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einer Herabsetzung der Fleisch» und Viehzölle haben sich' Hie verbündeten Regierungen nicht entschließen können. Diese Zölle haben erst den Abschluß der Handelsverträge mit mehreren fremden Ländern ermöglicht und halten sich weit unterhalb der Grenze, die die Mehrheit dieses Hauses bei der Verabschiedung des Zolltarifs als Mindestmaß des notwendigen Schutzes an- gesehen hat. Sie sollen nur dazu dienen, einen Ausgleich zwischen den� Produktionskosten und dem Preise deS Produktes herbei­zuführen.(Sehr wahr? rechts.) Durch ein Rütteln an den kaum rn Kraft getretenen Zollsätzen würde die Stetigkeit der in- ländischen Produktion erschüttert und diese weit mehr erschwert werden, als eine vorübergehende Aufhebung der Zölle nützen könnte.(Lebhafter Beifall rechts.) Bon den Futtermitteln ist der weitaus größte Teil überhaupt zollfrei. Für Futtergerste ist in den Handelsverträgen im Vergleich zu früher eine wesentliche Er- tznäßigung der Zollsätze eingetreten.(Hört! hört! rechts.) Die übrigen Bodenerzeugnisse, die auch als Futtermittel dienen, zeit- weilig aus dem in unseren Handelsverträgen mit großer Schwierig- keit festgesetzten System der Zollsätze herauszureißen, erscheint nicht möglich. Zur Verhütung der Fleischnot müssen wir das meiste von einer Stärkung der einheimischen Viehzucht erwarten, um so mehr, als öS Proz. des Bedarfs bereits von ihr gedeckt werden. Es ist zu hoffen, daß es der deutschen Landwirtschaft g Bingen wird, unter dem bestehenden Zollschutz auch größeren Anforderungen gerecht gu werden, wenn ihr die unentbehrliche Sicherheit gegen die Ein- schleppung von Seuchen auch fernerhin gewährt wird.(Bravo ! rechts.) Ob und inwieweit es geboten ist, die wirtschaftliche Lage der Beamten im Hinblick auf die Verteuerung der Lebensmittel zu verbessern, und ob und inwieweit dies zurzeit dem Reiche finanziell möglich ist, bildet Gegenstand der ernstesten Erwägung der verbündeten Regierungen." Landwirtschaftsminister v. Arnim-Crieven: Ich darf wohl bei meinem ersten Erscheinen in diesem hohen Hause und bei meiner geringen parlamentarischen Routine Sie um große Nachsicht bitten. Die Erklärung des Herrn Reichskanzlers, die Ihnen soeben vorgelesen worden, enthält so viele schlagende Gründe, daß mir nicht viel hinzuzufügen übrig bleibt. Die Fleischteuerung hat ihre Ursache einmal in der Biehteuerung. dann aber in der steigenden Spannung zwischen Vieh- und Fleisch- Preisen. Nach der allgemeinen Ansicht sind die Hohen Viehpreise eine Folge der Futternot des Jahres 1904. Diese Annahme trifft aber nur in beschränktem Matze zu. Nach Ansicht der Fleisch- beschauer ist sie mit den Tatsachen nicht in Einklang zu bringen. Aus den Angaben der Fleischbeschauer geht hervor, daß der Ver- brauch an Rind- und Schaffleisch zugenommen hat, während der RZerbrauch an Kälbern zurückgegangen ist, aber nur unerheblich. Demnach ergibt sich als Ursache der heutigen Teuerung lediglich die Abnahme der Schweineschlachtungen. Im Auslande herrscht wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen eine ähnliche Teuerung wie in Deutschland , so daß das Ausland die Möglichkeit zur Aus- fuhr nach Deutschland nur in beschränktem Maße hat. Ruhland und Oesterreich haben bedeutend weniger Vieh ausgeführt als früher und auch aus Italien hat die Ausfuhr abgenommen. Der Rückgang in der Schweineproduktion erklärt sich meiner Ansicht nach aus zwei Gründen. Erstens kommt die außer- ordentlich geringe Kartoffelernte von 1904 in Betracht und die geringen Schweinepreise des Jahres 1904. Durch die geringe Ernte an Futtermitteln, wie wir sie im Jahre 1904 gehaht haben, wird die Rindviehproduktion nur wenig beeinflußt, dagegen in erheblichem Maße die Schweineproduktion. Eine interessante Statistik zeigt den Zusammenhang der Schweineproduktion mit den Schweinepreisen. Wir haben immer in zwei Jahren niedrige Preise und in den beiden folgenden hohe Preise gehabt: 1S9V/96 hatten wir niedrige Preise von 90,1 resp. 80,2 M., 1897 und 1898 die hohen Preise von Ivb resp. 111,8 M. Es folgte 1899 und 1900 mit 94,8 resp. 98,8 M., dann wieder 1901 und 1902 mit 112 resp. 118 M., weiterhin 1903 und 1904 mit 99,7 resp. 93 M. und schließlich wieder zwei teure Jahre 1905 und 1906 mit 128,1, 1900 sogar mit 143,8 M. Die teuren Preise regen zur Schweine. Produktion an, und es entsteht dann eine Uebcrproduktion sowohl an Schlachtschweinen wie an Ferkeln; die Aufzucht kommt dann als Mastschweine auf den Markt und drückt dort auf den Preis. Das hat zur Folge, daß dann im dritten Jahre ein Mangel an Aufzucht und an Mastschweinen eintritt, der noch im nächsten Jahre anhält, aber angeregt ist durch die beiden Jahre hoher Preise. Im fünften Jahre tritt dann wieder die Senkung der Preise ein. Bisher hat diese Schwankung ziemlich genau den Betrag von 20 Proz. er» reicht, erst in den beiden letzten Jahren ist die Steigerung eine höhere gewesen, im Durchschnitt 35 Proz., ja im letzten Jahre allein sogar 40 Proz.(Der Reichskanzler betritt den Saal.) Es ist Tatsache, daß in den letzten 14 Tagen die Schweinepreise erheblich gefallen find, noch unter den Preis im November des Vor- jahreS. Auch der Auftneb an Schweinen in Berlin ist sehr ge- stiegen. Die Schweineproduktion ist also wieder außerordentlich gewachsen, und damit ist eigentlich dir ganze Biehnotfrage gelöst. Daß die Preise gänzlich auf den früheren Stand zurückkehren, ist nicht wahrscheinlich und im Interesse der Landwirtschaft auch nicht zu wünschen.(Lebhafte Zustimmung rechts, Widerspruch links.) Die Regierung ist überzeugt, daß die allgemeine Lage der Landwirtschast ungünstig ist- denn die Preise für Korn, Kartoffel, Zucker sind ge» funken, die für künstliche Düngemittel gestiegen. Von der Vieh» Produktion hängt die Produktion von Stallmist, dem natürlichen Dungmittel, ab. Diese schließt für die Landwirtschaft mit einem Defizit ab.(Zustimmung rechts.) Aufmerksani will ich auch darauf machen, daß die Preise für eine ganze Reihe von Jndustrieprodukten ebenfalls gestiegen find, und zwar viel stärker, als die Preise der Nahrungsmittel.(Hört I hört! rechts.) In der Agitation- ist immer behauptet worden, und die Vorredner haben das wiederholt, daß der Fleischkonsum erheblich zurückgegangen ist. Die amtlichen statistischen Tabellen zeigen für 1994 einen Fleischkonsum von 49,02 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung, für 1903 48,72 Kilogramm, also nur einen geringen Rückgang, einen stärkeren Konsum hat nur England mit 55 Kilogramm pro Kopf. während er in Frankreich . Däne­ mark , Belgien , Schweden erheblich geringer ist als in Deutschland . Eine von den Gewerkschaften angestellte Aufnahme zeigt, daß die Mehraufwendungen der Arbeiterfamilie für Fleisch nur 2,3 Proz. des Gesamteinkommens beträgt, während die Zunahme der Löhne doch reichlich 10 Proz. beträgt. Ganz ähnlich steht es mit den kleinen Beamten. Daß städtische Verwaltungen vielfach eine ungebührlich hohe Verzinsung von ihren Schlachthöfen haben, ist ja auch bekannt. Auch erheben 1335 Gemeinden noch eine Schlachtsteuer, aus der sie 1900 noch 11 Millionen Mark Einnahmen hatten. Ich wende mich zu den vorgeschlagenen Mitteln der Abhülfe. Die deutsche Viehzucht hat in den letzten 20 Jahren einen glänzenden Aufschwung genommen. Der Gesamtwert unserer Viehbestände be- trägt etwa 8 Milliarden Mark. Dank der Grenzsperre ist es ge- lungen, Seuchen bei unserem Vieh zu unterdrücken. Abg. Wiemer wies auf England hin zum Beweise dafür, daß auch die Einfuhr ungefährlich sei. Nun, m England wurde 1900 von Argentinien aus die Maul- und Klauenseuche eingeschleppt. Darauf wurde die Grenze gegen Argentinien gesperrt, und als sie wieder geöffnet wurde, wurde die Seuche von neuem eingeschleppt. Vergesse man doch nicht, daß 1904 97 Prozent des deutschen leischkonsumS von der deutschen Landwirtschaft gedeckt wurden, nur Prozent vom Auslande. Freilich ist dieser Teil 1905 auf 5 Prozent gestiegen, aber die deutsche Landwirtschaft wird diesen Betrag wieder einholen. Das Fundament steilich bleibt für unsere Landwirtschast die Sperre gegen lebendes Vieh, welche Sicherheit gegen Viehseuchen gewährt. Abg. Wiemer hat darauf hingewiesen, daß wir auch eigene Scuchenhcerde im Lande haben; das ist richtig; einer derselben ist von den wissenschaftlichen Versuchen eines Professors in Greifswald ausgegangen.(Hört I hört I rechts.) Gefordert wird die Oeffnuug der Grenzen zur Abhilfe der Teuerung. Die Gestattung der Einfuhr aus Oesterreich-Ungam ist eine Konsequenz der Handelsverträge, ein Opfer, das die Landwirt­schaft im Interesse dieser Verträge gebracht hat.(Zustimmung rechts.) Aus Dänemark lassen wir Vieh herein, weil Dänemark durch seine geographische Lage gegen Einschleppung von Viehseuchen besonders geschützt ist. Die holländische Grenze können wir nicht öffnen; denn wenn Holland auch gegenwärtig noch seuchenfrei ist, so sehen wir doch voraus, daß bei der in Frankreich und Belgien herrschenden Verseuchung in kurzer Zeit auch Holland verseucht sein wird. In den nordischen Staaten, von wo man auch die Zulassung der Einfuhr gefordert hat, herrscht in hohem Maße die Schweine- pest. Würden wir die Grenzen vollständig öffnen, so würde übrigens die Fleischteuerung dieselbe bleiben, weil die Nachbarstaatan unter derselben Teuerung leiden wie wir; würden dagegen bei uns Seuchen auftreten, so würden die Preise noch ganz anders steigen.(Lebhafte Zustimmung rechts.) Zur Abhülfe will ich aufmerksam machen auf die Sclbsthülfe durch Genossenschaften. Es fällt auf, daß die städtische Bevölkerung von diesem Mittel so wenig Gebrauch gemacht hat, um die Spannung zwischen den Vieh- und Fleischpreisen herab- zudrücken. An der Fleischbeschau hat die Landwirtschaft als solche gar kein Interesse; sie legt ihr außerordentliche Opfer auf; sie ist aber notwendig im Interesse der Gesaintbevölkerung. Städtische und ländliche Bevölkerung sind auf einander angewiesen. Die vergiftende Art der Agitation ist aber nicht ge- eignet, dieses ZuslnnmengchörigkeitSgefühl zu stärken. Die Landivirte fordern ja auch nicht die Aufhebung der Jndustriezvlle, obgleich die Jndustrieprodukte im Preise ebenso stark, wahrscheinlich noch mehr gestiegen sind als die ländlichen Produkte. Bei jedem Erbgang kommt auch vom Lande Kapital nach der Stadt. Weilerhin Veriveise ich auf den dauernden Zuzug der Arbeiter vom Laude, durch welchen der Aufschwung der Industrie erst ermöglicht ist. Auf die Dauer kann die Landwirtschaft diese Kapitals- und Blutsteuer nicht ertragen.(Zustimmung rechts.) Das möchte ich vor allem den städtischen Kreisen der Bevölkerung ans Herz legen. Ans Antrag des Abg. Singer wird in die Besprechung der Interpellation eingetreten. Abg. Gerstcnbcrgcr(Z.): Ich will heute dem neuen Landwirt- schastsmiiiister noch kein Lob aussprechen. Die Steigerung der Fleischpreise ist eine naturgemäße Folge unserer wirtschaftlichen Ent- Wickelung.(Sehr richtig! im Zentrum und rechts.) Das, was die Herren auf der Linken ivünschen, um der Fleischteuerung entgegenzuwirken. würde das Gegenteil zur Folge hoben. Die Herren(links) haben an den teuren Fleischpreisen ein gutes Mittel für die Wahlagitation. Wenn der Abg. Scheidemann von volksverwüstender Wirtschaftspolitik und von Ausräuberei gesprochen hat, so hat er damit mehr an den empfindlichen Magen als an den Verstand appelliert.(Heiterkeit.) Gibt eS denn überhaupt eine eigentliche Fleischnot? Meine Mutter hat mir im vorigen Sommer erzählt, daß der Fleischer sie beim Einkauf von Fleisch fragte, ob sie nicht noch ein Stück nehmen wolle, er hatte also Fleisch genug, und man kann da doch nicht von Fleischnot sprechen II(Große Heiterkeit.) Man spricht von einer Unterernährung in einem Lande, wo noch Hunderte von Millionen für Alkohol verwendet werden. Es ist von Aerzten festgestellt worden, daß der Fleischgenuß in den Kinderjahren Nervosität hervorruft. Da kann doch der Rückgang des Fleisch- konsums keine so schlimmen Folgen haben, wie es dargestellt wird. Weim auf das Oeffnen der Grenzen gedrängt wird, so macht das den Eindruck der Ungeduld, die die Kinder zeigen, wenn sie die Heilung einer Wunde nicht abwarten können und sie aufkratzen. Der toll verteuert das Fleisch höchstens um 23 pro Pfund. In manchen tädten sind die SchlachthosSgebühren höher als der Zoll. Die reiche Millionärsstadt Wiesbaden hat einen Antrag ans Aufhebung des städtischen Oktrois abgelehnt, zu gleicher Zeit aber einen An- trag auf Aufhebung der Zölle angenommen. Die Oeffnung der Grenzen würde ich für ein schweres Unglück für die Landwirtschaft halten. Die Wohnungen find in den letzten 1820 Jahren um 40 Proz. teurer geworden infolge der Erhöhung der Löhne. Trotzdem wird niemand den Bauarbeitern den Vorwurf machen, daß sie Wohnungs- Wucher treiben. Ebenso wenig kann man den Biehbauern den Vor- wurf machen, daß sie Viehwucher treiben. Wenn die Kleinbauem eine sozialdemokratische Gewerkschaft bildeten, so würden Sie(zu den Sozialdemokraten) ihnen keinen Borwurf daraus machen, daß sie infolge der Steigerung der Produktionskosten höhere Preise ver- langen. Ich kann an die Konservativen nur die Bitte richten, sich nicht durch das Geschrei dazu drängen zu lassen, der Oeffnung der Grenzen zuzustimmen.(Beifall im Zentrum und rechts.) Hierauf vertagt sich das Haus. Persönlich bemerkt Abg. Liebermann v. Sonneubrrg(Antis.): Der Abg. Scheidemann hat unter Nennung meines Namens ein Zitat aus einem Kasseler Wochenblatt erwähnt. Eine derartige infame Unterstellung. wie sie mir da gemacht wird, kann niemand glauben. der weiß, in welchem guten Verhältnis ich feit zwanzig Jahren zu meinen Wählern stehe. Ich habe gegen die infame Verleumdung den Schutz der Staatsanwaltschaft angerufen, und Herr Scheidemann kann in Kassel der Gerichtsverhandlung beiwohnen. Wie unglaub- lich eine derartige Aeußerung ist, geht aus einem Briefe eines Wählers hervor. Dem hatte lemand den Artikel geschickt und der Wähler hat ihm geantwortet, er solle nur nach Kassel kommen, er werde ihm dann den Hosenkeil stramm ziehen. Diese Aufforderung richtet sich gegen alle Verleumder im Lande, auch gegen Herrn Scheidcmann.(Heiterkeit.) Präsident Graf Ballcstrem: Eine solche Aufforderung an einen Abgeordneten ist auch außerhalb des Hauses nicht zulässig, sie ver- stößt aber erst recht gegen die Würde des Hauses.(Heiterkeit.) Nächste Sitzung: Mittwoch 1 Uhr.(Fortsetzung der heuttgen Beratung.) Schluß 0-/, Uhr. _ Parlamentart lcbes. Wahlprüfungskommission. Die Kommission befaßte sich gestern anläßlich der Wahl des Antisemiten Zimmermann im 20. sächsischen Wahlkreise mit der ihr vom Plenum zur Erörterung zugewiesenen Frage: Ob Wähler zur Ausübung ihres Wahlrechts berechtigt seien. deren Namen in der Wählerliste sich befindet, die bei einer inimerhalb eines Jahres seit den allgemeinen Wahlen stattfindenden Nachwahl' unverändert zur Wahl benutzt wird? Die Beratung dieser Frage nahm die dreistündige Sitzung in Anspruch, in der auch der sächsische Bundesratsbevollmächtigte Ge- heimrat Fischer den Standpunkt der sächsischen Regierung durch Vorlesung eines längeren EleboratS zur Keimtnis brachte. Die sächsische Regierung kommt zu einer Verneinung der aufgeworfenen Frage und sucht damit die ungesetzlichen Eingriffe der Wahlvorstände. speziell des Wahlkommissars im 20. sächsischen Wahlkreise zu recht- fertigen, wie viele Wähler, die in den Wahllisten verzeichnet waren. trotzdem bei der Wahl zurückgewiesen wurden, weil sie inzwischen ihren Wohnsitz verlegt hatten. Mit sechs gegen die fünf Stimmen der Sbzialdemokraten und Freisinnigen bekundete die Mehrheit der Kommission die gleiche Auffassung wie die sächsische Regierung und annullierte das durch Wahlgesetz und Wahlreglement garantierte Wahlrecht der betroffenen Wähler. Nun wird sich das Plenum ernstlich mit der An« gelegenheit zu beschäftigen haben. Bedeutet doch der Beschluß der Kommissionsmehrheit für Tausende von Wählern nichts anderes als eine reguläre Wahlentrechtung. Mandatsschacher zwischen Zentrum und Nattonallibrralen. Die Wahlprüfung wird von den reaktionären Parteien immer tiefer in den Sumpf gezogen. DaS Wahlkartell zwischen Zentrum und Nationalliberalen erhält eine neue Bestätigung durch die Sicherung der Wahl des Zentrumsabgeordi-.Ken Fuchs. Wie sich die.Kölnische Zeitung " auS Saarbrücken melde» läßt, hat der.Nationole Wahl» verein für Ottweiler und Sankt Wendel " beschloß«,, ien van National- liberalen ausgehenden Protest gegen die Wahl Fuchs' zurückzuziehen. Nur dürfte die Zurückziehung des ultramontanen Protestes gegen die Wahl des Nationalliberalen Boltz nicht lange mehr auf sich warten lassen. So wird die Wahlprüfung zur Farce gemacht und die Zeit der Wahlprüfungskommission sowie des Plenums leicht- sinnig vergeudet. Soziales. Bon einem Kampf um Gemeindesitze. Wie notwendig die Einsicht in die in der zweiten Hälfte de« Januar ausliegendeu Gemeindewählerlisten und wie dringend ersorder- lich für Behörden die Kenntnis der Bestimmungen der Landgemeinde- ordnung ist, lehrt nachstehender Kampf um die Gemeindevertretungs» fitze in A l t- D r e w i tz bei K ü st r i n. In diesem Ort von etwa ziveieinhalbtausend Einwohnern haben wie in einer stattlichen Reihe anderer kleinen Gemeinden die Arbeiter mid kleinenBüdner erkannt, welch ein großes Interesse sie an der Verwaltung der Gemeinde haben und daß ihnen die Landgeineindeordnung die Möglichkeit bietet, nach und nach festen Fuß in der Verwaltung zu fassen, um die Interessen der Besitzlosen zu verteidigen. Am 17. März erfuhren die Alt- Drewitzer durch im Dorfe ausgetragene Zettel, daß am 19. März die Wahl von zwei Vertretern für die dritte Abteilung stattfindet. Sofort wurden in einer Besprechung am anderen Tage zwei Kandi- baten aufgestellt. Leider mußten sie am Tage der Wahl wahrnehmen, welch großen Fehler sie dadurch begangen hatten, daß sie i m I a n u a r versäumt hatten, die Wählerliste einzusehen. Denn es stellte sich heraus, daß nur diejenigen in der Liste standen, welche ein Häuschen besaßen, während die anderen, obwohl zur Gemeiudesteuer veranlagt(§41 Abs. So L.-G.-O.) nicht aufgenommen waren. Nichtsdestoiveniger errangen unsere Ge» nossen den Sieg: ihre Kandidaten erhielten je 17 Stimmen, die Gegner aber nur 11. Der Wahl- und Gemeindevorsteher erklärte die Genossen für gewählt und ließ die Gewählten das Protokoll unterschreiben; auch lvurde das Wahlresultat am 23. März öffentlich bekannt gemacht. Am 25. März aber erhielten die Gewählten folgende Zuschrift: Hierdurch wird Ihnen bekanntgegeben, daß gegen Ihre Wahl zur Gemeindevertretung Widerspruch erhoben und dieselbe für ungültig erklärt worden ist. Aufschluß über die Neuwahl geben die im Umlauf befindlichen Laufzettel. Alt-Drewitz, 26. März 1900. Der Gemeindevorsteher. Köppen. Diese Bekanntmachung war ein Verstoß gegen den§§ 66 Abs. 2 der Landgemeindeordnung. Denn die allein zuständige Gemeinde- Vertretung hat, wie sich später herausstellte, erst am 17. April die Wahl für ungültiaerklärt. Der Herr Köppen hatte dazu kein Recht. Auch die zum 31. März anberaumte Neuwahl mutzte wieder abgesagt werden, da nach eingelegter Beschwerde der beiden gewählten Genossen diese Neuwahl gegen den§ 07 Absatz 3 der Landgemeindeordnung Verstieß. Die Wahl des einen Genossen sollte ungültig sein, weil er nicht in der Wählerliste stand. Dieser Standpunkt ist nach§§ 32, 41 und 50 Absatz 3 der Landgemeindeordnung irrig, da hiernach ein Stim», berechtigter seine Wählbarkeit nicht verliert, wenn er in der Wählerliste nicht verzeichnet steht. Die Wahl des zweiten sollte un- gültig sein, weil der Vorgenannte bei der Wahl zugegen gewesen sei. Dieser Grund ist ebenso hinfällig. Im Ver- waltungsstteitverfahren, welches unsere Genossen anstrengten ließ dir KreiSauSschuß dieseGründe" fallen, erklärte die Wahlen aber trotzdem für ungültig, weil: Erstens der Protokoll« führer nicht zum Wahlvorstand gehört habe, zweitens die Nieder- schrist des Wahlergebnisses in dem Protokolle nicht mit dem in der Stimmliste übereinstimme. Daß auch ein Kreisausschuß die ein- schlägigen Bestimmungen der Landgemeindeordnung nicht kennt, ist zu verwundern. Zu 1. hat daS Oberverwaltungsgericht entschieden (XIII, 220):»Die Zuziehung einer nicht zum Wahlvorstand ge- hörigen Person als Protokollführer macht die Wahl nicht ungültig." Auch der zu zweit angeführte Grund ist mindestens unerheblich. Unsere Genoffen legten mmmehr Berufung beim Be» zirksausschuß in Frankfurt a. O. ein. In der Gegenerklärung beantragt der Herr Gemeindevorsteher und Wahlvorsteher Köppen, die Klage lostcupflichtig abzuweisen, weil in der betreffenden Wahlversammlung tatsächlich den Bestimmungen des§ 77 der L.-G.-O. zuwider das Mitglied der Wahlversammlung Hinze zum Protokollführer ernannt worden war. Der Herr Ge- meindevorsteher irrte sich abermals. Denn§ 77 spricht nur von der Wahl des Gemeindevorstehers und der Schöffen und erlaubt als Protokollführer eine Person hinzuzuziehen, welche nicht zur Wahlversammlung gehört. Regelte aber der§.77, was er nicht tut, die Wahlhanolung bei der Gemeindevertreterwahl, so versteht es sich doch am Rande, daß wenn jemand außerhalb der Wahlversammlung zum Protokollführer ernannt werden kann, es erst recht auch mit einem Mitglied derselben geschehen kann. Uebrigens ist dieser Hinze am selben Tage unter demselben, an- geblich ungesetzlich zusammengesetzten Wahlvorstand mit Herrn Köppen an der Spitze, in der zweiten Klasse gewächlt und läng ft in sein Amt eingeführt. Sozial- demokrat»st derselbe allerdings nicht. Der B e» zirksausschuß eignete sich die irrigen Gründe des Gemeinde- Vorstehers nicht an, wies aber dennoch die Klage kostenpflichtig abweil nach dem Protokoll 56 Stimmen abgegeben wurden, die absolute Mehrheit nach Berechnung des Bezirksausschusses also 29 betrage, mithin die beiden Kläger mit je 17 Stimmen die Majorität nicht erhalten hätten. ES hätte sofort oder spätestens in einer Woche die sogenannte engere Wahl statt- finden müssen." In dieser Entscheidung ist nur einS richtig, das ist: es find 50 Ettmmen abgegeben worden. Es waren 28 Wähler erschienen- eder hatte, weil zwei Vertreter zu wählen waren, zwei! Stimmen abgegeben, also 56. Unsere Genossen haben je 17, die Gegner je 11 Stimmen erhalten, also 50 Stimmen zusammen. Wenn etwa das Protokoll dies nicht ganz klar zum Ausdruck bringt, 'o ist das unerheblich. Hat doch das Oberverwaltungsgericht mit Recht entschieden(VIII, 125), daß selbst der Verlust des Wahlprotokolls die Wahl nicht ungültig macht, wenn die Ordnungsmäßigkeit der Wahl durch anderweitige Beweis- mittel festgestellt werden kann. Daß das hier aber möglich ist, geht ja ohne weiteres daraus hervor, daß der Wahlvorstand auf Grund der abgegebenen Stimmen unsere beiden Genossen, die die absolute Mehrheit, die nur 15, nicht 29 betrug, um zwei Stimmen überschritten hatten, als gewählt proklamiert hatte. Die Vornahme einer engeren Wahl, wie der Bezirksausschuß meint, konnte, weil ungesetzlich, gar nicht angeordnet werden. Unsere Genossen werden sich nun an das Ober- Verwaltungsgericht wenden, um zu ihrem Rechte zu kommen. Wenn, wie hier geschehen, der Bezirksausschuß eine Entscheidung Mt, die formell wie materiell, weder im Gesetz, noch in der Praxis eine Stütze findet Vorsitzender des Bezirksausschusses ist der Rc- gierungsprästdent, so braucht man sich allerdings nicht zu wundern, wenn die unteren Organe sich so vollständig über die klaren Be- stimmungen des Gesetzes imIrrtum" befinden. Für unsere G.e nossen werden diese Vorgänge aber allerorts eine Mahnung sein, die zwischen dem 15. und 30. Januar jeden Jahres ausliegende Wähler- liste(§ 50 der Landgemeinde-Ordnung) einzusehen und sich dann an der Wahl, die bis Ende März erfolgt sein muß, energisch zu beteiligen. Daß man die Arbeitervertreter in der Gemeinde- Vertretung nicht gerne steht, beweist dereigenartige" Widerstand. Derselbe lehrt aber auch, wie notwendig sie zur Vertretung der Interessen der Besitzlosen sind.