scheible mitgeteilt, daß die'Gewerkschaften der Barbiere, Bau- hülfsarbeiter, Metallarbeiter, Maler, Putzer, Schmiede, Ver- waltungsbeamten und Zimmerer die Unkosten zu den Gewerbe- gerichtswahlen im Betrage von 15 Pf. pro Mitglied bis jetzt noch nicht bezahlt haben. Die Berliner Gewerkschaftskommission, an die man sich mehrmals gewandt habe, hat diese Bezahlung abgelehnt. Genosse Flemming ersucht dieserhalb die Leiter der benannten Ge-. werkschaften, sich mit den Berliner Vorstandskollegen in dieser An- gelegenheit auseinander zu setzen, damit die Sache erledigt wird. Weiter wird noch vom Genossen Gebert die säumige Zahlung der Volkshausbeiträge moniert. Herr Ingenieur Finkelstein referierte alsdann über den Zweck und Nutzen derFreien Fortbildungskurse für Arbeiter", welche seit 5sH Jahren in einem Sommer- und Wintersemester für niedriges Eintrittsgeld von der sozialwissen- schaftlichen Abteilung der Wildenschaft der Königl. Technischen Hochschule zu Berlin arrangiert werden. Die kommenden Kurse, in denen hauptsächlich Deutsch , Rechnen, gewerbliche Buchführung, Geometrie, Mechanik, Physik usw. gelehrt wird, beginnen am 29. Oktober dieses Jahres und enden am 15. März 1907. Sie finden statt in der Gemeindcschule III, Schloßstr. 2. Das Interesse an diesen Kursen sei erfreulicherweise in der letzten Zeit gewachsen und bittet Redner, den kommenden Kursen ein noch größeres Jnter- esse als zuvor entgegen zu bringen. Diesen Appell richtete auch der Obmann, Genosse Flemming, an die Gewerkschaftsvertreter. die dieses Thema in ihren nächsten Versammlungen besprechen mögen. Des weiteren ersuchte der Redner, Abonyenten auf das vom ,.Vorwärts"-Verlag herausgegebene WerkBlut und Eisen" in den Gewerkschaften zu werben. Nicht vertreten waren: Barbiere, Gastwirtsgehulfen, Metall- arbciter, Putzer und Steinsetzer. Freie Fortbildungskurse für Arbciter veranstaltet die sozial- wissenschaftliche- Abteilung der Wildenschaft der Technischen Hoch- schule zu Berlin im Winter 1906/07 in der Gemeindeschule III zu Charlottenburg , Schloßstr. 2, abends 8 10 Uhr. Es werden folgende Kurse abgehalten: Deutsch (1 Ober-, 2 Mittel-, 1 Unter- kursus: Freitag); Rechnen(Ober-, Mittel- und Unterkursus: Dienstag); Gewerbliche Buchführung(Montag); Algebra oder Rechnen mit Buchstaben(Donnerstag); Geometrie(Donnerstag): Ausgewählte Kapitel aus der Mechanik(Freitag); Ausgewählte Kapitel aus der Physik(Dienstag); Uebungen im Zeichnen(Geo- metrisches Zeichnen, Bauzeichnen, Maschinenzeichnen, Freihand- zeichnen: Montag); Arbeiterversicherung(Donnerstag); Gewerbe- krankheiten und Gewerbehygiene(Montag). Allgemeine Uebungen, nach Wunsch der Hörer, an allen Schulabenden. Neben den Kursen finden statt: Exkursionen und Exkursionsvorträge, Museums- führungen und gemeinschaftliche Theaterbesuche zu ermäßigten Preisen. Teilnehmergebühr pro Kursus(29. Oktober bis 15. März 1907) 50 Pf., sonstige Veranstaltungen je 10 Pf. Anmeldungen zu den Kursen am Sonnabend, den 27. Oktober, abends 8lH bis SM Uhr in der Gemeindeschule III. Programme erhältlich von Dipl . Jng. Alfons Finkelstein, Charlottenburg , Wilmersdorfer- straße 106. Schöneberg. Eine gut besuchte öffentliche Versammlung, einberufen vom Zentralverband der Handels- und Transportarbeiter, tagte Sonntag abend im Obstschen Lokal. Genosse Stürmer referierte über das Thema:Kirche, Srtmle und Proletariat"; seine Ausführungen wurden von den Versammelten, unter denen auch die Frauen in großer Zahl anwesend waren, mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Der Leiter der Versammlung, Genosse Schenk, betonte dann noch, wie notwendig für die Zeitungsausträgerinnen der Eintritt in den Verband wäre. Zum Beweise hierfür verwies er auf die hiesige Filiale der.Morgenpost", deren Leiter, ein Herr Bernhard, sich herausgenommen habe,seine" Austrägerinnen unter Entlassungs- androhung vom Eintritt in die Organisation abzuhalten. Um solchen Maßnahmen erfolgreich entgegenzutreten, könne es für die ZeitungS- frauen nur die Losung geben: Hinein in die Organisarion I Demnächst wird vom Verbände ein Flugblatt herausgegeben werden, welches die Mißstände in der hiesigenMorgenpost"-Filiale bcbandelt. Weiter verwies Redner noch auf die bevorstehenden Delegierten- Wahlen zur Schöneberger Orts-Krankenkasse; hiermit beschäftigt sich eine öffentliche Versammlung, die am Donnerstag im Obstschen Lokal tagt. Köpenick . Auf dem heute, Donnerstag, den 18. d. M. stattfindenden vierten Theaterabend des Gewerkschaftskartells wird hiermit noch besonders hingewiesen. Zur Aufführung gelangtKater Lampe" von Emil Rosenow . Der Eintrittspreis beträgt 50 Pf. inkl. Garderobe und Programm._ Gerichts-Zeitung� Der Rhinomer Lustmordprozcß stand am Dienstag vor dem Schwurgericht beim Potsdamer Landgericht zur Verhandlung. An- geklagt ist der 20jährige Hausdiener August Blumenthal aus Rhinow wegen eines Sittlichkeitsverbrechens und wegen Mordes an der sjährigen Tochter Hedwig der Witwe Witte in Rhinow . Am 31. August wurde die Kleine von ihrer Mutter ver- mißt Am folgenden Morgen wurde sie in der Nähe des Babnhofs als Leiche aufgefunden, die die Merknmle des verübten Sittlichkeits- Verbrechens und des gewaltsamen Todes an sich trug. Als Täter wurde der Angeklagte festgestellt, der bei dem Bahnhofswirt Topp in Stellung war. Wegen Gefährdung der Sittlichkeit wurd» die Oeffentlilbkeit während der Verhandlung, zu der sich zahlreiche Zu- Hörer eingefunden hatten, ausgeschlossen. Die Geschworenen be- j a h t e n die Schuldfrage nach Totschlag; die nach Mord lautende wurde verneint. Mildernde Umstände blieben dem An- geklagten versagt. Vom Staatsanwalt wurden zwölf Jahre Zuchthaus beantragt. Das Gericht erkannte demgemäß. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden dem Bl. auf zehn Jahre aberkannt. Der Verurteilte trat die Strafe sofort an. Der prügelnde Pfarrer. Vom Landgerichte S ch w e i n f u r t ist am 7. Mai der P f a r r e r Alois Oehling wegen Körperverletzung zu 10 M. Geldstrafe ver- urteilt worden. Der 13 Jahre alte Schüler I. leistete Ministranten- dienste in der Kirche. Der Angeklagte hatte Disierenzen mit dem Vater und versuchte daher, den Knaben in der Religionsstunde lächerlich zu machen. Der Vater verbot daher dem Knaben das Ministrieren. Als der Angeklagte den Knaben wegen seines Ausbleibens zur Rede stellte, berief sich dieser auf das Verbot seines Vaters. Der Angeklagte sagte, in der Kirche müsse er ihm gehorchen, nannte ihn Lausbub und gab ihm sechs Schläge mit einem Stock auf das Gesäß. Der Angeklagte hat, fo heißt es im Urteile, nur aus Aerger gehandelt. Seine Aus- rede, er habe sich als Lokalswulinspektor, Religionslehrer und Kindererzieher zu der Züchtigung für berechtigt gehalten, fand keine Beachtung. Der Angeklagte wollte gar kein Züchtigungsrecht aus- üben, sondern nur seinem Aerger Luft machen. Die Revision des Angeklagten wurde am Montag vom Reichsgerichte ver- w o r f e n._ Ohne polizeiliche Ucbcrwachuug darf nicht über Politik geredet werden. Die vorstehende für ein modernes Staatswesen ungeheuerliche Rechtsansicht beherrschte ein Urteil, das am Montag vom Kammer- gericht gefällt'wurde. In der Privatwohnung des Bergmanns Sperling, eines Mitgliedes des ArbeitergesangvereinsVorwärts" in Beckhausen bei Buer , kamen die Vereinsmitglieder(durchweg Bergleute) zusammen. Polizeibeamte kamen hinzu und lösten die Versammlung auf, weil ein Mitglied Breuche die soziale Lage der Bergarbeiter besprochen und empfohlen hatte, auf ein Zusammengehen des alten Verbandes mit dem christlichen Gewerk- verein hinzuwirken, um besser den Bergwerksbesitzern zur Erlangung günstiger Arbeitsverhältnisse entgegentreten zu können. Auf Grund der§§ 1 und 12 des Vereinsgesetzes verurteilte das Landgericht weil die Versammlung nicht der Polizei gemeldet war Brenche und Sperling zu Geldstrafen: Breuche als Redner und Sperling als den, der den Raum für die Versammlung hergegeben hatte. Das Gericht ging davon aus, daß die nicht polizeilich an- gemeldete Versammlung nach% 1 des Vereinsgeietzes der An- ineldung bedurft hätte, weil sie durch die' n i ch t ver- hinderten Ausftihrungen Breuches eine solche geworden sei, in der öffentliche Angelegenheiten hätten erörtert werden. sollen. Deshalb sei ferner die Auflösung berechtigt gewesen und s ä m t- liche 14 Anwesende, mit Ausnahme von Sperling als Besitzer des Raumes, hätten gemäߧ 6 des Vereinsgesetzes sofort nach der Auflösung den Raum verlassen müssen. Da sie es nicht taten, wurden sie, ausgenommen Sperling, vom Landgericht auf Grund der Z8 6 und 15 des Gesetzes zu Geldstrafen verurteilt. Außerdem erhielt noch der Angeklagte Schulte wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt vierzehn Tage Gefängnis. Er war nach der Auf- lösung nicht schließlich doch gegangen, wie die übrigen, sondern hatte sich schnell von Sperling das Hausrecht übertragen lassen, die Beamten zum Verlassen des Zimmers aufgefordert und sich seiner Abführung durch diese körperlich widersetzt, indem er sich mit den Füßen gegen den Boden stemmte, sich an der Haustür mit Kraft festhielt usw. Gegen diese Verurteilung legten die 15 Angeklagten Revision ein. In der Verhandlung vor dem ersten Straffenat des Kammer- gerichts wurde der Angeklagte Schulte durch Rechtsanwalt Roth vertreten. Der Anwalt machte geltend, daß die Versammlung zu Unrecht aufgelöst sei, denn sie könnte nach de» landgerichtlichen Feststellungen nicht als eine Versammlung im Sinne des 8 1 des Vereinsgesetzes gelten, der nur die Anmeldung vorschreibe für Versammlungen, in denen öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollten. Ivo das also von vornherein bestimmter Zweck sei. Davon sei hier nicht die Rede. Erst im Laufe des Zusammenseins sei nach Behandlung interner Angelegenheiten des Vereins von Breuche zu- fällig erörtert worden, was das Landgericht als öffentliche An- gelegenheiten ansah, nämlich die Notwendigkeit des Zusanimengehens der Bergleute usw. Wäre aber die Auflösung unberechtigt ge- wesen, so hätten die Angeklagten nicht das Zimmer räumen brauchen, und der Angeklagte Schulte sei dann keines Wider- standes gegen die Staatsgewalt schuldig, da in diesem Falle die Beamten bei ihrem Vorgehen gegen ihn sich nicht in be- rechftgter Ausübung ihres Amtes beftmden hätten. Hinzu komme, daß Schulte der Meinung gewesen sei, die Auflösung sei unberechtigt und er könne weiter in der Wohnung Sperlings bleiben. Außer- dem habe Sperling, der Besitzer dieser Privatwohnung, Schultedas Hausrecht übertragen" gehabt. Gleichgültig' sei, ob das formell juristisch zulässig sei. Jedenfalls habe Schulte darin eine Erlaubnis des Besitzers, auch nach der Auflösung sein Gast zu bleiben, sehen können. Der er st e Strafsenat des Kammergerichts ver- warf jedoch die Revisionen der Angeklagten mit folgender Be- gründung: Die 8§ 1 und 12 des Vereinsgesetzes seien mit Recht angewendet. DaS Programm einer Versammlung könne sich' sehr wohl in ihrem Laufe selbst ändern. Indem irgend ein Teilnehmer öffentliche Angelegenheiten erörtere. werde sie, wenn sie es nicht war, nach dem Willen dieses Redners eine solche, in der öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollten, und sie werde von nun an eine meldepflichtige Ver- sammlung. Jeder, der dann als Leiter, Redner, Lokalinhaber fungiere, sei strafbar. Natürlich nur dann, wenn jene Erörterung nicht bloß eine spontane, einer augenblicklichen Aufwallung ent- springende Aeußerung sei und dem Betreffenden nicht gleichder Mund gestopst" werde. Der Leiter der Versammlung müsse sich sagen:Halt, jetzt kommen öffentliche Angelegenheiten", und er müsse die Versammlung schließen oder dem Redner das Wort entziehen. Wenn es aber nicht geschehe, Ivie hier, so sei es eine Versammlung geworden, die ohne Anmeldung nicht tagen durste. Abwegig sei auch die Auffassung, daß die Versammlung oder einzelne Teilnehmer entscheiden könnten, ob die Auflösung berechtigt sei. um ihr Verhalten danach einzurichten. Der 8 6 verlange viel- mehr ein unbedingtes sofortiges Verlassen des Raumes nach der Auflösung einer Versammlung. Auch die Anwendung der 88 6 und 16 des Gesetzes wäre somit gerechtfertigt. Ohne weiteres ergebe sich hieraus auch die Verurteilung des Angeklagten Schulte ivcgen Widerstandes, denn zweifellos hätten sich nach dem vorher Gesagten die Beaniten in der rechtmäßigen Ausübung ihres Amtes befunden. Wäre das Urteil richtig, so dürften auch die Richter in ihrer Wohnung oder in einer Kneipe sich über politische oder soziale Dinge nicht unterhalten. Rußland wäre freiheitlicher als Preußen. Ist ein Streikbrecher einnützlicheres" Element als ein Beamter? Wie weit Gerichte davon entfernt sind, ohne Ansehen der Person urteilen zn können, vielmehr ans die Klassenunterschiede Rücksicht nehmen, beweisen aufs deutlichste zlvei Urteile, die das Schöffengericht Jena in der Sitzung vom 16. Oktober gefällt hat. DasJenaer Volksblatt" berichtet: I. Beim letzten Streik der Jenaer Speditionsarbeiter und Kutscher ist der G e s ch i r r f ü h r e r Otto S. in Wenigenjena einem Arbeitswilligen gegenüber etwas unvorsichtig gewesen. Der Arbeiter Johann Julius L. hier hielt es für zweckmäßig, sich während des Ausstandes der Arbeiter, die für eine bessere Existenz käinpften, einem Unternehmer zur Verfügung zu stellen. Darüber war S. nebst seinen Kollegen aus begreiflichen Gründen sehr erbost und als sie des Arbeitswilligen ansichtig wurden, packte ihn S. beim Arme und rief:Wenn Du jetzt nicht sofort die Arbeit niederlegst, haue ich Dir den Wanst voll I" S. ist auf Grund der 88 240 und 243 des Strafgesetzbuchs angeklagt; er bestritt, den arbeitswilligen Arbeiter bedroht zu haben. Der Amtsanwalt beantragte eine Geldstrafe von 40 M. Das Schöffengericht sah die Sache noch schlimmer an und verhing über den bisher völlig unbescholtenen Mann eine ei n wöchige Ge- fängnis strafe. Der Vorsitzende führte zur Urteilsbegründung aus, daß eine Geldstrafe nicht den Arbeiter treffen wurde, sondern von der Streikkasse getragen werde.Die ganze Art und Weise" in dem Verhalten des An- geklagten sei besonders brutal. II. Der praktische Arzt Dr. Max Fr. in Koburg hat im Sommer d. I. in hiesiger Stadt auf alle Fälle seine gute Erziehung und seine jetzige soziale Stellung vergessen und sich offenbar wieder einmal als flotter Studio gefühlt. Der Herr Doktor ist nämlich wegen Ver Übung ruhestörenden Lärms, wegen Bei- legnng eines falschen Namens einem Beamten gegenüber, wegen passiven Wider st andes gegen dieStaatsgewalt und wegenBeamtenbeleidigung angeklagt. Der Angeklagte trieb es am I. August morgens gegen 4 Uhr mit einigenalten Herren" etwas zu bunt, so daß Schutz- mann L. gezwungen war, in Aktion treten zu müssen.Ich heiße Chryselius Krause I" erwiderte der lebenslustige Arzt, nachdem er eine Marktbude über den Haufen geworfen hatte und der Beamte darauf den Namen wissen wollte. Auf dem Wege zur Wache leistete Dr. Fr. nicht nur Widerstand, sondern nannte den Schutzmann auch noch einendummen Kerl". Urteil: wegen Ruhestörung 3 M. Geld st rase event. 1 Tag Haft, wegen falscher Namcnsangabe 3 M. event. 1 Tag Haft, wegen Beamtenbeleidigmig und Widerstand 15 M. event. 3 Tage Gefängnis. Also ein Arbeiter, der lvegen eines erbitterten Lohnkampfes in der Sorge um seine Existenz ein paar unbedachte Worte äußert, wird zu einer Woche Gefängnis verurteilt, obwohl er bis dahin völlig unbescholten ist. Ein gebildeter Arzt dagegen, der Gewalt- tätigkeitcn verübt und den Hütern der öffentlichen Ordnung Wider- stand leistet, kommt mit einer für seine Verhältnisse geringen Geld- strafe davon. Und da wundern sich diese selben Leute, wenn weit über die Kreise der Arbeiter der Begriff der Klassenjustiz deutlich wird. Vergewaltigung einer Greisin. Das Stuttgarter Schwurgericht verurteilte am Mittwoch den 19jährigen Gipser David Groß aus Weil im Dorf wegen Ver- aewalrigung einer achtzigjährigen Frau zu zwei Jahren Zuchthaus und den üblichen Ehrenstrafen. Revolverpresse. Einer jener infamen Hallunken, die die Presse zu schamlosen Erpressungsversuchen nach dem Rezept des konservativen Führers Lindenberg aus den 40 er und 50 er Jahren mißbrauchen, stand am- Montag vor dem Reichsgericht als AngeUagter. Vom Landgericht Bonn ist am 24. Februar der Verleger und Redakteur des WaldbröhlerAnzeigers", Christian Haupt, wegen versuchter Erpressung zu sechs Wionaten Gefängnis verurteilt worden. Das Blatt bringt, so heißt es im Urteile, fortwährend Angriffe gegen Beamte, auch gegen den Schuldirektor S. Bei diesem erschien der Angeklagte eines Tages und legte ihm das Konzept eines Artikels vor, in welchem in gehässiger Weise ein Ausflug geschildert wurde, den S. mit einem Vergnügungs- vereine gemacht hatte. S. erklärte, er werde ihn anzeigen, ivenn er die gehässigen Stellen mit veröffentliche. Der Angeklagte war bereit, diese Stellen zu unterdrücken, wenn ihm ein Geschäftslokal für Papierwaren, das ihm das Kuratorium bereits abgeschlagen hatte, in- der Schule zur Verfügung gestellt werde. S. war eingeschüchtert und versprach zu versuchen, was sich tun lasse. Der Artikel erschien nun unter Weglassung der ominösen Stellen. Da aber der Wunsch des Angeklagten nicht erfüllt wurde, erschienen nickt nur die weggelassenen Stellen noch, sondern auch noch weitere Schniähartikel in dem Blatte des Angeklagten. Da S. dem Kuratorium angehört, wäre es ihm ein leichtes gewesen, dem Angeklagten das Lokal zu verschaffen. Das Mittel, welches der Angeklagte anwandte, war geeignet, die Erpressung zur Vollendung zu bringen. Die Revision des Angeklagten wurde vom Reichsgericht verworfen._ Ein Postcxpeditor auf der Anklagebank. DaS Landgericht München verurteilte am Montag eine Verkäuferin zu drei Monaten Gefängnis wegen versuchter Abtreibung. Der Postexpeditor Schulz, der die Verkäuferin dazu angestiftet hatte, die Folgen des Verkehrs mit ihm zu beseitigen und versucht hatte, sie zu einer meineidigen Aussage, durch die er freizukominen hoffte, zu bewegen, wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Vermischtes. Im Unterseeboot eingeschlossen. In Biserta ereignete sich gestern ein sehr ernster Unfall des UnterseebootesLutin", welches unter dem Befehle des Kapitäns de la Croix steht. Die.Besatzung beziffert sich auf neun Mann. Das Boot machte außerhalb der Reede Tauchvcrsuche bis 30 Meter Tiefe, als plötzlich von demselben Signale gegeben wurden, welche andeuteten, daß es nicht an die Oberfläche gelangen könne. Der das Unterseeboot begleitende Schleppdampfer gab sofort Alarm- signale, woratif noch drei andere Schleppdampfer herbeieilten. Bis- her sind indessen die Versuche, das Unterseeboot wieder zu heben, ergebnislos geblieben. Sobald der englische Konsul von dem Un- glück hörte, erbot er sich, an den Gouverneur von Malta zu tele- graphieren, damit dieser die dortigen Rettungsboote sofort nach Biserta senden möge. Dieser Vorschlag wurde dankend an- genommen. Weitere Nachrichten besagen: Paris , 17. Oktober. Unter Bestätigung der Meldung vom Verschwinden des Unterseebootes Lutin" wird dem Marineminister aus Biserta telegraphiert, daß der mit der Aufsuchung beschäftigte Bagger auf 40 Meter Tiefe gewissen Widerstand fand. Paris , 17. Oktober. Die Meldung von dem Unfall des UnterseebootesLutin" hat in Paris große Sensation hervor- gerufen. DerLutin" war vom gleichen Typ wie der ebenfalls