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68 ßl5t nur eine Partei. Seren Anhänger sich in größerer Zahl freudig in den Dienst der guten Sache stellen, und das ist die Sozial- demokratie. Der Kandidat der Freisinnigen tut ja alles mögliche, um zu retten, was zu retten ist. So sprach Herr Max Schulz in der letzten Woche in Reddelin, Beutel. Templin , Zehdeniik, Gransee , Rheinsberg . In sämtlichen Bersammlungen trat ihm unser Genosse H. Schulz entgegen. Und wie schwer den Liberalen die Aus- fiihrungen unseres Genossen im Magen liegen, beweist ein Schimpf- artikel der freisinnigenRuppiner Zeitung", in der Genosse Schulz als unerfahrener konfuser Wanderapostel hingestellt wird. Armer Freisinn! In allen Versammlungen gab Herr Max Schulz nur zehn Minuten Redezeit, nachdem er selbst zwei Stunden gesprochen. Und was spricht er alles! Es ist eine ziemliche Aufgabe für unsere Genossen, in allen Versammlungen den Wortschwall über sich er- gehen zu lassen. Vor dem.konfusen Zeug" unseres Genossen haben die Liberalen solchen Respekt, daß sie oft erst drei, vier, ja eine Stunde vorher die Versammlung bekanntgeben. Für uns arbeitet ja bekanntlich der gute Wind. Für Zehdenick ist noch zu bemerken, daß unsere Ge- nossen, empört über die Beschränkung der Redezeit auf 10 Minuten, den Saal verließen. Die konservative Partei hat am Sonnabend, den 6. Januar, mit ihrer Versammlungsagitation begonnen. Herr Justizrat Dietrich, der bisherige Abgeordnete des Kreises, ist in die Arena gestiegen und hat am Sonnabend in Dreetz und Hohenofen sein Programm entwickelt. Eine eigenartige Behandlung erfuhr dabei die Kolonialpolitik. Man müßte doch glauben, daß der Herr seinen Zu- Hörern den Nutzen der Kolonien vor Äugen führen würde. Nichts davon. Mit breitem Behagen erzählte er feine Reiseerlebnisse aus Ostafrika . Schade, daß er das von ihm geschossene Krokodil nicht bei sich hatte, Südwestafrika scheint für ihn nicht erwähnenswert oder die Be- Handlung dieser Frage ihm zu heikel, er glitt darüber hinweg. In beiden Versammlungen waren es die Genossen Krasemann und Ralow, die den Konservativen ihr Sündenregister vorhielten. Und der Beifall der Anwesenden, nicht allein der Arbeiter, bewies die Richtigkeit ihrer Ausführungen. In Sievers- darf wollte der Vorsitzende, der durch' seine berühmte Be- Handlung der Fürsorgezöglinge sattsam bekannte Pastor Rohr, unseren Genossen Krasemann hinausweisen, weil er nicht in das übliche Hoch einstimmte. Allein er schaffte es nicht. Auch die von den Konservativen in Koritz und Neustadl a. D. am Sonntag ab- gehaltenen Versammlungen waren von Arbeitern und Kleingewerbe- treibenden gutbesucht und auch hier wurde Herr Dietrich von unseren Genossen abgeführt. Ueberall herrscht eine begeisterte Stimmung, die dafür Gewähr bietet, daß wir ein gewaltiges Stück vorwärts kommen. Reue offiziöse WiMaufiacken. Die N o r d d. A l l g. Ztg." scheint ihrem D e r n» bürg er jetzt täglich eine Plauderccke an der Spitze ihres Blattes einräumen zu wollen. Das famose Premier «Die kolonialen Möglichkeiten" in der gestrigen Abendnummer des offiziöser. Blattes scheint nämlich wiederum aus der Feder des Herrn Dernburg zu stammen. Ist es doch ebenso tollkühn im Prophezeien wie weitherzig im Gebrauch der Zahlen, die für ihn keineswegs hartnäckige Tinger" sind, sondern Objekte zu den hals- brecherischsten Jongleurkünsten. Das kolonialdirektoriale Artikelchen entrüstet sich darüber, daß Herr Erzberger spöttisch von denMöglichkeiten" gesprochen habe, die in den Kolonialprospckten der Regierung eine so abenteuerliche Rolle spielen. Man solle sich doch nur die EntWickelung der Kapkolonie vergegenwärtigen, um auch dieMöglichkeiten" der Eut- Wickelung Teutsch-Ostafrikas nicht kleinmütig zu unterschätzen. Dieeigentliche 5kapkolonie" sei nur halb so groß wie unser Wüst-West und was sei aus ihr geworden! Besitze sie doch allein einen Außenhandel von rund 700 Millionen. Zunächst gestatten wir uns festzustellen, daß dieeigent- liche Kapkolonie 535 000" Quadratkilometer umfaßt, also nicht halb so groß ist wie unser Südwest, das 823 000 Quadrat- kilometer umfaßt, sondern zwei Dritteln dieses Gebietes gleichkommt. Die e i g e n t l i ch e K a p k o l o n i e" hat auch keine 700 Millionen Aiißenhandel, da(im Jahre 1904) sich unter einer Gesamtausfuhr von 520 Millionen Mark allein eine Ausfuhr von Diamanten und Gold in Höhe von 329 Millionen befand, die nicht aus dereigentlichen Kap- kolonie", sondern hauptsächlich aus dem der Kapkolonie ein- verleibten East Griqualand staminte! Im übrigen aber ist es grenzenloser Hnmbug, unser Südwest mit der Kapkolonie oder irgend einer der übrigen britischen Kolonien Südafrikas zu vergleichen. Hat doch selbst der Hänge- Peters erklärt, daß sich Deutsch-Südwest- a f r i k a nicht entfernt mit den schlechtesten Teilen Britisch- Südafrikas vergleichen lasse. Wie berechtigt dies Urteil ist, geht schon aus der Bevölkerungsstatistik dieser Kolonien hervor. Auf den 823 999 Quadratkilometern Deutsch - Südwestafrikas lebten vor dem großen Ausrottungsfeldzuge höchstens 299 999 Eingeborene; in der Kapkolonie mit ihren 713 999 Quadratkilometern dagegen 1904 1 825 999 Ein- geborene, außer 580 000 Weißen l Die gesamten britischen Besitzungen in Südafrika umfassen 2 879 000 Quadratkilometer mit einer Gcsanitbevölkcnmg von 5 724 999! Die B e- völkerungsdichtigket't Britisch-Südlvestafrikas ist also zirka sechsmal so groß wie die Deutsch -Südwcstafrikas! Wobei zu berücksichtigen ist, daß durch endlose Kriege unter der Ein- geborencnbevölkerung furchtbar aufgeräumt worden ist! Es ist aber selbstverständlich kein Zufall, daß in Deutsch-Südwest die Bevölkerungsdichtigkcit eine so geringe ist. sondern diese Tatsache findet ihre Eklärung einfach darin, daß unser Südwest eiufach eine hoffnungslose Wüste ist! Britisch-Südwestafrika ist also etwas ganz Anderes, als unser famoses Wüstwest. Ob trotzdem das englische Volk irgend welchen Gewinnst von.seinen südwestafrikanischen Be- sitzungcn hat, ist mehr als fraglich. An Getreide und Vieh produziert das Land nicht einmal so viel, um seinen eigenen Bedarf decken zu können I Dagegen muß es' bedeutende Mengen dieser Artikel e i n f ü h r e n I Und wenn sich auch die Handelsziffern ganz stattlich ausnehmen, so muß doch berücksichtigt werden, daß England für Südwestafrika infolge der zahllosen Kriege ungezählte Millinrden geopfert hat, allein für den letzten Burenkrieg 3999 Millionen Mark! Hinzu- kommt, daß England auf eigene Kosten in Südafrika 20 000 Mann Truppen unterhält, die ihm jährlich mindestens 100 Millionen kosten. Und wenn dergestalt selbst Britisch- Südafrika einen höchst zweifelhaften Wert für England dar- stellt um wieviel sinnloser ist Deutschlands Südwest- afrika-Politik! Doch weiter in Dernburgs Münchhausiade. Es wird darin gesagt, daß Erzberger mit 10000 Großfarmern rechne. Er berücksichtige aber nicht, daß auf einer Kleinansiedelung von 19 Hektar ebensoviel Menschen leben könnten, wie auf einer Großfarm von 7000 Hektar. Eine Klcinfarm von 10 Hektar in Wüst-West! Man möckite bersten vor Lachen! Als ob die südwestasrtkanische Stepve fettes holsteinisches Marschland wäret Im Gegenteil: die Gewährsmänner Erzbergers rechnen noch viel zu optimistisch. 7000 Hektar sind durchschnittlich noch viel zu wenig für eine Farm. Ist doch, wie wir kürzlich mitteilten, Farmern mit 1020000 Hektar ihr Vieh ver- hungert! Aber selbst wenn 7000 Hektar ausreichten, käme man nimmermehr auf 19 999 Farmen l Denn 10 000 Farnren a 7000 Hektar ergeben 70 Millionen Hektar. Da 100 Hektar gleich 1 Quadratkilometer sind, müßte also die zu Farmzivecken verwendbare Bodenfläche in Südwestafrika von den 823000 Quadratkilometern nicht weniger als 700000 Quadratkilometer umfassen. Der Landeskommissar Dr. R o h r b a ch hielt aber höchstens vier Siebentel der Gesamtfläche, also nur 450000 Quadratkilometer, für ver- wendbar zu Vichzüchterzwccken I Nicht 10000 sondern höchstens 5999 Kolonialagrarier könnten also nach Jahrzehnten in Wüst-West angesiedelt werden l Und zur Heranzüchtung von 5999 Kolonialjunkern soll das deutsche Volk verschiedene Milliarden blechen! Es bedankt sich für solche Südfrüchte! Schließlich meint die Dernburgsche Münchhausiade, die Regierung rechne ja auch in Deutschland ' mit bloßenMöglich- leiten". Habe sie doch im Rheinland 40 Millionen für Berg- werks-Mutungen ausgegeben, und biS zur Hebung der Boden- schätze müßten abermals 6070 Millionen vorgestreckt werden. Nun. diese Mutungen beruhen auf etwas soliderer Basis als die kolonialen Mutungcn nach Gold und Diamanten. Die preußische Regierung erwirbt erst dann im Rheinland Kohlcngebiete, wenn sie nlibanfähige und rentable Kohlenflötze durch Bohrungen festgestellt hat. Unsere süd- westafrikanischenMutungen" beruhen aber völlig auf aben- leucrlichen Vcr-Mutungen" I Das ist der kleine Unter- schied I Und da das deutsche Volk bei der peinlichsten Wahrschein- lichkeitsrechrrung feststellen muß, daß es sich bei einem Herein- fallen auf die kolonialen Schwindel-Prospekte nur fürchterlich ver spekulieren würde, lehnt es höflich aber entschieden alle kolonialen Dernburgiaden und Münchhausiaden ab! Politische Oeberftebt. Berlin , den 8. Januar 1907. Znr Vertagung eröffnet! Die Thronrede, mit der der Ministerpräsident Fürst Bülow am Dienstag den Landtag eröffnete, zeichnet sich durch ihre Jnhaltlosigkeit vor allen Thronreden der letzten Jahre aus. Kaum mit einem Worte wird darin der allgemeinen politischen Lage Erwähnung getan, nur ganz am Schluß wird auf dieernste Zeit" hingewiesen, in der der Landtag seine Arbeiten wieder aufnimmt, und dem unerschütterlichen Vertrauen der Regierung Ausdruck ge- geben darauf, daß dieauf die Festigung und Entwickclung unserer Verhältnisse gerichteten Bestrebungen der Regierung bei den Mit» gliedern des Landtags wie bisher eine hingebende und tatkräftige Unterstützung finden werden". Ein wahrer Segen, daß die Re- gicrung sich in dieser ernsten Zeit wenigstens auf die dreimal ge- siebten Mitglieder des Abgeordnetenhauses und auf die edlen und erlauchten Herren stützen kann, die im Herrenhause ein Unter- kommen auf ihre alten Tage gefunden haben.' Im übrigen begnügt sich die Thronrede damit, die günstige Finanzlage des Staates hervorzuheben, den Unterbeamten und Staatsarbeitcrn einige Versprechungen zu machen und neben einer Reihe kleinerer Vorlagen eine neue Polcnvorlnge an­zukündigen. Wie stets, wenn es sich um sogenanntenationale" Aufgaben handelt, nimmt die Regierung hierbei den Mund recht voll: Die gegenwärtige Lage in den östlichen Provinzen zeigt deutlicher denn je, daß Preußens geschichtliche Aufgabe der Stärkung des Deutschtums in diesen LandeSteilen zu ihrer Lösung die ernstesten Anstrengungen erfordert. Die königliche Staatsregicrung hält die kraftvolle und be- harrliche Durchführung der zur Erfüllung dieser Aufgabe eingeleiteten staatlichen Maßnahmen für unbedingt notwendig. Sie wird dem Landtage eine entsprechende Gesctzesvorlage unterbreiten." Das ist alles, waS an gesetzgeberischen Maßnahmen für die laufende Session beabsichtigt ist! Ueber die wichtigste Forderung, deren Erfüllung das Volk gebieterischer denn je heischt, über den Ersatz des Dreiklassienwahls y st e m S durch das all- gemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht schweigt sich die Thronrede völlig aus ein Beweis dafür, wie wenig die Re- gierung mit dem Volke denkt und fühlt und wie sehr sie sich einzig und allein als Sachwalterin der Interessen der Besitzenden be- trachtet! Die Agitation, die das Proletariat für die Erringung des gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts entfaltet hat, ist für die Regierung nicht vorhanden; der Sturm der Entrüstung, der das Volk ob des ihm angetanen Unrechts ergriffen hat, läßt das Ministerium Bülow kalt. Das Volk wird sich das merken und bei der bevorstehenden Reichstagswahl der Regierung seine Meinung so deutlich sagen, daß ihr Hören und Sehen vergeht! Aber auch die Beamten, die man durch eine kleine Gehalts- aufbcsscrnng einfangen zu können glaubt, werden nicht den Lock- rufen der Regierung folgen und sich als Stimmvieh für die Par- teien gebrauchen lassen, denen die Sonne des Fürsten Bülow scheint. Gewiß, es klingt ja recht schön, wenn man hört, daß 14 Millionen Mark für Gehaltsaufbesserungen ausgesetzt sind. Aber diese Auf- besserungen bezichen sich in der Hauptsache nur auf einzelne Kate- gorlen von Beamten, die im Außendienst tätig sind, während für die am geringsten besoldeten Unterbeamtcn so gut wie nichts abfällt, sie werden mit Almosen abgefunden. Es ist nämlich ein Fonds von 3 Millionen Mark in den Etat des Finanzmini- steriums eingestellt, der dazu dienen soll,die Fonds für Unter- stützungen von Unterbeamten in allen Verwaltungen behufs Ver- Wendung zugunsten der am geringsten besoldeten Unterbeamten einmalig angemessen zu verstärken". Und damit glaubt die Regierung ihre Pflicht erfüllt zu haben, obwohl sie selbst zugeben mutz, daß die Unterbeamten unter der Steigerung der Preise vieler Lebensbedürfnisse schwer zu leiden haben. Wie großmütig ist doch eine Regierung, die durch ihre Wucherpolitik Taufende von Milli- onen einheimst und dann gnädigst einige Prozent ihren Beamten überweist, deren Lebenshaltung gerade durch die Rcgierungspolitik verteuert wirdl Für die zahllosen Unterbeamtcn ganze 3 Milli- onen zur Verstärkung des Dispositionsfonds zu Prämien bei Pferderennen allein eine halbe Million! Diese Gegenüberstellung spricht Bände, sie zeigt, wie die Regierung die Beamten einschätzt, auf deren.Patriotismus" bei den Wahlen sie rechnet! » An die Verlesung der Thronrede im Weißen Saal schlössen sich geschäftliche Sitzungen beider Häuser des Landtags. Das Herrenhaus beschränkte sich auf die Feststellung der Beschlußfähigkeit und die Wiederwahl seines bisherigen Präsidiums. während im Abgeordnetenhause der Finanzminister Frei- Herr von Rheinbaben den Etat einbrachte. Wir kommen auf die Einzelheiten des Etats später zurück und begnügen uns vor- läufig mit der Mitteilung, daß die Finanzlage des preußischen Staates nach dem eigenen Zugeständnis des Ministers eine glän» zende ist, die Ueberschüsse übertreffen in fast allen Verwaltungen die früheren Schätzungen. Der Staat schwimmt förmlich in Gold. Daß er trotzdem für Knlturaufgaben nicht viel übrig hat, versteht sich von selbst. Das entspricht der preußischen Tradition. Auch der Finanzminister unterließ es, allgemeine politische Betrachtungen in seine Rede einzuflechten. Es scheint, als ob zwischen Parteien und Regierung ein Uebereinkommcn darüber er« zielt ist, jeden Ausblick in das Gebiet der Politik streng zu ver- meiden und sich nur auf die Erörterung des Etats im eigentlichen Smne des Wortes zu beschränken. Am Freitag soll die erste Lesung des Etats beginnen, und schon am Sonnabend soll sie be- endet sein. Dann will sich der Landtag bis nach den Reichstags- wählen vertagen! Ahnen die Herren vielleicht, daß die Sozialdemo. kraten ihre Reden ausnutzen werden? Das tun wir auf alle Fälle, mag nun der Landlag beisammen sein oder nicht. Im Landtage haben die Scharfmacher bekanntlich niemals aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht, hier haben sie ihre Volksfeind- lichen Pläne enthüllt, hier haben sie gegen das Reichstags- Wahlrecht gewettert, ja sogar den Staatsstreich empfohlen» hier sind sie gegen das Koalitionsrecht zu Felde gezogen, hier haben sie dem Volke das Bereinörccht noch mehr zu verkümmern gesucht, hier haben sie es gewagt, eine kriminelle Bestrafung des Kontraktbruchs ländlicher Arbeiter zu fordern, hier haben sie die Schule der Kirche ausgeliefert» hier haben sie die Politik der Aus- Plünderung der Massen inauguriert! Mögen die Herren sich also jetzt immerhin Schweigen auferlegen, ihre früheren Reden und ihre bisherigen Taten genügen vollauf, um sie, die Vertreter der bürger- lichen Parteien, die jetzt um die Stimme des Volkes buhlen, zu kennzeichnen als das, was sie sind, als Bollsfeinde» Bolksaus- Plünderer, Bolksverrätcr!_ Die Folgen der deutschen Zollpolitik. Der deutsche Reichskanzler hat in seinem Silvestermanifest be- hauptet, daß schonmancher freisinnige Mann" ihm unter vier Augen zugegeben hätte, daß die neuen Handelsverträge auch für die städtischen Interessen nicht ungünstig gewirkt hätten; jedenfalls müßten auch die Gegner der Handelsverträge anerkennen,daß sich Handel und Industrie fortdauernden Ans- schwungs erfreuen". Bülows Psychologie ist so völlig kapitalistisch verseucht, daß er auch nicht einen Moment daran denkt, daß seine Ver« stcherung, der Profit sei ungeschmälert geblieben, doppelt aufreizend wirken muß in dem Zeitpunkt sortdauernder, immer unerträglicher werdender Verteuerung aller notwendigen Lebensmittel, be- sonders des Fleisches und des Brotes. Wachsender Profit jawohl, aber gleichzeitig und das verschweigt natürlich die neueste Akquisition des RcichßverbandeS abnehmendeKauf- kraft des Geldes, Sinken des Reallohnes. Ver- schlechter un g der Lebenshaltung der breiten Massen, der Arbeiter und der Beamten I Das ist allerdings die Wirkung der Handelsverträge. In einem Moment einer aufsteigenden Konjunktur, die diesmal viel allgemeiner ist als Ende der VOe'r Jahre, sowohl was die örtliche Verbreitung über fast alle Staaten, als auch was ihre Ausdehnung über fast alle Produktionszweige anbelangt, haben die deutschen Handels» Verträge für die Kapitalisten vorläufig nicht allzuviel Schaden an- gerichtet. Den Hauptgewinn haben die Agrarier, die die Preise sämtlicher landwirtschastlichen Produkte in die Höhe treiben konnten. Die gesteigerte Kaufkraft der Landeigentümer kam jedoch auch dem Absatz der Juduftricerzeiigiiisse auf dem inneren Markt zu- gute. Die erhöhten Zölle auf Jndustrieprodukte erlaubten vor allem den kartellierten Industrien, ihre Preise in die Höhe zu setzen und die konsumierende Bevölkerung sich tributpflichtig zu machen. Die Wirren in Rußland hinderten die russische Industrie an jeder Entfaltung, brachte viele Betriebe auf kürzere oder längere Zeit zum Stillstand und zwangen den russischen Markt sich im Ausland, zum größten Teil in Deutschland zu versorgen. Für die Agrarier und Kapitalisten hat so die Hoch- lonjunktur die üblen Folgen der Handelsverträge vorläufig über- wunden. Freilich nicht vollständig. Trotz der erweiterten Aufnahms- fähigkeit des inneren Markts kann man eine beständige Aus- Wanderung deutscheil Kapitals ins Ausland, die Errichtung aus- läiidischer Filialen konstatieren. Auch das geniert den Kapitalisten nicht, dem eS gleichgültig ist wo die Fabriken liegen, aus denen er seinen Profit bezieht, während der deutsche Arbeiter durch diese nationale Politik entweder brotlos oder zur Auswanderung ge- zwungen wird. Hat die Hochkonjunktur für die Besitzenden die ungünstigen Folgen der HandelSpolitil vorläufig in den Hintergrund treten lassen, hat sie den Reichsten unter ihnen, den Großagrariern und den Kartell- Magnaten die rücksichtslose Ausnutzung der Konjunktur durch Herauf- setzung der Preise ihrer durch den Zoll vor ausländischer Koir» kurrenz sorgsam geschützten Waren erlaubt, so lastet auf den Nicht- besitzenden mit um so größerer Wucht die fortwährende Ver- teuerung des Lebensmiterh altes. Für sie, für die industriellen Arbeiter aber auch für alle auf feste Bezüge angewiesenen Beamten und für die in der einen oder anderen Form dem Kapital hörigen Handwerker- kreise hat die Zollpolitik allerdings die schlimmsten Folgen. Noch nie hat eS eine so gute und so glänzende Kon- junktur in Deutschland gegeben. Aber noch nie hat die Arbeiterschaft an dieser glänzenden Ver- mehrung des Reichtums so wenig Anteil nehmen können. Das einzig Gute, daZ sie für die �Arbeiter im Ge- folge gehabt hat, ist die Einschränkung der Arbeitslosigkeit. Aber alles, was sonst die Arbeiterschaft im mühsamen Kampfe, unter fortlvährenden Opfern sich von den Unternehmern erkämpft, wird ihr fort und fort entrissen durch die beständige Teuerung, vor allem der landwirtschaftlichen Produkte, die in erster Linie die Zollpolitik bewirkt hat. _ Die Handelsteile aller Zeitungen sind jetzt erfüllt von den Berichten über die glänzende Ernte, die das Kapital im Jahre 1906 eingeheimst hat und von den nicht minder glänzenden Aussichten, die daS Jahr 1007 verspricht. Und auf der anderen Seite verstummen in den Spalten der Arbeiterzeitungen nicht einen Tag die Klagen über die zunehmenden Lasten, die den ewig vom Defizit bedrohten proletarischen Haushalt auferlegt sind, erzählt jeder Tag von neuen Teuerungen, neuen Erschwerungen des mühseligen Lebens. Alle diese Klagen ertönen aber während einer glänzenden Konjunktur, zu einer Zeit vollster Beschäftigung der Industrie, Ivo wenigstens das schlimmste aller Uebel, die Arbeits« losigleit zurückgedrängt ist. Wie soll daS erst werden, wenn die unver- meidliche Depression eingetreten ist? Darauf gibt Bülow natürlich keine Antwort. WaS kümmert auch einenprovidentiellen, allein vcrantwort- lichen Staatsmann" vom Schlage eines Bülow ein Ereignis, das erst in zwei oder drei Jahren eintreten wird. Soweit denken die neu- deutschen Staatsmänner nicht voraus. Sie süid froh, wenn sie bis zum nächsten Jagdausflug gesichert sind. Aber diese Folgen sind nichtsdestolveniger klar und sicher. Die Depression wird die Leiden des Proletariats vermehren um das schrecklichste von allen, die Arbeitslosigkeit. Sie wird seine Wider- standskraft gegen das Unternehmertum verringern, seinen Lohn in vielen Zweigen kürzen» seine Erhöhung überall ewe Zeitlang unmöglich mache» oder aufs äußerste«ttälcae».