Nr. 272.
Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr, wöchentlich 28 Pfg frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit Auftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz bard: Deutschland ut. DesterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1892 unter Nr. 6652.
Vorwärts
9. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Haum 40 Pfg., für Bereins- und Beriammlungs- Anzeigen 20 Pf Inferate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Grpedition abgegeben werden. Die Expedition ift an Wochen tagen bis 7 Uhr Abends, an Gonit und Festtagen bis 9 Uhr Bor: mittags geöffnet.
Sernsprech- urch luk 3mt I, Nr. 4186.
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Sonnabend, den 19. November 1892. Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.
Ein Stück patriarchalischer Weltordnung. richtung, die mit der modernen Zeit im Hader liegt.
die man
bürger dar, welche ohnehin zu den begütertften und bevor stiften, zu beseitigen, daß somit jeder ernsthafte Reform rechtetsten des Landes zählen, als eine vorsintfluthliche Ein- gedanke Wahnwig wäre. Herr Miquel aber phantasirt uns in einem 700 Seiten Die mobilen Riesenvermögen, Sumpfpflanzen der dicken Folianten von ausgleichender Gerechtigkeit, und Fideikommisse! Wem wehte beim Klange Kapitalistenherrschaft, Pfropfreiser des Liberalismus, fie in demselben Athem verkündet er den Landedelleuten dieses Namens nicht ein Hauch mittelalterlichen Moders sind wenigstens nicht durch Gesetze vor Zersplitterung und die Aufhebung der staatlichen Grundsteuer entgegen! Verfall geschützt. Die Fideikommisse aber fennen teine auf etwa 9/2 Prozent des Reinertrags der Güter schätzen Diese fossilen Ungeheuer, diese volkswirthschaftlichen Sorge um ihre Erhaltung. Sie schüßt der Staat. Von darf, und macht damit den Grundbesizern Geschenke, auf und sozialen Monstrositäten, was find fie anders als ein Generation zu Generation bleiben diese Majorat Güter in die sie nicht einmal gerechnet haben. Hohn auf die mode ne Zeit, die nach des Reformministers" derselben Familie. Wo sie bestehen, da ist fein Raum übrig So wird der Herzog von Üjest z. B. auf Grund dieses Miquel Wort vom Drange nach Gerechtigkeit beseelt sein soll? für einen Bauernstand. Während es aber durch Geseß aus Gesetzes ca. 22 000 M., der Herzog Leopold von Braunschweig Diese Zusammenballungen von meilenweiten Güter- geschlossen ist, daß diese Riesenbesitzungen auseinanderfallen, ca. 25 000 M., der Fürst Stolberg 29 000 M., Fürst Putbus komplexen, zu deren Schutz der Staat besondere Gesetze ist es eine geschichtlich feststehende Thatsache, daß der ge- 35 000 m. jährlich geschenkt erhalten. erlassen hat, und welche in dem ewigen Wechsel der bundene Grundbesit sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, vom Es sind das dieselben Herren, welche mit aller Energie Beiten das allein Ruhende, Bestehende bleiben, wie ver- Bater auf den Sohn, durch Ankauf der Nachbar- die das Volksbewußtsein verlegende patriarchalische Welttragen sie sich mit dem Geist einer freien Weltanschauung? besigungen vermehrt hat.( Bauernlegen.) ordnung, wie sie in der Institution der Fideifommnisse ver Wohl find in Zeiten demokratischer Bewegungen, wie Bom volkswirthschaftlichen Standpunkt aber betrachtet, törpert ist, aufrecht erhalten und außerdem die höchsten und in unserem Jahrhundert zur Zeit der Napoleonischen Be- ist die Bewirthschaftung dieser Latifundien anerkannter einträglichsten Stellen im Staatsdienst als das Vorrecht freiungskriege, und theilweise auch in dem Jahre 1848, jene maßen die elendeste und irrationellste, die man sich denken ihrer Klasse beanspruchen und erhalten. fossilen Schöpfungen einer dunklen, Jahrhunderte zurück- fann. Welche Interessen hat auch der Majoratsherr an Der Herr Reformminister, der so inniges Verständniß liegenden Bergangenheit abgeschafft worden. Doch haben einer vernünftigen Wirthschaft oder gar zeitgemäßen Ver- für die„ Nothlage" dieser Edelleute befundet, er reitet indes die Junker vermöge ihres übermächtigen fatalistischen befferung! Fällt doch das Gut nach seinem Tode an eine unentwegt unter der Devise des Dranges nach Gerechtigkeit" Einflusses, den sie jederzeit in Preußen auf Staat und Seitenlinie oder im besten Falle an seinen ältesten Sohn, in die Schranken. Gefeßgebung ausgeübt haben, die herrlichen reaktionären und die anderen Kinder gehen leer aus. Was ist Nun, mag der Feudaladel die letzte Spanne seiner Sustände von früher wieder hergestellt. Ja, unter der da natürlicher, als daß der derzeitige Inhaber des Herrschaft nur weiter mit den Erbsünden seines Stammes torrumpirenden und forrupten Herrschaft ihres Gözen und Gutes für sich und seine Angehörigen aus dem Gute belasten, die morschen Stüßen dieser Patriarchenherrschaft Gönners Bismard haben sie nicht verabsäumt, die Klinke herauszieht, was er nur immer vermag. Denn schließ werden um so eher brechen. ber Gesetzgebung zu einer ausgiebigen Stärkung und Aus- lich will er doch standesgemäß leben, das heißt spielen, Wir die Erben, sehen der Entwickelung mit Ruhe ent dehnung ihrer Machtfülle und Vorrechte zu benutzen. jagen und praffen. May bas Besitzthum daheim gegen Standalosa, wie der Stempelerlaß für den Freiherrlich ruhig verfallen, was geht es ihn an, der nur die eine Lucius'schen Familien- Fideikommiß, werden unter dem neuen Gorge hat, wie das Kommiß den höchsten Kapitalertrag Surs vielleicht nicht mehr wiederkehren. Wie aber, so fragen erbringt.
wir, fommt der Reformiminister Miquel dazu, bei seinen Wir kennen solche Majorate in Ost- und Westpreußen , Steuerplänen von„ Echaffung einer sozialen gerechten Ordnung" Vorpommern und Schlesien , die in einem bejammernsoder staatsmännischer Fürsorge für die unteren Volks- werthen Zustande sind, wo die Wohnräume für das Gesinde des schichten" zu reden, wenn er nicht nur die volkswirthschaft- nur mehr noch aus vier thür- und fensterlosen Lehmruinen lichen Fossile, die Fideikommisse, die dem Rechts- und Bolts- bestehen. bewußtsein geradezu ins Antlitz schlagen, schont, sondern|
noch beichenft?
Beschenkt auf Kosten des arbeitenden Volkes. Greifen wir ein wenig auf die Geschichte der Fideitommiffe zurück.
Die Ausschließung Reichstags- Abgeordneten
So offenbar nun der Schaden ist, den die Volkswirth Stadthagen aus dem Rechts
schaft durch diese legalisirten Königreiche erleidet, so kann doch feine Bourgeoisregierung daran denken, den einflußreichen Feudalagrariern ein Titelchen ihrer, in den Eigenthümlichfeiten einer vergangenen Kulturepoche wurzelnden Rechte anzutaften.
In d
anwaltsstande.
iplinarverfahren gegen den Rechtsanwalt Stadthagen war beranntlich vom Ehrengericht der Anwaltsfammer zu Berlin auf Verweis und 2000 M. Geldstrafe erkannt. Schwache Regierungen, welche in dem Feudaladel, Und wäre sie zehnmal so start wie es die gegenwärtige Angeklagte, dieser mit dem Antrage auf Freisprechung, jener mit Gegen dieses Urtheil hatten sowohl der Oberstaatsanwalt wie der namentlich den Häuptern der Familien vormals reichsummittelbarer deutscher Reichsstände, die sichersten Stüßen von Thron Regierung ist, sie würde an dem Hochmuth und der Reni- dem Antrage auf Ausschließung aus der Anwaltschaft Berufung und Vaterland sahen, schufen durch Bindung weiter Ländereien tenz dieser Magnaten ihre Schrante finden. eingelegt. Die Verhandlung vor dem Ehrengerichtshof zu Leipzig als unveräußerliches Eigenthum des Familienoberhauptes, um Erwägt man ferner, daß diese Feudalherren es durch hat am 16. und 17. des Monats unter Ausschluß der Deffentden Thron eine Klasse von Staatsbürgern erster Ordnung. gesetzt haben, sich in Gestalt von Getreidezöllen, Bucker- lichkeit stattgefunden. Was Stadthagen's Freunde befürchtet Damals mochte es noch einigen Sinn haben, wenn Regie- ausfuhr- Prämien, Bieheinfuhr- Verboten, Branntweinzöllen hatten, ist eingetreten: Der Ehrengerichtshof, bestehend aus tungen, die fich nicht ganz sicher fühlten, um sich einen un- Hunderte Millionen Mark Schenken zu lassen, ja, daß vier Reichsgerichtsräthen und drei Reichsgerichtsanwälten, bebingt ergebenen Hochadel schaarten, zu dem das Landvolk sie selbst das Beerenlesen in ihren Wäldern unter hat auf Ausschließung aus dem Anwaltsstande am 17. November Abends nach zweitägiger Verhandlung und und nach Abim Leibeigenschafts- und Hörigkeitsverhältniß stand. Heute Strafe, das herrschaftliche Wild aber unter ausgiebigen lehnung aller seitens des Angeklagten. gestellten Entaber, wo das denfende Bolk an die Berechtigung der ganzen Schutz zu stellen vermocht haben, so wird man begreifen, faftungsanträge erkannt. Den das Verfahren einleitenden Be Adelsinftitution nicht mehr glaubt, da ſtellt sich das Fidei- daß keine Regierung des Kapitalistenstaates jemals die schluß des hiesigen Ehrengerichts vom 8. April 1890, sowie den tommiß als eine schroffe Begünstigung derjenigen Staats- Macht haben kann, die Schäden, welche die Fideikommiffe diefen ergänzenden Beschluß des Kammergerichte vom 21. April
Feuilleton.
Madbrud verboten.)
[ 17
eine zarte Erinnerung geweckt hätte. Nach einer jener weiblichen Pausen, die so kurz sind, daß man sie ahnen muß, erwiderte fie:„ Ein Freund war es..." Nach einer Sekunde fügte sie hinzu:... der jetzt todt ist." Und sie sentte die Augen in recht natürlicher Traurigkeit.
Als sie in den Ballsalon eintraten, schmiegte sie sich furchtsam und doch zufrieden dicht an ihn und musterte vergnügt die Dirnen und ihre Beschüßer. Von Zeit zu Zeit aber sagte sie beim Anblick eines ernsten, unbeweglich dastehenden Polizisten, als wollte sie sich gegen mögliche Gefahr schüßen:" Der Polizist da sieht doch recht zuverlässig aus." Nach einer Viertelstunde hatte sie ihre Neugier befriedigt, und er brachte sie nach Hause.
In einem baumwollenen Kleide kam sie zum Stell
Zum ersten Male dachte Duroy an all das, was ihm von der Vergangenheit seiner Geliebten unbekannt war, und er verfant in Brüten. Gewiß hatte sie schon vor ihm Geliebte gehabt, aber von welcher Art, aus welchen Kreisen? Nun begann eine Reihe von Ausflügen nach allen anEine unbestimmte Eifersucht, eine Art Feindschaft gegen sie rüchigen Pariser Lokalen. Duroy entdeckte bei seiner GeDer Eintritt Clotilde's erregte wegen der Feinheit erwachte in ihm, eine Feindschaft um all das, was er nicht liebten eine leidenschaftliche Vorliebe für derartige Stuihrer Kleidung Aufsehen. Die beiden Baare hörten auf zu von ihrem Leben wußte, was ihm von ihrem Herzen und dentenbummel. flüstern, die Droschkentutscher zu debettiren, und der ihrer Vergangenheit noch unklar geblieben war. Er blickte| rauchende Gast nahm seine Pfeife aus dem Munde, spuckte sie an, und das Geheimniß reizte ihn, das sich hinter diesem dichein, ein Hütchen, wie Vorstadtjoubretten es tragen, auf aus, drehte den Kopf ein wenig herum und sah sie an. hübschen, stummen Köpfchen barg, das in diesem Augenblick dem Kopfe. Troh der gesuchten, eleganten Einfachheit ihrer " Cehr hübsch hier", flüsterte Frau von Marelle, hier vielleicht von einem anderen oder von anderen Männern Kleidung trug sie nach wie vor ihre Ringe, Armbänder und find" wir gut aufgehoben; nächstes Mal verkleide ich sogar schmerzlich träumte. Wie gern hätte er in ihren rück Brillantohrringe: Wenn er fie bat, sie dazu abzulegen, sagte mich aber als Arbeiteriu." Und ohne Verlegenheit blickenden Gedanken gelesen, darin herumgestöbert, um alles sie als entschuldigenden Grund: Ach, sie denken, es sind und Efel setzte sie sich an einen Tisch, deffen Platte zu wissen, alles zu kennent. von Speisefett glänzte, von vergossenen Getränken an rheinische Kiesel." „ Willst Du mich in die Weiße Königin" führen?" Sie hielt sich für ausgezeichnet verkleidet, während sie gefeuchtet war, und über den nun der Kellner einmal mit fragte sie wieder, dann wäre der schöne Tag heute voll- es in Wirklichkeit wie der Vogel Strauß machte, und beder Serviette hinfuhr, um ihn abzuwischen. ständig." suchte mit Duroy die verrufensten Kneipent. Sie aßen ein Hammelragout, ein Scheibchen Hammel- Ach was!" dachte er ,,, was kümmert mich ihre Ver- Auch Duroy sollte sich verkleiden, verlangte sie, er aber fenle und Salat dazu. Hier gefällt es mir," wiederholte gangenheit. Ich wäre dann, wenn ich mir deswegen Stopf- ließ sich nicht darauf ein, sondern ging wie ein richtiger Clotilde. Ich habe so gemeinen Geschmack. Hier amüfire schmerzen machte." Und lächelnd erwiderte er:„ Gewiß, Boulevard mensch gekleidet; selbst seinen Zylinder wollte er ich mich besser als im Café Anglais." nicht gegen einen weichen Filzhut vertauschen. einen besonderen Gefallen thun willst," fuhr sie dann fort, Als sie auf der Straße waren, sagte sie leise in dem Sie tröstete sich über seine Weigerung durch folgende so führ mich in einen Tanzbums. Ich kenne einen sehr geheimnißvollen Ton, in dem Bekenntnisse abgelegt werden: Erwägung:" Sie denken, ich bin ein Kammermädchen, das ultigen hier in der Nähe; die weiße Königin" heißt er." Bis jetzt wagte ich nicht, Dich darum zu bitten, Du kannst ein Verhältniß mit einem jungen Mann aus guter Familie Wer hat Dich denn dorthin geführt?" fragte Duroy Dir aber gar nicht vorstellen, wie ich solche Heisen durch hat." Sie fand diese Komödie reizend. überrascht. alle die Orte, wohin wir Damen sonst nicht kommen, liebe. So streiften fie durch die Kneipen und ließen sich auf Er blickte sie an und sah, wie sie ein wenig verwirrt Während des Karnevals verkleide ich mich als Student. wackligen Stühlen vor alten Holztischen mitten im dicksten und roth wurde, als wenn diese plögliche Frage in ihr Als Student sah ich sehr gelungen aus." Tabatsqualm nieder. Eine scharfe Rauchwolfe, in die sich
Wenn Du mir gewiß, mein Schab."
11