Kl die Regierung gewandt habe, der Minister sei aber lächelnd über die Vorstellungen des Städtetages hinweggegangen. Diese Bemerkungen veranlaßten den Stadtdircktor zu einer Rechtfertigung des Fleischwuchers: Er müsse davor warnen, diesen Mißstand zu einer Aufhetzung der Städte gegen das Land oder umgekehrt zu machen. An der Fleischnot trage noch heute die Futternot von 1L04 die Schuld; es sei jedenfalls grundverkehrt, in der Landwirtschaft den Sündenbock zu suchen. Die Regierung und die Landwirte befänden sich in einer unglücklichen Lage, denn es liege im Interesse des gesamten Volkes, daß es in sanitärer Beziehung geschützt werde. Es bedürfe erst reiflicher Erwägung, ob die Be- haupiungen der Agrarier, daß im Auslande auch Viehknappheit herrsche und durch Oeffnen der Grenzen die Seuchengefahr ver- größert werde, ohne weitere Bedenken widerlegt werden könnten I Aus eigener persönlicher Kenntnis könne er versichern, daß es niemand mit dem ganzen Volke besser meine als' eben Herr von Podbielski. Man dürfe sich den Blick nicht trüben lassen durch die ungerechten Presseangriffe, man dürfe sich nicht auf einen einseitigen Standpunkt stellen, sondern das Staatsintercsse im Auge behalten. Die„eigene persönliche Kenntnis" des jovialen Pod scheint das Stadtoberhaupt auf dem Einweihungsessen in Bad Neundorf erworben zu haben. Dort ist im letzten Sommer durch Herrn von Pod eine neue Badeanlage eingeweiht, und obgleich Neundorf nicht im Hannoverschen liegt, hat Herr Tramm von seinem Gönner Pod eine Einladung erhalten. Freilich, den Hannoverschen Stadtdirektor ficht die Fleischnot nicht an. Er ist zwar nicht Teilhaber von Tippclskirch u. Co., dafür aber Aufsichtsrat der Kontinental- Kautschuk- und Guttapercha-Kompagnie in Hannover , die neben 40— 50 Proz. Dividende noch gegen 60 000 M. Tantieme für jedes Aufsichtsratsmitglied abwirft. In solchen Verhältnissen kann man die Fleischnot ertragen.— Viehhandels-Profite. Die„Köln . Ztg." vervollständigt in gestriger Nummer ihre Mit- teilungen über die Verteuerung der Vieh- und Fleischprcise durch den Zwischenhandel.„Wir haben." schreibt sie,„m unserer Nr. 1137 vom 25. Oktober auf die befremdliche Tatsache verwiesen, daß der Kölner Fleischverbrauch durch die Viehkommissionsgebühren, die auf dem hiesigen Viehhofe bezahlt werden müssen, um die stattliche Summe von rund 600 000 M. verteuert wird, und daß dieser Betrag in der Hauptsache in die Tasche von einem Dutzend Leuten fließt. Nunmehr wird uns von zuständiger Seite weiter mitgeteilt, daß diese Angaben hinter der Wirklichkeit noch zurückbleiben. Denn neben den Vermittelungsgebühren von 4— 5 M. für ein Stück Groß- vieh und 80 Pf. bis 1,25 M. für Schafe, Kälber und Schweine muh . der Metzger noch ein sogenanntes Trinkgeld von 50 Pf. bis 1 M. zahlen. Und da der Umsatz auf dem Kölner Viehhof in runden Zahlen 60 000 Rinder. 50 000 Kälber. 30 000 Schafe und 200 000 Schweine beträgt, so ergibt sich, wenn man das Trinkgeld für Rinder mit 1 M. und für die übrigen Viehgattungen mit nur 50 Pf. anfetzt, die weitere ansehnliche Summe von 60 000-si 140 000 M., zusammen also 200 000 M., die in erster Linie die Metzger, in letzter aber die Fleischverzohrcr aufzubringen haben. Dazu kommt, daß die Metzger sich gegen diesen Blutzehnten gar nicht zu wehren vermögen, da die Kommissionäre einen förmlichen Ring ge- bildet haben, der es ihnen ermöglicht, jedem Metzger das Vieh vorzuenthalten, der sich weigert, das Trinkgeld zu zahlen; die Vermittler sollen sich gegenseitig verpflichtet haben, hohe Vertragsstrafen zu zahlen, wenn sie Vieh ohne Trinkgeld abgeben."—_ Der verhängnisvolle Jnterpunktionsfehler. Wie wir aus dein„Berliner Tageblatt" ersehen, hat der Druckfehlerteufel wieder einmal schweres Unheil angerichtet. Herr Dr. Theodor Barth verwahrt sich in dem genannten Blatte dagegen, daß er für die Stichwahl in Stade die Parole aus- gegeben habe, daß die Freisinnigen für den Nationalliberalen in der Stichwahl eintreten sollten. Eine solche Parole war in einer Reihe von bürgerlichen Blättern Herrn Dr. Barth zugeschrieben worden. Diese, wie wir feststellen wollen, grundlose Behauptung ist auf ein kleines Jnterpunktionsversehen zurückzuführen, das dem«Vor- wärts" unterlaufen ist. In unserer Nummer vom 30. Ottober befand sich folgende Notiz: Die der Freisinnigen Vereinigung angehörende „W eserzeitung" fordert aur Unterstützung des national- li bcralen Kandidaten Reese ich Wahlkreise Stade -Brcmervörde auf. Selbst die„Nation"(das Organ Barths), erklärt, sie verzichte auf den Versuch, die Freisinnigen zur Stimmabgabe für den sozialdemokratischen Kandidaten Ebert anzuspornen. Gegen die Lebensmittelverteuerung hätten sich die freisinnigen Wähler durch ihre erste Abstimmung für den freisinnigen Kandidaten - ausgesprochen. Jetzt könnten sie gegen die Lebensmittel- Verteuerung nur noch demonstrieren, indem sie fiir den Sozial- demokraten stimmten. Damit sei aber zugleich eine Demon- Stration für die sozialdemokratische gesellschaft- iche Ordnung verbunden, die von ihnen so rückhaltlos ver- warfen werde. Der Protest gegen die Sozialdemokratie sei aber wichtiger als der gegen die Agrarzölle. Deshalb müsse die Wahl- Parole sein:„Für den Nationalliberalen". Schamloser kann die freisinnige Jämmerlichkeit sich nicht ent- bloßen. Das durch den Brot- und Fleischwucher ausgebeutete Proletariat weiß nun, waS es von den papiernen Protesten des Freisinns gegen den Lebensmittelwucher zu halten hat!— In dieser Notiz, ist der zweite Satz folgendermaßen zu lesen: „Selbst die„Nation"(das Organ Barths), erklärt sie, ver- zichte auf den Versuch, die Freisinnigen zur Stimmabgabe für den sozialdemokratischen Kandidaten Ebert anzuspornen." Nach dieser Rektifizierung der Interpunktion ergibt sich, daß die Aufforderung an die Freisinnigen, in der Stichwahl für den Nationallcheralen zu stimmen, nicht von der„N a t i o n", sondern von der„Weserzeitung" ausging. Hätten die bürgerlichen Blätter einen Blick in die„Nation" selbst geworfen, so würden sie sofort den Druckfehler selbst wahrgenommen haben. Die von uns gegeißelte„freisinnige Jämmerlichkeit" ist also speziell der„W e s e r z e i t u n g" gewidmet gewesen. Tie„Nation" selbst hatte, da sie ihre Pappenheimer von der Waterkant hinlänglich kannte, lediglich darauf verzichtet, der kläglichen Parole der„Weser- zcitung" eine andere Parole entgegenzusetzen.— Wieder mal„lästig gefallen". Zur Ausbeutung sind die ausländischen Arbeiter unseren herrschenden Klassen jederzeit will- kommen« Objekte, nur dürfen sie sich nicht mit ihren deutschen Arbeitskollegen zusanlmentun, um bessere Existenzbedingungen zu erringen. Die Ausweisung ist ihnen in diesem Falle gewiß— im Interesse der„öffentlichen Sicherheit" natürlich l Dieser Praxis verfiel soeben wieder eine Anzahl holländischer Staatsangehörigen, die teilweise schon seit Jahren, teilweise seit jüngerer Zeit in D u r s- bürg und Umgegend dem Kapital Frondienste leisteten. Wie noch erinnerlich, traten im Juli d. I.. nachdem die Duisburger Hafen- arbeiter einen mehrwöchentlichen Streik siegreich beendet hatten, auch die Kranarbeiter des DuiSburg-Ruhrorter Hafengebiets, vorwiegend Ausländer, in einen Streik, der schon nach fünf Tagen zu ihren Gunsten endete. Das war. wie gesagt. am Schluß des Monats Juli. Seitdem haben die Holländer. Italiener , Kroaten usw. ruhig weiter frondcn dürfen, ohne daß deshalb der preußische Staat und dag Duisburger Hafengebiet im besonderen ins Wackeln geraten wäre. Jetzt plötzlich hat man nun die Entdeckung gemacht, daß jene Holländer, die sich an der Lohnbewegung im verflossenen Sommer beteiligten, doch wohl ganz gefährliche Individuen sein müssen, denn innerhalb 28 Tagen sollen sie nunmehr mit Sack und Pack die Grenzen des preußischen„Rechtsstaates" von der Außenseite be- wundern— im Interesse der„Ruhe" und„Ordnung" selbstverständlich I Daß die Langmut der Behörde diesen fremden Umstürzlern gegen- über gerade noch so lange anhielt, bis die eiligsten Arbeiten fertig und inzwischen wieder frische Nachschübe au» aller Herren • Länder eingetroffen waren, ist natürlich reiner Zufall. Russische Spitzel und sonstiges Lumpengesindel, wenn eS sich nur gegen die Arbeiterschaft verwenden laßt. da? gefährdet den berühmten preußischen Rechtsstaat nicht, fleißige Arbeiter jedoch, die sich zu Verräterdiensten gegen ihre deutschen Klassengenossen nicht verwenden lassen, die weist man aus l— Die Stichwahl in Stade -Blumenthal. Stade , I. November. Bei der heutigen Reichstags- Stichwahl im 18. hannoverschen Wahlkreise wurden bis 10>/„ Uhr abends ge- zählt für Reese(natl.) 12 693 und für Ebert(Soz.) 6699 Stimmen. Einige Landbezirke fehlen noch. Reeses Wahl ist gesichert.— Die Landtagswahlen in Sachsen-Weimar . Jena , 2. November. (Privatdepesche des„Vorwärts".) Bei der Landtagswahl in Jena hing die Entscheidung an an einigen Stimmen. Gewählt wurden 44 bürgerliche, 33 sozial- demokratische Wahlmänner. Infolgedessen ist die Wiederwahl des Nationalliberalen Netz im Wahlkreise Jena gesichert. In Apolda ist Genosse B ändert wiedergewählt, m Weimar ist der Freisiunige durchgekommen.— Soldaten als Lohndrücker. Jedenfalls um den Unfug der Beurlaubung von Soldaten zu Ernte- und sonstigen Arbeiten zu beschönigen, veröffentlicht die bürgerliche Presse einen Bescheid, den das Generalkommando Hannover auf eine Anfrage nach den Bedingungen, unter welchen Ernteurlauber zu haben sind, erteilt hat. Das Schreiben lautet: Eine Beurlaubung von Mannschaften zn den jeweiligen Ernte- arbeiten kann stattfinden, sofern wirkliche Arbeiternot besteht, dienstliche Interessen nicht geschädigt werden und in keiner Weise eine Konkurrenz für Zivilarbeiter geschaffen wird. Ob die Beurlaubung in dem einzelnen Falle erfolgen kann, entscheiden die Truppenkommandeure Pflicht- mäßig. An diese sind entsprechende Gesuche zu richten. Dieser Bescheid vermag uns nicht zu veranlassen, von unserer wiederholt geübten Kritik auch nur ei» Titelchen zurückzunehmen. Soldaten dürften unter keinen Umständen fremden Arbeit- gebern als Lohnarbeiter zur Verfügung gestellt werden. Denn w o liegt„wirkliche Arbciternot" vor? Räch der Auffassung der Junker und gewerblichen Scharfmacher bei jeder Enrte, wo keine billigen Arbeitskräfte zu haben sind, bei jedem Streik! Mögen die Herren Fleischwucherer doch anständig zahle», dann wird es ihnen ebensowenig an Arbeitern mangeln, wie beispielsweise den sozial- demokratischen Großgrundbesitzern! Wenn aber Soldaten als Lohn- drücker verwendet werden können» ohne die. dienstlichen Interessen zn schädigen", so— verkürze man einfach die allzu- lange Dienstzeit!—_• Die beleidigte Hamburger Polizei. Die blutigen Krawalle im Januar dieses JahreS haben für die bekannte bürgerliche Frauenrechtskämpferin Schriftstellerin Dr. jur. Anita Augspurg ein unangenehmes Nachspiel. Sie ist zum Montag, den 19. November, wegen Beleidigung der Hamburger Polizei vor das Landgericht Hamburg geladen. Dr. Anita Augs- purg hielt sich anläßlich der Wahlrcchtsdemonstration in Hamburg auf und wohnte mit drei Damen am 17. Januar der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft bei. Gegen Mitternacht beobachteten die Damen von der Stufe einer Wirtschaft aus das Vorgehen der Polizei. In Nr. 19 des Hamburger„Gencral-Anzeigers" teilte darauf Dr. Anita Augspurg im Sprechsaal ihre Beobachtungen mit und unterzog das Verhalten der Polizei einer scharfen Kritik. Sie behauptete, daß sie, als sie um die Ecke der Brückenstraße bog. plötzlich den zum Schlag ausgeholten Säbel eines Schutzmannes über ihrem Kopfe bemerkte. Der Säbel wäre sicher auf ihren Kopf nicdcrgesaust, wenn nicht ein anderer Mann den Schutzmann am Arme gefaßt und den Schlag verhindert hätte. In einer merk- würdigen Verkennung der wahren Umstände seien von der gesamten bürgerlichen Presse den Taten der Polizei goldene Brücken gebaut worden. Es sei höchste Zeit, daß diese Liebedienerei gegen die Wahlrechtsumstürzler aufhöre und die Wahrheit an den Tag komme, die darin bestehe, daß die Polizeiverwaltung durch ihre Ent- blößung des Kaschemmenvicrtels von aller Aufsicht die unmittelbare Ursache zu dem Tumulte gegeben habe.— Enthüllungen au» einer rheinischen Stadt. Zu drei Wochen Gefängnis wurde dieser Tage Genosse Schotte als verantwortlicher Redakteur unseres Parteiblattes in Düsseldorf von der dortigen Strafkammer wegen Beleidigung eines Bürgermeisters verurteilt. Genosse Schotte hatte in drei Artikeln die Verhältnisse in Erkrath , einem Landstädtchen im Wahl- kreise Düsseldorf , einer Kritik unterzogen. Unter anderem wurde in den Artikeln über Porgänge in einer Gemeinderatssitzung zu Erkrath berichtet. Ein Gemeinderatsmitglied erklärte vor Eintritt in die Tagesordnung, der Direktor Rösgen habe geäußert, daß er den Bürgermeister und den katholischen Pfarrer ins Zucht- haus bringen könne. Die Aeutzerung habe er, das Gemeinderats- Mitglied, dem Bürgermeister sofort mitgeteilt, dieser habe aber keine Klarstellung geschaffen. Er sehe sich deshalb veranlaßt, das Ver- halten des Bürgermeisters der vorgesetzten Behörde mitzuteilen. Außerdem werde er den Gemeinderatssitzungen so lange fern bleiben, bis die Angelegenheit geklärt sei. Beschlußfähige Gemeinde- ratssitzungen haben seit der Zeit nicht mehr stattgefunden. In einem dritten Artikel hatte Schotte seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß der Bürgermeister die Beschuldigungen ruhig hinnehme, da er doch sonst so scharf und schneidig sei. Die Be- liauptung seines Intimus Rösgen, daß er reif fürs Zuchthaus fei, könne der Bürgermeister doch nicht auf sich sitzen lassen. In der Verhandlung vor der Strafkammer trat Genosse Schotte den Wahrheitsbeweis an und der Staatsanwalt mutzte zugeben, daß er gelungen sei. Schotte wurde indes wegen formaler Beleidigung bestraft. Bewiesen wurde, daß Rösgen der Intimus des Bürger- meisterS war und daß er eigentlich die Zügel in Erkrath führte. Der Bürgermeister hatte auf Veranlassung des Rösgen sogar eine Anzeige wegen Sittlichkeitsverbrechens gegen einen Günstling des letzteren zu unterdrücken versucht. Es wurde bewiesen, daß Rösgen die Aeutzerung, er könne den Bürgermeister ins Zuchthaus bringen, getan und daß dieser ihn nicht zur Verantwortung gezogen hat. Weiter wurde festgestellt, daß der Bürgermeister Nnternehmer auf- forderte, bei ihnen in Arbeit stehende Sozialdemokraten und freie Gewerkschaftler z» entlassen. Außerdem stellte sich noch heraus, daß Kaiser früher in Goch mit einem höheren Gehalte als Bürgermeister angestellt war. Warum er dort weggegangen, wurde nicht klargestellt. Tatsache aber ist, daß die Gemeinde Goch ihrem früheren Bürgermeister jährlich noch 600 M. Zugabe zahlt, damit er das nämliche Ein- kommen hat, das er früher bezog. Eine ganz eigentümliche Praxis. Unser Genosse ist nun wegen der Beleidigung bestraft; es wäre interessant zu erfahren, ob gegen den frommen, königstrcuen Bürgermeister ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird.— Ernst von Eyncrn. In Barmen ist heute der nationalliberale Führer und Landtagsabgeordneten von Ewiern an einer Gas- Vergiftung gestorben. Am 2. April 1838 zu Barmen als Sohn eines Kommerzicnrats geboren, trat er später in dessen Handelshaus als Teilhaber ein, wurde 1875 in Barmen als Stadtverordneter und 1879 von dem Wahlkreis Lennep-Remschcid in das preußische Abge- ordnctcnhaus gewählt, dem er von da ab ununterbrochen angehörte. Rcichshaushalt für 1905. In der heutigen Sitzung deS Bundesrates wurde die Vorlage betreffend die Uebersicht über die Reichs- ausgaben und»Einnahmen für das Rechnungsjahr 1905 dem Aus- schütz überwiesen; der Ausschußbericht über den Entwurf einer Ver- ordnung betreffend nähere Festsetzungen über Gewährung von Tage- geldern, Fuhrkosten und Umzugskosten an die Beamten der Militär- und Marineverwaltung fand die Zustimmung des Bundesrates.— Huötand. Schweiz . Die Trennung ssön Kirche und Staat in der Stfjwekz. Basel , 31. Oktober. (Eig. Ber.) Gegenwärtig steht in drei Kantonen: Basel , Genf und Neuen- bürg die Frage der Trennung der Kirche vom Staate auf der Tagesordnung. In Neuenburg besteht zur Förderung der Trennung ein kantonales Komitee, das aus Angehörigen ver- schiedener Parteien zusammengesetzt ist und das nun beschlossen hat, sofort eine Volksinitiative zu inszenieren für die Ab- schaffung des Kultusbudgets. Würde diese beschlossen, so wäre die Frage in der denkbar einfachsten Weise materiell ent- schieden zugunsten der Trennung. Im Kanton Genf wird die Frage der Trennung von Kirche und Staat schon seit mehr als einem halben Jahrhundert diskutiert. Bereits im Jahre 1842, sodann in den Jahren 1855, 1871, 1880 und 1897 ist darüber im Großen Rat verhandelt worden, ohne daß jedoch ein definitiver Abschluß gefunden worden wäre. Porige Woche gab es wiederum eine lebhpfte Debatte, die vorläufig damit endete, daß die bezügliche Regierungsvorlage an eine elfgliedrige Kom- Mission verwiesen wurde, der auch zwei Sozialdemokraten, unsere Genossen Schäfer und Duvinne, angehören. Ten Ausgangspunkt der gegenwärtigen Aktion bildet die Notre- damekirche in Genf , die auf Staatsboden steht, aber � mit den Geldern der Katholiken erbaut wurde. Sie steht nicht im Besitze der Nömisch-Katholischen, sondern der Altkatholiken, soll aber an jene übergeben werden. Den letzteren verbliebe dann noch die Kirche von St. Germain. Darüber hinaus wird jedoch die Ab- schaffung des Kultusbudgets, also die wirkliche Trennung der Kirche vom Staate angestrebt. Im Großen Rat ist hierfür auch eine starke Mehrheit vorhanden, ob auch im Volke, dem schließlich der definitive Entscheid zusteht, ist fraglich. Der Gesetzentwurf der Regierung, mit dem sich der Große Rat vorige Woche beschäftigte, bestimmt u. a. folgendes: Staat und Gemeinden besolden keinen Kult. Die Kulte können sich als Stiftungen konstituieren. Die einem Kultus dienenden Lokalitäten, die Gemcindceigentum sind, behalten ihre religiöse und konfessionelle Bestimmung bei. Die Kirche zu St. Peter bleibt unveräußerliches Gemeindeeigentum der Stadt Genf und bleibt auch künftig dem protestantischen Kultus zur Be- nützung eingeräumt. Das Gesetz tritt drei Jahre nach der Volksabstimmung in Kraft. Vom 1. Januar 1910 ab erhalten die Geistlichen, die während wenigstens zehn Jahren im Amte waren, eine Pension von zwei Dritteln ihres Gehalts; nach zehn Jahren wird diese Pension herabgesetzt auf die Hälfte des Ge- Halts. Die protestantischen Wähler werden eine aus 25 Welt- lichen und 6 geistlichen Mitgliedern zu bildende Kommission wählen, welche die Vexwaltung des Konsistorialvermögens zu führen hat. Der Entwurf ist im wesentlichen dem Gesetze Frankreichs über die Trennung der Kirche vom Staate nachgebildet. Wie in Genf , so ist auch im Kanton B a s e l st a d t die„Zurück- setzung" der Katholiken der Ausgangspunkt der ganzen Kampagne. Im September 1903 ersuchte der Vorstand des Vereins der römisch- katholischen Gemeinde Basel die Regierung, ihr eine Jahrcsunter- stützung von 30 000 bis 40 000 Frank zu gewähren bezw. durch den Großen Rat gewähren zu lassen, worauf die Regierung jedoch nicht einging. Daraufhin stellte das katholische Mitglied des Großen Rates, Gutzwiller, der zugleich auch Präsident der römisch- katholischen Kirchgemeinde Basel ist, folgenden Antrag:„Der Regierungsrat wird eingeladen, zu prüfen und zu berichten, ob nicht zugunsten des Vereins der römisch-katholischen Gemeinde eine jährliche Subvention von 40 000 Frank, erstmals pro 1906, ins Budget aufzunehmen sei." Demgegenüber beantragte unser Ge- nosse Dr. Knörr namens der sozialdemokratischen Fraktion:„In Erwägung, daß das in§ 19 der Kantonsvcrfassung festgesetzte System von Jandeskirchen und die damit verbundene Bestreitung ihrer Kultusbcdürfnisse durch den Staat den Anforderungen der' Gerechtigkeit und Billigkeit nicht mehr entspricht, wird der Rc. gierungsrat eingeladen, zn prüfen und zu berichten, ob nicht die Kirchen vom Staate grundsätilich zu trennen seien." Die Regierung unterbreitete als Antwort auf die beiden An- träge dem Großen Rat eine 74 Druckseiten umfassende interessante Vorlage, in der die geschichtliche Entwickclung und der heutige Stand der kirchlichen Verhältnisse in Basel dargestellt werden und zum Schlüsse beantragt wird, über den Antrag Gutzwiller als ver- fassungswidrig zur Tagesordnung überzugehen, den Antrag Knörr dagegen der Regierung zur weiteren sinngemäßen Verfolgung zu überweisen! Darüber hat nun der Große Rat bereits in vier Sitzungen verhandelt. In der nächsten Sitzung(1. November) kommt es wahrscheinlich zur Abstimmung und somit zur vorläufigen Ent- scheidung. Auf jeden Fall wird der Gedanke der Trennung der Kirch« vom Staate in der Schweiz durch deren Durchführung in der benachbarten französischen Republik sehr wirksam gefördert und in absehbarer Zeit auch zur Verwirklichung gebracht werden, mögen nun die gegenwärtigen bezüglichen Aktionen in den drei Kantonen Basel , Genf und Neuenburg wie immer ausgehen. Norwegen . Sozialdemokratische Interpellation über de» RnssenkurS. Die Beschlagnahme der russischen Schriften in Vardö, unter denen übrigens das„Wiborgcr Manifest" nachträglich wieder frei- gegeben worden ist, veranlasste unsere Genossen im norwegischen Storthing, am Sonnabend eine Interpellation an den Minister des Aeußercn einzubringen. Zunächst richtete Dr. E r i k s e n nach einer kurzen Einleitung die Frage an den Minister, aus welchem Grunde und mit welchem Recht die Regierung die Beschlagnahme der Schriften veranlaßt habe.— Minister L ö v l a n d erklärte, die Frage sei s e h r einfach und l e i ch t zu beantworten. Im Laufe des Sommers hätten die Zeitungen mitgeteilt, daß in Vardö eine russische Sozialistenzeitung herausgegeben werden sollte. Er habe die Sache untersuchen lassen, und da sei denn die russische Druckerei entdeckt worden. Anfang September sei der russische Gesandte zu ihm gekommen. habe ihm aber keine Note überreicht, auch keine Aufforderung an ihn gerichtet, sondern nur in einem P r i v a t g e s p r ä ch darauf auf- merksain gemacht, daß die Schriften aufrührerisch seien und nach Rußland eingeschmuggelt würden. Er habe darauf geantwortet, daß die Sache schon von den Behörden— in Uebereinstlmmung mit den norwegischen Gesetzen— untersucht werde. Es liege also keine Handlung vor, die unter dem Druck russischer Behörden vorgenommen wäre. Er übernehme als Mitglied ver Regierung die volle Verantwortung für die Beschlagnahme. Genosie E r i k s e n erwiderte darauf, daß fiir die Anwendung des für die Beschlagnahme als maßgebend erachteten 8 95 des Strafgesetzes Voraussetzung sei. daß da« friedliche Verhältnis zu einem anderen Lande in Gefahr gebracht werde. Das könne aber nur insosern geschehen, als das Recht des Volkes gekränkt werde. Die Frage sei nun, ob die Schriften eine Verletzung des Volks- rechtes enthalten. Gerade da dies nicht der Fall scr, habe wohl Rußland auch nicht die Jnhibicrung des Druckes der Schriften verlangen können. Er tvieS dann»ach, daß die befchlagnahmlen Schriften in der ganzen Welt im- gehindert gedruckt werden können und überreichte dem Minister ein Exemplar der in Paris in russischer Sprache erscheinenden Zeitschrift„Die rote Fahne", da« den in Vardö beschlagnahmten „Aufruf an den russischen Bauernstand" enthielt. Aus anderen Nummern dieses Blattes, das mit Wissen der französischen Behörden und zum Zwecke der Verbreitung in Nußland in Paris gedruckt wird, verlas der Redner Sätze, die an Schärfe alles übertreffen, was in den beschlagnahmten Schriften steht. Er bemerkte weiter, daß das wieder freigegebene Manifest„An das Volk von des Volkes Repräfenlanleu" schärfere Redewendungen enthält alz die nicht wieder freigegebenen Schriften. Nach scharfen Worten der Wer- urteiluna de« Verhaltens der norwegischen Regierung bracht« der Redner folgenden Vorschlag ein:
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