Ämtliche Wahlagitation.Der preußische Minister des Innern, Herr tnBettjinann-HMvcghat folgenden Rnnderlaß herausgegeben:Bei der bevorstehenden ReichStagSwahl ist eS unerläßliche Pflichtaller patriotisch Gesinnten und muß somit in erster Linie besondersauch von den wahlberechtigten Beamten auf daS bestimmteste erwartet werden, daß sie von ihrem Wahlrechte Gebrauch machen.Zu dem Zwecke werden sie sich zunächst darüber zu vergewissernhaben, daß sie in die Wählerlisten eingetragen sind. Die Frist fürderen Herstellung hat im Hinblick auf den frühen Wahltennin dies-mal besonders kurz bemessen werden müssen. Deshalb ist nicht auS-geschlossen, daß die Listen Unvoltständigkeitcn aufweisen, deren Be-feitigung, wirksam für die bevorstehende Wahl, nur durch rechtzeitigeEinsprüche während der vom 28. Dezember d. I. bis zum 4. Januark. I.(einschließlich) dauernden Auslegung der Listen herbeigeführtwerden kann. Wer in der letzten Zeit den Wohnsitz gewechselt hat, odernoch vor Ablauf der Auslegungsfrist verzieht, wird seine Aufnahmein die Liste desjenigen Wahlbezirkes— oder der Gemeinde— be-wirken lassen müssen, worin am Ende der Auslegungs- und Ein-spruchsfrist sein Wohnsitz liegt. Doch bleibt nach§ 7 des Wahlgesetzesjeder eingetragene Wähler in dem bisherigen Wahlbezirke zur Aus-Übung der Wahl berechtigt, der nur in einen anderen Wahlbezirkderselben Gemeinde verzogen ist und dort am Wahltage wohnt.Es ist dafür zu sorgen, daß bei allen mir nachgeordneten Be-Horden den Beamten die Konwolle der Wählerlisten durch zweck-entsprechende dienstliche Maßnahmen möglichst erleichtert wird. Auchist ihnen von der im Eingange dieses Erlasses ausgesprochenen Er-Wartung in geeigneter Weise Kenntnis zu geben.Ist es auch eine ungehörige Anmaßung, daß der Minister mitdeutlicher Wendung gegen die oppositionellen Parteien von den„pawiotisch Gesinnnten" spricht, so haben wir doch sonst gegen denErlaß nichts einzuwenden. Daß die Beamten an die Notwendigkeitder Konwolle der Wählerlisten erinnert werden und daß ihnen dieseKontrolle durch ihre Borgesetzten erleichtert wird, sowie daß sie aufdie Pflicht zur Teilnahme an der Wahl aufmerksam gemacht werden,kann uns ganz recht sein. Wir hoffen, daß sie diesen Anregungendes Mnisters eifrig Folge leisten und am 25. Januar dannso stimmen, wie sie es mit ihrer Pflicht gegen ihrVolk vereinbaren können. Die Wahl ist ja geheim lUnd über das, was pawiotisch, d. h. dem wahren Wohle des Vater-landes dienend ist. darüber darf auch ein Beamter andere Gedankenhaben als Herr v. Beihmann-Hollweg! Wieviel Veranlaffung vorallen» die unteren Beamten haben, am 25. Januar rot zu wählen,das werden wir im Laufe des Wahlkampfes noch mehrfachdarzulegen Veranlassung haben und das wissen überdem zahlreicheBeamte längst. So hoffen wir denn, daß dieser Erlaß des Herrnv, Bethmaim-Hollweg gute Früchte tragen wird— für das deutscheVollINebenbei kann jeder deutsche Bürger aus diesem Erlaß ersehen,wie dringend notwendig die Kontrolle derWählerlisten ist!Die Kontrolle der Wählerlisten.Wie notlvendig eine genaue Durchsicht der Wähler-listen ist. ergibt u. a. auch folgende Notiz des Stettiner..Volksboten":.,400 Reichstagswähler fehlten schon bei einervorgenommenen Stichprobe in einigen Bezirken in der Wähler-liste. Eine Mahnung an die Wähler, sich unbedingt vonihrer Eintragung zu überzeugen. Bei der Hast, mit welcherdie Listenaufstellung erfolgt ist, sind natürlich Fehler un-vermeidlich, in der Hauptsache aber sind es Arbeiter, diedurch Fehlen in der Liste ihres Wahlrechtes verlustig gehenkönnen."Das Wahlrecht und der Kost- und Logiszwang.Es gibt Meister, die ihren Einfluß auf die bei ihnen in Kostund Logis befindlichen Gehülfen dahin auszuüben suchen, daß demGehülfen verboten wird, zur Wahl zu gehen, da er nicht reichstags-wahlberechtigt sei. Selbstverständlich durchaus unberechtigterweise.Auch dem in Kost und Logis Befindlichen steht das freie.geheime Reichstagswahlrecht am A5. Januar ISO? zu,sofern er spätestens den 25. Januar 1882 geboren ist. Die Kor-respondenz„Gegen den Kost- und Logiszwang" macht darauf auf-merksam, daß Arbeiter, die in Kost- und Logiszwang arbeiten, dasWahlrecht zu einigen Land tagen, so für Sachsen, Oldenburg,Sachsen- Koburg- Gotha, Sachsen- Altenburg, Reuß und Waldeckermangeln. Dort ivird, wie auch nach der preußischen Städte-Ordnung, ein in Kost- und Logiszwang befindlicher Geselle als nichtselbständig erachtet. Für den R e i ch s t a g besitzen aber diese An-gestellten, ebenso auch Schlafburschen, das Wahlrecht.Genosse Bebel vor seinen Wählernim ersten Hauiburger Wahlkreise.Am Sonntagnachmittag fand im neuen Gewerkschaftshauseeine Mitgliederversammlung statt, wie sie stärker besucht in Ham-bürg noch nicht abgehalten worden ist, infolge des bisherigenMangels an einem größeren Lokale nicht abgehalten werden konnte.Schon lange vor Beginn der Versammlung waren der Riesensaalund die Nebenräume bis auf den letzten Platz besetzt, so daßmindestens 5000 Parteimitglieder zur Stelle waren. Viele Genossenaus anderen Wahlkreisen mußten enttäuscht nach Hause gehen, daaus räumlichen Gründen nur Mitglieder des ersten Wahlkreisesund auch diese nicht sämtlich, Einlaß fanden. Mit lautem Beifallempfangen, hielt der langjährige Abgeordnete dieses Kreises, Ge-nosse Bebel, einen längeren Vortrag über„Die Reichstags-a u f l ö s u n g", in dem er die ganze Misere der inneren undäußeren Politik, die zwiespältige Moral des Zentrums und desLiberalismus, die Pumpwirtschaft des Reiches, die famose Kolonial-Politik und was damit zusammenhängt, schilderte und mit denGegnern des jetzigen Reichstagswahlrechts scharf ins Gericht ging.Solche Angriffe mühten durch eine ungeheure Stimmenzahl fürunsere Kandidaten zurückgewiesen werden. Den Gegnern sei deut-lich zu sagen:„Nehmt Ihr den Arbeitern das Wahlrecht, um sie zu Helotenzu machen, dann haben diese auch kein Jntercfie mehr an der Er-Haltung dieses BatcrlandeS, kann man von ihnen auch nicht mehrverlangen, dah die Pslichtcn gegen dies Baterland«rsiillen. Dannfülirt Eure Kriege gefälligst selbst. Die Herren werden aber baldin Erfahrung bringen, daß sie der Arbeiter bedürfen. Darüberbrauchen sich die Wahlrechtsfeinde nicht zu täuschen, daß die Ar-beiter eventuell ein Mittel zur Abwehr anwenden werden, vondem wir uns Erfolg versprechen."(Stürmischer Beifall.)Einstimmig und unter lebhaftem Beifallwurde darauf de in Genossen Bebel die Kandida-tur für diesen Kreis wieder übertragen. GenosseBebel bemerkte:„Wir haben uns bisher noch immer gut ver-tragen/ und ich werde meinerseits alles mögljche aufbieten, daß wiruns auf das allerbeste vertragen."(Heiterkeit und Beifall.)Um der Oeffcntlichkeit Rechnung zu tragen, soll etwa in14 Tagen eine allgemeine Wählcrversammlung stattfinden.Mit begeisterten Hochrufen auf die Sozialdemokratie wurde dieRiescnversammlung geschlossen.Politisch bankerott erklärt.hat sich der Nationalliberalismus in dem industriellenRiesenwahlkreise Duisburg- Mülheim. Oberhausen.Bereits vor einigen Tagen berichtete der„Vorwärts" über dieKandidaten» ot de! nationalliberalen Scharfmacher diesesWahlkreises, den sie bisher zu ihrem eisernen Besitzstande zählten,und der fortwährend nationalliberale Größen, wie Dr. Ham-macher, den„langen Möller" und in der letzten Periodeden berufsmäßigen Scharfmacher Dr. B e u m e r als Parlament«-rische Vertreter aufzuweisen hatte. Nachdem nun aber seit einigenJahren in dem Kreise des schroffsten Herrenmenschentums einerseits durch die intensive Agitation unserer dortigen Genossen undandererseits durch das geradezu frivole Niedertrampeln derArbeiterinteressen durch die Nationalliberalen und das scharf-macherische Auftreten des Dr. Beumer im besonderen, dieSituation für die Nationalliberalen sich höchst ungünstig gestaltethat, so daß sie ihren„Sckleifstcindreher" aus den bekannten Gesund-heitsrücksichten nicht mehr weiter kandidieren lassen können, undnachdem nun auch der nationalliberale Leisetreter Bassermanntrotz Deputationen und Antelegraphicrcns keine Neigung verspürt,sich wegen der allzu„sauren Trauben" in politische Unkosten zustürzen, da scheint es bei den Herren von Bildung und Besitzvollständig Matthäi am Letzten zu sein auf ihre Hoffnung aufeine nochmalige Eroberung des größten Jndustriewahlkreiscs amNiederrhein. Resigniert verzichten sie, nachdem sie keinen„Erstklassigen" mehr bekommen können, nunmehr überhaupt aufeinen Kandidaten aus dem eigenen Lager und leiten die politischenHiebe auf einen—„schlichten Mann aus der Werk-statt", auf einen wirklichen Arbeiter(!)«b, trotzdem das national-liberale Scharsinachertum im vorigen Wahlkampf noch höhnenderklärte,„ein Arbeiter könne einen so hochwichti-gen Jndustriekreis gar nicht vertreten". Derplötzliche Wechsel im nationalliberalen Lager wirkt um so er-heiternder, als allgemein bekannt ist, daß der Erkorene derNationalliberalen und Konservativen weniger wie einepolitische Null, lediglich einen willenlosen Lückenbüßerdarstellt. Der Mann, der so plötzlich den sonst so stolzen undunnahbaren Jndustriekönigen und Pfarrern, Grundbesitzern undGewerbetreibenden usw. als Prügeljunge gerade gut genug er-scheint, ist von Beruf Former und sitzt seit einiger Zeit alsRenommierarbeiter auch im Duisburger Stadtrat, wo er in trauterGemeinschaft mit Kommerzienräten und Hausagrariern gegen dieInteressen seiner Klassengcnossen stimmt und im übrigen den Mundhält. Das offizielle Organ der Nationalliberalen, die„Rhein- undRuhr-Zeitung" schreibt am Schlüsse einer bombastischen Bekannt-gäbe dieser„Arbeitcr-Kandidatur":Herr Christoph Jung ist bei der Firma Esch u. Steinin Duisburg beschäftigt. Er wird seine Arbeit bei der Firmabeibehalten und in keine Partcistellung eintreten."Das letztere soll anscheinend eine besondere Empfehlung sein.Wieso, wissen die Nationalliberalen. Diese famose Arbeiter-kandidatur bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die voll-ständige Bankerott-Erklärung der nationalliberal-konservativen Politiker in der Jndustriegegend am Niederrhein.� Auch das Zentrum im Duisburger Wahlkreise hält seinenSchäflein eine sog.„Arbeiter-Kandidatur" als Köder hin. Manweiß ja, was eine Arbeiter-Kandidatur von Zentrums Gnadenzu bedeuten hat. Der Zentrumsmann ist in Dortmund k a t h o-lischer Arbeitersekretär und ein Zögling der M.-Glad-bacher Schule. Auch dieser Mann spielt den Renommierarbeiterim Dortmunder Stadtparlament.?lls er im Vorjahre einmaleine Lippe riskierte zu Gunsten unterdrückter Arbeiter, da wurdeihm von seinen älteren Gesinnungsgenossen bedeutet, daß er nochein Grünschnabel sei und den Mund zu halten habe: Seitdemist Herr Gronowski ganz zahm geworden, so zahm, i>atz derRuhm seiner Unterwürfigkeit bis Duisburg gedrungen ist, wo ihmnunmehr als Belohnung seiner Folgsamkeit die Durchsallskandidaturzum �deutschen Reichstage seitens der Schwarzen übertragen ist.So weist der industrielle Ricsenwahlkreis Duisburg-Mülheim,um dessen Besitz sich sonst Pfaffen und Scharfmacher stritten, jetztdrei Arbeiterkandidaten auf. Ein Zeichen der moralischenMacht der Sozialdemokratie.Der Freisinn im Wahlkampf.Wie sehr der Freisinn auf den Hund gekommen ist. sö wirduns aus Nürnberg geschrieben, ersieht man aus dem Verhaltender freisinnigen Presse im Wahlkampf in Bayern. Der„Kränk.Kurier" in Nu rnberg, das Zentralorgan des bayerischenFreisinns, das mit der unglaublichsten Tölpelhaftigkeit redigiertwird, vermeidet es mit peinlichster Sorgfalt, den Wählern miteinem Programm oder irgend einer Wahlparole zu kommen, weiles fürchten muß, bei den anderen Blockparteien, in denen sich diereaktionärsten Elemente zusammengefunden haben, Anstoß zu er-regen. Dagegen polemisiert es fortgesetzt gegen den„Vorwärts".aber nicht mit eigenen Geisteserzcugnissen, sondern es werden ein-fach die Schimpfereien aus norddeutschen liberalen Blättern undWaschzetteln oder die offiziösen Notizen der„Nordd. Allg. Ztg.",ohne jede Bemerkung und nur mit kurzen Einschiebseln gegendie sozialdemokratische Lokalpresse versehen, abgedruckt. Dieser Tagehat es das Blatt sogar fertig gebracht, den Artikel der„Nordd. Allg.Ztg.":„Die deutschen Steuerzahler" ohne den geringsten Kommen-tar als' Leitartikel an der Spitze des Blattes zu bringen. Dabeimußte es die Blamage erleben, daß noch drei andere NürnbergerBlätter, zwei unparteiische und ein liberal-konservativ angehauch-tcs, am gleichen Tage denselben Artikel an leitender Stelle der-öffentlichten. Schade, daß Eugen Richter, der das offiziöse Preß-kosakentum nicht scharf genug verurteilen konnte, diese Pxosti-tuierung der„entschiedenen liberalen" Presse nicht mehr er-lebt hat.Doch noch geeinigt!Aus Frank e»thnl wird vom 31. Dezember gemeldet: DieVerhandlungen der pfälzischen Nationalliberalen mitden B ll n d l e r n wurden mit dem Resultat beendet, daß man zueiner Einigung für die ganze Pfalz gelangte und zwar sowohlfür die R e i ch s t a g s w a h l e n als auch für die Landtags-Wahlen.Nachdem sich angeblich di» Verhandlunge» schon gänzlich zer-schlagen hatten, haben die Brot- und Fleischwucherer schärferer undwilderer Observanz sich also doch noch gefunden. Weshalb solltensie auch nicht, da sie doch so gut zusammen passen!Wo bleibt Herr Arendt?Der enragierte semitische Vorkämpfer für Arier- und Deutschtumund Sprecher der Freikonservativen Herr Dr. Arendt istim Mansselder Kreise, den er seit 1398 im Reichstage vertrat,noch nicht wieder ausgestellt worden. Man munkelt. BergratSchräder, der Nachfolger Leuschners, wolle selbst kandidieren.Für den WahlfondS.Die Zahlstelle Berlin des BerbandeS der Brauerei-arbeiter hat dem Wahlfonds 500 Mark überwiesen. Das istumsomehr anzuerkennen, als die Berliner Branereiarbeiter eventuellin nächster Zeit in einen Lohnkampf eintreten müssen.Die organisierten Metallarbeiter in Halle a. S. haben1000 Mark zum Wahlfonds gegeben. Sie wollen den Betragdurch einen Eytrabeitrag decken.Der Zentralvorstand des Verbandes der baugewerb-lichen Hülfsarbeiter Deutschlands(Sitz Hamburg)hat dem Parieivorstand 6000 Mark als Beihülfe zur Reichstags-wähl übersandt.Kandidaturen in Anhalt.Im Wahlkreise Dessau-Zerbst(früher durch Rösicke der-treten) hat sich der gesamte Ordnungsbrei auf Schräder(frs. Vg.) geeinigt. Sozialdemokratischer Kandidat ist Landtags-abgeordneter K ä p p l e r- Altenburg.Im Kreise Bernburg- Kothen, bisher durch Wessel(natl.) vertreten, kandidiert Lcgationsrat vom Rath-Char-lottenburg(natl.), ferner Lehrer Stark-Magdeburg(frs. Vp.).Sozialdemokratischer Kandidat ist Gewerkschaftsbeamter Bender-Magdeburg.Kandidaten-Aufstellungen.Die sozialdemokratischen Kandidaten für die acht Wahlkreise de».Regierungsbezirks Merseburg(Prov. Sachsen) find:Torgmi-Liebenwerda: Genosse Fleißner-Dresden.Wittenberg-Schweinitz: Genosse F r i tz s ch- Berlin.Delitzsch-Bitterfeld: Genosse Raute- Eilenburg.Sallr-Saalkreis: Genosse K u n e r t« Berlin.isleben-Mansseld: Genosse Trautewein- Gernrode.Sangerhausen-EckartSderga: Genosse Graf« Sangerhausen.Merscbury-Ouerfurt: Genosse Vollender« Leipzig.Zeitz-Weißenfels-Raumburg: Genosse Thiele- Halle.Die Wahlbewegung in der Provinz Brandenburg.Im Wahlkreise Potsdam-O st Havelland wurdeder vergangene Sonntag zu lebhafter Wahlagitation benutzt. Dieerste Rummer der„Wahlzeitung für den Kreis PotSdam-Spandau-Osthavelland" gelangte überall zur Verbreitung und eine ReiheWählervcrsammlungen fand statt. In Sommerfeld undKremmen sprach der Kandidat des Kreises, Genosse Dr. KarlLiebknecht, in starkbesuchten Versammlungen. In Ketzinreferierte Genosse Fülle- Berlin vor einer stattlichen Wähler-Versammlung, ebenso tagte in Bornstedt eine gut besuchte Volks-Versammlung. Ueberall ist di« Stimmung eine begeisterte undman hofft bestimmt auf den Sieg des sozialdemokratischen Kandi»baten. Heute, am Neujahrstage, spricht Genösse Liebknecht inVehlefanz und Bötzow; auch auf kommenden Sonntagsind eine Reihe Wählerversammlungen anberaumt.In Drebkau, Wahlkreis Kalau-Luchau wurde amSonntag eine Volksversammlung aufgelöst, in der der Kandidatdes Kreises, Genosse Stadtverordneter S ch ub er t- Berlin, refe-rieren sollte. Trotzdem in dem betreffenden Lokale wiederholtgrößere Tanzlustbarkeiten und Versammlungen stattgefunden hatten,hielt es der Bürgermeister des Städtchens für.angezeigt, gestütztauf eine Regierungs-Präsidialverordnung. den Einberufer der Ver-sammlung mittels eingeschriebenen Briefes davon in Kenntnis zusetzen, daß er die Abhaltung der Versammlung umtersagt. weilbei dem zu erwartenden Andrang Unglücksfälle herbeigeführt werdenkönnten. Unsere Genossen kehrten sich an die Privatmeinung desBürgermeisters nicht, sondern eröffneten ruhig die Versammlung.Als der Genosse Schubert in kräftigen Worten das eigentümlicheVorgehen der Behörde kritisierte, löste der Ueberwachende die Per-sammlung auf. Eine tiefe Erregung bemächtigte sich der zahlreichErschienenen, unter denen viele Freisinnige waren, und nur derBesonnenheit unserer Genossen ist es zu danken, daß weitere SZor,kommnissc vermieden wurden.—Im Wahlkreis Züllichau-Schwiebus-Crossen-So m Merfeld sind die Parteien nun ausmarschiert. Die„Libe-raten" sind„geeinigt"! Nach der Anbettelung Bülows um Schutzgegen die amtlichen Saalabtreiber ziehen die..Geeinigten" als„patriotische Opposition" von Dorf zu Dorf, auf ihrem Wege das„Deutsche Reichsblatt" und eine Broschüre„Mein politisches Pro-gramm" mit dem Bildnis des Kandidaten Professor v. Lisztauf dem Titelblatt, in Massen verteilend. Der Erfolg dieser eigen-artigen Empfehlung des liberalen Kandidaten wird sich am25. Januar zeigen.Die Konservativen haben den Brot- und Lebensmittelverteuererund Wahlrechtsfeind, den bisherigen Abgeordneten BürgermeisterS ch l ü t e r- Sommerfeld wieder aufgestellt. Zur Unterstützungseiner Kandidatur gründen inzwischen die Amts- und Gemeinde-Vorsteher„konservative Wahlvercine"! Daß mit Ausnahme derdrei Städte Schwiebus. Sommerfeld und Züllichau Säle für unsereParteigenossen nicht zu haben sind, erschwert wohl den Kampf,hinderte aber nicht, daß unsere Genossen als erste kampfesfreudigauf dem Plane erschienen. Unser Kandidat, Genosse OswaldG r a u e r- Lichtenberg, hat in drei großen Versammlungen deroben genannten Städte bei seinen Hörern freudige Zustimmunggefunden und hoffnungsvolle Begeisterung erweckt. Opfermütigund willig wandert eine Schar tapferer Parteigenossen mit demAufklärungsmaterial bis zur entferntesten Hütte, überall mit Ver-ständnis und gut aufgenommen. Die bisher gezeitigten Resultateder Agitation und Organisation berechtigen zu den besten Hoff-nungen. Ein Frauenverein in Schwiebus zählt heute schon 80 Mit-glieder. Andere werden folgen! In Groß-Braaschen wurden 19037 Stimmen für die Sozialdemokraten abgegeben. Der Amtsvorsteherhat die„Wähler" in„ortsüblicher Weise" zu einer„Versammlung"eingeladen. Von den erschienenen 60 Teilnehmern machte etwa dieHälfte nicht mit, weil nur— Königstreue Zutritt haben sollten!Tableau!kiationalüberale gegenstationalliberale.Unter den„nationalliberalen" Parteien, die in diesem Wahl-kämpfe der„vaterlandslosen Sozialdemokratie" mit allem Aufgebotder patriotischen Phrase den Garaus machen möchten, sind natur-gemäß die Nationalliberalen vome an. Seit jeher haben sie sichals die Erbpächter des Patriotismus geriert, feit jeher haben sieden sozialdemokratischen Kamps gegen Militarismus und Massen»mord, gegen die Kolonialpolitik als Verrat am Reich denunziert.Und doch ist es noch gar nicht allzu lange her, daß ein amtlichesOrgan, die nationalliberale„Dortmunder Zeitung", flammendeAnklage gegen die deutsche Kolonialpolitik, gegenMilitarismus und Massenmord erhob in solch beredtenund trefflichen Worten, daß man hätte glauben können, ein. sozial-demokratisches Organ vor sich zu haben. Es ist jetzt an der Zeit,die Nattonalliberalen an die so trefflichen und vernünftigenArtikel eines ihrer Parteiblätter zu erinnern. Wir entreißen siehiermit der Vergessenheit. ES war zu Anfang des Monats Pärz1905, wo die Regierung ebenfalls mit Nachtragsforderungenf ü r S ü d w e sl a f r i k a an den Reichstag herantrat, da schriebvoller Evtriistuilg das nationalliberale Dortmunder Amtsblatt:„Weitere sechzig Zsiillionen Mark! Man sieht, die Kolonial«Politik kommt Deutschland teuer, sehr teuer zu stehen I FürBildungs- und Wohltätigkcitsanstaltcu pflegt das Geld bei unS rarzu sein— und im schwarzen Erdteil wird es millionenweise hinaus-geworfen! Hoffentlich wird man im Reichstage ein ernflcs Wortzu diesen unerhörten Nachforderungen reden."Seitdem die„Dortmunder Zeitung" dieses schrieb, ist im Reichs-tage manch ernstes Wort gegen die Kolonialpolitik geredet worden,nur nicht von den Parteigenosfen deS nationalliberalen Blattes. ESist nach manchem„ernsten Wort" sogar znr Auflösung deS Reichs-tageS gckonimen, und die Parteigänger des Dortmunder Amtsblattesniachcn jetzt in„nationaler Entrüstung", weil der Reichstag in seinerMehrheit wirklich im Sinne des Dortmunder Blattes gehandelthatte...Als die„Dortmunder Ztg." damals in solch wegwerfender Weiseüber die Kolonialpolitik ihr Urteil fällte, glaubte nian zunächst aneine momentane„Entgleisung". Man hatte sich aber geirrt, dennbald bekam man noch viel e n t s ch i e d en ere Töne zuhören überMilitarismus und Massenmord. Man höre undstaune:»Leben wir in einem Zustande der Humanität oder der Bar»barei— in einem Jahrhundert der Zivilisation oder der Der»wilderung? Die Frage scheint unangemessen— und ist dochleider nur zu sehr berechtigt! Gern brüstet sich die Menschheitmit den Errungenschaften der Ncuzest auf dem Gebiete der vffcnt«lichen Hygiene, der Wohlsahrtseinrichtungen und so weiter.Wir haben Asyle für Wöchnerinnen, wir haben? Kranken-, Siechen-und Findelhäuser, wir haben Veline vom roten und blauenKreuz, Vereine zur Rettung auS allen möglichen Versuchungen, Röten