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Nr. 303.

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Crideint täglich außer Montags.

Vorwärts

Berliner Volksblatt.

23. Jahrg.

Die Infertions- Gebühr beträgt für die sechsgespaltene Rolonel. geile oder deren Raum 60 Blg., für politische und gewerkschaftliche Vereins­und Bersammlungs- Anzeigen 30 Bfg. Kleine Anzeigen", das erste( fett. gedruckte) Wort 20 Bfg.. jebes weitere Wort 10 Pfg. Stellengesuche und Schlaf­ftellen- Anzeigen das erste Bort 10 Bfg., jedes weitere Wort 5 Bfg. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 5 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ift bis 7 Uhr abends geöffnet. Telegramm- Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV. Nr. 1983.

Die beste Vorarbeit für die Wahl

Teistet jeder Abonnent des Vorwärts", der einen neuen Abonnenten für sein Kampforgan, den

wirbt!

Vorwärts"

Der gegenwärtige Wahlkampf ist von ungeheuerer Wichtig­feit. Es handelt sich darum, die ganze Reaktion des Scharfmachertums und des Lebensmittel­

wuchers

aus dem Felde zu schlagen. Das Gewerkschaftsknebelgesetz würde wiederkehren, wenn nicht die Masse des Volkes durch die Abstimmung am 25. Januar die Reaktion in die Schranken weist, ihr ein donnerndes

zuruft!

,, Bis hierher und nicht weiter

Deshalb ist es die Pflicht jedes gewerkschaftlich organisierten Arbeiters, den Vorwärts" zu abonnieren und dafür zu sorgen, daß alle Verbandskollegen gleichfalls Abonnenten des Vorwärts" werden!

Der Wahlkampf erfordert das volle Einsetzen der Kraft jedes aufgeklärten Arbeiters! Jeder klassenbewußte Prole­tarier muß Agitator sein, muß seine noch unaufgeklärten Arbeits- und Klassengenossen aufklären über das, was diesmal auf dem Spiele steht!

Belehrung und Anfeuerung bietet ihm aber einzig das Drgan der Sozialdemokratie, der

Vorwärts"!

Das deutsche Volt steht vor der Frage, ob es für die uferlose Kolonialpolitik, für die es bereits 1 Milliarden berpulvert hat, neue Milliarden verpulvern lassen will. Es hat zu entscheiden, ob es die Schaffung einer

billigt!

Kolonialarmee

Es hat sein Votum darüber abzugeben, ob es, nachdem erst im Anfang des Jahres 1906 zirka 800 Millionen für die Kriegsflotte bewilligt worden sind, für

neue Hunderte von Millionen

Sonntag, den 30. Dezember 1906.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV. Nr. 1984.

weil es die Kolonialpolitik der Regierung unterstützt hat; sie Nun, wenn von jetzt ab Dugende von Millionen den bezogen sich dabei auf das bekannte A b c buch von deutschen Steuerzahlern erspart bleiben, dann haben sie es Eugen Richter , worin es wörtlich heißt: der freisiunigen Volkspartei gewiß nicht zu danken. Die " Jm Reichstage würden für die Kolonialpolitik Bewilligungen traurigen Epigonen Eugen Richters haben ihren Widerstand nicht in dem stattgehabten Umfange erfolgt sein, wenn nicht die gegen die Kolonialpolitit aufgegeben, sie sind zu Kreuze ge­Zentrumspartei seit 1888 ihre Haltung zugunsten der Kolonial- frochen und bringen sich der Regierung als Schuttruppe der politik geändert hätte.... Die Zentrumspartei glaubt im Korruption in empfehlende Erinnerung. Und warum? Um Interesse der Missionstätigkeit die für die Kolonialpolitik eines Augenblickserfolges bei den Wahlen wegen. Denn geforderten Millionen bewilligen zu müssen. Tatsächlich aber nur um einen Augenblickserfolg handelt es sich für wird auch die Missionstätigkeit vielfach gehemmnt durch die den Freifinn, und um nichts weiter. Gleichviel wie Streitigkeiten und Kämpfe der deutschen Schutztruppen mit Sen groß das Häuflein Freisinniger ist, das auf konservativ­Eingeborenen." agrarisch- nationalliberal- antisemitischen Krücken in den Reichstag Genau in demselben Gedankengange bewegt sich ein Leit- hineinhumpelt, der Freisinn hat seine Rolle aus­artikel der Freis. 8tg." vom 30. November 1895, der den gespielt, er hat sich selbst sein Grab gegraben neuen Kolonialetat für 1896/97 bespricht: durch seine Prinzipienlosigkeit und seinen Seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck sind die Schuß- fortgesetten Voltsverrat! gebiete immer mehr und mehr reine Militärkolonien geworden, Und auch die jetzigen Bundesgenossen des Freisinns, die Operationsfelder der Schußtruppen. Die wirtschaftlichen Interessen Konservativen, wissen sehr wohl, was sie von ihren Schüß­sind immer weiter zurückgetreten. Die fortgesetzten ausgedehnten lingen zu halten haben. Spricht doch das konservative militärischen Expeditionen machen immer wieder neue Kriegszüge Handbuch voller Verachtung von der Frei­notwendig. Daraus ergibt sich dann eine fortgesetzte Vermehrung sinnigen Partei, als von einer Partei, deren der Schuztruppen selber, ohne daß die aus dem Handelsverkehr innerer Gehalt immer mehr im Schwinden ist und der Schutzgebiete erwachsenden eigenen Einnahmen eine Steigerung deren ganze Tätigkeit sich je länger länger je mehr auf erfahren. Die natürliche Folge find alsdann solche wachsenden die Erzielung des Augenblickserfolges bei Wahlen Barzuschüsse.. richtet! Aber dies absprechende Urteil hindert die Am wenigsten gerechtfertigt aber sind die hohen Reichs- Freisinnigen nicht, sich schweifwedelnd den Konservativen zu zuschüsse für Deutsch- Südwestafrika . Bisher hat man dieselben nahen! durch die Kriegszüge Witbois zu rechtfertigen gesucht. Nun ver- Uns fann dies unnatürliche Bündnis nur recht sein. Das hält sich aber Witboi ruhig und die Reichszuschüffe erfahren keine ganze Verhalten des Freisinns zeigt, wie richtig Ferdinand Verminderung, sondern eine weitere Erhöhung. Alles zum Unter- assalle im Jahre 1863 die damalige Fortschrittspartei, halt der dortigen Schutztruppe. Und doch ist in Südwestafrika die Mutter des heutigen Freisinns, beurteilt hat, als er schrieb, eigentlich nichts wert, geschützt zu werden. Wenn wir das Land daß sie bereits knietief in dem Sumpf von Bedeutungs- und derelinquierten, würden wir absolut nichts verlieren." Machtlosigkeit angelangt sei.

Es wird dann weiter ausgerechnet, daß jeder Deutsche in Fürwahr, der Freisinn watet im Sumpf, und er wird unseren Schuhgebieten dem Reich jährlich über 11 000 m. darin versinken! Kosten verursacht, und ironisch wird hinzugefügt:

" Für eine solche Summe fann man in Deutschland selbst bei­nahe schon als Regierungspräsident leben

Die erhöhten Zuschüsse für Afrika aber würden im Reichstage teine Mehrheit finden, wenn die Zentrumspartei hierbei einigermaßen auf die Interessen der Steuerzahler Rüdsicht nähme. Aber der bloße Um­stand, daß in den Schutzgebieten eine Kleine Anzahl katholischer Missionen tätig sind, bestimmt die Partei, alles zu bewilligen, was für die Schutzgebiete verlangt wird. Bisher hat aber noch niemand wahrzunehmen vermocht, daß der steigende Militäretat der Schutzgebiete auf die Missionstätigkeit daselbst fördernd ein­gewirkt hat. Im Gegenteil!"

Dies Zitat ist besonders charakteristisch, da die Situation,

zugunsten einer abenteuerlichen, konfliktschwangeren Flotten- aus der es geboren wurde, eine große Aehnlichkeit mit rüftungspolitik zu haben ist! der heutigen hat. Damals forderte die Regierung Das Proletariat hat am 25. Januar darüber zu entweiter Zuschüsse für Südwest afrita wegen. scheiden, ob es den unerhörten

Fleischwucher

der

angeblichen Kriegszüge von Witboi , Witboi, heute zur Niederwerfung der Hottentotten. Damals verhielt sich Witboi ruhig, diesmal standen uns ganze 300 Hottentotten gegen­über. Der Unterschied besteht nur darin, daß heute die frei­

schafsgeduldig ertragen will! Es hat darüber zu befinden, finnige Volkspartei die Rolle spielt, um derentwillen sie damals ob es sich

neue Steuerlasten

aufbürden lassen, ja ob es sich sein

laffen will!

Wahlrecht beschneiden

Die ganze bürgerliche Reaktion steht gegen das arbeitende Bolt im Felde!

Will da das Proletariat mit der Formierung seiner Schlachtenkolonne säumen?

Verächtlich der, der durch stumpfe Trägheit den Kultur­aufstieg feiner Klasse hemmt!

dem Zentrum heftige Vorwürfe machte. Was aber dem Faß den Boden ausschlug, das ist die prostituierende Art und Weise, in der die Freisinnshelden sich der Regierung an­bieten; sie bieten der Regierung ihre Reize dar und erwarten als Sündenlohn die Unterstützung der Regierung im Wahl­tampfe. Wahrlich, so hat sich noch niemals eine politische Partei erniedrigt, so würdelos hat noch niemals eine politische Partei ihre Sündenlohn in Gestalt einiger parlamen­Prinzipien über Bord geworfen, um den tarischer Mandate einzuheimsen.

Wir sind auf den Einwand gefaßt, daß es sich hier um ein Zitat handelt, das bereits ein Jahrzehnt zurückliegt. Nun,

Borwärts in den Wahlkampf! Hinein in die Agitation wir fönnen auch mit neueren Zitaten dienen, in denen die für den

,, Vorwärts"!

Freilinnige Wahrheitsliebe.

Forderungen für die Solonialpolitik der Regierung im all­gemeinen und für Südwestafrika im besonderen heftig be­fämpft werden. So schrieb die" Freisinnige Zeitung" am 12. Februar 1903:

Immerhin find Kamerun und das Togogebiet noch relativ weniger ungünstig als die geradezu trostlosen Schutzgebiete von Südwestafrika und Deutsch- Ostafrika . Es wäre unseres Erachtens unverantwortlich angesichts der Finanzlage... neue Aufwendungen für Afrika zu bewilligen."

Und wenige Wochen später, am 17. März 1903, erschien dem führenden Organ der Freisinnigen Volkspartei folgendes vernichtende Urteil über Südwestafrika:

Um ihren von uns gekennzeichneten Volksverrat zu be­schönigen und ihre Wähler zu täuschen, suchen die Freisinns­helden der Welt weiszumachen, daß die Fraktion der Frei- in finnigen Volkspartei sich mit ihrer zustimmenden Haltung zu den Forderungen für Südwestafrika nicht in Wider­spruch gesetzt habe zu der Haltung, die die Freifinnigen in früheren Jahren eingenommen haben. Das ist eine dreifte Unwahrheit, eine Spekulation auf die Urteilslosigkeit und die Unwissenheit derer, die bisher dem Freisinn Heeresfolge ge­leistet haben. Man braucht nur einen Blick in die partei­offiziellen Schriften des Freisinns oder in seine Parteiorgane zu werfen, um zu erkennen, daß sich tatsächlich in den Reihen der freisinnigen Führer eine völlige Wandlung vollzogen und daß die Fraktion das ihren Wählern gegebene Versprechen ge­brochen, also einen Trenbruch schlimmster Art begangen hat. Noch bei den letzten Wahlen haben die freisinnigen Agitatoren nach Kräften gegen das Zentrum gewettert,

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"

Das ganze Schutzgebiet hat wirtschaftlich nicht den geringsten Wert, es sei denn, daß sich dort noch Mineralien finden, deren Gewinnung fich lohnt. Aber in dieser Beziehung ist man nie über Annahmen" und Hoffnungen" hinaus ge= tommen. Auf Deutsch- Südwestafrika bezieht sich der Aus­spruch des Grafen Caprivi ganz besonders: Je weniger Afrika , desto besser." Fürst Bismard hatte 1885 mit seiner Kolonial­politik in Südwestafrika eingefeßt, weil das Land herrenlos war und er überhaupt irgendwo einen Anfang machen wollte mit solchen Besizergreifungen. Graf Caprivi aber war schon einmal nahe daran, Deutsch- Südwestafrika aufzugeben. Hätte er es nur getan! Dugende von Millionen würden den deutschen Steuer­zahlern erspart worden sein."

Wahlkampf.

Der Freifinn in freifinniger Beleuchtung.

sinnigen Vereinigung", beschwört in einem Leitartikel den Freifinn, Die Weser- 8eitung", ein angesehenes Blatt der Freis sich doch ja der Regierung bedingungslos und mit Haut und Haaren zu verschreiben, selbst wenn Gegenleistungen der Regierung nicht zu erwarten seien. Man solle alle Prinzipien auf sich beruhen lassen und blindlings die ausgestreckte Hand des Kanzlers ergreifen:

Das Volf erwartet jest nicht endlosen Hader über Prin zipien, über welche zwei Deutsche stets drei Meinungen haben, sondern es will, daß der Regierung die Möglichkeit ge­geben werde, das Joch des Zentrums abzuschütteln. Es gilt dem­nach, sich zu vertragen, nicht sich zu zanken; es gilt auch unter Umständen Opfer zu bringen. Wer daran Anstoß nimmt, setzt die Zukunft aufs Spiel.

Denn darüber ist kein Zweifel, daß die kommenden Wahlen nicht allein über die Zukunft des Zentrum 3, sondern auch über die der Liberalen entscheiden werden. Zum erstenmal feit fast 30 Jahren hat die Regierung sich an die liberalen Mittel­schichten des Volks gewandt, d. h. fie fragt an, ob sie dort Hülfe findet. Daß sie damit zugleich ihren bisherigen Charakter in einen ,, liberalen" ändern will, sagt sie nicht, und ist vernünftiger­weise, so im Handumdrehen, keineswegs zu erwarten; auf Be­dingungen läßt sie sich 3. 3. nicht ein. Zwar werden die Folgen einer solchen Hülfe nicht ausbleiben dürfen, aber das ist cura posterior. Der Kanzler hat jetzt die Hand ausgestreckt; wenn die Liberalen sie ergreifen, so steht ihnen eine Stellung in Aussicht, welche sie seit 30 Jahren schmerzlich vermissen. Aber es muß ein fester Handschlag sein, kein zaghaftes Tasten; wenn jetzt die Liberalen wieder versagen, so treten sie für das tommende Menschenalter von der Bühne gänzlich ab." Just am gleichen Tage, am 29. Dezember, ist nun in der Nation", dem Wochenblatt der Freisinnigen Vereinigung ", ein Artikel des Herrn Theodor Barth erschienen, in dem es heißt: Die Demokratisierung Deutschlands ist deshalb durchaus eine Lebensfrage geworden. Bei den bevorstehenden Reichstagswahlen fann es danach für jeden Liberalen, der die Politik nicht als Mandatsträmer betreibt, nur das eine Ziel geben: die reaktionären Kräfte, einerlei wo sie stehen, ob in der Zentrumspartei oder bei den Konservativen oder den Antisemiten oder sonstwo, nach Möglichkeit zurüd­zudrängen. Ein freisinniges Bürgertum, das sich zum Schleppenträger der Reaktion erniedrigte, würde nicht nur schlechte Wahlgeschäfte machen, sondern außerdem mit der allgemeinen Berachtung beladen, nur noch ein politisches Scheindasein führen und alle aktiven demokratischen Elemente mit Gewalt ins sozial­demokratische Lager hineintreiben.

Diese Reichstagswahlen vollziehen sich unter einer Begriffs­verwirrung, die alles übertrifft, was wir bisher auf diesem Ge­biet erlebt haben. Innerhalb dieser Konfusion ist ein bürger­licher Demokrat, der weiß, was er will, und der sich weder durch nationale Phrasen noch durch das blöde Umsturz­geschrei vom rechten Wege ablenten läßt, mehr wert als ein Dubend halbliberale Waschlappen, die sich mit Mühe und Not bis zu einem Reichstagsmandat hindurchlügen. Mehr als je tut uns heute Gharakter in der Politit not. Denn wir stehen nicht am Ende, sondern erst am Anfang einer großen konstitutionellen Aus­einandersetzung. Die Nachtragsforderung für Deutsch- Südwest­ afrika spielt dabei nur die Rolle des kleinen Steinchens, das eine Lawine in Bewegung seht. Das ganze alte Parteiwesen ist im Vergehen: Männer an die Front!"

In der Tat, eine Begriffsverwirrung", eine Konfusion" des waderen Freisinns, wie sie sich schlimmer nicht denten läßt!

Und in diesem Zeichen der völligen Auflösung will der Freifinn fiegen!