Rimberten und daß man dieser Entwickclung des ArbciterstandeS in verständiger Weise Rechnung tragen muß. Aber der Regierung vorzuwerfen, dieses Gesetz sei nur zum Nutzen des Unternehmer- tums eingebracht worden, ist eine ganz schiefe Darstellung. Nun zu einer anderen Bestimmung: Man nannte es eine Aus- tiahmebestimmung für die Arbeiter, wenn es ihnen nicht gestattet wird, durch einen Streik wirtschaftliche Zweige des öffentlichen Dienstes lahmzulegen. In der französischen Kammer war einmal die Rede davon, man solle den Eisenbahnarbeitcrn und Post- beamten das völlige Koalitionsrecht geben. Damals erklärte der Ministerpräsident Rouvier, ein liberaler Minister einer Republik, am 7. November 1905: Allen Angestellten der Regierung das Recht de? AusstandeS zugestehen, heiße die Anarchie proklamieren; keine Regierung könne, ohne Selbstmord zu begehen, den Postbeamten das Recht verleihen, sich zu organisieren. Und darauf nahm die Kammer eine von der Regierung gebilligte Tagesordnung an. Hiernach erscheint es ausgeschlossen, daß die Regierung in Frank- reich zu einer Ausgestaltung des Koalitionsrechtes in d e r Richtung, wie Sie es wünschen, jemals die Hand bietet, auch die jetzige Re- gierung nicht, darauf können Sie sich verlassen. Der Entwurf geht von der Auffassung aus. daß er sich auf d i e Arbeiter bezieht, die unter die Gewerbeordnung fallen, und das ist nach der Auffassung der Regierung bei den Eisenbahnarbeitern, auch bei denen, die in den Eisenbahnwerkstätten arbeiten, nicht der Fall. Ferner ist ausdrücklich gesagt, daß auch die Bergarbeiter und die fiskalischen Arbeiter nicht unter diese einschränkenden Bcstim- mungen fallen. Wenn aber gewisie Arbcitergruppen nicht streiken dürfen wie in den Gewerben, die mit der Gaserzeugung, mit der Lichterzeugung zu tun haben, so ist hierbei von dem Grundsatz aus- gegangen, daß es allgemeine Interessen gibt, die dem individuellen Recht vorangehen. Von diesem Grundsatz kann kein Staat abgehen, das ist überhaupt der Begriff des Staates. Ferner ist die Einbeziehung der landwirtschaftlichen Arbeiter verlangt worden. Es ist richtig, daß im Jahre 1866 der verstorbene Minister von Jtzenplitz einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, worin auch die landwirtschaftlichen Arbeiter das Koalitionsrecht haben sollten. Aber Gesetze kann man nicht nach abstrakter Theorie machen, und wie anders lagen damals die Arbeiterverhältnisse als heute! Damals bestand noch nicht die zum Teil künstlich geschaffene Kluft zwischen Arbeitgebern und Arbeit- nehmern, wie wir sie heute haben. Auch die Landwirtschaft befand sich in anderen Verhältnissen. Wir werden uns mit dieser Frage noch zu beschäftigen haben. Aber eines steht fest: Viel wichtiger als die Fleischfrage ist für die Landwirtschaft die Arbeiterfrage. (Lebhafter Beifall rechts. Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ich bedauere es im nationalen Interesse auf das allertiefste, daß wir den heimischen Boden nicht mehr mit bodenständigen Arbeitern bebauen, sondern mit Arbeitern, die wir über die Grenze herholen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Das ist ein Notstand, meine Herren. Jeder Fabrikbesitzer kann, wenn gestreikt wird, die Fabrik schließen. Aber kein Eigentum ist so wenig geschützt wie das des Landwirtes. Sein Eigentum, die Ernte, liegt unter Gottes freiem Himmel und ist dem Wechsel de! Witterung ausgesetzt. Nun stellen Sie sich vor, wenn die Arbeiter, die in den Häusern des Landwirtes wohnen, die das Deputat voraus bezogen haben, wenn die eines Tages, wo es sich manchmal nur um Stunden handelt, die Arbeit niederlegen! Es geschieht schon jetzt einige Male, aber ohne gesetzliche Grundlage. Wer sollte noch den Mut haben, wenn dies gestattet wäre, Landwirtschaft zu treiben, wenn er fremde Hülfe braucht?(Beifall rechts.) Hier liegt ein Fall vor, wo das Recht des einzelnen zurücktreten muß vor dem Recht der Allgemeinheit. Wenn solche Zustände eintreten, stellen Sie sich vor, wie das auf die Preisverhältnisse wirken mutz. Sie haben in der Presse und auch hier gestern von der Verelendung der Landarbeiter gesprochen. Vergleichen Sie aber einmal die Lebenslage des städtischen mit der des ländlichen Arbeiters, so werden Sie sehen, daß von einer Ver. elendung des ländlichen Arbeiters gar nicht die Rede sein kann. Die Erfolge der militärischen Aushebungen sprechen auch in vielen Gegenden Deutschlands zugunsten des ländlichen Arbeiters. Wenn der ländliche Arbeiter trotzdem in die Städte flieht, so gewiß nicht wegen des zu niedrigen Arbeitslohaos, sondern aus tiefliegenden psychologischen Momenten, die auch bei den höheren Ständen Platz greifen. Es leben in Berlin viele Leute, die viel bester täten, in kleinen Städten ihre Kräfte in den Dienst der Verwaltung zu stellen, anstatt unter den Linden spazieren zu gehen.— Daran, meine Herren, hat niemand gedacht, dieses Gesetz etwa benutzen zu wollen, um die freien Gewerkschaften durch Schi- kanen dazu zu bewegen, sich eintragen zu lassen. Wir wollen den Arbeitern die Möglichkeit geben, ihre Berufsinteresten zu ver- treten, aber wir haben gar kein Interesse daran, durch irgend einen Akt der Gesetzgebung die Arbeiter in die Berufsvereine hineinzubringen. Alle derartigen Einwendungen beruhen auf Phantasie. Ich behalte mir vor, in der Kommission auf die schwic- rige Frage einzugehen, wie sich die einzelnen Bestimmungen zu den übrigen Gesetzen verhalten: dem Genossenschaftsgesetz, dem Aktien- gesetz, dem Bürgerlichen Gesetzbuch: denn das ist nur bei der Be- sprechung der einzelnen Paragraphen möglich. Einen Appell möchte ich an die bürgerlichen Parteien richten: Der Gesetzentwurf hat Feinde von rechts und links. Rechts gibt es eine Gruppe, die jede Fortbildung des Arbeiterrechts als eine Preisgabe des Rechtes des Staates betrachtet und ihre eigenen Interessen mit den allgemeinen Staatsinteressen identifiziert. Links gibt es Leute, denen es nicht erwünscht ist, daß es lediglich Berufsvereine gibt, die nur Berufsinteresten verfolgen und ihre politischen Interessen außerhalb der Berufsvereine vertreten. Es war nicht leicht, einen solchen Gesetzentwurf durch alle die Klippen und Schwierigkeiten gesetzlicher und tatsächlicher Natur hindurchzuführen. Ich richte daher an die bürgerlichen� Parteien die Bitte, den Gesetzentwurf anzunehmen. Sie erweisen damit nicht nur dem deutschen Arbeiterstande, sondern auch den staats- erhaltenden Interessen einen Dienst. Lasten Sie diesen Gesetz- cntwurf nicht im Hafen scheitern.(Beifall rechts.) Abg. Bockelmann(Np.); Bei der gestrigen Rede des sozialdemo- kratischen VertrererS konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren: „Schade um all diese schöne Entrüstung!" Seine Behauptung, daß es sich hier um ein Ausnahmegesetz handle, ist unzutreffend, ebenso die Fabel über die Entrechtung der Landarbeiter, denen der vorliegende Entwurf das Koalitionsrecht nicht gebe. Ich gebe zu, daß cS eine Anzahl von Unternehmern gibt, die sich verletzt fühlen, wenn ihre Arbeiter sich an die Oeffentlichkeit zur Vertretung ihrer Interessen wenden, aber eine solche Hypertrophie(Ueber- entwickelung) des Unteniehmcrbewußtseins, wie sie sich zum Beispiel in der Leitung der Druckerei des„Vorwärts" findet(Heiterkeit), ist doch selten.* Abg. Dr. Mugdan (frs. Vp.): Ich bin der Ueberzeugung, daß der Einwurf, wenn er Gesetz wird, einen bedeutenden Rückschritt be- deutet. Bedauerlich ist dies umsomehr, als man 37 Jahre gebraucht hat. bis diese Frage feste Gestalt angenommen hat.(Sehr richtig I bei den Freisinnigen.) Diese Anschauung über den Entwurf ist all- gemein, und nicht nur die Sozialdemokraten haben ihn bekämpft, sondern auch die übrigen Berufsvereine, die für die Rechte der Arbeiter kämpfen und die größten Feinde der Sozialdemokratie sind, sind der Ueberzeugung, daß der Entwurf in seiner jetzigen Form eiu Rückschritt ist. Hier handelt es sich nicht um die Gewährung einer Wohltat. sondern um die Beseitigung von ungerechten Bestimmungen.(Sehr richtig I bei den Freisinnigen.) Und wenn man ein Unrecht beseitigt, darf nran den Hauplzweck nicht durch alle möglichen Fußangeln er- schweren. Wenn auch der Staatssekretär sagte, daß keineswegs beab- sichtigt sei, den Gesetzentwurf zur Schikanierung der Berufsvercine zu benutzen, so ist diese Aeußerung ja gewiß zu begrüßen, aber sie besitzt nicht Gesetzeswert.(Sehr wahr! bei den Freisinnigen.) Bor allem besteht die Gefahr, daß dir Gründung von rechtsfähigen Berufs- vereinen betrieben wird von Arbeiter», die im Solde von Unter- �khWrrn sieben! Bei dem übermächtigen Kapital, das in den großen Fildustrien bereinigt ist, ist dieser Verdacht nicht ausgeschlosten. Für uns ist das Gesetz in der jetzigen Form unannehmbar; es bietet den Arbeitern Steine statt Brot. Schon nach dem 1 wäre es der Polizei möglich, aus dem Metallarbeiter- odrr Buchdruckerverband zwanzig verschiedene Ver- bände zu machen! Daß die Berussvereine nur rein berufliche Interessen haben sollen, kann man unmöglich verlangen. Ich würde es z. B. direkt für eine Pflicht der Berufsvereine halten, zu Fragen, wie sie bei den Zolltarifdebatten hier verhandelt wurden, Stellung zu nehmen.(Sehr wahr I links.) Sehr gewundert hat es mich, daß z. B. Herr Trimborn sich nicht gegen den Paragraph 3 gewandt hat. Nach diesem Paragraphen wäre es unmöglich, daß, wie eS in vielen katholischen Gesellenvereineu der Fall ist, der Borsitzende ein Priester ist! Eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit ist eS, daß Vor- fitzenden, die über Fußangeln dieses Gesetzes stolpern, die Strafe, in die sie verfallen, nicht einmal von dem Berufsverein erstattet werden darf I Das ist direkt ein Ausnahmegesetz, das für keinen anderen Verein zutrifft. Selbst Postkassierer erhalten doch Maukogelder. Uwannehmbar ist auch der§ 1 5. Dadurch, daß sie den Eisenbahn- arbcitern das KoalilionSrccht nehmen, können sie Streiks dock nicht verhindern: denn sie können keinen Arbeiter zur Arbeit zwingen. Der Streik ist unhedingt ein legales Mittel.«Sehr tvahr! links.) Nehmen Sie dem Arbeiter die Möglichkeit zu streiken, so liefern Sie ihn auf Gnade und Ungnade den Unternehmern aus.(Sehr richtig! links).— Was die Landarbeiterfrage betrifft, so leugne ich gewiß nicht die Leutenot. Aber gerade aus dieser Leutenot folgt doch mit Notwendigkeit, daß man die Lage der Landarbeiter an- nchmlicher gestalten muß. Wie können Sie e? einem Landarbeiter verübeln, daß er seinen Sohn in die Stadt schickt, wenn er sieht, daß er selbst nach einen: langen mühevollen Leben doch nichts Rechtes erreicht. Die Furcht, daß die Landarbeiter gerade während der Ernte die Arbeil niederlegen werden, ist ganz unbegründet. Wenn die Landarbeiter so böswillig sind, könnten sie das ja auch heute schon tun. Wenn in den Kreisen der Landarbeiter die Sozialdemokratie immer mehr an Boden gewinnt, so liegt das gerade an der verkehrten Politik der Re- gierung und der ihr nahestehenden Parteien, die den Landarbeitern das Koalitiotrsrecht nicht gewähren wollen, das ihnen genau so zu- steht wie den gewerblichen Arbeitern. Im Jahre 1865 waren ja, wie Herr Legien ganz richtig bemerkte, auch die Konservativen für das Landarbeiter-Koalitionsrecht, fteilich das war zu einer Zeit, als ein konservatives Flugblatt mir den Worten schloß:„Billiges Brot, billiges Fleisch, billiges Getreide, billige Kohlen!"(Hört! hört! links.)— Ich bin gewiß ein scharfer Gegner der Sozialdemokratie, aber wir dürfen uns nicht gegen ein Gesetz, das der ganzen Arbeiterklasse zugute kommen soll, deshalb richten, weil möglicherweise die Sozialdemokratie davon Vorteil yaben könnte. Da es ram einmal Sozialdemokraten gibt, halte ich es für unrecht, den Deutschen , die Sozialdemokraten sind. Rechte zu nehmen, die andere Deutsche haben. Gerade zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ist es notwendig, daß man den arbeitenden Klassen immer mehr zeigt, daß es falsch fft. wenn die Sozialdemokraten be- haupten. die arbeitenden Klassen hätten in Deutschland nicht die- selben Rechte wie andere.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Man muß die Sozialdemokratie in die unangenehme Lage bringen, nur unberechtigt klagen zu müssen.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Dieser Entwurs aber gibt der Sozial- demokratie die Gelegenheit, außerordentlich gerechte Klagen zu erheben. Weil wir der Meinung sind, daß nur durch starke, leistungsfähige Arbeiterorganisationen den starken Unternehmer- orgamsationen gegenüber der soziale Frieden gesichert werden kann, können wir nur für das Gesetz stimmen, wenn in der Kommission die ungeheuren Fehler desselben aus der Welt geschafft werden. (Lebhafter Beifall bei den Freifinnigen.) Abg. Schnck(Wirtsch. Vg.) beschwert sich darüber, daß der vvr- liegende Gesetzentwurf schon zwei Tage vor seinem Erscheinen in der „Kölnischen Zeitung " veröffentlicht worden ist, und fragt an, ob die verbündeten Regierungen keine Mittel haben, diese Bcrhökcrnng von Gesetzentwürfen hintanznhalteir. Grundsätzlich stehe ich auf dem Standpunkt, daß jeder Berufs- verein ohne weiteres Anspruch auf die Rechtsfähigkeit haben müßte. Die Herren von der äußersten Linken freilich würden auch einem Gesetzentwurf, der nur diese Bestimmung enthielte, ihre Zustimmung nicht geben, und zwar wird man dafür bestimmte Grunde haben, die wir hoffentlich noch näher in der Kommission hören werden. Allerdings scheint man auch darüber innerhalb der Sozialdemokratie nicht einig zu sein, denn ein Artikel des Abgeordneten Heine in der „Neuen Gesellschaft" steht der Materie nicht so kühl gegenüber wie das„Correspondenzblatt". Der Entwurf stellt kein Ausnahme- gesetz dar, sondern bringt im Gegenteil die Beseitigung des bisher bestehenden Ausnahmezustandes, der in einen Rechtszustand ver- wandelt werden soll. Die Regierung hat prinzipiell den Arbeitern das Recht der Vereinigung in Berufsvereinen zuerkannt, und sie hat deshalb auch die Pflicht, den Vereinen die Rechtsfähigkeit zu geben, Es ist nicht zu leugnen, daß der Entwurf den Berufsvereinen manche Vorteile bringt, namentlich in ihrer öffentlichrechtlichen und privat- rechtlichen Stellung, indem er z. B. manche einzelstaatliche Bestimmung über das Vereins- und Versammlungsrecht beseitigt. Auszusetzen ist an dem Entwurf vor allem, daß die landwirt - schaftlichen Arbeiter nicht in das Gesetz einbezogen worden find. Mit den Abschriften der Mitgliederliste kann Mißbrauch getrieben werden; aber nicht nur von den Unternehmern, sondern auch von den sozial- demokratischen Vertreten: können sie zur Gesinnungsschnüffelei gegen- über Angehörigen der christlichen Gewerkschaften benutzt werden.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Das bedenklichste an dem Gesetzentwurf ist, daß er der BcrwaltungSbehörde zu viel Spielraum läßt bei der Handhabung der einzelnen Bestimmungen. Ich hoffe, eS wird in der Kommission in emster Arbeit gelingen, die Bedenken gegen das Gesetz zu beseitigen,(Bravo ! rechts.) Hierauf vertagte das Haus die Weiterberatung auf Montag 3 Uhr. Schluß VU Uhr._ Die russische Revolution. Der Zarismus marschiert— H e l s i n g f o r s, 21. November. (Eig. Der.) Schon längere Zeit hieß es, daß die Petersburger Regienmg an dem Plane arbeite, den sich in Finnland aufhaltenden politischen russischen Flüchtlingen ihr weiteres Verweilen dort unmöglich zu machen. Zu diesem Zweck hatte man schon mehr als einmal einen Druck auf die finnischen Staatsbehörden auszuüben versucht, die man veranlassen wollte, gegen die gehetzten Opfer des Zarismus mit Ver- hastungen und Auslieferungen vorzugehen. Bisher war es aber dem finnländischen Senat— der Zentralbehörde des Landes— gelungen. solche Anmaßungen der mssischen Henker zurückzuweisen, so daß die Gehetzten und Verfolgten, denen es gelang, das Territorium Finnland zu erreichen, dort vorübergehend Unterkunst fanden. Die meisten zogen es vor, bei der nächsten Gelegenheit ein sicheres Asyl zu suchen, und sie gingen weiter ins Ausland; denn man zweifelte nicht, daß die Herren vom Ministerium des Innern und vom Polizeidepartement eines TageS auch in Finnland ihre Macht zeigen würden. Nun ist es soweit gekommen? Bereits vorige Woche wurden Gerüchte über besondere Maßnahmen der mssischen Regiemng in Finnland laut, die ihre Bekräftigung in der Anberaumung geheimer Sitzungen des Senats unter dem Vorsitze des General- gouvemeurS von Finnland fanden. Mitte der Woche war der General- Gouverneur nach Petersburg berufen worden, wo dann bei Stolypin die betreffenden Polizeimaßnahmen festgelegt wurden, die— wie es allgemein heißt— auch die volle Zustimmung des Zaren erhalten haben. Jetzt sind sie nach den Verhandlungen im hiesigen Senat in Form eines Rundschreibens an die Gouverneure von Finnland amtlich bekannt gegeben worden. Ihr Inhalt ist wesentlich dex folgende: Den Gouverneuren wird vorgeschrieben, Flüchtlinge anS Rußland auf schriftliche oder telegraphische Aufforderung einer mssischen Behörde hin zu verhasten und auszuliefern und zwar sofort! Ist der Verhafttmgsgrund nicht angegeben, so muß eine provisorische Inhaftnahme ausgeführt werden, die auf 30 Tage ausgedehnt wird, in welcher Zeit seitens der mssischen Behörden nähere die Haft begründende Angaben gegeben werden müssen; sonst erfolgt die Haftentlassung. Die Haussuchungen werden von der örtlichen Polizei ausgeführt, doch haben die russischen Behörden fortan das Recht, bei diesen Haussuchungen durch ihre Vertteter— Gendarmen in Uniform oder Polizisten in Zivil— anwesend zu sein; sie können sich in die Haussuchung auch durch Fragestellung und Anordnungen einmischen. Als„juridische Grundlage' zu dieser Senatsverfügung soll«ine Gesetzesbestimmung vom Fahre— 1836 dienen, deren Auslegung im obigen Sinne aber von der ganzen Presse und von ange- scheuen finnischen Juristen verworfen wird. Allgemein ist die Auffassung, daß diesmal der Senat nicht genug politische Klugheit und Maunesmut gehabt hat, den Drohungen der Petersburger Sattapen gebührend entgegen zu treten. Das wird diese nun natürlich zu weiteren Schritten in der eingeschlagenen Richtung aufmuntern, deren Resultat ein Wiederaufleben der alten Bobrikowschen Politik sein kann. Jeden Augenblick werden hier die ersten Aktionen des russischen Polizeidepartemcnts auf der neu geschaffenen Grundlage erwartet, Aktionen, die zeigen werden, wie weit man zu gehen gedenkt. Es werden die verschiedensten Mut- maßungen aufgestellt, und die allgemeine Stimmung ist ziemlich erregt. Besonders macht bei den finnischen Staatsbürgern böses Blut die Bestimmung über die Zulassung der unbegründeten pro« visorischen Arretierung, auf Grund deren die mssischen Polizeibehörden in Finnland vollständig freie Hand erhalten. Man zweifelt nicht, daß diese niemals in Verlegenheit sein lverden bei der nachträglichen Ausfindigmachung eines Delikts, da ja heute schon in Rußland fast jeder Schutzmann Gesetzgeber ist und der russische Bürger unter einem Willkürregiment der schlimmsten Art lebt. Werden doch unter Umständen selbst geringfügige Preßvergehen mit der Todesstrafe geahndet I Durch die neue Bestimmimg sind jedenfalls auch die weiteren Kongresse der Kadettenpartei oder Sitzungen eines Rumpfparlaments einer zweiten aufgelösten Duma in Finnland unmöglich gemacht, und auch diesen Zweck mag der biedere Stolypin nicht in letzter Linie im Äuge gehabt haben.— Die schwarze» Hunderte der polnischen Konterrevolution. Warschau . 19. November.(Eig. Ber.) Die polnische„Nationaldemokratie", die Führerin der pol- nischen Kontrerevolution, bewirbt sich um die Gunst der Arbeiter. Sie gründete einen„Nationalen Arbeiterbund", der nicht nur allen polnischen Unternehmern Streikbrecherdienste leistet, sondern auch für die ganze polnische Bourgeoisie dieselbe Bedeutung hat wie die schwarzen Hunderte für die zarische Regierung. Wenn die Wellen der Revolution hochschlagen, verschwindet der„Nationale Arbeiter- bund" ganz. Wenn aber die Reaktion auf einen Augenblick die Oberhand gewinnt, schleichen die Banditen des«Nationalen Ar« beiterbundes" aus ihrer Finsternis hervor. Früher wagten sie nur Attentate auf Personen aus dev sozialistischen Intelligenz, jetzt werfen sie sich auch auf die sozia- listischen Arbeiter. In Warschau selber sitzen sie still, da sie in der Hauptstadt Polens fast gar keine Anhänger haben. In Lodz aber« wo noch große Mafien indifferenter, vom Dorfe stammender Ar- beiter existieren, haben die..Nationaldemokraten" einen gewissen Einfluß. Diesen mißbrauchen sie zur Hetze gegen die Sozial« demokraten. Vor einigen Monaten gab der Führer der„Nationaldemo- kratie", Roman Dmowski , im„Dzwon polSki" die Losung aus: Die Sozialdemokraten sind nicht Mitglieder der Gesellschaft! Dieser Losung folgte in Lodz der„Nationale Arbeiterbund": In den Fabriken, in denen die Nationaldemokraten Einfluß auf die Ar« beitermassen hatten, wurden die sozialistischen Arbeiter aus der Arbeit geworfen. Da wir aber in der enormen Mehrheit der Fabriken die Oberhand haben, so flogen augenblicklich in einer Anzahl von Betrieben die„Nationaldemokraten" aufs Pflaster. Es begann ein erbitterter Kampf, in welchem auf beiden Seiten Tote auf der Stelle blieben! Um dem Kampfe ein Ende zu machen, fand eine Konferenz statt, an der Delegierte der Sozialdemokratie(S. D.), der pol- nischen sozialistischen Partei(P. P. S.) und vom„Nationalen Arbeitcrbund" teilnahmen. Es wurde beschlossen, daß alle Ar- beiter, die wegen ihrer Ueberzeugung aus der Arbeit geworfen waren, in die Fabriken zurückkehren. Wir ließen der Ueberein« kunst gemäß die„nationalen" Arbeiter zur Arbeit zu, die„National- demokraten" aber wollte in die Fabrik von Birnbaum unsere Arbeiter nicht wieder hineinlassen! Gleichzeitig verteilten sie Re» volver und ließen Banditen geaen uns los. ES sollte den Arbeitern gezeigt werden, daß die— Sozialisten ohne Mord nicht leben können! Es blieben wieder Tote auf der Strecke. Endlich hielten die Arbeiter der Fabrik von Grohmann einen Meuchelmörder fest, der verriet, daß er einen Browning und 5 Rubel vom„Natio- nalen Arbeiterbund" bekommen hatte mit dem Befehl, Sozialisten zu überfallen! Der Hauptvorstand der Sozialdemo. kratie erließ einen Aufruf, in dem er die Arbeiter auffordert, die nationaldemokratischcn Meuchelmörder zu entwaffnen.„Wir fordern Euch auf", so heißt es in der Proklamation,.den„natio- nalen" Arbeitern die Bruderhand zu reichen; denn sie sind Eure unwissenden Brüder; sie müssen aufgeklärt werden, sie müssen aus die Seite der Revolution und des Sozialismus übertreten. Die Verbrecher aber von der„Nationaloemokratie" wie auch die Banditen aus den schwarzen Hu:�rrten des nationalen Ar- beiterbundes, welche abscheuliche Morde begehen, um den gegen- seftigen Haß zwischen den Arbcitern zu entfachen, diese Verbrecher müßt ihr verfolgen wie Zaren-Diener und Schergen." Der polnische Nationalismus hat in zwei Jahrzehnten eine schöne Entwickelung durchgemacht: Er begann im Jahre 1886 mit der Losung:„Unabhängiges Polen für das polnische arbeitende Volk!"— und er segelt im Jahre 1906 unter dem Banner: Ar- beitermord im Interesse der polnischen Bourgeoisie und des Zaris- mus!— Die Kundgebung für �en obligatorischen Schulunterricht. Brüssel. 19. November.(Eig. Ber.) Studenten und Lehrer, Arbeiter und Bürger, Sozialisten und Liberale, Vlämcn und Wallonen haben gestcr:!. dem Rufe der Unterrichtsliga folgend, in Brüssel für die Einführung des obliga- torischen SckmlunterrichtL demonstriert. Nur der Klerikalismus. der üppige Nutznießer des Analphabetismus und der Unwissenheit, war ferngeblieben.... Dennoch wird man sagen müssen: Diese gewalttge Manifestation, die alle Erwartungen übertraf, drückte den/ Gesamtwillen der Nation aus. Das Volk will diese Reform! Auf Hunderten von Tafeln war gestern in allen Variationen der Ruf zu lesen: Das Volk braucht den Unterricht! Ter Staat muß die Eltern verpflichten, ihre Kinder in die Schule zu schicken! Die Regierung kann diesen Volkswillen nicht ignorieren: die Reform wird nicht mehr von der politischen Tagesordnung ver- schwinden. Wie der Bürgermeister von Brüssel am Sonntag in seiner kraftvollen Rede av die Deputation sagte: iKre Stund? Hä cefchlageni
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