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Die Fleischteuerung. Die M.-Gladbacher Handelskammer oeicylog in ibrer letzten Sitzung folgende Resolution dem Reichskanzler zu ubermitleln:Tie schon seit Monaten fortdauernd gestiegenen Fleischpreise haben je länger je mehr eine Höhe erreicht, die die notwendige gesunde Ernährung des deutschen Volkes in höchstem Maße gefährdet. Zur Beseitigung dieser sich auch im hiesigen In- dustriebezirke fühlbar machenden unhaltbaren Verhältnisse fordert die Handelskammer von der Regierung dringend Abhülfsmatzregeln, und zwar sowohl durch vorübergehende Aufhebung der Eingangszölle auf Vieh und Fleisch, wie durch schleunige Oeffnung der Grenzen für lebendes Schlachtvieh, unter Aufreckterhaltung der notwendigen Veterinären Kontrollen, wie durch Erleichterung der Fleischeinfuhr, unter vorübergehender Aufhebung aller sanitär nicht unbedingt ge- botenen Erschwerungsmaßregeln, wobei vor allem der e r l e i ch- terte Bezug des billigen gefrorenen Rind- und Hammelfleisches aus Australien   und Neusee- I a n d. das in England einen wichtigen Teil der Fleischnahrung bildet, ins Auge zu fasien ist." Die städtische Verwaltung in Düsseldorf   hat die Schlachtgebühren für Schweine von 2 M. auf 1,70 M. er­mäßigt. Einen städtischen Fischmarkt richtete die Stadtverwal» tung in Krefeld   ein._ Die Protestbewegung gegen den Lcbensmittelwucher. In NordfrieSland   und Eiderstedt, jenen Bezirken der Provinz Schleswig-Holstein  . die die stärkste F e t t v> e h- Produktion aufweisen. fanden dieser Tage eine Reihe V e r- fammlungen statt, die der Meinung der Konsumenten Ausdruck gaben. In allen sehr gut besuchten Versammlungen wurde die vom Parteivorstande empfohlene Protestresolution einstimmig an- genommen. Versammlungen fanden statt in Husum  , Tönning  . Friedrich st adt, Olversum. Westerland  a. Sylt und Bredsted. In Olversum, einem Dorfe bei Tönning  , hat die Versamnilnng noch das Resultat gehabt, daß sich genügend Genosse» zum Beitritt in einen sozialdemokratischen Ortsverein meldeten, dessen Gründung nächstens erfolgen wird. Bürgerlicher Wahlkuddelmuddrl. In Essen   finden demnächst die Stadwerordnetenwahlen statt. Die Viclgestaltigkeit der Wahlbündnisse in den verschiedenen Teilen der Stadt ist bezeichnend für die Grundsatz- und Charakterlosigkeit der bürgerlichen Parteien. So ist in der Altstadt Essen ein Bündnis zwischen den Liberalen, der Bürgerpartei und dem Zentrum zustande gekoinmen; in Altendorf   stehen sich Zentrum und Liberale ini Wahl- kainps gegenüber, ebenso in Rückenscheid, wo sich außerdem noch eine Bürgerpartei gebildet hat. In Essen-West gehen die Nationallibe- ralen mit dem christlichsozialen Verein als.evangelische Volks- Vereinigung" zusammen. Das gibt einen Vorgeschmack der Er- scheinungen, die der nächste Reichstagswahlkampf bringen wird. Wohlerzogene ArbeiterauSschüfle. Die Kölner   Vereinigung für rechts- und staatswissenschaftliche Fortbildung hat dieser Tage eine Studienfahrt nach der rheinischen Spinner- und Weberstadt M.- Gladbach gemacht und dabei auch der Fabrik des Herrn Brandts, des Vorsitzenden des katholischen Voltsvereins,«inen Besuch abgestattet. Die.Kölnische Zeitung  " bringt einen ausführlichen Bericht darüber, worin die veränderten Produktionöbedingungen geschildert werden, unter denen heute der Arbeiter der Textilindustrie zu schaffen hat. Mit der alten Ge- mächlichkeit sei es vorbei, wie mit der Poesie des Spinnrades und der Webelade; nur das eine sei möglich und nötig, den Menschen auch unter den geänderten Werhältnißen das Leben noch lebenswert zu machen; ihn fühlend zu erhalten inmitten der fühllosen giganti- schcn Uinwelt; er solle sich mehr dünken, als ein Rad in diesem Mechanismus, das man beliebig«insetze und herausnehme. Dann heißt es: .ES ist verständlich, daß der Herr des HauseS auch crr im Hause zu bleiben wünscht. Aber seit wir .-Gladbach gesehen und die Konstitution im Betriebe des Herrn Brandts, seitdem möchten wir wohl die Frag« auswerfen, ob nicht dieser Gedanke doch den Kern zu größerem Frieden und ersprieß- licherem Wirken in sich birgt. Für beide Teile! Die Protokolle des Brandtschen Arbeiterausschusses sind Dokumente. Namentlich der letzte Eintrag in dieses merkwürdige Buch spricht Bände, denn wo wäre es je zu erleben, daß der Fabrikherr eine Fleischteuerungszulage anbietet, der Ar- beiterauSschußabervon demAngebotnur einen Teil annimmt! Ode-r daß der Unternohmer die Arbeitszeit nur unter dem Widerstreben seiner Leute von 10 auf 9'ch Stunden herabzusetzen ver- mag, bei steigenden Löhnen, also ohne Furcht der Arbeiter vor einem Ausfall an Verdienst." Bis zu welchem Grade von Eunuchenhaftigkeit muß die christ- liche Sozialpolitik des Herrn Brandts die Arbeiter herabgewürdigt haben, daß sie demHerrn im Hause" zuliebe sich gegen eine Ver- befferung ihrer Lage sträuben! Man begreift es, daß das rheinische Kapitalistenblatt Neid und Sehnsucht empfindet gegenüber einer Sozialpolitik", die sich so vortrefflich versteht auf die Dressur von Knechtscelen!_ Ter Jahresbericht der Landwirtschaftskammer für die Provinz Ostpreußen   für die Zeit vom 1. April 190S bis zum 31. März 1900 ist erschienen. Er enthält mancherlei interessante Angaben. So berichtet die Landwirtschaftskammer von dem Steigen der Bodenpreisc, wobei hervorgehoben wird, daß auch die neuen Handelsverträge nicht ohne Einfluß auf die höheren Bodenpreisc gewesen sind. Man muß berücksich- tigen, daß in dem Berichtsjahre die neuen Handelsverträge noch gar nicht in Kraft getreten waren. Um wieviel mehr steigen also jetzt die Bodenpreise, wo die Agrarier im Gelde scheffeln! Im vorigen Jahre schon sind in manchen Gegenden Preise bis zu 400 Mk. pro Morgen erzielt worden. Gleichzeitig sind die Pachtpreise gestiegen. Ein Besitzer verpachtete seine Wirtschaft mit 12Mk.pro Morgen exklusive In- v e n t a r. All diese Pächter und Käufer werden bald von einer Not der Landwirtschaft" reden und höhere Zölle verlangen. Wie vorzüglich die O st m a r k e n p o l i t i k in Ostelbien flonert, wird durch die Mitteilung illustriert, daß in den südlichen Kreisen viele kleinere Besitzungen in die Hände von Polen  übergegangen sind! Der Bericht sagt dann, daß die P r e i s e für Zucht-, Milch. und Mastvieh recht gut waren und stellt naiverweise fest, daß in Ostpreußen   von einem Viehmangel keine Rede sein konnte. Als ob schon jemand Ostpreußen   für eine v i e h a r m e Provinz erklärt hat. Gewiß, in Ostpreußen   gibt es viel Vieh, aber es bleibt nicht in der Provinz, sondern geht nach dem Westen, so daß in Ostpreußen   genau dieselben teueren Preise vorhanden sind, wie anderwärts. Ja, selbst in den kleinen Städten sind die Preise für Fleisch sehr hoch. Der Bericht muß zugeben, daß ein Mangel an Schweinen bestand, er schiebt aber als Ursache die schlechte Futterernte im Jahre 1904 vor. Und nun kommt das Eingc- ständnis, daß trotz der Absperrungsmaßrcgeln in den ostpreutzischen Ställen die Schweineseuche furchtbar gehaust hat. Es heißt wört  - lich in dem Bericht: Wesentlich aber wirkte auch der Umstand mit ein, daß viele größere Güter die Schweinezucht bezw. Schweinehaltung zeitweise ganz auf- geben mutzten, weil si« anders die Schweineseuchen in ihren Beständen nicht tilgen kannten. Wir meinen, das ist deutlich. Während man immer schreit, die Ställe im Auslande sind ver- feucht, muß man im Jnlande die Zucht gänzlich einstellen, um mit der inländischen Seuche aufräumen zu können. lieber die.. Ärbeitervcrhaltnisse" äußert sich der Bericht selbstverständlich ungünstig. So stellt er fest, daß sich der Mangel an e i n h e i m i s che n, insbesondere an unverheira» t e t e n ländlichen Arbeitskräften für die ostpreußischen Land- Wirte noch immer in der unangenehm st en Weise fühl» bar macht. ES sind natürlich wieder viele ausländische Ar- bester geholt worden. So hat die Landwirtschaftskammer, deren nationale" Betätigung zum größten Teil in der Vermittelung ausländischer� Landarbeiter besteht, im Jahre 1900 insgesamt 3639 Ausländer an die ostpreutzischen Agrarier vermittelt. Diese Leute setzen sich zusammen aus 1377 Polen   von der schle- fischen Grenze, 994 Polen   von der ostpreutzischen Grenze, 881 Ga- lizier, 232 Südungarn und 155 Ruthenen. Außerdem sind auch eine Menge Privatagenten in der Besorgung von aus- ländischen Arbeitern tätig gewesen. Man kann sich also vorstellen, welche riesige Zahl von Ausländern alljährlich nach Ostelbien geht. Geklagt wird auch über eine Vermehrung der Kontraktbruchsälle. Man wirft den Schachtmeisteui. Aufsehern von Wege- und Kanal- bauten vor, daß sie den Agrariern durch höhere Löhne die Arbeiter fortlocken. Dabei ist der Tagelohn, der den Arbeitern in Ost- Preußen bei den öffentlichen Bauten gezahlt wird, sehr niedrig. Ein Lohn von 2,89 bis 3,50 Mi. pro Tag wird als sehr hoch angesehen. Weiter wird aber den Arbeitern vorgeworfen, daß sie aus dem Mangel an Arbeiterangebot für sich nach Möglichkeit Vorteil zu ziehen suchen, indem sie entweder Lohnerhöhung ver- langen(welche Frechheit!) und einfach fortgehen, falls ihre Forderung nicht erfüllt wird, oder auch bereits auf das bloße Ge- rücht von einer besseren Arbeitsstelle ihrer bisherigen bei Nacht und Nebel den Rücken kehren. Es heißt natürlich, daßordentliche und solide Leute" so etwas nicht tun." Demnach ist also das Fordern von mehr Lohn und das Verlassen der Arbeitsstelle, falls die Forderung nicht erfüllt wird, unordentlich und unsolide. Dabei sind es gerade die Agrarier, die jetzt aus dem Mangel an Vieh vorzüglich Kapital zu schlagen verstehen. Ja, sie haben diesen Mangel erst künstlich herbeigeführt, um das Volt desto mehr aus- beuten zu können! Das ist aber nichtunordentlich und unsolide", sondern das ist bloßSchutz der nationalen Arbeit". Aber wenn Arbeiter ihre einzige Ware Arbeitskraft zu besseren Marktpreisen zu verkaufen suchen, dann ist das verwerflich, weil es die Interessen der nimmersatten Agrarier schädigt. Uebrigens hieß es früher immer und vor den Reichstagswahlen wurde es von den Konservativen in allen Krugstuben verkündet, daß, wenn der Landwirt höhere Zölle bekommen wird, er seinem Arbeiter auch höhere Löhne geben kann. Heute heimsen die Agrarier Riesengewinne ein, aber an die Arbeiter denken sie nicht; die müssen sich bei Rächt und Nebel auf und davon machen, wenn sie nicht auf den ostpreutzischen Gutshöfen darben wollen. AuS dem oberschlesischen Jndustriebezirk wird uns geschrieben: Weder von der nationalen noch von der gewerkschaftlichen Bewegung kann aus unserem dicht am russischen Revolutionsherd gelegenen Bezirk gegenwärtig nennenswertes berichtet werden. Hier und da wird der Versuch gemacht, dem Beispiele der polnischen Bevölkerung Posens   zu folgen und die Kinder beim Religionsunterricht in deutscher Sprachestreiken" zu lassen. So haben in den letzten Tagen in zwei dicht an der russisch  -polnischen Grenze gelegenen Jndustriedörfern, Kostow und Borzezinka, etwa 40 Schüler gestreikt. Die Polizei hat ganz nach dem Muster ihrer jenseits der Grenze hausenden russischen Kollegin einen in Kostow wohnenden, als ..Polenagitator" bekannten Kaufmann verhaftet und in das Mvslowitzer Gerichtsgefängnis bringen lassen, unter der Beschuldigung, er habe die Kinder zum Streiken auf- gehetzt. Wie man, selbst wenn das wahr sein sollte, den Mann gleich einem schweren Verbrecher behandeln kann, begreift der bc- schränkte Untertanenverstand natürlich nicht. Aber in Ober- schlesien macht man das so. Ueber einzelne Versuche kommt jedoch in Oberschlesien   der Schultinderstreik, die neueste Phase im Kampfe der Polen   um ihr Recht, nicht hinaus. Daraus darf aber noch nicht geschlossen werden, daß hier die Stimmung der polnisch sprechenden Be- völkerung eine andere, bessere sei, wie in der Provinz Posen  . Auch hier würde dieser Schulstreik ganz gewaltige Ausdehnung gewinnen, wenn nicht die große Mehrheit des oberschlesischen Volkes, die groß- industrielle Arbeiterschaft, unter einem ganz anderen Wirtschaft- lichen Druck stände, wie die kleinbäuerliche und bürgerliche Be- völkerung der Provinz Posen  . Das Solidaritätsgefühl des ober- schlesischen Proletariers ist noch ganz unentwickelt und er hat keinen Begriff von der Macht, die er, vereinigt mit seinen Klasiengenossen, gegenüber seinen Unterdrückern ausüben könnte. Er läßt sich knechten, oft wie einen Hund behandeln, heimlich grollend zwar und in Einzelfällen in unüberlegte rohe Gegenwehr verfallend, aber im ganzen doch geduldig, ja oft kriechend unterwürfig. Das gibt verblendeten Hakatistcn in Oberschlesien   oft Veranlassung, triumphierend auf die im Grunde doch loyale Gesinnung der ober- schlesischen Arbeiter hinzuweisen. Es gibt keine ärgere Selbsttäuschung! Noch ist der oberschlesische Arbeiter ruhig und hält sich, außer bei den Reichstagswahlen, wo er einen radikal- polnischen oder sozialdemokratischen Stimmzettel abgibt, von aller Opposition gegen die Herren fern, trotz seiner starken Unzufrieden- hcit. Dahin wirkt auch der Einfluß der Frauen, der bei der Berg- arbeiterschaft ganz allgemein, nicht nur in Oberschlcsien, sehr groß ist, denn diese leiden unter etwa erzwungener Arbeitslosigkeit der Männer in erster Reihe und wollen deshalb von irgend einer Opposition gegen die Herren nichts wissen. Auch die Geistlichkeit, die in Oberschlesien   übrigens nur zum kleinen Teile polnisch gesinnt ist, wirkt in diesem Sinne auf die Fruacn ein, und das ist für diese von besonderer Bedeutung. So kommt es denn, daß bisher auch alle Bemühungen, die oberschlesischen Gruben- und Hüttenarbeiter gewerkschaftlich zu organisieren, von sehr geringem Erfolg waren, mochten die An- strengungen kommen von welcher Seite sie wollten. Seit Jahren bemühen sich der Bergarbeiterverband ebenso wie die Hirsch-Duncker- schen und die christlichen Gewerkvereine vergeblich, die träge Masse in Bewegung zu bringen. Und auch Korfanth, der alsnationaler Vorkämpfer" der polnischen Arbeiterbevölkerung außerordentlich großen Einfluß auf diese hat, ist mit seinen seit zwei Jahren fort- gesetzten Bemühungen, eine rein polnische Gewerkschaft zu schaffen, bisher fast erfolglos geblieben. Aber so kann und wird es nicht bleiben. Ist bisher nur die Oberfläche der gewaltigen Schicht ober- schlefischer Proletarier in Bewegung geraten, so sprechen manche Zeichen doch dafür, daß diese Bewegung sich allmählich mehr der Tiefe mitteilt. Dazu dürfte auch eine Konferenz beitragen, die am letzten Sonntag im Kattowitzer Gewerkschaftslokal tagte und sich mit der gegenwärtigen Lohnbewegung der Bergarbeiter be- schäftigte. Diese Konferenz wird nun deshalb für die ober- schlesische Arbeiterbewegung von großer Bedeutung werden können, weil an ihr neben Vertrauensleuten des alten Bergarbeiter- Verbandes und des Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereins zum ersten Male auch Vertrauensleute der Korfanty-Napieralskischcn Organi- sation, des Bcuthener Arbeitervereins zur christlichen Hülfe teil- nahmen. Die Verhandlungen, denen solche zwischen den drei Vor- ständen vorausgingen, nahmen einen durchaus friedlichen Verlauf und führten zu einer Einigung betreffend die gegenüber dem Grubenkapital einzuleitenden Schritte. Schon die Tatsache, daß die sich bisher bitter bekämpfenden drei Organisationen sich hier zu einer gemeinsamen Aktion zusammentaten, läßt, abgesehen von dem fraglichen Erfolg, die Hoffnung zu. daß nunmehr der Organi. sationsgedanke auch in Oberschlesien   weitere Fortschritte inachen wird. Die Grubcnherren sind denn auch durchaus nicht so ver» trauensselig, wie manche überspannte Ostmn rken-.Politiker". Sie trauen ihrenHänden" längst nicht mehr über den Weg und ver- folgen die gewerffchaftlich organisierten Arbeiter mit rücksichtsloser Härte. Auch die gegenwärtig herrschende große Arbeiternot hindert sie nicht, organisierteräudige Schafe" auszumerzen; sie nehmen lieber diesen Schaden auf sich, als daß sie gegenüber den gesähr- lichen Arbeiterorganisationen die Zügel locker ließen. Hat der Organisationsgedanke einmal größere Scharen Slrbeiter erfaßt, dann wird die Brutalität der Herren natürlich doch ohnmächtig werden. Dieser Zeitpunkt ist gewiß nicht mehr fern, dafür sorgt neben der sozialdemokratischen auch die radikal-polnische Agitation, die den Arbeiter auch gegen den Willen der Führer zum Klassen» bewußtsein bringt. Ilnd ist diese Wendung einmal eingetreten, dann wird der oberschlesische Jndustriebezirk der Welt noch manche Uebcrraschung bereiten, nicht nur in nationalen, sondern auch in gewerkschaftlichen und politischen Fragen. Die größte und Pein- lichste Ucberraschung werden dann eines Tages gar die polnischen Führer erleben, die beute noch Hahn im Korbe der oberschlesischen Arbeiter sind. HudUnd* Oesterreich. Trieft, 24. November. Die vollstSndigr Trennimg von Kommun und Kirche beschloß der Stadtrat nnt 22 gegen 21 Stimmen be zwei Stinnueneiithaltungen. Sämtliche Posten des KultuSbudgct» sind gestrichen oder herabgesetzt worden. Schweiz  . Tie Trennung der Kirche vom Staate wird nunmehr auch im Kantow Schaffhauscn erörtert. Eine Versammlung von Liberalen in der Stadt Schaffhausen   stimmte einmütig folgender Resolution zu:Tie zuständigen Behörden des Kantons Schaffhausen werden ersucht, beförderlichst dahin zu wirken, daß eine reinlichere Aus- scheidung der staatlichen und kirchlichen Verhältnisse unseres Kan- tons bald zur Tat wird." Frankreich  . Die Eidesformel. Paris  , 25. November.<B. H.  ) Der Justizminister hat einen Gesetzentwurf vorbereitet, dahingehend, die bisherige Eidesformel abzuändern. In Zukunft soll diese Formel keinerlei religiöse Wendungen mehr enthalten. Wir berichteten kürzlich, daß Spanien   die unkonfessio- nelle Eidesformel einführt. Frankreich   wird folgen, andere Staaten werden nicht zurückbleiben außer Deutschland  , dessen Regierung ihren Stolz darin setzt, dem Krähwinkler Landsturm Konkürrenz zu machen. Amerika. Der Wahlerfolg in Milwankee, durch den fünf Mit- glicder der Legislatur auf unsere Partei entfallen, hat eine überraschende Tatsache gezeitigt, die für die Genossen drüben eine bittere Lehre enthält. Für das wichtige Amt des öffent- lichen Anklägers war Genosse Thiel aufgestellt, und schon er- klärte man ihn für gewählt, als sich zeigte, daß von den 17 000 sozialdemokratischen Stimmen, die andere Kandi- daten erhielten, gerade bei dem Genossen Thiel 1500 Stimmen fehlten, die demNeform"kandidaten der gegnerischen Partei zum Siege verhalfen! Nur 160 Stimmen mehr und Thiel wäre gewählt gewesen! Das Motiv der 1500Abtrünnigen" lag darin, daß sie den Republikaner  , der als dritter Kandidat aufgestellt war, grimmig haßten und auf alle Fälle seine Niederlage herbeiführen wollten. In der Annahme, daß Thiel der schwächste Kandidat war, gaben sie demReformer" ihre Stimmen und mußten nachher zu ihrem Bedauern sehen, daß sie dadurch ihrem eigenen Genossen den Sieg geraubt hatten. Dieses Abwägen der Gewinnchancen und das Bestreben, dem besseren" Manne zum Siege zu verhelfen, raubt unserer Partei in Amerika   viele Stimmen. Mit der wachsenden Aus- ficht auf Erfolg wird die Stimmenzahl allmählich immer ge- waltiger anschwellen. Das zeigt sich im übrigen gerade in Milwankee wie im ganzen Staat Wisconsin  . DerAppeal to Reason" berechnet die sozialistische Stimmenzahl im Staat auf nahezu 40 000. Im Jahre 1904 waren es erst 23 220 gewesen._ GewcrfefchaftUche� Ein Bürgerrecht des Streikpostenstehens existiert nur in den Köpfen einiger Parteiführer." Senatspräsident Lindcnberg vom Kammergericht. Ein interessanter Streikpostenprozeß beschäftigte das Kammer'» gericht. Das Landgericht zu Frankfurt   a. O. hatte die Angeklagten Lindke, Czecior und Vogt, die als Streikposten polizeilichen Auf- forderungen, aus den von ihnen beobachteten Straßenteilcn Frank- furts sich zu entfernen, nicht ohne weiteres folgten, zu Geldstrafen verurteilt. Und zwar wegen Uebertretung der bekannten Vorschrift aller Stratzenpolizeiverordnungen, wonach bestraft wird, wer den zur Erhaltung der Sicherheit, Ordnung und Bequemlichkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen ergehenden polizeilichen Anord- nungen nicht Folge leistet. Das Landgericht führte u. a. aus: Die als Zeugen vernommenen Beamten hätten, weil die Ange- klagten Streikposten standen, die Angeklagten im Interesse der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs auf der Straße wcggewicsen. Die Erfahrung lehre, daß Streikposten häufig Arbeitswillige belästigten, und es sei anzunehmen, daß die Beamten dem und den damit ver» bundenen Störungen des Verkehrs vorbeugen wollten._ DaS sei entscheidend; gleichgültig wäre dagegen, ob hier eine Störung zu erwarten war. Die Angeklagten legten Revision ein, bestritten die Gültigkeit der Polizeiverordnung und betonten besonders, daß die Polizei- beamten gemäß einer Instruktion gehandelt hätten, die dahin ging, unter allen Umständen-die Streikposten zu entfernen. Die Anord- nungen seien lediglich getroffen worden, um das gesetzlich gewähr- leistete Recht des Streikpostenstehcns zu vernichten. Der Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft verlangte ebenfalls die Zurückweisung der Sache an die Vorinstanz. Der erste Strafsenat des Kammergerichts unter Vorsitz des Senatspräsidenten Lindenberg hob auch das Urteil auf und verwies die Sache mit folgender Begründung an das Landgericht zurück: Die Verordnung sei zweifellos gültig. Auch sei es irrig, wenn von einem Bürgerrecht des Streikpostenstehenö immer gesprochen werde. Davon stehe in keinem Gesetz etwaS. Ein solches Bürgerrecht deS Streikpostenstehens werde nur von einigen Parteiführern herausgelesen aus einem Urteil des Reichsgerichts, daß Polizeiverordnungen gegen Streikposten nicht erlassen werden könnten. Dasselbe Urteil sage indessen auch, daß es nicht entscheiden wolle, inwieweit Polizeiverord- nungen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen werden könnten, welche sich indirekt gegen das Streit­postenstehen richten. Im vorliegenden Falle müsse die Aufhebung des Urteils erfolgen, weil sein Wortlaut die Möglichkeit eines Rechtsirrtums erkennen lasse. Bei Anwendung einer solchen Ver- ordnung sei nach Ansicht des Gerichts maßgebend das individuelle Ermessen der Sicherheitsbeamten. Unbedenklich und richtig wäre es, wenn er sage:Hier in diesem Falle ist die Anwesenheit dieses Mannes auf dieser Straße ein Ereignis, das der öffentlichen Ordnung gefährlich ist: deswegen weise ich ihn von dieser Stratzcnstclle fort." Wenn der Beamte dagegen sage:Weil dieser Mann Streikposten ist und alle Streikposten Anlaß geben zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung, so entferne ich ihn," so sei das ein Sprung, der dem Polizeibeamten nicht erlaubt sei. ES wäre nicht rechtmäßig, wenn der Beamte auf Grund einer generellen Auffassung Streikposten wcgweise, ohne im individuellen Falle einen bc- sonderen Grund dafür anzunehmen. Da eS nach dem Urteil im vorliegenden Falle möglicherweise so gewesen sei. müsse das Landgericht die Sache nochmal nachprüfen. Die Streikposten«erden natürlich trotz des Herrn Senats- Präsidenten Lindenberg ihr Recht zum Strcilpostenstehen nicht aufgeben und an dem Dichterwort festhalten: