Stimmung selbst darüber entscheiden sollte, ob sie mit Däne- rnark vereinigt werden wollte oder nicht. Im Wiener Wer- trag voni 11. Oktober 1878 hatten Preußen und Oesterreich diese Bestimmung etnsach wieder annulliert. Diese. Rechts- Verletzung war, besonders für Jessen und seine Richtung, bis- her das wirkungsvollste Agitationsmaterial der Dänenpartei gewesen. Um so verblüssender wirkte es auf freund wie Feind, als in der erwähnten Wählerversammlung Abgeordneter Nielsen den Rat gab, den s? 5 endlich„i n den Schrank zu st el l e n" u n d f ii r d e r h i n R e a l p o l i t i k a n S t e l l e der G e f ü h l s p o l i t i k zu treiben.„Flensborg Avis" ist davon natürlich wenig erbaut, hält es aber im Interesse des Wahlkampfes für geboten, vorerst keinen schärferen Protest zu erheben. � Andererseits scheint auf die Hanssenleute die sozialiften« fresserijche Teirdenz der Jessenrichtung bedenklich abgefärbt zu haben. Noch bei der Reichstagswahl 1903 hatte die Haussen- Partei im zweiten schleswig -holsteinischen. Wahlkreise(Flens- burg-Apenrade) für unseren Kandidaten Mahlke gestimmt, ob- wohl„Flensborg Avis" die Parole ausgegeben hatte: Lieber einen deutschnationalen Fanatiker(damals der Antisemit Raab), als einen Sozialdemokraten! In der jetzigen Wahl- bewegung aber geriet der„Hejmdal" des Abgeordneten Haussen schon von vornherein ganz aus dem Häuschen, als die Sozialdemokratie nur ihre Absicht laut werden ließ, als Kandidaten im ersten Kreise einen Nordschleswiger dänischer Abstammung, eben den Genossen Michelsen, aufzustellen. Die Hanssenleute waren naiv genug, an die Sozialdemokratie das Ansinnen zu stellen, üuf eine Kandidatur im ersten Kreise zu verzichten, und sie drohten damit, im Weigerungsfall bei der nächsten Stichwahl iin zweiten Kreise den Sozialdemokraten durchfallen zu lassen. Natürlich ließ sich die Sozialdemokratie auf diesen Handel nicht ein, um so weniger, als sie seit dem Jahre 1887 im ersten Meise kandidieren läßt und die Dänen selber darin bis jetzt nichts Tadelnswertes erblickt hatten. Nun aber, nach Proklamierung der sozialdemokratischen Kandidatur. überschritt die Wut der Dänen die primitivsten Gebote des politischen Anstandes. Obwohl sie selber, genau wie die Sozialdemokraten, von jeher unter der Saalabtreiberei der Behörden zu leiden gehabt und deshalb eigene Versammlungs- Häuser hatten errichten müssen, verweigerten sie jetzt diese Lokale der Sozialdemokratie resp. sie forderten eine für unsere Genossen unerschwingliche Lokalmiete und helfen dadurch den Preußischen Landräten und Amtsvorstehern, die Sozialdemo- kratie obdachlos im Kreise zu machen. Ja, sogar bis zur direkten Saalabtreiberei stieg die Protestpartei herab. Die Agitationskommission der schleswig - holsteinischen Sozialdemokratie hatte jenseits der Grenze, in Frederikshöj eine internationale Wählerversammlung an- beraumt, in der außer deutschen Rednern auch ein dänischer sozialdemokratischer Abgeordneter, der in Preußen sicher ausgewiesen worden wäre, sprechen sollte. Die dänische Presse in Nordschleswig und im Königreich schäumte vor Wut. als dieses Vorhaben bekannt wurde. Die Hanssenleute steckten sich hinter ihre Freunde in Kopenhagen , und nicht nur diese, sondern sämtliche Parteien des dänischen Reichstags, ja sogar die Minister selber, bestimmten die Abgeordneten der Sozial- demokratie, ihre Zusage für Frederikshöj zurückzuziehen, da die deutsche Regierung in dem Auftreten eines dänischen Sozialdemokrate» in einer von deutscher Seite arrangierten Wähler- Versammlung eine unbefugte Einmischung rn innere Angelegenheiten des Deutschen Reichs erblicken könne! Das taten dieselben Leute, die alljährlich in nächster Nähe von Frederikshöj, auf Skam- lingsbanken, für ihre Landsleute hinter den schwarzweißen Grenzpfählen große Protestversamntluiigen abhalten und ihre ersten Redner gegen die preußisch-deutsche Unterdrückungs- Politik in der schärfsten Tonart sprechen lassen!! Leider ließen sich unsere dänischen Ge- nossenvon den bürgerlichen Politikern und denMinisternbreitschlagenundsagtenihre Beteiligung an einer Veranstaltung, Sie die Sache ihrer deutschen Bruderpartei fördernsollte.aufdasBetreibenderGegner ihrer deutschen Parteifreunde ab. Die Dänen aber setzten ührem Treiben nunmehr noch die Krone auf, in- vem sie, durch Boykottdrohungen, de» Wirt in Frede- rikshöj veranlaßten, sein Lokal den nord- schleswigischen Genossen, trotzdem alle Ab- machunge nläng st getroffenwaren, inletzter Stunde zu verweigern. So konnte zum Gaudium der deutschen Patrioten in Nordschleswig die internationale Wählerversammlung nicht stqttfinden. Unsere Genossen können den Schlag verschmerzen. Zeigt ihnen doch die sinnlose Wut der Dänenpartei, daß sie mit ihrer Agitation auf dem rechten Wege sind und daß sie neuer- dings von der Protestpartei als gefährliche Gegner einge- schätzt werden. Es ist heutzutage einfach nicht mehr möglich. daß eine- irgendwie nennenswerte politische.Richtung durch solch utopistisches Programm, wie die nationale Dänenparole in Nordschleswig. die alle wirtschaftlichen Interessengegensätze und jedq Klassenscheidung leugnet, auf die Dauer zusammen- gehalten werden kann. Die Sozialdemokratie wird deshalb mit noch größerem Nachdruck als bisher den dänischen Prole- rarcern in Nordschleswig klar zu machen suchen, bei welcher deutschen Partei allein sie eine wirkungsvolle Vertretung ihrer Klasseninteressen finden und welche Parte» ihnen allein zu- gleich die Garaistie bietet, daß mit ihrem Sieg auch die Er- füllung ihrer nationalen Forderungen verknüpft sind. Daß die Dänen jetzt, wo sie den Z 5 des Prager Friedens in den Schrank gestellt haben, die deutsche Sozialdemokratie mehr fürchten, als den Köllerkurs, ist uns ein verheißungsvolles Zeichen, daß unsere Aufklärungsarbeit über kurz oder lang doch Früchte tragen wird. Es sind die Füße derer, die sie hinaustragen werden, die Herr Haussen und seine Leute vor ihrer Türe stehen sehen.—_ Kirche und Staat in Spanien . Der Protestfellyug der Pfafsen gegen die antiklerikale Politik d«S Ministeriums Lopez Dominguez ist noch nicht beendigt. Ihren Kollegen von Tuy und Cordoba haben sich die Erzbischöfe von Va- kencia und von Burgos angeschlossen, welch letzterer nicht nur für sich protestierte, sondern gleich en gros im Namen seiner Weih- bischäfe von San tander, Palencia , OSma. Vitoria und Leon; ferner protestierten der Bischof von La» Palmas auf den Kanarischen Inseln, Ue vier Bischöfe der Kirchenprovinz Compostela sowie der Bischof ton Socio. Man darf sich über dikse Pfaffeninsurrektion freuen: gibt sie Loch Veranlassung, daß sich die öffentliche Meinung außerhalb Spaniens auch einmal klar wird über den Einfluß des spanischen äStMs&nus. Man meint gewöhnlich, in Spanien habe die Kirche die Mehrheit des Volkes in der Gewalt. Nichts falscher als das! Allerdings, die katholische Kirche hat auch in Spanien eine ungeheuere Macht— ist sie ddch unermeßlich reich und mit dem Adel sowie mit der höhere« Bourgeoisie eng verbündet. Aber auf das Volk hat die Kirche nur ganz geringen Einfluß, abgesehen von einigen Teilen Andalusiens und der baskischen Provinzen. Gerade der Feldzug der Bischöfe gegen die ersten Plänkeleien im antiklerikalen Kampfe der liberalen Partei Spaniens ist geeignet, diese Behauptung zu beweisen. Haben doch bis jetzt nur die Bischöfe in den ganz kleinen Städten ihre Stimme zu erheben gewagt! Außer Cordoba und Valencia zählt kaum eine der Städte, deren Bischöfe sich einen Protest leisteten, über 30 000 Einwohner. Der einzige Bischof einer wirklich großen Stadt, der sich dem Protest seines Bruders von Tuy anschloß, der Bischof von Valencia , muß für seinen Hirtenbrief bitter büßen: Ganz Valencia ist gegen ihn, zwei große Versammlungen wurden veranstaltet, in denen scharfe Proteste gegen die Haltung der Kirche zustande kamen; aus der Straße spielten sich lärmende Kundgebungen ab, und eine Zeit- lang schien es, als würde das bischöfliche Palais vom Volke gestürmt werden! Sogar der Magistrat— mit dem Bürgermeister an der Spitze— beteiligte sich an den Kundgebungen, kurz: ganz Valencia gab der Negierung aufs deutlichste zu erkennen, daß die Protest- bewegung so lange andauern würde, als der Bischof auf seinem Platze verbleibe. Die Regierung sah sich dann schließlich genötigt, den Bewohnern von Valencia Genugtuung zu versprechen.— Es ist das eine gute Lehre für die Herren Bischöfe von Madrid , Barcelona , Saragossa , Sevilla , Tarragona und anderer großer Städte. Es ist das zu gleicher Zeit eine Erklärung für die Tatsache. daß die Pfaffen jener Städte sich so hübsch ruhig verhalten. Der ganzen bischöflichen Protestbewegung aber ist damit von vornherein die Spitze abgebrochen. Dem muß noch hinzugefügt werden,, daß alle größeren bürger- lichen Blätter— Tfel Jmparcial",„Heraldo de Madrid",„El Liberal",„El Diario Universal",„La Correspondencia de Espana" u. a. m.—, daß die ganze demokratische und die republikanische Presse, daß alle politischen Gruppen— liberale, demokratische, republikanische, sozialistische, unabhängige— gegen die Bischöfe Stellung genommen haben. Angesichts dieser Tatsachen ist es wohl begreiflich, daß wir oben sagen konnten: man dürfe sich über die Pfaffeninsurrektion freuen. Dem allgemeinen Unwillen gegenüber mußte die spanische Regierung wohl oder übel etwas tun. Sie hat sich denn auch aus ihrem Schlummer ein wenig aufgerafft und den Entschluß gefaßt, zu handeln! In einem letzter Tage abgehaltenen Ministerrat ent- schied sie sich dafür, dem Vatikan das Konkordat zu kündigen, das vom konservativen Ministerium Maura im Jahre 1904 abgeschlossen worden war. Den Kortes, die kommende Woche zusammentreten werden, will die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen, dessen Hauptbestimmungen folgende sein sollen: 1. Es darf sich ohne gesetzliche Autorisation, die nur das Parlament zu erteilen hat, in Spanien keine neue religiöse Ge» sellschaft bilden. 2. Die bestehenden religiösen Gesellschaften haben sich den Bestimmungen des spanischen Zivilgesetzbuches zu unterwerfen. 3. Jede religiöse Gesellschaft darf durch Kabinettsverfügung aufgelöst werden, sobald die Rücksicht auf die Erhaltung der öffent- lichen Ordnung oder andere Staatsinteressen die Auflösung rätlich erscheinen lassen. Als dieser Entwurf bekannt wurde, erklärten die republikanischen und die demokratischen Abgeordneten, daß sie die antiklerikale Politik des Kabinetts unterstützen würden. Dadurch erhält das Ministerium natürlich eine bedeutend festere Position, um so mehr als auch der- schiedene Gruppen der Majorität, die sich seit einiger Zeit befehden, gleichfalls die Erklärung abgegeben haben, sie würden im Kampfe gegen die Bischöfe der Regierung mit allen Kräften zur Seite stehen. So scheint denn die Frage einer Neuregelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Spanien endlich einmal ins Rollen zu kommen. Die Kortes sollen am 23. Oktober zusammentreten, und wir werden Gelegenheit erhalten, der Entwickelung einer der inter - essantesten Phasen in der modernen spanischen Politik zu folgen. Nur eine Gefahr droht den Antiklerikalen: der Neid und Streit unter den Führern der liberalen Partei. Stellen— was schon öfter vorgekommen ist— diese Herren ihre kleinlichen pcrsön- lichen Zänkereien wiederum über das Interesse der Nation, so würde die konservative Partei, einig und geschloffen, im Bunde mit der Kirche den Sieg davontragen. Damit wäre die Lösung der hoch- wichtigen Angelegenheit aufgeschoben. Aber dies Glück der Kirche wäre nicht von langer Dauer; denn die Mehrheit des Volkes will nun einmal— wie gesagt— nichts mehr wissen von der ver- haßten Vormundschaft, die sich Spaniens Kirche so lange Zeit an- maßen durfte.—• Oeutfcbcs Reich. Die Köpenicker Affäre in der Beurteilung der englischen Presse. Die gelungene Köpenicker Parodie auf den Geist des deutschen Militarismus entfesselt in der Presse aller Kulturländer ein ironisches Gelächter. Die englische Press«, die einen scharfen Sinn für politische Satire hat, ist heute voll von spaltenlangen Berichten über den neuesten Witz, der, wie die„Daily Mail" bemerkt, die neu- deutsche Kultur„dem Gelächter beider Hemisphären" preisgibt. Das Blatt schreibt allzu optimistisch:.. Die gestrige Tragi- komödie kann für das deutsche Leben zwei umwälzende Acnderungen haben. Erstens: die Zerstörung des Grundsatzes, daß man vor des Kaisers Rock den Kotau machen muß, lote«inst die Schweizer vor Gehlers Hut. Zweitens: der blinde gedankenlose Gehorsam, der den teutonischen Soldaten als die ruhmreichste Tugend eingeprägt wird, kann eine erhebliche Abschwächung erfahren. Ohne diese Traditionen. die dem deutschen Volke ins Fleisch und Blut übergegangen sind, könnte sich die Tragikomödie von Köpenick nicht ereignet haben, die das Reich dem Hohngelächter beider Hemisphären preisgibt." Die„Morning Post" bemerkt:„Die Köpenickaffäre wird als die schneidenste Satire betrachtet, die je gegen den Geist des Militarismus gerichtet wurde." Die„Tribüne" meint, sie könne nicht annehmen, daß der deutsche Witzling nur ein Dieb sei.„Er war vielmehr als politischer Philosoph darüber erschreckt, daß in Deutschland die persönliche Regierung soioeit reicht und wollte nur eine Probe aufs Exempel machen. Die Soldaten sind einfache Automaten, die gehorchen.— würden sie nicht jedem Befehl eines Uniformierten folgen? Beamte sind zwar auch Automaten, aber etwas kompliziertere;— würden sie glauben, daß der Kaiser ihn sandte, um sie zu arre- tieren?... Die Erwähnung des RamenS des Kaisers war tat- sächlich hinreichend. Obwohl die ganze Prozedur ungewöhnlich war, so schien sie doch den Betroffenen ganz natürlich. Nach diesen Er- fahrungen muß der Kaiser sich über seine eigene Mäßigung wundern." Der„Daily Telegraph " und„Daily Expreß " be. handeln die Angelegenheit in ironischer Weise, ohne indes auf ihren politischen Sinn näher einzugehen. Der„Standard" bemerkt, es sei gewiß, daß die Soldaten auf Befehl des„Hauptmanns" den Bürgermeister und den Gemeinde- sekretär getötet und auf die Massen gefeuert hätten.„Dies mag vom Standpunkte des Absolutismus zufriedenstellend sein, aber den ausländischen Beobachtern erscheint dies als eine ernste Schwäche im Bau der deutschen Größe.— Ultramontane Bülowschwärmerei. Die„Köln . Volksztg.", neben der„Germania " das führende Organ des Zentrums, widmet unter dem Titel„Sechs Jahre Bülowscher Kanzlerschaft" dem wiedergenesencn Reichskanzler einen Artikel, der eine förmliche Liebeserklärung für Bülow darstellt. In der inneren Politik habe Bülow die Kunst bewiesen, sich das Vertrauen der verschiedensten Parteien zu erwerben, die sich untereinander bekämpften. Bülow habe zweifellos in der inneren Politik bedeutende Erfolge er- zielt. Er habe die Kanalfragc erledigt, die R e i ch s f i n a n z- r e f o r m und das preußische Schulgesetz durchgebracht, dazu wichtige Flottenvermehrungen und auch eine Verstärkung der Landarmee. Er habe eine ganze Menge wichtiger ünd guter Gesetze durchgebracht und allerhand Aufgaben gelöst, die vorher fast für undurchführbar gehalten worden seien. Diesen Vorzügen der Bülowschen Staatsmannskunst stehe allerdings Bülows Miß- erfolg in der Polenpolitik gegenüber. Aber wenn Bülow unlängst die P o l e n f r a g e für die w i ch t i g st e auf dem Ge- biete der inneren Politik erklärt habe, so sei das doch nicht ganz richtig. Die Polenfrage sei an sich lange nicht am wichtigsten; ihre Bedeutung habe sie nur durch die Kurpfuscherei der Re- g i e r u n g erlangt. Aber schließlich meinten sogar manche Polen , daß der Kanzler die Hakatistische Politik mehr der Not g e- horchend, als dem eigenen Triebe kultiviere! Liebenswürdiger und nachsichtiger kann in der Tat die Politik Bülows nicht gut beurteilt werden. An der Hakatistenpolitik müßte das Zentrum den s ch w e r st e n Anstoß nehmen, und Bülow selbst, der das schöne Wort von dem polnischen Kaninchen geprägt und sich selbst wiederholt als Hauptvertretcr der blöden Antikaninchenpolitik bekannt hat, müßte sich wenigstens in diesem Punkte der schärfsten Angriffe des Zentrums gewärtigen. Aber die„Köln . Volksztg." entschuldigt auch hier den Kanzler einfach damit, daß er nur der Geschobene, nicht aber der Schiebende sei! Ueber die famose Kolonialpolitik des Kanzlers, verliert vollends die„Köln . Volksztg." nicht ein Wort. Gerade von der Zentrumspresse find zur Hauptsache die Enthüllungen der ungeheuerlichen Kolonialskandale ausgegangen, ein Zentrumsabgeordnctcr hat die geradezu vernichtende Kolonialbilanz gezogen, in einem Zentrumsblatte wurde keinem Geringeren als dem Reichskanzler selb st die Hauptschuld an dem skandalösen Vertuschungssystem der un- erhörten Kolonialkorruption vorgeworfen. Trotzdem berührt das führende Zentrumsblatt diese Kolonialpolitik, die dem Deutschen Reiche gerade während der Kanzlerschaft Bülows 700 bis 800 Milli- onen Mark gekostet hat, mit keiner Sterbenssilbe I Ein Beweis, daß es sich bei dem ganzen Zentrumsfeldzug gegen die Kolonialkorruption um nichts als ein jämmerliches Agita- tionSmanöver gehandelt hat I Wie in der inneren Politik, so stellt sich auch in der äußeren Politik die„Köln . Volksztg." völlig auf den Standpunkt Bülows. Kein Wort von den törichten Brüskierungcn der fremden Mächte, kein Wort von dem Marokkorummel! Dagegen schwatzt die„Köln . Volksztg." dem Professor Hans Delbrück das chauvinistische Wort nach, daß an der Isolierung Deutschlands weniger die Fehler der Reichspolitik, als hauptsächlich„Deutsch- lands übermächtige Stellung in der Welt", die „Furcht bor ihm und der Neid gegen es" schuld sei. Kein Zweifel also, daß das Zentrum beim Zusammentritt des Reichstags wiederum die Rolle der Regierungspartei sans pk rase spielen wird! Vielleicht wird man Herrn Erzberger gnädigst gestatten, in Sachen der Kolonialskandale zur Düpierung der Zentrumswähler im Lande einigen blinden Lärm zu machen; damit aber dieses demagogische Manöver die zarten Nerven des Reichskanzlers nicht über Gebühr strapaziert, gibt ihm die „Köln . Volksztg." schon von vornherein ganz deutlich zu verstehen. daß er diese Aktion nicht im geringsten tragisch zu nehmen braucht und daß das Zentrum gar nicht daran denkt, seinem geliebten Reichskanzler auch nur die geringsten Un- annehmlichkeiten zu bereiten!— Ein unbegreifliches Urteil. In der Strafsache gegen den Grafen P ü ck l e r fällte heute die IX. Strafkammer des Landgerichts II das Urteil. ES lautete auf drei Monate Gefängnis. In der sehr ausführlichen Begründung dieses Urteils wurde ausgeführt, daß der Gerichtshof zu der Ueberzeugung gelommen sei, daß in sechs Fällen, teils in Flugblättern, teils in Reden dcS An- geklagten zu strafbaren Handlungen aufgefordert worden fei und auch Aufreizungen verschiedener Klassen der Bevölkerung zu Gewalttaten vor- lägen. Und zwar handele es sich um eine große Reihe solcher Aufforderungen zurKSrpcrverletzung, Sachbeschädigung, Diebstahl, Mord und Totschlag. Der Gerichtshof nehme auch an, daß der Angeklagte im vollen Bewußtsein gehandelt habe, durch Verbreitung der Flugblätter den Willen hervorzurufen, die von ihm empfohlenen strafbaren Handlungen zu begehen. Die Zuziehung eines medizinischen Sachverständigen sei abgelehnt worden, da der Gerichts- hos auS der Verhandlung die Gewißheit gewonnen habe, daß Graf Pückler durchaus zurechnungsfähig und voll verantwortlich für seine Handlungen sei. Wenn es auffällig erscheine, daß ein Mann in höherer sozialer Stellung gleichwohl solche über alle Grenzen hinaus scharfen und kaum zu verstehenden Aufreizungen in die Welt schleudere, so erkläre sich da? daraus, daß er von der überaus starken Idee völlig beherrscht werde, in dieser Weise gegen die Juden vorgehen zu s o l l e n. An der Ernstlichkeit seiner Ausforderuitgen sei nicht zu zweifeln. Die Behauptung de« Angeklagten, daß er nur in Bildern gesprochen habe, treffe durchaus nicht zu. Die Vorliebe dos Angeklagten für die Judenverfolgungen in Rußland lasse erkennen, daß er es darauf abgesehen habe und wünsche, daß auch in Deutschland ähnliche Krawalle entständru. Positive Vorschläge zur Lösung der Judenfrage mache er in seinen Flugblättern niemals, seine ganze Polemil bestehe nur in dem Hinweise auf den Knüppel, auf die Gewalt. Was die Strafabmessung betreffe, so sei zu be- rücksichtigen, daß der Angeklagte die erlaubten Grenzen ganz außer- ordentlicherweise überschritten habe. Die über ihn verhängten Vor- strafen hätten auf ihn nicht den geringsten Eindruck gemacht, er sei vielmehr immer wieder in derselben Weise und mit denselben Redens- arten gegen die Juden vorgegangen. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände habe auf eine Strafe von drei Monaten Gefängnis erkannt werden müssen. Wir finden dieses Urteil sehr seltsam. Unseres Erachtens hätte der Gerichtshof sowohl auS der ganzen Agttationsweise de» Dresch- grasen wie auch aus seinem Verhalten vor Gericht den Eindruck er- halten müssen, es mit einer geistig anormalen Persönlichkeit zu tun zu haben. Da sich der Gerichtshof nun aber auf einen anderen Standpunkt gestellt hat. erscheint sein Urteil doppelt rätsei- Haft. Wenn man sich erinnert, welche ganz onderco, ujunUich
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