Ar. 254. 28. Jahrgang. 1. KtilM des Jotrairts" fitrllntt ilolliülilntt. Mittwoch, 81. Oktober 1906. ProvinDl-parteitag für das westliche Westfalen. Bocholt . 27. und 28. Oktober 190«. bl Delegierte find zur Togung erschienen. Die TageS- « r d n u n g»mfcißt folgende Hauptpunkte: Bericht und Kassen- abrechuung des Landesverirauensmaiiiies. Organisation und Agitation. die Frauenagitation im Agitationsgebiete, der internationale Kongreb 1907, die Landtags- und Reickstagswahlen 1908. Den gedruckt vorliegenden Geschäftsbericht erläutert der L a n d e S« Vertrauensmann. Das Barteileben war ein recht reges. lieber die Organisation ist zu bemerken, daß die Umwandlung der Organisation in Bildung von Kreisvereinen ein tüchtiges Stück Arbeit war. was innerhalb sehr kurzer Zeit geleistet werden mußte. ES ist den vereinten K rasten gelungen, die Vorarbeiten so zu fördern, daß in jedem Wahl- kreise mit Beginn des Jahres der Kreisverein in Funktion trat. Durch die neugeschaffene Organisation ist endlich der Anfang gemacht „n einer strafferen Organisation, die jeden klassenbewußten Arbeiter moralisch zwingt, sich seiner Kreisorganisation anzuschließen. ES bat sich die Zahl der politisch organilierten Ge- nassen in sechs Monaten verdoppelt Im Wahlkreise Dortmund bestehen 40, in Bochum 51, in Hamm -Soest 15 und in R eck li ng h n uscn- B o r ken 44 Ortsgruppen, die insgesamt 8030 Mit- nlieder zählen. Dazu kommen noch 294 Genossen, die ans verschiedenen Gründen der losen Organisation angehören. Im Verhältnis zu oen abgegebenen Stimmen gehören ll4/ii Proz. der Organisation an. Der Kassenbericht zeigt eine Verdoppelung der Einnahmen gegen das Vorjahr. Der durch das Organisationsstatut festgesetzte Einheitsbetrag beträgt monatlich 30 Pf. An AgitationSverfammlungen haben im Bezirke 201 Volks- und 292 Vereinsversammlungen statt- gefunden. Mit wenigen Ausnahmen waren in allen Versammlungen Redner aus dem Bezirke, einschließlich der Reichstagsabgeordneten, tätig. Die vorhandenen Kräfte reichten aber noch nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Um die Fahl der Redner zu vermehren und um sie vorzubilden, damit sie den an fie gestellten Erwartungen und gesteigerten Ansprüchen auch gerecht werden können, hat der Gedanke von Errichtung von Diskutierklubs, Rednerschulen, Unter- richtskursen immer greifbarere Gestalt bekommen.- In einer Reihe von Ortschaften sind solche Einrichtungen in Funktion oder stehen solche Gründungen bevor. Reben der mündlichen Agitation ist auch der schriftlichen Rechnung getragen. An Flugschriften kamen 450000 Broschüren betreffend die„Borussia'-Debatte im Reichstage. 600 000 Wahlrechtsflugblätter, 800 000 Flugblätter gegen die neuen Steuern. 50 000 Broschüren betitelt:„Zentrum und Arbeiter, Kanonen und Steuerzettel", 40 000 Rommunalflugblätter, 85 000 Exemplare der Monatsschrift„Wahrheit-, 7000 Protokolle des Wittener Parteitages zur Verteilung. Auch die Partelpreffe hat im Bezirk an Abonnenten gewonnen. Trotz alledem könnte hier »och mehr geschehen, insbesondere von Gewerkschastsgenossen. Gerade die durch Gewerkschaftskartelle selbst aufgenommenen Statistiken in b-zug aus das Lesen politischer Zeitungen haben ein geradezu über- laschendes Resultat gezeitigt. Die Maifeier gestaltete sich in diesem Jahre zu einer imposanten Kundgebung des klassenbewußten Proletariats. Selbst die Gegner schätzen die Zahl der Maifeierdemonstranten im Dortmunder Wahlkreis auf 15 000 bi» 18000, im Bochumer Kreis auf 10000. Im ganzen AgitationS- gebiet mögen wohl 50000 Personen durch ArbeitSruhe die Maifeier begangen haben. Auf einigen Zechen in der Umgegend Dortmunds feierte» am 1. Mai bis drei viertel der Belegschaften; Maß- regelungcn find fast gar nicht vorgekommen. Die Frauen- b e w e g u n g hat im Berichtsjahre keine wesentlichen Fortschritte gemach»; cS ist daher Aufgabe deS Provinzial-ParteitageS, Mittel und Wege zu finden, um sie der Parteiorganisation deS Bezirks ebenbürtig zu machen. Die Kommunalwahlen im Bezirk brachten bei zirka»0 Wahlbeteiligungen elf Mandate, im AgilationSgebiet wirken 50 sozialdemokratische Gemeindevertreter. S a a l a b t r e i- Hungen und polizeiliche Schikanen habe» auch im Berichts- jähr reichlich stattgefunden. 80 ausländische Genossen wurden wegen politischer Umtriebe ausgewiesen; außerdem wurden Geld- und Freiheitsstrafen über viele tätige Ge- nassen verhängt. Die Debatte zeitigte manche neue Anregung. Zur Annahme gelangten folgende Anträge: Jeder Kreis hat mindestens 15 Proz. der Einnahnie an den Kreisvertrauensmaim abzuliefern. Ferner soll ein Leitfaden für Flugblattverteiler heraus. gegeben werden. An den Parteivorstand soll das Ersuchen gerichtet werden, die.Partei-Korrespondenz* weiteren Genossen zugängig zu machen. Ueber die Frauenorganisation im Agitationsgebiet referiert Genosse König . Zurzeit find im AgitationSbezirl in fünf Orten Frauenbildungövereme und in zirka 15 Orten sind die Frauen in loser Fonn durch die„Gleichheit- ver- einigt. Da die industrielle Frauenarbeit im Bezirk fehlt und die politische Stellung der Frau in Preußcn-Deutschland eine rechtlose fft, so ist die Fonn einer Organisation schwer zu finden. Unter dem Zwange der Verhältnisse haben die Frauenorganisationen sich nicht wie wünschenswert entwickeln können. An dem allgemeinen Auf- jchwuug, den die Frauenbewegung genommen, hat leider da» Ruhr- decken keinen«»teil. Als Sozialdemokraten sind wir aber verpflichtet, für die Aufklärung und Gewinnung der Frau in plan- vollerer Art und Weise zu arbeiten. — Die Debatte gestaltet sich äußerst lebhaft; ein Redner spricht in krauser verworrener Wei,e über„da« Verkehrte- der Frauenbewegung. Beschlossen wird, daß in Zukunft nach den Beschlüssen der Frauenkonferenzen und des Jena « Parteitage« in apen Orlen weibliche Vertrauensperfonen ge- wählt werden tollen. Ferner soll jeder Kreis zu den künstigen Pr.>vinz,alparteitagen eine Dclegiertin entsenden, und wo möglich sollen FrauenbildungSvereine ins Leben gerufen werden. Den Ge- Nossen , die in leitender Stellung stehen, wird es zur Pfl'cht gemacht. diese Bewegung zu unterstützen und zu fördern. �. Der nächste internationale Kongreß soll durch drei Delegierte beschickt werden. Dem internationalen Komitee soll ein Borschlag untei breitel werden, der einen anderen Abstimmungsmodus fordert: eS soll nicht mehr noch Nationalitäten sondern nach der Stärke der Organisationen abgestimmt werden. Den Punkt Reichs- und LandtagSwahlen im Jahre 1V08 behandelte Reichstagsabgeordneter Genosse Sachse. Er ifl der Meinung, daß allem Anschein nach der Wahlkampf ein sehr heißer wird schon jetzt rüsten die Gegner. So sind im Wahlkreise Bochum allein sieben Parteisekretäre von den Nottonal- liberalen angestellt worden, um der Sozialdemokratie Mandate abzujagen. In derselben Form arbeitet die Zentrums- partei, die sich auch der christlichen Gewerkschaftsbewegung zu diesem Zwecke bedient. DaS Bestreben der Zenlrumöpartei gehe dahin. daS Konfessionelle abzustreifen. damit andere reaktionäre Parteien sich ihr anschließen können, um bei Haupt- und Stichwahlen. namentlich in Rheinland und Westfalen die Sozialdemokratie z» verdränge». Redner gibt etliche Bei- spiele, wie diese Parteien un Reichstag und Landtag durch ihre Zustimmung zum Schaden der minderbemittelten BevölkennigS- klaffe gehandelt haben und oerade die Bergleute haben in allererster Linie Ursache, sich mit der Arbeiterfreundlichkeit dieser Herren zu be- schäftigeu, denn die Verböserung des Berggesetzes sowie die Recht- losigkeit der Knappschaftsinvaliden sei ebenfalls auf Konto dieser Parteien zu setzen. Auch jetzt habe man den Plan, das Unfall- gesetz zu reformieren, verschlechtern sei richtiger, da in Zu- kunft für Unfälle, wofür bisher 25 Proz. bezahlt wurden, keine Rente mehr gewährt werden soll. Redner ist der Meinung, daß auch für die nächsten Reichs- und Landtagswahlen so viel Material vorhanden ist, daß, wenn die Genossen ihre Pflicht erfüllen, auch weitere Siege zu verzeichnen sein werden. Die weiteren Punkte entbehren des allgemeinen Interesses, nur ist zu bemerken, daß es infolge Polizeiverbots in der Sonntags- Vormittagssitzung den nichtdelegiertcn Genossen unmöglich war. an den Verhandlungen teilzunehmen. Am Nachmittag erst durste die Sitzung wieder öffentlich sein. Der neue Tarif der Buchdrucker. „Neuen Zeit- nehmen Karl Stellung zu den prinzipiellen ber den neuen Buchdruckertarif In der gestrigen Nummer der K a u t S k y und Rosa Luxembur Fragen, welche durch die Diskussion aktuell geworden sind. K a u t s k y sagt u. a.: „Nehmen ivir also an. die Behauptung des„Korrespondent - sei richtig: ein Streik führe heute für die Buchdrucker zu einer sicheren Niederlage, und darum bedeute der Tarif, so unzureichend und un- befriedigend er auch sei, eine„Errungenschaft-; ja, wie der„Kor- respondent" am 16. Oktober ausführte, eine Ablehnung des Tarifs bringe die Gefahr mit sich,„vielleicht noch das zu verlieren. was sie besitzen-, ein Streik sei also nicht nur nicht imstande, vcn Arbeitern neue Zugeständnisse zu erringen, er vermöge vielleicht nicht einmal das Errungene festzuhalten. Was bedeutet das? Sicher bis zu einem gewissen Grade eine Rechtfertigung der Be- stimmungen des Tarifs und der Gehülfenvertreter, die ihn zustande brachten. Aber diese Rechtfertigung wird erkaust durch die Bankrotterklärung der bisherigen Taktik des Buchdrucker- Verbandes. Die Buchdrucker sind getverkschastlich weitaus relativ der stärkste Beruf. 87 Prozent der Berufsangehörigen sind gewerkschaftlich organisiert, nur die Bildhauer kommen ihnen einigermaßen nahe, mit 66 Prozent, die anderen Berufe bleiben weit dahinter zurück. Sie bilden auch die reichste Gewerkschaft:.von dem Gesamtkassen- bestand der Verbände im Betrage von 16 109 903 M. befinden sich in der Kasse des Buchdruckerverbandes 4 374 013 M., des Maurerverbandes 2 091 681 M.. des Metallarbeiterverbandes 1 543 353 M. und des Holzarbeiterverbandes 1452 215 M."(Zweiter internationaler Bericht über die Gewerkschaftsbewegung 1904, S. 58). Andererseits gibt es kein Jahr, das an wirtschaftlichem Auf- schwunge das jetzige übertreffen könnte. Das war auch im Buch- druckgewerbc fühlbar. Die Zahl der Arbeitslosen hat in den letzten Sahren merklich abgenommen. So zählte inan im Buchdruckerver and zum Beispiel Arbeitslose pro Tausend: 1904 1905 190« Im März... 18 18 10 Im Juli.... 71 55 43 Der März weist von den sieben ersten Monaten des JahreS die geringste, der Juli die größte Ziffer der Arbeitslosen auf. Wenn für den Buchdruckerverband der Streik die sicher« Nieder- läge bedeutet, welche Gewerkschaft soll dann noch kampffähig sein? Und wenn heute, in der Zeit der Hochkonjunktur, der Streit aus- sichtslos ist, wann soll er dann Aussichten bieten? Wer aber den rein gewerkschaftlichen Kampf in dieser Weise als hoffnungslos betrachtet, was bleibt dem übrig? Zwei Weg« stehen ihm offen: Einmal die Leugnung der Rot- wendigkeit des Kampfes, die Verbreitung der frohen Zuversicht, daß die sozialpolittiche Einsicht der Kapitalisten wachsen und kampflos den Arbeitern bescheren werde, wofür diese zu kämpfen nicht mehr die Kraft haben sollen. Und zu dieser Anschauung bekennt sich allep dings der„Korrespondent-...- Ueber den anderen Weg sagt K a u t s k h: „Die Auffassung des„Korrespondent - von der Kampfunfähigkeit deS Buchdruckerverbandes ist wohl zu pessimistisch. Aber sicher ist es, daß die Kggrefsivkraft der isolierten Gewerkschaften immer mehr verloren geht und sie insofern ein immer größere« Ruhebedürfnis empfinden. Will man trotzdem nicht der Selbsttäuschung einer Jnteresienharmonie von Kapital und Arbeit versallen, dann muß man, und zwar um so mehr, je schwächer man die augenblickliche KampseSfähigkeit seines Verbandes auffaßt, sich nach neuen Methoden des Kampfes umsehen. Nicht die Gewerkschaften werden überflüssig oder auch nur bedeutungslos, wenn die Streikfähigkeit von Gewerkschaften, die sich von der allgemeinen Arbeiterbewegung isolieren, in nornialen Zeiten abnimmt, sondern nur bestimmte Methoden des Kampfes. Je mehr die Unternehmerorganisationen erstarken, desto enger muß sich die gesamte Arbeiterklasse zusammenschließen, desto inehr müssen sich die Gewerkschaften zentralisieren, desto mehr müssen die Unterschiede zwischen den gelernten und ungelernten Arbeitern überwunden werden, desto eifriger muß man die Aufwühlung und Schulung der unorganisierten Massen innerhalb wie außerhalb des eigenen Be« ruf» betreiben, desto weiter muß der Rahmen der internationalen Zusammenhänge ausgedehnt, desto enger endlich muß das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie werden. Können pur die Gewerkschaften die größten Massenorganisationen de« Proletariats bilden, so vermag nur die Sozialdemokratie die gesamte Kraft der Lohnarbeiterschaft samt allen ihr benachbarten Volksschichten in Bewegung zu versetzen. Immer notwendiger wird die vereinte Aktion von Sozialdemokratte und Gewerkschaften. Endlich aber, je mehr die bisherigen Methoden des Kampfe? versagen, desto ungenügender werden auch die sofortigen Ergebnisse der Kleinarbeit, desto schwieriger wird es, in normalen Zeiten erhebliche Fortschritte zu erzielen, desto größer die Spannung zwischen Kapital und Arbeit, desto mehr muß die Art der Errungenschaften des Proletariats eine ruckweise werden. ES kommt in gewöhn- lichen Zeiten fast gar nicht vom Flecke, um sich dann bei günstigen Gelegenheiten umsomehr in ganzer Masse zu erheben und dann um so rapidere Fortschritte in allen Zweigen zu machen. DaS ist die Me- thode, wie sie jetzt in Rußland geübt wird. Ihr haben die Schrift- setzer in den großen Städten den Achtstundentag, in vielen anderen den Achteinhalb st undentag zu verdanken zur gleichen Zeit, wo der„Korrespondent - den Gewinn einer halben Stunde am Sonnabend als gewaltige Errungenschaft für Deutsch land preist, wo doch„die Kultur alle Glieder der Gesellschaft viel höher bespült-. Damit wird die Kleinarbeit nicht überflüssig, aber sie führt immer weniger dazu, sofortige praktische Erfolge zu erzielen, sie ge» staltet sich immer mehr zur Borbereitung großer Ereignisse. So wird es gerade in Industriezweigen, in denen die isolierten Gewerkschaften an Kampffähigkeit gegenüber den Unternehmer- organisationen verlieren, immer wichttger, den Mitgliedern politischen Weitblick sowie Interesse für die Bewegungen anderer Proletarierschichten beizubringen und die innigste Geineinschaft mit der Sozial- demokratie zu pflegen, denn das werden namentlich in den er- wähnten Industriezweigen immer mehr die unentbehrlichen Vor- bedingungen fruchtbarer gewerkschaftlicher Arbeit. Bei alledem kommt e» aber' hauptsächlich aus die Haltung der Gewerkschafts» presse an. Würde die Enttäuschung über den neuen Tarifvertrag dahin führe», bei den Buchdruckern in dieser Beziehung Wandel zu schaffen, dann bedeutete er allerdings eine große„Errungenschaft-. Fährt der„Korrespondent - dagegen fort, die Hanptwucht seiner Angriffe gegen die Sozialdemolratie, ja gegen alle zu richten, die seine Anschauungen von der Jnteressenharnionie zwischen Kapital und Arbeit nicht teilen, dann muß er zur Isolierung des Buchdruckerverbandes von der allgemeine» gewerkschaftlichen und politischen Arbeiter- bcwegung führen, Kurzfichtigkeit und Jnteresselofigkett bei seinen Mitgliedern großziehen und dadurch die heute von ihm übertriebene Kampfesunfähigkeit des BerbandeS zu einer wirklichen und totalen machen.- » Rosa Luxemburg führt unter dem Titel:„Die zwei Methoden der Gewerkschaftspolitik- weiter aus, was K a u t s k h mit seinem Hinweis auf die Erfolge der russischen Buchdrucker nur an- beutete. Zunächst spricht fie über die Taktik der deutschen Buchdrucker und ihre Erfolge: „Die neue Tarifvereinbarung deS Buchdruckerverbandes scheint äußerlich in gar keinem Zusammenhang mit den Verhandlungen deS Mannheimer Parteitages zu stehen, ist ihm aber als ein denkbar drastischer Kommentar auf dem Fuße gefolgt. Die Gewerkschaft der Buchdrucker gilt ja seit langer Zeit in Deutschland als ein Muster- beispiel der Macht und der Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet, die eine proletarische Organisatton erreichen könne, wenn sie nur auf dem„positiven Boden- der ausschließlichen Gegenwartsinteressen der Arbeiter stehe und alle».revolutionsromantischen- Lockungen sorgfältig das Gehör verschließe. Der deutsche Buchdruckerverband ist auch tn seiner ganzer. Geschichte— von der Anerkennung zener bewußten Klausel, die ihm unter dem Sozialistengesetz von der Reaktion anfoktropiert ward, bis zu der jüngsten Tarifabmachung— die klassische Verkörperung jener Methode der Gcwertschafts- Politik, die Ruhe dem Kampf, Abmachung mit dem Kapital dem Konflikt, politische Neutralität einer offenen Bekennung zur sozialdemokratischen Partei vorzieht und voller Verachtung für revolutionäre„Schwärmerei- ihr Ideal in dem eng- lischen Typus der Trade Umons erblickt. ES währte lange. bis sich die Früchte einer solchen Politik auch für daS blödeste Auge sinnensällig gezeigt haben. Jahrzehntelang schienen der glänzende Kassenstand, die gesicherten Existenzbedingungen, die verhältnismäßig günstigen Arbeitsbedingungen sowie die langdauernde Ruhe im Gewerbe der Methode der Buchdrucker das beste Zeugnis zu geben. Heut« erscheint, in der neuen Tarisvereinvarung, mit einem Male die ganze Herrlichkeit zertrümmert. Statt außerordentliche wirtschaftliche Erfolge zu erreichen, haben sich die Buchdrucker bei all ihrer Zähigkeit, Alls- dauer, Besonnenheit. Mäßigung, bei all dem glänzenden Stande der Organisation und der Kassen schließlich so unwürdige Bedingungen vom Kapital diktteren lassen, daß ein allgemeiner Entrüswngssturm durch die Reihen der sonst so kaltblütigen Gesellenschast geht. Will mau aber das Fiasko der. sagen wir. englischen Methode der Gcwerk- schaftspolitik in seiner wirklichen Tragweite richtig einschätzen, so muß man die neueste Tarifvereinbarung der deutschen Buchdrucker mit den jüngsten Errungenschaften der— russischen Buchdrucker vergleichen, die Früchte der jahrzehntelangen friedlichen Organi- sationöarbcit mir den Ergebnissen eines einzigen JahreS des RevolutionssturmeS.- Rosa Luxemburg schildert dann die Entstehung der Gewerk- schaftsbewegung in Rußland die mitten im politischen Kampf, mitten unter Straßenschlachte», unter einem unaufhörlichen Platzregen von Verhaftungen, Gefängnisstrafen, Prozessen. Maßregelungen usw. vor sich ging.„In St. Petersburg trat die Gewerkschaft der Buch- drucker am 2. Juli 1905, in Moskau am 31. Oktober, in anderen Städten meistens im Sommer und im Herbst des gleichen Jahres in« Leben. Die Gewerkschaft trug, wie alle anderen in Rußland , den Stempel ihrer revolutionären Herkunft deutlich an der Stirne. In ihren, ganzen Wesen und in ihrer Tätigkeit blieb sie ihrer engen geistigen Verwandtschaft mit der Revolution und ihren politischen Aufgaben, der Sozialdemokratie und dem allgemeinen proletarischen Klassencharakter treu. In Moskau war der Generalstreik der Buchdrucker im Oktober 1905 der Ausgangspunkt jenes allgeineinen gewaltigen Massenstreiks, der von Moskau aus über das ganze Zarenreich ging, die Bulhginsche Dumakomödie weggeschlocmmt und daS Zarenlnanifest vom 30, Oktober erzwungen hat. In Petersburg war es die Buchdcuckergewerkschast alsdann, die auf ihren Schultern die eigentlichen Kosten der Durchführung der Preßfteiheit trug, als es nach dem Oktober-Manisest galt, die auf dem Papier zugesagten VerfasiiingSfreiheiten gewaltsam, auf revolutionärem Wege iiis Leben durchzusetzen. Es war eigentlich der Buchdruckerverband, der im Zarenreich die Zensur aus eigener Machtvollkommenheit in der Praxis abgeschafft und sich damit ein unsterbliches Blatt in der Geschichte der Revolution erworben hat.- Dann stellt die Verfasserin des Artikels die Ergebnisse beider Kampfesmethoden einander gegenüber: „Die gewerkschaftliche Politik der russischen Buchdrucker stellt also so ziemlich das direkte Gegenteil derjenigen des deutschen Verbandes dar. Jene ist genau so ein klassisches Stück der verwegensten „RevolutionSromantik-, wie diese ein Typus der englischen sozialen Friedensschwärmerei ist. Wie steht es min»in diewirt>chaftlichen Interessen, um die rein gewerkschaftlichen Errungenschaften der revolutionsromantischen russischen Buchdrucker? Bereits im Sommer und im Herbste des Jahres 1905, nach einem halben Jahre stürmischer gewerkschaftlicher Kämpfe, errangen die Buchdrucker einen allgemeinen neunstündigen Arbeitstag— an Stelle des früher üblichen zwölf-, ja dreizehnstiindige» Arbeitstages. Allein damit nicht zu- frieden, setzten sie den Kampf unter der sozialdemokratischen Pro- grammparole fort und kämpften unr den A ch t st u n d e n t a g. Be- reitS in mehreren Fällen ist ihnen voller Sieg geworden. Und zwar nicht bloß ohne materielle Verluste an Lohnbedingungen, sondern umgelehrt, unter gleichzeitigen starken Lohnerhöhungen. Greifen wir nur einige Beispiele heraus. In der Stadt Samara haben die Buchdrucker in sämtlichen Privat- druckereien den Achtstundentag durchgesetzt, zugleich damit die Abschaffung der Geldstrafen, eine bedeutende Erhöhung der Stück- löhne, Verbesserung der Arbeitsräuine. regelmäßige Lohnauszahlung, Zusicherung der Hälfte des üblichen Lohnes im Krankheitsfall bis zur Dauer von vier Monaten, endlich volle LohnauSzahlung für die Streik- tage, die zu dieser Abmachung geführt hatten. In der Stadt Orel errangen die Buchdrucker den A ch t st u n d e n t a g, einen Lohnzuschlag von 20 Proz.. Erhöhung der Akkordlöhne um 100 Proz. und die Schaffung emes paritätischen Einigungsamtes. In Odessa im Mai-Jnni 1906 setzten die Buchdrucker nach einem Generalstreik den Achtstundentag durch, daneben Lohnerhöhungen von 10—40 Proz. und Abschaffung der Ueberstunden. In Jekaterinoslaw beschloß die Gewerkschaft der Buchdrucker außer dem Achtstundentag für die nächste Aufgabe der Lohnkämpfe die völlige Neuorganisierung der ärztlichen Hülse für die Gesellen, und zwar so. daß die Verwaltung der Krankenkassen ausschließlich den Arbeitern zugesichert, die Rosten aber ausschließlich dem Unternehmertum auferlegt werden. Im Sommer des laufenden Jahres war in den mersten Städten des Zarenreiches von dem Buchdruckerverband ein neuer kräftiger Vorstoß gemacht worden, um auf dem Wege der Generalstreiks den Acht- stundentag und daneben speziell die Sonntagsruhe auch in den Zeitungsdruckereien durchzusetzen. Die meiste» dieser Generalstreiks verliefen ganz oder teilweise siegreich, so daß heute die Sonntags- ruhe im Gewerbe so ziemlich vorherrschend und der Achtstundentag zweifellos auf scinein Triumphzug begriffen ist. Rosa Luxemburg schließt ihren Artikel: „Wer hat eine größere„wirtschaftliche Macht- erreicht: die Sturmkolonne der russischen„RevolutionSromantiker- oder der deutsche Heerbann der Rcxhäuserschcil Fahne de« sozialen Friedens? Revolutionen und Revolutionstäinpfe lassen sich freilich nicht durch„guten Willeil- künstlich in ein Land verpflanzen. Aber die Beispiele und Lehren eines revolutionären Nachbarlandes können doch wenigstens den Glauben an die alleinseligmachende Methode der Leisetreterei erschüttern. Und das sollen stet-
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