Nr. 267. 23. Iahrgavg.l. KnlM Ks.Hwiick" Klllim WlksMAoNerstag, 13. November 1966.KeicKstag.117. Sitzung, Mittwoch, den 14. November,nachmittags 1 Uhr.Am Bundesratstische: Reichskanzler v. B ü l o w, StaatssekretärV. Tirpitz. preußischer Kriegsminister v. Einem, Reichsschatz-sekretär v. Stengel, Direktor des Kolonialamts Dernburgund sehr viele Kommissare.Auf der Tagesordnung steht die Interpellation des Abg. B a ss e r-mann:„Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft zu geben überunsere Beziehungen zu den übrigen Mächten und sich über die Be-sorgnisse zu äußern, welche in vielen Kreisen unseres Volkes wegender internationalen Lage bestehenReichskanzler Fürst Bülow erklärt sich zur sofortigen Be-antwortung der Interpellation bereit.Zur Begründung derselben erhält das WortAbg. Basscrmann snatl.):In der letzten Zeit hat sich ein Gefühl gesteigerter Unzufriedenheit und Verstimmung in unserem Vaterlande geltend gemacht, diedurch den Blick hinter die Kulissen, die durch die Veröffentlichungder Memoiren des Fürsten Hohenlohe ermöglicht wurde,(Lachenrechts) noch gesteigert wurde. Aufs neue bedauern wir bei dieserLektüre das vorzeitige Scheiden des Altreichskanzlers aus seinemAmte.(Zustimniung bei den Nationalliberalen.) Seit den Marokko-Vorgängen ist die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik inDeutschland gewachsen und das frühere unbedingte Vertrauen nichtmehr vorhanden.(Zustimmung bei den Nationalliberalen.) Vielfach werden Posten in exponierter Stellung nicht nach denGrundsätzen hervorragendster Sachverständigkeit besetzt, sondern miteiner persona �rata oder Aratissima(beliebten oder h ö ch st beliebtenPerson).(Lebhafte Zustimmung.)Die Erörterungen über die auswärtige Politik knüpfen sich anjene Beratung des Etats, an die Auseinandersetzungen überAlgeciras, welche durch das Unwohlsein deS Reichskanzlers unter-krochen wurde, der heute zu unserer Freude wieder hergestellt ist.In der Presse aller Parteien finden wu das Wort„Isolierung" aus-gesprochen. Wir sind in einePeriode der Reisen und Redenhineingekommen, der Liebenswürdigkeiten und einer Unsietigkeit, dieim In- und Auslande Mißbehagen erweckt. Der Dreibund wurdeauch vom Fürsten Bismarck nicht als Ewigkeitsbund betrachtet, undjedenfalls ist sein Einfluß und seine Bedeutung erheblich zurückgegangen.ES zeigt sich das zunächst in unserem Verhältnis zu Italien, das sichverschlechtert hat seit jener Rede, in welcher der Reichskanzler vonder Extratour zwischen Italien und Frankreich sprach. Wird Italienim Falle eines Krieges mit Frankreich oder England seiner Bundes-Pflicht gegen Deutschland genügen?(Bewegung.) Wenn diese Frageverneint wird, so hat der Dreibund höchstens noch für ItalienInteresse.Die Haltung Oesterreich-Ungarns in Algeciras war korrekt undfreundschastlich, doch will Oesterreich-Ungam nicht die Rolle einesSekundanten, sondern die eines unparteiischen Richters ge-spiell oben, was auch nach der Erklärung des früheren ungarischenMinisterpräsidenten Wekerle von Frankreich selbst anerkannt ist.(Hört I hört l) Man glaubt in Ungarn an den Vorwurf, daß Deutsch-land in die inneren Verhältnisse des Kaiserstaates sich einmischenwolle. Als wirksames Machtmittel der deutschen Politik scheint derDreibund der Bergangeuhcit anzugehören.(Große Bewegung.)Nachdem der RückVersicherungsvertrag mit Rußland gelöst wurde.wurde der Z w e i b u n d geschloffen, und Frankreich ist Rußlandunter jedem Ministerium treu geblieben. Ein den, franzöfischenMinisterium nahestehendes Blatt sagt:„Der Angelpunktunserer Politik ist England, das Ziel Deutschland und der LohnElsaß-Lothringen."— Was Rußland anlangt, so halte ich eS fürausgeschloffen, daß Deutschland sich je in seine inneren Wirreneinmischt. Der Angelpunkt der Politik ist heute wirklichEngland mit seinem zielbewußten Streben, das am letzten Endeaus eine Isolierung Deutschlands hinausläuft. Die Besserung unseresVerhältnisses zu England, wie sie der Bürgenneisterbesuch in Londonund der Besuch deuticher Journalisten in England beweisen(Heiter-keit. Zurufe:„Mumpitz!") begrüßen wir mit Freude, doch wird siean den Zielen der englichen Politik im ganzen nichts ändern. England harrt mit Konsequenz und Ruhe der kommenden Ereignisse undsucht sie nicht durch Reden zu fördern.(Sehr richtig! bei denSozialdemokraten.) Aus der Periode gewaltiger Verstimmungen zurZeilj der Faschodaaffäre sind England und Frankreich zur Ententegekommen, und selbst eine Militärkonvention ist. wenn nicht abge-geschlossen, so doch vorbereitet worden. Naturgemäß entstehtfür Deutschland die Gefahr. daß Frankreich von derenglischen Politik zuungunsten Deutschlands mißbraucht wird, wiesich bei der marokkaniswen Frage gezeigt hat. Auch die Gegensätzezwischen Rußland und Oesterreich auf der Balkanhalbinsel sehen wirim Wege der Verständigung schwinden, und weiter sehen wir, wieEngland seine Streitigieilcn mit Rußland in Asien in zweite Liniestellt, sodaß wir vielleicht bald vor der Tatsache einer völligen Ver-ständiguirg der beiden Mächte stehen. So sehen wir in aller WeltFreundschaften entstehen, die uns nicht einschließen und in weitenKreisen Deutschlands die Befürchtung der Isolierung erwecken. Ichhabe versucht, zu zeigen, wie sich diele Besorgnisse in den Köpfen gut-fekimiter Patrioten darstellen(Heiterkeit. Zurufe:„Schwarz-e h e r I"), und der Reichskanzler wird nicht vermögen, alle Be-fürchtungen zu beseitigen. Vielfach besteht der Eindruck, daß unserePolitik der Ruhe und Stetigkeit entbehrt, daß Schwankungen durchAnti- und Sympathien entstehen, daß vielfach in Verhandlungen mitrauher Hand eingegriffen wird, wodurch vielleicht richtig angelegtePläne illusorisch gemacht werden. Auch im Auslande werden durchReden und Depeschen Verstimmungen erzeugt, die durch Liebenswürdigkeiten nicht ausgeglichen werden können, weder durch Statuennoch durch Ehrensäbel.(Sehr richtig I links.) Das Resultat dieserPolitik ist vielfach eine Minderung des Respekts und der Furcht vorDeutschland.Diese Ausführungen sind weder durch Schwarzseherei noch durchein Gefühl der Angst diktiert, auch alleinstehend vertrauen wir ausunser starkes deutsches Heer und unsere Flotte.(Oho! links.) Ichberufe mich hier auf die Ausführungen Bebels in Mannheim:Deutschland ist ein Staatswesen, wie es ein zweites Mal nichtexistiert. Beim Ausbruch eines Krieges stehen vom ersten Momentan fünf Millionen unter den Waffen.Diese offene Aussprache über die allgemeine auswärtige Lagekann heute nicht schaden. Der Gesichtspunkt, daß wir daduribdeutsche Interessen im Auslande schädigen, ist nicht berechtigt. Manweiß im Auslande genau, wie die Dinge bei uns stehen: gerade einfranzösischer Minister hat jüngst gesagt:„Deutschland ist mächtigerals 1870, Europa ist aber nicht mehr das Europa von 1870. Wosind die Bundesgenossen und Freunde Wilhelms II.? Die Stundeder glänzenden Vereinsamung naht." Nach unserer Meinung kannuns keine Schönfärberei helfen, sondern nur eines tut uns not:Das ist die Wahrheit!(Lebhafter Beifall bei den National-liberalen.)Reichskanzler Fürst Bülow:Bevor ich mich zu den sachlichen Ausführungen wende, möchteich auch von dieser Stelle aus meinen Dank aussprechen ftir dievielen freundlichen Beweise von persönlichem Wohlwollen und per-sönlicher Sympathie, die mir während meiner Erkrankung von Mit-gliedern dieses hohen Hauses zu teil geworden sind, ebenso diesemhohen Hause als solchem und dem verehrten Herrn Präsidentenmöchte ich von diesem Platze aus, den ich mit Gottes Hülfe wiederr'nnehme. danken. Ich tue das in dem Gefühl und in der Ueber»zeugung, die mich geleitet haben seit dem Tage meines Amtsantritts,nämlich daß Bundesrat, Reichstag und Reichskanzler zusammen ge-hören durch die Verfafiung und auf dem Boden der Verfassung zumWohle des Vaterlandes. Sie bilden das Obergeschoß des Reichs-baues, dessen Fundament vor einem Menschenalter gelegt wurde.In diesem Bau verkörpert sich der deutsche Einheitsgedanke. Wasden einen Teil trifft, trifft auch die anderen.In Beantwortung der an mich gerichteten Interpellation willich jetzt aufunsere internationalen Beziehungeneingehen und aus die Stellung des Deutschen Reiches in der Welt.Ich behalte mir dabei vor, aus manche Punkte, die der Herr Antrag-steller bei Begründung seiner Interpellation berührt hat, im weiterenVerlauf der Debatte zurückzukonimen. Was zunächst unser Ver-hältnis zu Frankreich angeht, sa glaubeich, wir müssenunterscheiden zwischen dem. was vielleickt an und für sich wünschens-wert, und dem, was naw Lage der Verhältnisse möglich ist. DerGedanke eines inneren Anschlusses oder eines Bündnisses mit Frank-reich, wie er hier und da in der Presse aufgetaucht, ist, wie dieStimmung in Frankreich noch ist, nicht realisierbar. Der Grundhierfür liegt in Ereignissen der Vergangenheit, die von uns undunseren französiscken Nachbarn verichiedenartig bewertet werden,er liegt auch in der Lebhaftigkeit des sranzösijchen Pa-triotiSmus, die man je nachdem übertriebene Eigen-liebe oder nachahmungswürdigen Nationalstolz nennen kann.Die ftanzösische Politik hat jahrhundertelang bei der innerendeutschen Politik die Hand im Spiele gehabt, und diese langefranzösische Mitarbeit kam erst 1870 zum Abschluß. Damalserlangte Deutschland nicht nur das Ende seiner eigenen Ohnmachtund die Wiederherstellung seiner frühereu Grenzen, sondern eserlangte gleichzeitig die innere Einheit und die Einigkeit nach außen.Diese letzte Errungenschaft wird noch wirksamer als der Besitz vonMetz und Straßburg verhindern, daß je wieder deutsche Grenz-gebiete zum Tummelplatz fremder Kriegsgelüste werden.— Aberauch Italien, als einheitlicher Nationalstaat an den Dreibund ge-lehnt, konnte sich heute Frankreich nähern, ohne die Be-sorgnis, von seinen mächtigen Nachbarn abhängig zu werden.Da ist es begreiflich, wenn es dem stolzen französischenPatriotismus schwer fällt, sich in diese Tatsachen der Gegenwartund namentlich in das Erwachen und Erstarken unseres deutschenVolksbewußtseins zu finden, das Gleichberechtigung mir den anderenVölkern verlangt. Daran hat sich auch durch den Marokkozwischenfallnichts geändert, wenn sich auch erfreulicherweise gezeigt hat, daßbeide großen Völker in Frieden mit einander auszukommen wünschen.Ich höre manchmal, daß Franzosen unter vier Augen den Wunschnach engeren Beziehungen zwischen beiden Ländern äußern. Aberoffiziell ist dies in Frankreich noch nicht geschehen, es istnoch kein Deputierter und kein Senator daftir eingetreten.(Zuruf bei den Sozialdemokraten:„Jauros!") Ja,eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.(Heiterkeit.) Wirhoffen alle, daß die Zahl der Einsichtigen in beidenLändern zunehmen wird und daß keines von beiden Völkern dasganze furchtbare Elend eines Krieges auf sich nehmen wird. DenFrieden nicht zu stören liegt im Interesse beider Völker. Wasweiter möglich erscheint, ist. daß beide Völker sich auf Wirtschaft-lichem, auf industriellem und kommerziellem Gebiete verständigen,vielleicht auch einmal sich hier und da über eine koloniale Frageverständigen. Dabei bemerke ich ausdrücklich, daß wir nicht darandenken, uns zwischen Frankreich und Rußland oder zwischenFrankreich und England einzuschieben. und insbesonderedenken wir nicht daran, die Störung der ftanzösisch-englischenFreundschaft zum Gegenstand unserer offenen oder verstecktenBemühungen zu machen. Die französisch-russische Allianz ist bisjetzt keine Gefahr für den Frieden gewesen, sie hat sich im Gegenteilals ein Gewicht bewährt, das zum gleichmäßigen Gange der Politikbeiträgt. Wir hoffen, daß man auch von der englisch-ftanzösischenAllianz dasselbe wird sagen können. Die guten Beziehungenzwischen Deutschland und Rußland haben der französisch-russischenAllianz keinen Eintrag getan, und gute Beziehungen zwischenDeutschland und England können nicht in Widerspruch stehen mitder Lntsnts corcüalg, wenn diese Friedenszwecke verfolgt. EinePolitik, die darauf ausginge Deutschland einzukreisen, es zu isolierenund lahmzulegen, wäre eine Gefahr für den Frieden.Eine solche Ringbildung ist nicht möglich ohne Ausübung einesgewissen Druckes. Druck erzeugt Gegendruck(Sehr wahr! rechts),und aus Druck und Gegendruck können Explosionen hervorgehen.(Beifall rechts. Lachen links.) Deshalb war es mir besonders er-sreulich, daß auch ftanzösische Blätter den Gedanken ausgesprochenhaben, ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und England seinotwendig für die Erhaltung des europäischen Friedens und entspreche deshalb auch den französischen Interessen. Zwischen Deutschland und England bestehen keine tieferen politischen Gegensätze. EShat Verstimmungen zwischen beiden Ländern gegeben, unpraktischeund unverständige Verstimmungen, an denen— wie gewöhnlich imLeben— beide Teile gleichviel Schuld hatten, aber keine feindselige Handlung. In Wissenschaft und Kunst stehen die beidenVölker sich nahe. man hat mit Recht von einer geistigenVerwandtschast zwischen ihnen gesprochen. Auf Wirtschaftlichem Gebiet sind sie auf einander angewiesen: denn derVerkehr besteht einmal im Geben und Nehmen. Gewiß,zwischen Deutschland und England liegt auf handelspolitischemGebiete eine Konkurrenz und Rivalität vor. Aber eine solche Konkurrenz und Rivalität braucht keine politischen Gegensätze, geschweigedenn einen Krieg hervorzurufen. Wir haben solche Rivalität mitOesterreich-Ungarn und Italien gehabt, ohne daß unsere Beziehungenzu diesen beiden Mächte» dadurch ernstlich geschädigt wurden. Eng-land hat die gleiche Rivalität mit Nordamerika und Japan, ohnedaß die Beziehungen zu diesen beiden Ländern darunter litten.Deutschland und England sind gegenseitig gute Kunden, sogar sogute Kunden, daß jeder Teil ein Interesse daran hat, sich denanderen als Kunden zu erhalten. Schon deshalb sollten die ver-ständigen Leute in beiden Ländern tun, was in ihren Kräften steht,um Mißverständnisse zu beseitigen und daS gegenseitige Verständniszu fördern.Zu meinem Bedauern finde ich immer wieder Nachrichten in dersozialistischen Presse, daß unsere Verteidigungsmaßnahmen zur SeeSchuld trügen an dem zwischen uns und England bestehenden Miß-trauen. Ich habe wiederholt dargelegt, daß der Gedanke, als obsich der Bau der deutschen Flotte gegen England richte, einfachtöricht ist. Ich finde keinen anderen Ausdruck, um den Gedanken zukennzeichnen, als ob wir uns England gegenüber mit offensiven Ab-sichten trügen. Aber auch die Besorgnis mancher englischer Kreisevor der gar nicht vorhandenen großen deutschen Flotte istgrundlos.(Unruhe bei den Antisemiten). Hat doch geradeauf einem Bankett zu Ehren der städtischen Vertretungenin London oder zn jener Zeit ein englischer Minister hervorgehoben,daß England jetzt die streitkräftigste und schlagfertigste Flotte habe,die eS je besessen, und daß es entschlossen sei, sie auf ihrer Höhe zuhalten. Und noch vor wenigen Wochen hat der erste Lord derenglischen Admiralität öffentlich erklärt, England sei nie so starkgewesen wie gegenwärtig, wo es jeder möglichen Kombination ge-ivachsen sei, dre andere Mächte gegen England aufbringen könnten.Also, ich ftage: Wozu der Lärm? Wir denken gar nichtdaran, eine Flotte zu bauen, die so stark wäre wie dieenglische, aber wir haben das Recht und die Pflicht, unseine Flotte zu bauen, die dem Umfange unserer Handelsinteressenentspricht, die unsere überseeischen Interessen zu verteidigen undunsere Küsten zu schätzen imstande ist. Warum sollen wir nichtebenso gut das Recht haben. Schiffe zu bauen und eine Flotte znhaben, wie Japan, Italien, Rußland, Nordamerika oder Englandelbst?(Vielfaches Sehr richtig I> Das deutsche Volk und derdeutsche Kaiser haben keine kriegerischen Absichtm: Friedensstörungenund Angriffe werden nicht von uns ausgehen. Das Deutsche Reichist seit seiner Begründung in ununterbrochenem Frieden mit allenanderen Ländern geblieben. Das gleiche kann man nur von wenigenanderen Staaten sagen. Durch diese unsere Haltung während einernun 3Sjährigen Friedenszeit ist der unwiderlegliche Beweis erbrachtworden, daß Deutschland eine eminent friedliche Polittk verfolgt.Wir erkennen auch ohne Hintergedanken die Stellung an, die sichEngland seit langem und in weitem Umfange in der Welt geschaffenhat. Daß das keine Redensart ist, beweist unsere Haltung in deregyptischen Frage, die der Abg. Bassermann soeben gestreift hat.Fürst Bismarck pflegte zu sagen:„Wir sind in Serbien österreichisch,in Bulgarien russisch, in Egypten englisch."(Heiterkeit.) Auch seitden Tagen des Fürsten Bismarck haben wir immer die günstigeWirkung der englischen Milverwaltung für die Entwickelung des Nil-landes anerkannt und England in Egypten keine Steine in den Weggelegt, selbst da, wo wir das formelle Recht dazu gehabt hätten. Ichmeine den Erlaß der Präsidialverordnung von 1904. Nichtsdesto-weniger sind uns in der englischen und französischen Presseaus Anlaß des Akabafalles allerhand Vorwürfe gemacht worden.Schon unser Interesse an der ruhigen Entwickelung des türkischenReiches ließ uns die friedliche Beilegung des Streitfalleswünschen. Wenn die Beziehungen zwischen Deutschland und Eng-land freundschaftlich sind und vertrauensvoll werden sollen, so istdazu vor allem Zeit und Geduld notwendig.(Sehr richtig!) Einelange Periode der Mißverständnisse und Verstimmungen liegt hinteruns: die Nadel des politischen Barometers ist jetzt von Regen undWind auf Veränderlichkeit gegangen(Heiterkeit), forzieren läßt siesich nicht. Wenn Sie wollen, daß sie auf„Schön Wetter" zeigt(Erneute Heiterkeit), so müssen von beiden Seiten neue Reizungenund Trübungen vermieden werden. Vor allem müssen die Lebens-intercsscn großer Völker hoch über persönlichen Empfindlichkeiten undVerstimmungen stehen.(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemo-kraten.) Abg. Bassermanu hat gemeint, daß die Haltung Italiensauf der Konferenz in Algeciras uns Grund zur Unzufriedenheit ge-geben hätte. Das gilt nicht von der Haltung der italienischenRegierung, sondern nur von der Haltung der italienischen Presse,und was unverantwortliche Politiker in Italien sagen, möchte ichnicht überschätzen, da sagt auch anderswo mancher manches, was ichnicht verantworten kann.(Stürmisches, langanhallendes Lachenlinks.) Die verantwortlichen italienischen Politiker denken nichtdaran, Italien vom Dreibund loszulösen, der durch seinBestehen wesentlich dazu beigetragen hat, Gefahren für die Un-abhängigkeit der Verbündeten zu beseitigen. Ohne Ueberhebung undUebertreibung können wir sagen, daß die Fortdauer des Dreibundesden europäiichen Interessen entspricht, weil sie im Interesse desFriedens liegt.— Es ist mir auch ein Bedürfnis auszusprechen, wieverlässig die Unterstützung war, die uns Oesterreich- Ungarn inAlgeciras gewährt hat, und ich brauche nicht hinzuzufügen, daß wirOesterreich-Ungarn eintretendenfalles dieselbe Treue halten werden.(Lebhafter Beifall.) Unverständlich ist mir, wie man hat annehmenkönnen, wir wollten uns in die inneren Verhältnisse der Habs-burgischen Monarchie einmischen. Schon der Versuch wäre taktlos,wie jede Aufdringlichkeit.(Sehr richtig!) Wir wollen uns nirgendsin die inneren Verhältnisse eines anderen Landes einmilchen,auch in Rußland so wenig wie in Oesterreich. Sollteder Brand über unsere Grenzen herübergreifen, so werdenwir ihn bei uns zu löschen versuchen.(Heiterkeit.) Aber wirempfinden gar nicht das Bedürfnis, irgendwo den Gendarmzu spielen, das ist unter Umständen ein gefährliches Unternehmen.wie Oesterreich und Preußen 1792 bei ihrer Intervention in Frankreicherlebt haben.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)Ich freue mich, Herr Ledebour, daß ich auch einmal mit Ihnenübereinstimme.(Heiterkeit. Abg. Ledebour:„Das liegt an Ihnen!")Wenn wir uns in die inneren Angelegenheiten Rußlands nicht ein-mischen, so sind wir von der einseitigen fanatischen Parteinahmefrei, wie sie gerade die Sozialdemokratie zeigt, und die vomnationalen Standpunkt ebenso falsch ist, wie am Ausgang des18. Jahrhunderts das Verhalten der französischen Refugiös oder dasTreiben des Eidechsenbundes bei den Kämpfen zwischen Polen unddem Ordensstaat Preußen. Dieselben Ursachen, dieselben mensch-lichen Leidenschaften und Schwächen.Auch unsere Beziehungen zu Japan, die Herr Bassermanunicht berührte, sind, wie ich trotzdem betonen möchte, gute. Auch inOstasien verfolgen wir nur wirtschaftliche Ziele, deren Erreichen vonder Aufrechterhaltung des Friedens, der Integrität Chinas und desPrinzips der offenen Tür abhängt.Was unser Verhältnis zu Amerika anbelangt, so wird mirdie große Mehrheit recht geben, wenn ich sage, daß Deutschland undAmerika zu den Völkern gehören, die auS natürlichen und historischenGründen auf ein gutes gegenseitiges Verhalten hingewiesen werden.Amerika hat dem Weltfrieden durch Wiederherstellung des Friedenszwischen Japan und Rußland einen großen Dienst geleistet. Beidieser Gelegenheit möchte ich die vielfach gehörte Bemerkung, ich seidurch den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges überraschtworden, zurückweisen. Wenn sich einmal die Archive dieser Zeitöffnen werden— ich werde keine Denkwürdigkeiten hinterlassen(GroßeHeiterkeit)— so wird diese Behauptung bei den Historikern großeHeiterkeit erregen.Man hat viel von einer Isolierung Deutschlands gesprochen.Daß die Sozialdemokraten das tun, liegt in ihrem Wesen und System.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Weniger begreiflich aber ist mir,daß auch Nichtsozialdemokraten unsere Zustände schwarz in schwarzmalen.- Welchen Nutzen soll es haben, wenn zum Beispiel ein frei-sinniges Berliner Blatt sagt:„Wo es sich um den Schutz derDeutschen im Auslände handelt, würde man heute erst fragen, wasist der Mann, welcher Koilfession gehört er an. welcher Partei zählter sich zu?"(Unruhe rechts.) Wo sind die Tatsachen, die ein solchesUrteil rechtfertigen? Alle Deutschen ohne Unterschied des Standes,des Geschlechtes, der Religion oder der Partei genießen unseren Schutz,auch die deutschen Sozialdemokraten.(Widerspruch bei den Sozial-demokraten.) Glaubt man denn wirklich im Ernst, daß es im Aus-lande so viel besser ausschaut als bei uns? Auch wenn wirisoliert wären— wir sind es nicht— brauchten wir nichts zubefürchten.(Bravo! rechts.) Wir haben es gar nicht nötig, jemandnachzulaufen. Wir sind in Deutschland allzu nervös geioorden(Oho! rechts und links.), oben und unten.(Heiterkeit.) In Be-ziehung auf den Dreibund möchte ich vor dieser Nervosität warnen.Wir haben uns mehr als einmal in einer ähnlichen Situationbefunden, wo die Gefahr einer allgemeinen Gruppierung gegen unsnahe lag, und alles in allem war Deutschland damals materiellweniger stark als heute. Daß heute unsere Situation kompliziertund erschwert ist, rührt von unserer überseeischen Politikher.(Hört I hört I) Wir wissen aber alle, welche elementarenGewalten— der rasche Aufschwung unserer Industrie, die Wirt-schaftliche Tüchtigkeit unseres Volkes— uns in die Weltpolitikeingeführt habe». Es sind schwierige Situattonen denkbar, in denenwir nur ans unsere eigene Kraft angewiesen sind. Aber ein starker Staatruht sicher nur auf sich selbst und muß jeder Situation entschlossenentgegensehen können. Eine Zeit voll Mühe, die nicht ohne Gefahrwar, liegt hinter uns. Jetzt ist die Situation in Europa und in derWelt eine ruhigere geworden. Unter der Oberfläche dauert die Unruheallerdings noch eine gewisse Zeit fort, was uns zur Vorsicht undUmsicht mahnt. Sorgen wir dafür, daß unsere Machtmittel zuWasser und zu Lande für uns ausreichen, vergessen wir über unsereinneren Streitigkeiten nicht das Interesse des Ganzen, und dasdeutsche Volk wird seine Stellung in der Welt zu behauptenwissen.(Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei den National-liberalen)Abg. Graf Oriola(natl.) beantragt die Besprechung derInterpellation.Der Antrag wird ohne Debatte angenommen.