Schilderung einer Zlugenzeugi«.i Von dem Unglück entwirft dem„Berliner Tageblatt" eineSängerin vom Stadttheater in Bremen, die am Sonnabend inHamburg gastiert hatte und in einem Frauenabteil zweiter Klasseim Unglückszuge zurückfuhr, folgende Schilderung:„Ich befand michin dem Ahteil allein und hatte mich auf einer Bank ausgestreckt.Da ich keine Reisedecke mit mir führte und bei der drautzen Herr-schenden empfindlichen Kälte das Coupe nicht besonders warmwar, hielt ich mir immer vor:„Nur nicht einschlafen, damit du nichtzu kalt wirst." Unter dem Einfluß dieser Idee hatte ich gerademeinen linken Arm. der über den Rand der Bank herunterhingund„eingeschlafen" war. an mich gezogen und rieb ihn kräftig mitder rechten Hand, als plötzlich ein unbeschreiblich fürchterlicherKrach erfolgte— das Coupe war über mir zusammengebrochenwie ein Kartenhaus. Ich lag zunächst vor Entsetzen gelähmt voll»ständig ruhig, dann suchte ich mir die Situation klar zu machen.Soweit es der enge Raum gestattete, suchte ich mich zunächst davonzu überzeugen, ob ich irgendwie verletzt sei. Die Glieder warenbcwegungsfähig, nur im rechten Oberschenkel fühlte ich eine bleierneSchwere. Mit einer mir heute vollständig unbegreiflichen Ruheüberlegte ich weiter. Sollte ich rufen, schreien? Das wäre völligüberflüssig gewesen, denn von draußen drang ein geradezu ohren-betäubendes Gebrüll zu mir herein, das überhaupt nicht zu über-tönen war. Nun fing der Gedanke an mich zu quälen, was da wohlso entsetzlich brüllen möchte. Sind das die Verwundeten? Könnensterbende Menschen so fürchterliche Laute von sich geben? Plötzlichmacht sich ein intensiver Gasgeruch bemerkbar, der mir fast denAtem nahm. Großer Gott, dachte ich, jetzt naht das End?, du wirsthier elendiglich zugrunde gehen! Da kam es wie Verzweiflungüber mich. Mit gewaltiger Anstrengung suchte ich mich von derHülflosen Rückenlage auf die Seite herumzuwälzen, um mich vor-wärts schieben zu können, irgendwo hin, irgendwo heraus...Die Erschöpfung, die der großen Anstrengung folgt, macht michwieder ruhig, kalt. Ich taste nach der Seite, um zu sehen, ob dakeine Oeffnung, kein Loch ist. Nichts. Fest hat sich die andere Bankgegen meinen Sitz gepreßt—„eine Viertelminute früher, und deintinker Arm säße dazwischen, eingeklenimt, zermalmt!"— geht CSmir durch den Kopf. Von dem Mittelfenster des Abteils ist nichtszu entdecken— doch vorwärts über meinem Kopf ein schwacherLichtschimmer, das schmale Seitenfenster ist freigeblieben! Ichschiebe mich zu ihm hin— die Scheibe ist unverletzt geblieben—wie merkwürdig denke ich, alles ist zerbrochen, und die Glasscheibenicht! Ich will anpochen, vielleicht hört man mich— zertrümmernkann ich in dieser Hülflosen Lage das Glas mit den bloßen Fäustennicht— da trifft die eine tastende Hand auf ein Lattenstück, esläßt sich hervorziehen und gelingt mir, die Fensterscheibe damit ein-zustoßen. Mit dem Klirren des Glases vermischt sich eine Männer-stimme von außen, und ein mit einer Matrosenmütze bedeckter Kopfhebt sich scharf vor der Oeffnung ab, daneben gleich darauf einzweiter. Das war die Rettung.Die wackeren Blaujacken entfernten schnell die Reste derFensterscheibe, griffen nach meinen beiden Händen und zogen michaus den Trümmern. Was ich draußen auf dem hellen Schneefeldewahrnahm? Lauter Entsetzliches, was mir aber kaum zum Be-wußtsein kam. Wir waren in einen mit Vieh beladenen Güterzughineingefahren— ein Chaos von Trümmern, dazwischen steckendhalbzerfleischte, wahnsinnig brüllende Tiere— brennende Wagen,verwundete und teilweise entsetzlich verstümmelte Menschen. EinMann, dem eben beide Beine abgequetscht sind, und der immerfortwiederholt: Ich habe gar keine Schmerzen, gar keine.— Eine Frau,der ein Arm fehlt— fieberhaft am Rettungswerk arbeitendeMänner— dort ziehen sie eine Frau heraus, die, sobald sie sicherenGrund unter den Füßen fühlt, wie von Furien gepeitscht quer-feldein rast— ich sehe das alles, apachisch, wie gelähmt. Plötzlicherblicke ich an der Türöffnung des halbzertrümmerten Packwagensim Feuerschein meinen Koffer— den mußt du retten, durchzucktes mich, ich zerre ihn fort von den Trümmern auf den Bahndamm— und setze mich darauf und schaue wieder ganz apathisch auf alldas Grausige um mich her.—So muß ich wohl ein, zwei Stunden dagesessen haben. Ob eskalt war? Ich weiß es nicht. Ab und zu kamen meine Retter undsprachen beruhigende Worte— und als sie dann wiederkamen,faßten sie meinen Koffer und sagten:„Kommen Sie Fräulein, wirsollen zur nächsten Station gehen." Mechanisch folgte ich ihnen,mechanisch bestieg ich den Zug nach Bremen, mcckanisch suchte ichmeine Wohnung auf. Erst als ich meine vier Wände wiedersah,löste sich die entsetzliche Erstarrung in heftigen, immer wieder ein-setzenden Weinkrämpfen..Eine weitere Katastropheereignete sich am Rhein. Die amtliche Meldung aus Köln hier-über vom M. Dezember besagt:Heute früh 4 Uhr v Minuten fuhr bei sehr dichtem Nebel derLupuszug S3 Wien— Ostende auf den in den Bahnhof Kalscheurenfahrenden Güterzug 8205, wodurch eine Anzahl Wagen des Güter-zugeö entgleisten und zertrümmert wurden. Der Schlußbremserdes Güterzuges wurde getötet; außerdem erlitten zwei Postbeamtedes Luxuszuges leichte Verletzungen. Von den Reisenden desLuxuszuges und dem übrigen Zugpersonal wurde niemand verletzt.Der Luxuszug konnte mit L'/z stündiger Verspätung nach Kölnweiter geleitet werden. Der Betrieb zwischen Köln und Brühl istnicht unterbrochen. Die Untersuchung ist eingeleitet.Auch im Auslande haben sich Eisenbahnkatastrophen ereignet.Der internationale Expreßzug Ostende— Basel fuhr nach einerMeldung aus Brüssel bei Ouatrecht auf einen Güterzug. DieUrsache des Unfalls war der dichte Nebel. Der Zugführer Dhamerswurde getötet. Verletzt wurden der Maschinist, der Heizer undder Schaffner des Expreßzuges. Reisende wurden nicht verwundet.Das Unglück erfolgte infolge verspäteter Abfahrt des Güterzugesauf ein Seitengleis.Ein weiterer schwerer Eisenhahnzusammenftoß ereignete sichin Amerika. Auf der drei Meilen von Washington gelegenenEisenbahnstation Terracotta der Baltimore and Ohioeisenbahn er-folgte ein Zusammenstoß zwischen einem Personen- und einemGüterzuge. Ein Telegramm aus Washington vom gestrigen Tagegibt die Zahl der Toten auf 38. die der Verwundeten auf SV an.6ewerkrcbaftUche9eRehre zurück; es ist Dir alles verziehe«!Im Verlaufe deL langwierigen Streiks auf den schlesischenKohlen- und Kokswerken und auch sonst sind aus Schlesienhunderte, wenn nicht tausende Bergarbeiter abgewandert;meist nach Rheinland-Westfalen. Niedere Löhne, schlechte Be-Handlung, Schikanen hatten den Leuten die Heimat verleidet.Jetzt, nachdem die Gruben und Hütten entvölkert und dieLeutenot aufs höchste gestiegen ist, werden die Proletarier,denen man erst den Aufenthalt in der Heimat unerträglichgemacht hat, angebettelt, zurückzukommen. Von denSchlesiern ist der„Bergarb.-Ztg." folgendes Schreiben, das dieLeute erhalten haben, zugegangen:Schloß Waldenburg, im Dezember IVOS.Hauer Herrn R. N. in Hamborn IDaS königl. Oberbergamt hat genehmigt, daß die nach West-falen ausgewanderten ntederschlesischcn Bergarbeiter wieder nachNiederschlesien zurückkehren und auf den niederschlesischen Grubenangelegt werden können, wenn sie den angegebenen Bedingungengenügt haben..Falls Sie hiernach Luft haben sollten, wieder nach Nieder-schltfien zurückzukehren, teile ich Ihnen hierdurch mit, daß SieI nach Ihrer Rückkehr zunächst sechs Wochen über Tage im Schicht-I lohn beschäftigt wurden und zwar würden Sie den Schichtlohnals Hauer erhalten. Es wird darauf gehalten werden, daß Siein dieser Zeit auch möglichst im Akkord über Tage beschäftigtwerden können. Ein ärztliches Attest, daß Sie bei Ihrer AbreiieauS Westfalen wurmftei sind, hätten Sie mitzubringen. Wenn nachAblauf der sechs Wochen von unserm Knappschaftsarzt festgestelltwerden sollte, daß sie wiirmkrank sind, so könnten Sie hier nicht weiterbeschäftigt werden. Es würde Ihnen aber dann von der Verwaltung dasReisegeld nach Westfalen zurückgezahlt werden. Stellt sich nachAblauf der sechs Wochen durch die ärztliche Untersuchung heraus,daß Sie nicht wurmkrank sind, so werden Sie wieder in der Grubeangelegt werden. Das Reisegeld von Westfalen nach Nieder-schlesien würde Ihnen von der Verwaltung aus vergütet werden,wenn Sie hier sechs Wochen auf den herzoglichen Gruben ae-arbeitet haben. Das ärztliche Attest in Westfalen müßten Sie sichauf Ihre eigenen Kosten ausstellen lassen. Dagegen würde dieUntersuchung in Niederschlesien auf Kosten der Verwaltung erfolgen.Ihre Ansprüche an die hiesige Knappschaftskaffe bleiben Ihnen,wie Ihnen ja bekannt ist, erhalten, wenn Sie innerhalb sechsMonaten nach Abgang von hier Ihre Beurlaubung beantragthaben. Falls dieS noch nicht geschehen sein sollte, würde ichIhnen raten. Ihre Beurlaubung schleunigst noch zu beantragen.Ich teile Ihnen noch mit, daß inzwischen dieLöhneauch hier ganz wesentlich gestiegen sind, daßder Durchschuittsverdienst der Hauer jetzt hier über 4 M. beträgt.Ich bitte Sie, Ihren niederschlesischen Kameraden,diemitJhnen d o r t b esch äftlgt sin d. von diesemSchreiben Kenntnis zu geben und mir mitzuteilen, obSie, event. auch noch andere Kameraden, willens wären, wiedernach Waldenburg zurückzukehren.Mit bestem Glückauf I D r e ß l e r.Wie man sieht, können Bergtverksvcrwalter höflichsein— und sogar in Niederschlesien! Die Leute haben aberkeine Lust, zu den„gefüllten Kompottschüsseln" zurückzukehren.Berlin und Qmgegend.An die Arbeiterschaft Berlins und der Bornte!ES ist nicht ausgeschlossen, daß mit dem heutigen Tagesämtliche Kraftdroschkenführer Berlins, sowie die inCharlottenburg, Rixdorf, Schöneberg usw. von den Unternehmernausgesperrt werden, und zwar deswegen, weil sie sich eineReduzierung ihres Lohnes bis zu 33Z4 Proz. nicht gefallen lassenwollen. Nur wenige Firmen sind es, welche den bisher gezahltenLohn weiter zahlen. Wenn man berücksichtigt, daß mit demheutigen Tage eine allgemeine Tariferhöhung fürDroschken in Kraft tritt, welche besonders für Automobil-droschken von bedeutendem Vorteil ist, so muß man es um sorücksichtsloser von den Unternehmern finden, daß sie angesichtsdessen, mit einer Verkürzung des Lohnes kommen. Sie wollenhiermit sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.Auf der einen Seite Erhöhung des Tarife s, auf deranderen Verkürzung des Lohnes; sie wollen also einendoppelten Vorteil herausschinden. Den Reigen in dieserBeziehung hat schon die Firma B e d a g, Chausseestraße 121. er-öffnet, indem sie am vergangenen Sonnabend sämtlicheFührer aussperrte, welche einen Revers bezw. der Lohn-frage und Fahrerordnung nicht unterschreiben wollten.Die Unternehmer werden nun versuchen, aus anderenranchen Arbeitskräfte für die ausgesperrten Führer heran-zuziehen, event. werden dieselben neue Führer ausbilden, um ihrenWillen durchzusetzen. Dies darf aber auf keinen Fall geschehen.Deshalb richten wir an alle organisierten Arbeiter das Ersuchen,die Automobilführer dadurch zu unterstützen, daß sie es strikteablehnen, für die. Ausgesperrten in die Breschezu springen. Besonders dürsten sich die Unternehmer anArbeitslosewenden, um ihr Vorhaben zur Durchführung zubringen.Da die Führer zu 96 Proz. organisiert, so ist, wenn dieUnternehmer von anderer Seite keine Hülfe bekommen, der Kampfnicht aussichtslos. Hoch die Solidarität. Wir bemerken noch, daßeinzelne Firmen, wie Maxim, Hollmannstraße, Hoch u. Co.,Köpenickerstratze, Thien, Mittclstraße, den alten Lohn Weilerzahlen. Wir ersuchen die Führer, dies zu beachten.Verein der Droschkerführer Berlins und Umgegend,Mitgliedschaft IV des ZentralverbcmdeS der Handels-, Transport-und Verkehrsarbeiter Deutschlands.ablehnte. Und Eugen Ri chter, der Gründer der„Frel-sinnigen Zeitung"(!), empfahl seinem Drucker zur Abwehr desGehülfenansturms:.Stellen Sie Mädchen ein!"Die Aussperrung in den RileSwerken zu Oberschöneweide hattegestern die Vertreter der Metallindustriellen und der Ausgesperrtenzu erneuten Verhandlungen über die Beilegung der Differenzenzusammengeführt. Eine Verständigung konnte jedoch auch diesmalnicht erzielt werden, weil die Firma jedes weitere Entgegenkommen,als wie sie es bei der ersten Verhandlung bereits definiert hatte»ablehnte. Das heißt, sie versteift sich nach wie vor darauf, die Groß«former und deren tzülsSarbeitcr nicht sofort, sondern erst nach Be-darf wieder einzustellen. Die Versammlung der Ausgesperrtenlehnte gestern die Wiederaufnahme der Arbeit unter diesen Be»dingungcn abermals mit übergroßer Mehrheit ab.Zur Bewegung der Brauereiarbelter.Eine Mitgliederversammlung deS ZentralvcrbandeS der Brauerei-arbeiter(Sektion II Berlin) nahm am Sonntag den Bericht derTarifkommission über die Verhandlungen mit der Arbeit-geberkommission entgegen. Die Arbeitgeber haben folgendeZugeständnisse gemacht: Flaschenkellerarbeiter Lohn 25 M., Hof-arbeiter Lohn 25,50 M., Handwerker-Hlllfsarbeiter Lohn 26 M,.BrauereihülsSarbeiter Lohn 28 M., nach zwei Jahren 29 M.Arbeitszeit 9'/, Stunden innerhalb 11 Vc Stunden, Die Diskussion,welche sick an den Bericht anschloß, nahm zeitweilig einen ziemlicherregten Verlauf.Oeutfcftes Reich.„Stellen Sie Mädchen ein!"Dem„Korrespondent für Deutschlands Buchdrucker und Schrift-gießer" entnimmt die„Freisinnige Zeitung" die Mifteilung, daßangeblich die Einführung des neuen Buchdruckertarifes gerade inden sozialdemokratischen Druckereien Schwierigkeiten begegne, nachdemvorher die sozialdemokratische Presse den Tarif als einen„Bettel"bezeichnet hätte. Natürlich weiß die„Freisinnige Zeitung" ganzgenau, daß in den sozialdemokratischen Druckereien die Forderungendes neuen Tarife« schon f r ü h e r nahezu erfüllt waren, daß diefesten Löhne das bisherige Minimum überstiegen, daß teilweise einProzentaufschlag aus den Akkordlohn gezahlt wurde und der Acht-stundentag meist zur Durchführung gelangt ist. In dieser Be«ziehung sind die Parteidruckereien schon vor Jahren über diejetzt aufgestellten Forderungen hinausgegangen und haben natürlichnicht daran gedacht, sich auf.den neuen Tarif zu beschränken undetwa die Arbeitszeit den neuen Forderungen anzupassen, d. h. siezu verlängern. Schon 1891, als die Buchdrucker mit ihrer Lohn-bewegung Unglück hatten, führten die sozialdemokrattschen Betriebe,obgleich sie damals finanziell sehr wenig leistungsfähig waren--in der Provinz sind sie es noch heute— das durch, was die übrigenUnternehmer verweigerten. Damals war eS gerade die frei-sinnige Presse, die den Buchdruckerverband immer über dengrünen Klee gelobt hatte, die alle Forderungen ihrer«ngestelftenInfam beschimpftvon ihren eigenen Ausbeutern werden die BergarbeiterOberschlesiens. Um ihre ablehnende Haltung gegenüber denLohnforderungen zu begründen, schreiben diese:„Die Erfahrungenaller Gruben in Oberschlesien haben gelehrt, daß jede Lohnerhöhungnur zu einer Verminderung der Förderung führt, da die Berg-arbeiter die früheren Lohneinnahmen für ihreLebenshaltung als ausreichend erachten unddaher Lohnerhöhungen durch unbefugte Feier-schichten wieder ausgleichen."(I) Wenn also die Ar-beiter mebr Lobn bekommen, werden sie faul. DaS glauben diefrumbcn ZentrumSgrafen der Welt weis machen zu müssen, umihren Profithunger zu bemänteln!Nun, es wird auch in Oberschlesien Tag werden. Die kommendeWahl wird den Herren zeigen, daß auch oberschlesische Bergsklavenihr Recht richtig zu gebrauchen wissen werden.Die«üblichen Elemente.Welche Elemente sich unter den Aucharbeitern befinden,die bei Lohnkämpfen ihre Klassengenossen verraten und deS-halb als die wichtigsten Stützen der Ordnung angesehen werden.erhellt wieder aus folgendem: In einer ganzen Reihe von Streik-Prozessen hatte der Maurer Grasser in Nürnberg als Denunziantund Zeuge eine Rolle gespielt: mancher brave Arbeiter ist auf dieAussage dieses Mannes hin zur Strafe verurteilt worden. DieserMensch wurde jetzt endlich, nachdem er lange sein Unwesen getrieben,in einer Verhandlung des Schöffengerichts Nürnberg gebührend anden Pranger gestellt. Die Verhandlung beruhte wieder aus einerDenunziation des G r a s s e r. Bei einer Vernehmung in eineranderen« Streiksache hatte er dem Staatsanwalt unaufgefordert er-zählt, der Steinhauer Schmidt habe auf der Straße seinem70jäHrigen Bater ins Gesicht gespuckt und ihn auch beschimpft, weilder alte S ch m i d t als Arbeitswilliger aufgetreten sei. Der Staats-anwalt vcranlaßte das weitere, und Schmidt jun. hatte sich wegenVerletzung des berühmten§ 153 zu verantworten. In der erstenVerhandlung erschien der Kronzeuge G r a s s e r nicht, wahrschein-lich wegen seines schlechten Gewissens; er wurde deshalb zu einerOrdnungsstrafe verurteilt. In der neuerlichen Verhandlung wurdefestgestellt, daß die ganze Geschichte erlogen ist, der alteSchmidt, der mit seinem Sohne in Feindschaft lebt, erklärteals Zeuge, daß er während des ganzen Streiks seinen Sohn nichtu Gesicht bekommen hat. Angesichts der Aussage dieses und andererZeugen mußte G r a s s e r klein beigeben; nun erklärte er. er habe? gesehen, wie vor dem alten Schmidt jemand auf den Boden ge-puckt habe; er wisse aber nicht genau, ob das der junge Schmidtgewesen sei. Der AmtSanwalt beantragte, den Angeklagten frei-zusprechen und dem Denunzianten G r a s s e r die Kosten auf-zubürdcn. Das Gericht erkannte auf Freisprechung und Ueber-bürdung der Kosten auf die S t a a t S k a s s e! Es erklärte, dieKosten könnten dem Grasser aus gesetzlichen Gründen nicht auferlegtwerden, da er die Anzeige nicht direkt gemacht, sondern die Sachenur gesprächsweise dem Staatsanwalt erzählt habe.HusUnd.Ankündigung einer Massenaussperrung in Dänemark. Der Sheschluß der Straßenbahn- und Omnibusangestellten von KojHagen und Frederiksbera hat dazu geführt, daß der Hauptvorstandder dänischen Arbeitgebervereinigung dem Verband der dänischenGewerkschaften am Sonnabend eine Einladung zu gemeinsamer Ber-Handlung der beiden Hauptvorstände sandte, gleichzeitig aber, wieimmer, wenn ein großer Streik bevorsteht, mit einer MassenauS-sperrung von solchem Umfange drohte, daß dadurch der Straßen-bahnerstreik unmöglich gemacht wird. Wie die Arbeiter so haltenauch die Arbeitgeber, und zwar von dem kleinen Handwerksmeisterbis zu den großen Aktiengesellschaften, so gut es geht zusammen,wenn sie auch, wie schon die allgemeine Aussperruug von 1899 ge-zeigt hat, sich keinen guten Erfolg davon versprechen können. MitRecht schreibt ein reaktionäres Blatt zum bevorstehenden Straßen-bahnerstreik:„Die Erfahrung hat die Arbeiter gelehrt, daß sie immer ge-whrnen. Denn wann hat jemals ein Konflikt mit einer Ver-ringerung ihrer Arbeitsbedingungen geendet? Sie können eineNiederlage mit ihren Mehrforderungen erreichen, aber niemalseine Niederlage in den bereits bestehenden Arbeitsbedingungen."Ehe die neuen Verhandlungen zwischen den Borständen derbeiden Hauptorganisationen der Arbeiter und Arbeitgeber zustandegekommen find, hat der Bürgermeister Jacobi. der Vorsitzender despermanenten Schiedsgericht« für gewerkschaftliche Streitigkeiten ist,eine Verhandlung zwischen Verttetern der Sttaßenbahngcsellschastenund der Angestellten anberaumt. Bielleicht wird auf diesem Wegeeine Einigung erzielt, bevor am 2. Januar der Streik ausbricht.300 Kohlenträgcr find zu R o t t e r d a m in den Ausstand ge«treten� Nur auf wenigen Schiffen wird noch gearbeitet.Eingegangene DrucKfchnften.von der„Neuen Zeit"(Stuttgart. Paul Singer) ist webe» da«13. Heft d-S 25. Jahrganges erschienen. ES hat folgenden Inhalt:Bärenpolitik.— Die Situation des Reiches. Bon K. KautSly.— Diefranzösische Presse in dm ersten Jahren der großen Revolution. Von Hew-rich Tunow.(Schluß.)— Ziffern zur ReichStagswahI. Bon Franz Work-mann.— Zur Lage der Postbcamlm. Bon Robert Zieme.— Die Miß.ivirtichast der Vertrauensärzte. Von Ludwig Radloff.— InternationalesSozia iistischeS Bureau in Brüssel. AuS dem Bericht für September, Oktoberund November 1906...„„Die„Neue Zeit" erscheint wöchentlich einmal und ist durch alle Buch.Handlungen, Postaiistallm und Kolporteure zum Preise von 3,25 M. proQuartal zu bcziehm: jedoch kann dieselbe bei der Post nur pro Quartalabonniert werden. Da» einzelne Hest kostet 28 Bs.Probmummern stehen jederzeit zur Versügung.Süddeutscher Posttllon(Verlag von M. Emst. München). Mit derNr. 1 überschreitet der Süddeutsche Postillon die erste Bicrteljahrbunderts-wende seines Bestehens und diese» sreudige Ereignis seiert er auch in seinemTitelbildc. Voll Uebermut und Leben stürmt der Postillon über seinMünchen dahin, hinaus in alle Welt: in der Rechten die rote, mit demlorbeerumkränzten Horn geschmückte Fahne, in der Linken die zischendePeitsche. In dichter Wolke eilen ihm all die Großen de» Reiche» nach.denen er sein Leblag lang die verhüllcndm Fetzen vom Leibe riß. DaSGanze erkläri das Gedicht: Beim Antritt deS zweiten Vietteljahrhundcrts„Sternberg sandte eü, Mittelbild: zur Genealogie der Moral. Das-Schluß-bild feiert den allezeit kampfbereiten Bebel, der leicht und gewandt miftdemschwerfälligen Roerm den Kamps mit dem wütend anstürmenden sttrreDcrnburg ausnimmt. Das Leilgedicht Neujahr 1907 ruft das ganze Volkaus zur Wahl. Die Wahl beschäftigt auch den Biedermeier.— National-liberale Wahlrede deS Dr. DecSkopp. Richard Schreit« bringt interessantePhantasien an der gahreswmhe.— Freisinniger Freisinn(Gedicht).— EMDementi von P. E.— Bülow im Sturm.— Eiterbeulen und viel« scharfeund witzige Schnitzel.Gesetzliche Bestimmungen, soweit sie für den Lagerhalter als Ge-schästsleitcr von Bedeutung sind. Preis 25 Ps- Verlag: Verband der Lagerhalter und Lagerhallertnnen Deutschland«. Leipzig.Ter Parlamentarismus und seine Zukunst von PaSc. PaluS.80 PI. Verlag: H. Walthcr, BerlM V. M.Zeh« Jahre Zionismus. Flugschrift. Verlag:„Die Welt, Köln,�'««rtcht de»««bände» b« SinossenschastSEkrankenkaffen«ien« fürda» Lahr>905.>36 Seilen Selbstverlag: Wien VI. Konigseggaffe 10.Kalender für d� Bauqew-rv. 1907.«°n«rtittft£ Sachholz,Preis l 50 M.— Allaem. Tischler-Kaleuder. Von?. Vachholz. Prei»1 50 M Beide Jlalenbn geb VcvIag; J. Harrwi», Berlin SW. 48.Was mus- jeder Steuerzahler wissen T Von 8. Glaeser. Geb.1,50 B-chuiner" A�ettcrtttrctariatt v-ttcht über die Tätigkeit 1902 bis1905. 26« Seiten. Selbstvcriag; Bochu«, Wiemelhanjerstr. 40.