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#1.281. 23. Jahrgang. IJfiNt des Jütiüärts" Knlim WsM bouutag, 2. Dezemliel 1906. l<eickstag. III, Sitzung vom Sonnabend, den I. Dezember, vormittags 11 Uhr. Am BundeSratstische: Dernburg. v. Tschirschky. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Beratung der Nachtragsetats für Südwestafrika. Kolonialdirektor Dernburg: Gestatten Sie mir einige Er- gänzungen zu meinen gestrigen Ausführungen. Es ist aufgefallen, daß ich mich zu der Bemerkung des Abg. Erzberger bezüglich des Geheimrats Seitz nicht geäußert habe. Herr Erzberger sagte. Herr Sech habe hier eine objektiv unrichtige Darstellung der Motive gegeben, die zur Abschlietzung des Vertrages mit der Firma Tippcls- kirch gefuhrt haben. Er habe nämlich gesagt. Tippelskirch sei die einzige Firma in Deutschland , welche Khakistoffe fabriziere. Diese Anklage gegen Herrn Seitz ist nicht genau. Zch habe mich nach dem Sachverhalt erkundigt und folgendes festgestellt: Die Firma Tippelskirch hat sich bei der Firma Jordan u. Co. finanziell be- teiligt und hat sich dafür ausbcdungen. daß sie sämtliche Khakistoffe erster Klasse von der Firma allein beziehe, wogegen sie sich ver- pflichtet hat. alle Khakistoffe abzunehmen. Also fabriziert die Firma Tippelskirch allerdings nicht, war aber die alleinige Lieferantin. Danach ist an dem guten Glauben des Herrn Seitz nicht zu zweifeln. Ferner konnte meine Erklärung über die. sogenannten schwarzen Fonds" den Eindruck erwecken, als ob solch ein schwarzer Fonds wirklich existiere. Die Rechnungen sind mir vor etwa 3 Wochen eingereicht. Ich habe sie alsbald untersuchen lassen und gebe die Hoffnung nicht auf, daß sich noch eine andere Er- klärung wird finden lassen. Aber meine prinzipielle Er- klärung gegenschwarze Fonds" halte ich aufrecht. Schließlich bemerke ich zu den persönlichen Bemerkungen, daß ich in der Tat gesagt habe, ich habe Briefe geschrieben an Personen, welche Material haben oder Material zu haben vorgaben. Herr Ledebour hat mir leider dadurch, daß er mir sein Material nicht zur Verfügung stellte, festzustellen unmöglich gemacht, ob er wirkliches Material oder vorgebliches Material in Händen hat. Nicht alles, was imVorwärts" steht, ist Dokument und nicht alle Anschuldigungen sind amtliches Material. Abg. Bebel(Soz.): DasBerliner Tageblatt" bringt heute einen Leitartikel über die gestrige Sitzung mit der Ueberschrift:Erzberger Triumphator." Diese Ueberschrift ist falsch. Es muß nicht heißenErzberger Triumphator", sondern Dernburg Triumphator." Herr Erzberger hatte keine andere Rolle, als daß er an der Spitze der Korhbantenschar marschierte, die den neuen Kolonialdirektor mit Weihrauch, Rosen und Myrrhen begrüßte.(Große Heiterkeit.) Niemals ist es einem Beamten in diesem Reichstage leichter ge- worden, das Wort des Cäsar anzuwenden, als er über den König von Pontus gesiegt hatte:Veni, vidi, vici."(Ich kam, ich sah, ich siegte.') Dernburg kam, sah und siegte.(Heiterkeit.) Gestern hat Herr Erzberger gesucht, ihn in Rosen zu ersticken. Vorgestern meinte ich Herrn Dernburg in der bekannten Rolle des Ratten- fängers von Hameln zu sehen; denn sofort, wenn er seine Flöte ertönen ließ, erschallte auf der Rechten ein begeistertesBravo!" Ich will ihm wünschen, daß er nicht enttäuscht werde, ich will ihm wünschen, daß auf dasHosiannah!" nicht dasSteinige!" folgt. Ich gestehe ganz offen, daß ich in Herrn Dernburg nicht den Herkules sehen kann, als den man ihn hingestellt hat. Nach dem, was Herr Dernburg bisher geleistet hat, glaube ich nicht, daß er der Herkules ist, der den Augiasstall der Kolonialverwaltung säubern wird.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die erste Tat", mit der Herr Dernburg vor den Reichstag trat, waren die allmählich apokryph gewordenen Denkschriften. Wenn Herr Dern- bürg geglaubt hat, mit diesen Denkschriften ein Meisterstück zu machen, so steht fest, daß in der ganzen weiten deutschen Presse bei keiner Partei auch nur ein einziges Organ sich gefunden hat. das die von ihm aufgestellte Inventur als zutreffend anerkannt hat, mit Ausnahme derNorddeutschen Allgemeinen Zeitung", die verpflichtet ist, dem Kolonialdirektor das nötige weiße Papier zur Verfügung zu stellen, damit er sich gegen Angriffe verteidigen kann. Als diese Denkschriften an der Börse bekannt wurden Herr Dernburg ist ja an der Börse bekannt, er ist Fleisch von ihrem Fleisch und Bein von ihrem Bein(Große Heiterkeit.), da soll ein homerisches Gelächter erschallt sein, es sollen sogar Wetten darauf gemacht sein, ob er diese Inventur allein gemacht hat. ES hat sich bisher keiner gefunden, der diese Inventur als einiger- maßen akzeptabel anzunehmen bereit war.(Hört! hört! links.) Aber wenn auch die Mitteilungen des Kolonialdirektors lebhaften Beifall gefunden haben, dann meine ich, hätte Sie doch e i n Punkt am gestrigen Tage stutzig machen müssen. Das war die Statistik, die der Kolonialdirektor uns gestern glaubte zum Besten geben zu müssen über die Fälle von Bestrafungen wegen Vergehens von Beamten und Offizieren in den Kolonien. DaS ist ja eben die Klage, die in der Presse den lebhaftesten Ausdruck gefunden hat, daß eine ungeheure Zahl von Vergehen und Verbrechen in den Kolonien begangen worden ist, ohne daß sie die geringste Sühne gefunden haben.(Zustimmung links.) Wenn ich an der gestrigen Rede des Abg. Erzbcrgers eins bedauert habe, so ist es die Er- klärung, daß er einen guten Teil seines Anklagematerials, ohne es hier vor der Oeffentlichkeit mitzuteilen, dem Kolonialdirektor übergeben hat.(Lebhafte Zustimmung links.) Nachher wird dieses Material vielleicht in den Archiven der Kolonialverwaltung ver- schwinden.(Sehr richtig! links.) Das war doch gerade der Grund, weshalb mein Freund Ledebour es abgelehnt hat, sein Material dem Kolonialdirektor zur Verfügung zu stellen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die skandalöse Art, in der die Miß- stände bisher behandelt worden find und über die die ganze deutsche Presse sich geäußert hat, öffnete doch erst dem Kolonialdircktor die Tore, durch die er in das Kolonialamt einziehen konnte.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wir muhten das Miß- trauen haben, daß er sich jetzt bemüht, den Händen der Abgeord- neten das betreffende Material zu entwinden.(Lärm rechts.) Die Akten sollen offenbar in der Kolonialverwaltung in aller Stille untersucht werden und dann verschwinden; das ist eben das Bedenk- liche, und deshalb müssen wir Herrn Dernburg das allergrößte Mißtrauen entgegenbringen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.» Ich kann auch nicht einstiinmen in den lebhaften Dank, den verschiedene Redner des Hauses ihm dafür gezollt haben, daß er die Verträge mit Tippclskirch u. Co., mit Wörmann usw. als ungültig anzeigen konnte. Ist denn einer in diesem Hause, der glauben kann, daß ein neuer Kolonialdircktor ins Amt und vor den Reichstag hätte treten können, ohne daß er in der Lage gewesen iväre, die Erklärung zu bringen: Die Verträge mit Tippelskirch. Wörmann und tutti guanti existieren nicht mehr? Ist einer da. der das für möglich gehalten hat?(Sehr wahr! links.) Als im März dieses Jahres in langen Debatten über die Ver- träge mit Tippelskirch u. Cie. geredet wurde, als die Herren von der Kolonialverwaltung und von der rechten Seite dieses Hauses, insbesondere glaube ich Herr Arendt, alle Schwierigkeiten er- wähnten, die der Lösung dieses Vertrages entgegenstanden, habe ich bereits erklärt: Es kann gar nicht in Frage kommen, ob die formale Möglichkeit besteht, diesen Bertrag lösen zu können. Der Vertrag mnst gelöst werden. Nach der Kritik, die hier geübt worden ist an dem Inhalt des Vertrages. - nach den ungeheuren Verlusten, die dem Reich auf Grund dieses Vertrages erwachsen sind, muß die Firma den Vertrag freiwillig lösen, ob sie dazu verpflichtet ist oder nicht.(Sehr richtig? bei den Sozialdemo- traten.) Wenn damals der richtige Mann an der Spitze des Kolonialamtes gestanden hätte, so wäre er sofort nach den Debatten zu dem Inhaber der Firma gegangen, hätte ihm sozusagen an die Gurgel springen und ihm sagen müssen:Wenn Sic überhaupt noch einen Funken von Ehre im Leibe haben, müssen Sie den Ver- trag lösen!"(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Vertrag war ein Löwenvertrag zu Ungunsten des Reiches; genau so, wie jener Vertrag mit der Wörmann-Linie und dem berühmten Apotheker, der außer seinen Artikeln auch noch Hufeisen und Holz- kistcn zu Apothekerpreisen an das Reich verkauft. Der Firma war es um so leichter, sich jetzt noch wenigstens ein Stückchen Ehre zu retten, da sie doch ungeheure Profite auf Kosten des Reiches jahre­lang in die Taschen schob.(Sehr wahr! links.) Der Herr Kolonialdirektor wies darauf hin, daß die Handels- flotte der Wörmann-Linie repräsentiere! Da hätte er sich doch als geriebener Geldmann sagen müssen, daß, wenn die Firma in der Lage war, in wenigen Jahren eine so kolossale Summe in Schiffen anzulegen, daß sie das nur konnte auf Grund der un- geheuren Profite, die sie an den Geschäften mit dem Reiche machte. (Lebhafte Zustimmung links.) Das Unglück des Reiches war jedenfalls das Glück der Firmen Tippclskirch und Wörmann. (Sehr wahr! links.) Wenn man die Firmen fragte:Wünscht Ihr Euch zehn Jahre Frieden oder zehn Jahre Aufstand?" so hätten sie zweifellos geantwortetZehn Jahre Aufstand!" Das ist charakteristisch für unsere bürgerliche Gesellschaft, wo der Tod des einen das Brot für den anderen ist. Hier handelt es sich nicht um Brot, das verdient wurde, sondern um Austern und Champagner und ungeheure Vermögen dazu. Auch für eine große Anzahl anderer Leute in den Kolonien ist der Aufstand leider ein Glück bis auf den heutigen Tag gewesen. Ich habe in diesen Tagen den Brief eines Offiziers, der aus Südwestafrika zurückgekehrt ist, erhalten, der zu denen gehört, Herr Kolonialdirektor, welche kein Verlangen mehr tragen, nach Südwestafrika zurückzukehren! Er klagt in seinem Briefe aufs lebhafteste über die ungeheuren Lebensmittelpreise, die den Schutztruppen und Offizieren in den Kolonien abverlangt werden. Ein Sack Reis kostet 80 120 M. In Windhuk komint der Zentner Kartoffel auf 50 M., der Zentner Zucker auf 110 M., eine Flasche Bier je nach den Umständen auf 2,50 bis 10 M.(Hört! hört!), eine Schachtel Zigaretten 5 M. (Hört! hört! links.) Viele Leute, die sich für geschädigt angaben, haben ihre frühere Beschäftigung aufgegeben und verdienen jetzt als Restaurateure ungeheure Summen. Der Inhaber eines Re- staurants erzählt es jedem, der es hören will, daß er in kurzer Zeit 200 000 M. verdient hat.(Hört! hört! links.)Die ganze Kolonie lebt nur vom Reich," schreibt der Offizier weiter, ohne Eiscnbahnbau, ohne Hafenbau und vor allem ohne den Aufstand könnten sie nicht bestehen. Die Leute haben Angst davor, daß der Aufstand bald aufhören könnte und daß dann an Stelle des Ueberflusscs Mangel eintrete. Diese Mitteilungen decken sich mit dem, was Herr Erzberger auf Grund ähnlicher Mitteilungen dar- gelegt hat. Auf Grund der Verträge, die vom Reich abgeschlossen sind, mögen wir nicht in der Lage sein, von den ungeheuren Profiten dieser Firmen etwas für das Reich wieder heraus- zubekommen. Natürlich sind alle diese Herren, die sich auf Kosten des Reiches so ungeheuer bereichert haben, ausgezeichnete Patrioten und wahrscheinlich auch gute Christen. Ich bin nämlich auf Grund meiner Erfahrungen zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich, wenn ich jemand ganz besonders mit seinem Patriotismus prahlen höre, mir die Frage vorlege: Was hat er eigentlich auf Grund der herrschenden Zustände für Vorteile erlangt oder welche hofft er zu erlangen?(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Je größer seine Vorteile sind, desto entwickelter pflegt sein Patriotismus zu sein und sein Haß gegen die vatcrlandslosc Sozialdemokratie.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn es nun also nicht möglich ist, auf Grund der Verträge irgend etwas, was die Herren dem Reich genommen haben und zwar verstoßend gegen die guten Sitten; vielleicht ist das der Paragraph, von dem die Herren rechtlich zu fassen sind, und wir wollen darüber noch in der Budgetkommission weiter reden, für das Reich wiederzuerlangen, so bleibt doch die Frage, wie konnten sich Be- amte in der Reichsvcrwaltung finden, die derartige Verträge ab- geschlossen haben? Herr Dernburg hat heute zum zweiten Male gezeigt, wie schnell er sich gewandelt hat. Er ist von vornherein überzeugt, daß Herr Geheimrat Seitz in erster Linie bei den Ver- trägen in bestem Glauben gehandelt hat. Unseren Beamten wird es ja immer sehr leicht gemacht; sie haben immer denguten Glauben".(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Das ist sogar Herrn Peters im Falle der Ermordung zweier Neger zugute gekommen. Wenn wir Sozialdemokraten ein Gesetz verletzt haben, dann können wir Stein und Bein schwören, daß wir das Gesetz nicht gekannt haben. Uns glaubt niemand, wir haben immer den bösen Willen gehabt, das Gesetz immer mit Absicht übertreten und werden immer bestraft. Handelt eS sich aber um einen Be- amten, so wird ihm, je höher er steht, um so eher stets dergute Glaube" zugesprochen; trotz seiner Examina und seiner Studien wird er unmündiger als das kleinste Kind hingestellt(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten), er hat denguten Glauben" stets, und es kann ihm sogar passieren, daß er für die Unruhe und die Schmerzen, die ihm die Sache bereitet hat, noch belohnt und die Treppe hinauf geworfen wird.(Lebhafte Zu stimmung bei den Sozialdemokraten.). Aber so leicht gehen wir nicht darüber hinweg, daß das Deutsche Reich um Dutzende, bielleicht gar um Hunderte von Millionen in diesen Verträgen geschädigt, ich sage betrogen worden ist.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Es ist ganz undenkbar, daß unter der ganzen Schar von Beamten der Kolonialabtcilung nicht ein einziger einmal auf den Gedanken gekommen sein soll, ob denn die angesetzten Preise in der Tat mit den gelieferten Waren in Einklang zu bringen sind. Würde ein Privat beamter so handeln wie hier die Reichsbeamten, so hätte ihn der Firmeninhabcr längst zur Tür hinausgeworfen, und er müßte froh fein- wenn er nicht noch einen Prozeß wegen Ge- schäftsschädigung an den Hals bekommen hätte. Reichsbeamte aber haben alle immer im guten Glauben gehandelt. Ich schlage vor, als symbolisches Zeichen der Reinheit und Unschuld der Beamten der Kolonialabtcilung, daß die Herren hier stets in weißer Weste erscheinen, olle ohne Ausnahme.(Große Heiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Frage, wer von den Beamten verantwortlich ist, muß sehr ernsthaft geprüft werden. ES ist doch ein starkes Stück, daß nach allem, was bekannt wurde, nicht gleich nach den ersten Anklagen der Herr Minister des Aus- wärtigen oder der Reichskanzler die Herren sofort zitiert und gefragt hat, was denn an diesen Anklagen wahr ist und ob wir in der Tat in so unerhörter Weise übers Ohr gehauen worden sind. Der Kanzler klagt darüber, daß man ihn verantwortlich machen wolle dafür, wenn Stiefel zu teuer geliefert seien, daß man von ihm verlange, daß er auch noch hundert andere Dinge, die zu teuer seien, einer Prüfung unterziehen solle. Das hat niemand verlangt, aber er ist der einzig Verantwortliche auf Grund der Verfassung.(Sehr ivahr! links.) Di'e gesamte ungeheure Reichs- Verwaltung zu übersehen, ist unmöglich, und wenn ich auch nur eine einzige Stunde an der Stelle des Reichskanzlers wäre, so würde ich beantragen, daß der betreffende Paragraph der Ver- fassung gestrichen, und neben den Kanzler noch eine Zahl ver- antwortlicher Ressortminister gesetzt würde. Wenn in der Kolonialabteilung gründlich geändert werden soll, so haben wir alle Ursache, das System zu ändern. Eine Person kann kein System ändern, und mit einem System haben wir es zu tun! Selbst wenn der Kolonialdirektor alle Energie und allen guten Willen besitzt, die man ihm zuschreibt, so würde er nicht imstande sein, diesen Augiasstall zu reinigen. (LebhaftesSehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Weiter niöchte ich gegenüber dem Abgeordneten Erzberger bemerken, daß wir allerdings sehr dringend und jetzt energischer als je eine sehr genaue Prüfung der Nachforderungen verlangen, weil wir wissen, daß Sic auf Grund des merkwürdigen Vertrauens, das Sie dem Kolonialdirektor sofort auf Grund seiner ersten Reden entgegen- gebracht haben, den Ausgaben zustimmen werden, und weil wir fürchten, daß die Ausgaben auch nach Beendigung des Aufstandes in den nächsten Jahren noch erheblich wachsen werden, sowohl die militärischen, wie die marinistischen Ausgaben, ganz abgesehen von denen für Eisenbahnen und Hafcnanlagen.(LebhaftesSehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich verstehe es absolut nicht von einem Bankier und Kauf» mann wie es der Herr Kolonialdirektor von Natur ist wie er diesem Hause eine solche Etatisierung vorlegen kann.(Sehr richtig! links.) Die Kolonien sind ein auswärtiges Geschäft; wenn dort kein Geschäft zu machen wäre, so wäre das deutsche Reich ein Narr, sie zu behalten. Jedermann, der ein Geschäft über- nimmt, will auch die Kosten dieses Geschäftes finden: die An- schaffungskosten das sind hier die Eroberungskosten und ferner die Erhaltungskostcn das sind hier die Kosten für den Aufstand, die militärischen Kosten usw. Gerade diese außer- ordentlich wichtigen Ausgaben auszumerzen, sie nach ihrer Epe- zialität unter anderen Etats zu verbuchen und so den ganzen Kolonialetat unklar zu machen, das kann zwar, wie ich begreife, den Herren von der Kolonialverwaltung sehr wohl passen, nie und nimmermehr aber einem gewissenhaften Reichstag, der die ver- fluchte Pflicht und Schuldigkeit hat, die Interessen des deutschen Volkes nach allen Seiten zu wahren.(Lebhafte Zustimmung links.) Wenn ich in diesen Punkten dem Herrn Erzberger zustimmen kann, so müssen wir uns zu seinem Plane in bezug auf die Ver- waltung der Kolonien ablehnend verhalten, solange wir nicht genau wissen, wie er sich die Sache vorstellt. Es ist ja eine alte Frage, wie man die Kolonien am besten verwalten kann. Daß der sogenannte Kolonialrat ein Unding ist, wissen wir seit langem. Er besteht lediglich aus Kolonialintercssenten vom ersten Tage seines Zusammentritts an, die, wie der Fuchs das ihm vor- geworfene Huhn zerreißt, natürlich ihre eigenen und nicht die all- gemeinen Interessen vertreten werden.(Lebhafte Zustinimung bei den Sozialdemokraten.) Nun spricht man davon, es müsse den Kolonien eine Art Selbstverwaltung, eine Art Volksvertretung im Kleinen gewährt werden. Was heißt denn das aber anders, als daß zu Herren über das Schicksal einer Kolonie ein paar hundert, unter Umständen ein paar Dutzend Leute eingesetzt werden, die fern von Madrid die schönsten Beschlüsse auf Kosten des Reiches fassen können!(Widerspruch im Zentrum.) Sind Sie imstande, das Ei des Kolumbus in dieser Frage zu entdecken und eine Körperschaft zu konstruieren, die imstande ist, sachlich und objektiv die Interessen der Kolonie und zu gleicher Zeit die Interessen des Reiches zu vertreten, dann wollen wir auch in diesem Falle mit uns reden lassen, trotz aller Gegnerschaft, weil wir selbstverständlich ein Interesse daran haben, wenn Sic(zum Zentrum) bereit sind, Hunderte von Millionen für die Kolonien auszugeben, mindestens dafür zu sorgen, daß diese Ausgaben in möglichst vernünftiger und wirtschaftlicher Weise verwandt werden. (Hört! Hört! im Zentrum.) Herr Lattmann hat es rühmend hervorgehoben, daß ein deutscher Offizier in Südwestafrika wissentlich eine Grenzverletzung begangen habe. Aber derselbe Herr Lattmann, der mit dieser patriotischen Verve die Verletzung internationaler Pflichten als etwas außerordentlich Lobenswertes und Erlaubtes hinstellt, fährt in demselben Atemzuge fort:Aber die Engländer haben auch bereits mehrfach sich folche Grenzverletzungen zuschulden kommen lassen", und das hält er für ein so starkes Vergehen, daß er von dem Reichskanzler verlangt, er solle sofort einen kalten Wasser- strahl nach England hinübersenden.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Diese Art Bramarbaspolitik ist ungeheuer leicht, wenn man so gar nichts zu verantworten hat.(Sehr richtig! links.) Es ist eine Säbelrasselei, die Fürst Bismarck einmal gewissen Führern der Nationalliberalen gegenüber als Karlchcn Mießnick- Politik bezeichnet hat.(Heiterkeit.) Das waren aber Männer, die an politischer Bildung turmhoch über Herrn Lattmann und seines- gleichen standen.(Sehr wahr! links.) Wie würde dann erst Fürst Bismarck die Politik de? Herrn Lattmann und seinesgleichen charakterisiert haben!(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich hatte geglaubt, daß einer der Herren Regierungsvertreter die denn doch im höchsten Grade verletzende Kritik eines auswärtigen Staates zurückweisen würde. Wenn sie es nicht taten, haben sie jedenfalls gemeint: Ach. was Lattmann sagt, ist gleichgültig!(Heiterkeit links.) Aber notwendig ist es doch, angesichts der Sensibilität, die diesseits und jenseits de? Kanals durch eine ganze Reihe von Er- eignissen hervorgerufen worden ist, daß, wenn ein derartiges Wort von der einen Seite erschallt, sofort von der anderen in ent» sprechender Weise geantwortet wird. Ist denn Herrn Lattmann die tatsächliche Isolierung Deutschlands immer noch nicht bekannt? Weiß er nicht, daß, wenn wir in einen Krieg mit England ver- wickelt werden sollten, alle die schönen Kolonien am ersten Tage von England mit Beschlag belegt werden, ohne daß wir das ge» ringste dagegen machen können? Und wenn Herr Lattmann so empfindlich ist gegenüber den Grenzverletzungen von feiten Eng- lands, hat denn derselbe Lattmann in seinem überschäumenden Patriotismus gar keine Worte gegenüber den schändlichen Grenz- Verletzungen von feiten des mächtigen Rußland?(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Da schweigt man, da kriecht man, da ball! man die Faust in der Tasche, aber hält den Mund, der nach der anderen Seite so ungeheuer weit offen steht.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Herr Lattmann hat dann, das war ja ga» nichts Neues, gemeint, die Sozialdemokratie trete die Arbeiter- intcressen mit Füßen. Ich habe keine Veranlassung, an dieser Stelle gegen diesen ganz blöden und unsinnigen Anwurf uns auch nur in c in e m Worte zu verteidigen. Wenn wir in einer Sache darauf rechnen können, daß wir von unseren Parteigenossen die Zustiinmung zu unserer Haltung haben werden, so ist es gerade unsere Haltung in der Kolonialpolitik.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Herr Lattinann sprach noch von der blühenden Viehzucht in den Kolonien und von dem billigen Fleisch, das nach der Heimat kommen könne. Aber er. als großer Kolonialpolitiker, scheint gar nicht zu wissen, daß dem Deutschen Reiche gegenüber unsere Kolonien Ausland sind und daß auch das südwestafrikanische Vieh die fainoscn hohen Zölle tragen muß, die er und seine Freunde darauf gelegt haben, und daß die Agrarier auf die beständige Seuchengefahr hinweisen würden, sodaß vorausgesetzt, daß die Transportkosten den Transport überhaupt lohnten für den deutschen Arbeiter und kleinen Handwerker das südwestafrikanische Vieh nicht in Betracht kommt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemo. lraten.) Das ist die Politik der Alldeutschen, ihre Wcltmachtpolitik und ihre Kolonialpolitik! Eine Ausführung des Herrn Latt- mann aber hat mir gefallen, das ist die. als er den großen Rechen. fehler aufdeckte, den der Kolonialdirektor in seiner wunderbaren Inventur begangen hat. Vorgestern jubelte der Kolonialdirektor. als er meinem Freunde Ledebour einen Sprach fehler aufmutzen konnte, aber gestern wurde ihm nun nachgewiesen, daß in der Auf» stellung, auf die er so sehr stolz ist. ein großes Rechenfehler ent» halten ist.(Heiterkeit links.) Wenn wir eine Kolonialpolitik treiben wollen in dem Sinne, daß wir zu den fremden Völkerschaften als Freunde, als Wohltäter und als Erzieher der Menschheit kommen, dann sind wir damit