Offiziöser Scbwindei und Isein Lnde! Da die«Nordd. Allg. Ztg." der„nationalen" Parole felkst allzusehr mißtraut, besitzt sie jetzt die Schamlosigkeit, die ab- gellappertsten„religiösen" Zitierkünste gegen die Sozialdemokratie spielen zu lassen. So schreibt das offiziöse Organ in semer Sonntags-Nummer: „Wir haben, vom nationalen Standpunkt mit Bedauern,- die mehrfachen Meldungen verzeichnet, nach denen das Zentrum beab- sichtigen soll, in einer Reihe von Wahlkreisen der Sozialdemokratie durch Proklamiernng der Stimmenthaltung den Sieg zuzuschanzen. Auch vom religiösen Gesichtspunkt würde das Z e n- trum durch eine solche Taktik eine schwere Zumutung an seine Wähler stellen.� Es bedarf nach der ganzen Vergaützenheit der sozialdemokratischen Partei keiner weiteren Darlegung, daß sich hinter dem Satz:.„Religion ist Privatsache" die entschieden st e Religionsfeindschaft verbirgt. � Das ist durch Aussprüche von führenden Sozialdemokraten leicht zu belegen. Eine Reihe solcher Aussprüche finden wir in dem Katechismus der sozialdemokratischen Religion und Revolution von I. Klein(Verlag von F. Schlosser, Berlin ) zusammengestellt, darunter die folgenden: »Die neue Religion für die Massen ist die Sozialdemokratie." (Liebknecht am 25. 1. 1890.) «Auf religiösem Gebiet erstrebt die Sozialdemokratie den Atheismus."(Bebel an, 31. 3. 1881.) Christentum und Sozialisinus stehen sich gegenüber„wie Feuer und Wasser".(„Der Volksstaat" vom 9. 3. 74.) Die christliche Kirche ist„ein tollphantastisches Religions- shstem".(Ebenda vom 7. 9. 76.) »DaS Christentum ist freiheits- und kulturfeindlich." (Bebel, Christentum und Sozialismus S- 13.) „Wenn wir einmal den sozialistischen Staat haben, werden wir sehr leicht mit der Religion fertig werden." (Protokoll des Parteitags zu Halle, S. 194.) „Zu der Zeit, wo die Sozialdemokratie herrschen wird, wird die(katholische) Kirche ein Märchen der Vergangenheit sein." (Liebknecht. 11. 1. 1883.) So einfältig die Wahlschwindelmacher des offiziösen Blattes immer sein mögen, so dumm sind sie denn doch nicht, um nicht zu wissen, welch blöden Schwindel sie mit ihren Zitaten- und Fetzen treiben. Sie wissen genau, daß die Sozialdemokratie ihren Standpunkt der Religion gegenüber unzählige Male in unmiß- verständlichster Weise dahin präzisiert hat, daß sie den privaten religiösen Anschauungen ihrer Anhänger und aller Staatsbürger durchaus neutral gegenübersteht. Sie bekämpft die Anmaßungen der aus öffentlichen Mitteln nntcrstiihtcn Staatskirche, sie verlangt völlige Trennung von Staat und Kirche, speziell auch Trennung von Schule und Kirche— im übrigen aber verzichtet sie auf jegliche Einmischung in die privaten religiösen Angelegenheiten der Individuen. Was nun die Zitate des offiziösen Organs selbst anlangt, so sei zumichst konstatiert, daß weder am 9. 3. 74, noch am 7. 9. 76 eine Nummer des„Bolksstaat" erschienen ist! Schon diese Tatsache beleuchtet die gewissenhafte Zitatenmethode des offiziösen Blattes I Ebensowenig befindet auf S. 194 des Protokolls des Haller Parteitages die zitierte Stelle. Dagegen befinden sich in Liebknech ts Rede zur Frage der Stellung der Partei zur Religion zahllose Stellen, die beweisen, wie ernst es Liebknecht mit dem Programm- punkte der Partei„Erklärung der Religion zur Privatsache" genommen wissen wollte. So sagte er S. 17S: „Ich kann nur bemerken: einen vernünftigeren, praktischeren Satz haben wir nicht unter allen unseren praktischen Forde- rungen." Ferner auf derselben Seite: .. Haben wir erst den Staat erobert, dann wird uns die Religion nicht gefährlich. Glauben diejenigen unter Ihnen, die vielleicht an dem Kampf gegen Jehovah Gefallen finden, glauben Sie etwa, daß durch radikal-religiöse Phrasen, oder gar durch Schimpfen, der Religion Abbruch getan wird?... Der Religion können wir bloß dadurch zu Leibe gehen, daß wir die Religio» des Einzelnen ruhig Religion sein lassen, ihm aber Wissen beibringen." Und genau so ernst, wie es Liebknecht mit dem die Religion betreffenden Programmsatz genommen hat. hat es auch Bebel genommen. In einer Diskussion, die Bebel im Dezember 1906 mit einem Pfarrer in Karlsruhe hatte, erklärte er:. »Wenn ich A t h e i st bin, verlange ich das nicht auch von anderen, sondern lasse jedem seinen Glauben, getreu dem Programmsatze, daß Religion Privatsache und die Religions- gesellschaften Privatgesellschaften sein sollen. Wenn man den Einfluß der Kirche brechen will, mutz man sie vom Staate und von der Schule trennen. Die Eltern sollen Freiheit in der religiösen Erziehung haben, ohne staatlichen 8 w a n g." UebrigenS äußerte sich einmal ein bürgerliches Blatt, das »Gotting er Tageblatt", Mitte Mai 1902 in äußerst ver- vünftiger Weise wie folgt über Bebels Atheismus: „Der Abgeordnete Bebel hat einmal im Reichstage unseren Brotverteuerern, als diese ihm gegenüber auf das Christentum ' pochten, inhalllich die Worte zugerufen:„Ich bin zwar erklärter Atheist und dennoch ein weit besserer Chri st alS Sie. Ihr Christentum besteht in tönenden Worten, das meinige m T a t e n! Ich bemühe mich aus allen meinen Kräften, das oberste Gebot Ihres„Heilands" zu erfüllen: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Was tun denn Sie?" Wahrlich. im Munde dieses Mannes ein wahrgesprochenes Wort! Wer ivird das Himmelreich erivcrben, wer die furchtbare Abweisung erfahren:„Ich kenne Euch nicht. weichet von mir?" Der Täter der christlichen Lehre, oder die sich der Nachfolge Christi bloß mit ihrem Munde rühmen und den armen Lazarus, in der Gestalt der millioncnköpfigen Armut in unserem Volke, vor ihren Türen verschmachten las?en, wenn sie selbst nur herrlich leben können oder in Freuden?... U e b e r bas„Atheistentum" d es Abgeordneten Bebel ist mehr Freude im Himmel als über das„Herr, Herr" unserer Grafen und Barone. Denn was liegt dem Himmel an bloßen Worten?" Die» N o r d d. Allg. Ztg." weiß freilich, warum sie um die Gunst des Zentrums buhlt und die Sozialdemokratie der Feindschaft wider die„Religion" bezichtigt, während doch die Sozial« demokratie lediglich die Macht der Staatskirche, dieser Helfers- Helferin der weltlichen Machthaber und Bolksausbcuter brechen will! Das offiziöse Organ, das für BolkSkiscchtung und BolksanSnützung kämpft, gedenkt offenbar eines Wortes des„großen Preußen- k ö n i g S Friedrichs II., der in sseinem„Anti-Machiavell" schrieb: „Ohne Zweifel sind die Grundsätze der meisten geistlichen Regierungsformen von den spartanischen Gesetzen hergenommen, nach welchen das Silber verboten war; nur mit dem Unterschiede, daß die Prälaten den Gebrauch der Güter sich vor- behielten, die sie den Untertanen genommen haben. Selig, sagen sie, sind die Arme», denn das Himmelreich ist ihrer. Weil sie nun gern wollen, daß jedermann selig werde, so bemühen sie sich auch, jedermann arm zu machen." ' NaWampf. Immer uene Slngriffe aufs Reichstagswahlrecht! Zum Junler Kröcher. dem Präsidenten des preußischen Ab- geordnetenhauses, der dieser Tage in emer Versammlung im Wahlkreise Salzwedel -Gardelegen , von dem er wieder in den Reichstag geschickt werden möchte und dort zur Empfehlung seiner Kandidatur seine Feindschaft gegen das Reichstagswahlrecht deutlich zu erkennen gab. gesellt sich ein anderer Edelster der Nation: der konservativ-agrarische Kandidat deS Wahlkreises P Yritz-Sa atzig- Stargard, Herr Edler Gans zu Putlitz auf Barske- witz hat erklärt, „daß er offen gestehen müsse, daß für den Mittelstand, be- sonders auf dem Lande, daö geheime ReichStagSwnhlrecht nichts tauge, am allerwenigsten das allein seligmachende sei." Wähler. merlt'S I Hungerwahlen. Aus Waldkirch (BreiSgau), so meldet die Mannheimer „Volks- stimme", kommt die Nachricht, daß Kalb- und Schweinefleisch neuer- dings im Preise wieder gestiegen seien und heute nicht weniger als 90 Pf. pro Pfund kosten. Auch aus anderen Landesteilen wird ein allgemeines Steige» der Flcischpreise gemeldet, von den Sachver- ständigen wird behauptet, daß eS noch weiter anhalten werde. Aber nicht bloß das Fleisch, auch das Brot wird dem deutschen Volke geradezu fteventlicherweise verteuert. Man beachte folgende Nachricht aus Konstanz, 9. Januar. Auf dem hiesigen Rathaus wurden bis jetzt über 3000 Brotkarten gelöst. Der Inhaber einer solchen Brotkarte darf täglich bis zu sechs Pfund Brot oder Mehl zoll- frei über die Grenze aus den Orten Emmishofen und Kreuzliugen holen und spart dabei 10 bis 12 Pf. pro Tag. Eine Karte kostet 30 Pf. In der Schweiz also, deren Getreideproduktion gleich Null ist, da das Land seinen Bedarf an solchem fast ausschließlich vom Auslande via Nhein-Mannheim bezieht, kostet das Kilo also 8 Pf. weniger als in Deuffchland. Ursache: der hohe deutsche Gctrcidczoll, der heute 5,50 Mark pro Doppelzentner Brotgetreide kostet, während die Schweiz bei der Einfuhr lediglich eine statistische Gebühr in Höhe von 50 Pf. pro Doppelzentner erhebt. Eine weitere Meldung der badischen Parteipresse besagt: Aus Bruchsal wird gemeldet: Die Metzgerinnung hat die Verkaufspreise für Kalb» und Schweinefleisch um 6 Pf. erhöht. Das Pfund kostet jetzt 90 bezw. 86 Pf. Von einem in der Jnstallationsbranche tätigen Münchener Arbeiter wird der„ M ü n ch e n e r Post" ge- schrieben: Ich habe im Jahre 1906 als Helfer und Monteur in 247 Tagen 2320Vz Stunden zu 39, 45, 46, 51, 56 Pf. und außerdem 68 Ueber-, Nacht- und Sonntagsstundcn(auch auswärts) zu 47, 48, 57, 67, 69, 74 Pf., mitunter auch im Akkord, gearbeitet. Der erzielte Verdienst beläuft sich auf 1057,75 M. Meine Frau verdiente 122,35 M. Für 49 arbeitslose Tage erhielt ich vom Verband eine Unterstützung von 57,35 M.. an Prozenten als Verbandseinkasfierer 36.75 M., an Gratifikationen 32,37 M. Für verkaufte Gegenstände nahm ich ein 16 M., an Konsumvereinsdividende 13,18 M, für Sammelmarken 1 M., für Waldfrüchte 30 Pf., gesunden 10 Pf., Gesamteinnahme 1337,15 M. Diesen Einnahmen stehen diese Ausgaben gegenüber: für Lebensmittel 502,34 M.. für Bier 192,34 M. Holz 11,88 M.. Kohlen 15,42 M.. Petroleum 6,59 M., Seife 7,77 M., Zigarren 2,23 M., Ratenzahlung für eine Nähmaschine 76 M., Wohnung 152,70 M., Zündholz, Farben. Blumen, Insektenpulver. Wichs, Fahrplan, Portemonnaie, Insertion?- gebühren 2.63 M., für Schuhwerk 28,87 M., Schreibwaren 4.75 M., Werkzeug 2,51 M,, Bügelkohlen 90 Pf,, Haushaltung und Einrichtung 21,96 M„ Spiritus 1,29 M«, Toilette 1,30 M., Radbestand- und-Zu- bchörteile 22.38 M.. Maschinen-Nähartikel 7,17 M.. Nählehrgeld 12,40 M., Leib- und Bettwäsche 19,48 M,. Stärkwäsckie 1,74 M,. Kleider und Hüte 38,26 M., Fracht 2,82 M., Urlaubsreise der Frau 13,75 M,, Uebcrzug-Anzug 2.93 M,, im Spiel verloren 45 Pf„ un- einbringli'che Forderung 20 Pf., Ortskrankenkasse 31,48 M., Invaliden- Versicherung 7.26 M., Verband 34,55 M., UnterstützungSkaffe Solidarität 20,52 M.. Versicherung der Frau 3,42 M., sozialdemokratische Partei 3,80 M., Münchener Post 8,50 M., Steuer 12,63 M., Bürger- verein 1,50 M., Straßenbahn 5,05 M., Gratifikation 10,23 M.. Ver- giiüaen 6 M., zusammen 1301,42 M. Ueberschuß 35,73 M., der zum Teil im Bürgerverein, zum Teil im Konsumverein als Einlog e steht, teils aber auch zur Deckung des Defizits des vorausgehenden JahreS diente. Zum Punkt: Ausgabe für Lebensmittel ist zu erwähnen, daß meine Frau in Zugehplätzen und bei Verwandten an 82 Tagen Mt- tagessen und an 46 Tagen die ganze Kost hatte: ich habe an 148 Tagen zugunsten meines HaushaltungsbudgetS auf Morgenkaffee verzichtet, an 62 Tagen in Auskochgeschäften und Speisehallcn für 10—30 Ps. zu Mittag gegessen und an 43 Tagen zog ich es vor. aus irgendeinem Grunde nnttagS in der Wirtschaft zu bleiben, aber nur ganz wenig zu genießen. ES trifft auf den Kopf und Tag 70 Pf. für Lebensmittel. Nur an zirka 180 Tagen konnte ich mich wirklich satt»ssen, vorwiegend an Gemüse, an Fleisch war mir das vielleicht 20 mal vergönnt. Zu der Ausgabe für Bier, täglich etwa 53 Vf., möchte ich betonen, daß ich kein Alkoholiker bin und mindestens em Drittel des ganzen Betrages in Ausübung meines Berufes auszugeben indirekt gezwungen war, während ich an zirka 150 Abenden deS Jahres kein Bier gesehen, auch Sonnabends oft ohne Bier getrunken zu haben zu Bette ging. Meine Frau trank oft wochenlang kein Bier. Ich hatte die Absicht, meiner Frau leichtere Beschäftigung zu verschaffen; daS belastete nieine Ausgaben für Maschine mit 11 Pf. pro Tag und Kopf. Ich brauchte fast gar nichts, rasierte mich selbst und hatte den größten Teil des Jahres ein Zimmer in Miete und bekam für zirka 10 Mark Holz geschenkt. Die Aufwendungen für das Fahr- rad ermöglichten es. daß ich an 183 Tagen in der Mittagspause zu Hause essen konnte und eine Mehrausgabe für Straßen- bahn von mindestens 16 M.. für Schuhe von mindestens 5 M. einsparen konnte. DaS ganze Jahr war Ebbe in der Kasse, bei kleinsten momentan fälligen Ausgaben war oft kein Geld vorhanden. Selbst an zwei Wochenfeiertagen konnte ich kein Glas Bier trinken. Und dieses Elend, obschon ich gut be- schäftigt, tariflich bezahlt und meine Frau bisher gesund und arbeits- freudig war. Kinder haben wir nicht. Trotzdem konnte meine Frau sich schon das dritte Jahr kein neues Kleid kaufen, und ich ziehe es vor, wegen meiner Garderobeverhältniff« Sonntags in der Nachbar- schaft zu bleiben. Das klingt wie ein Roman, alles ist aber traurige Tatsache. Diese ungeschminkten Darstellungen eine» schlichten Bauarbeiters iharakterisieren die Phrasen des nationalen Blocks, daß nirgends in der Welt die Arbeiter so glänzend gestellt sind, wie in Deutsch - land ganz vortrefflich. Von„sozialdemokratischer Erpressung" faselt die gegnerische Presse, weil die Sozialdemokraten in Ober- Hausen folgendes Rundschreiben an die Geschäftsleute gerichtet haben: Oberhausen , den 27. Dezember 1906. � Sehr geehrter Herr! Wir gestatten uns crgebenst, Ihnen folgende Lage und Bitte zu unterbreiten: Bekanntlich finden am 25. Januar die Wahlen zum deutschen Reichstage statt. Gerade die Zusammensetzung dieses Parlaments ist für die Arbeiterschaft von eminenter Wichtigkeit, da der Reichstag alle die gesamten Arbeiter hoch interessierenden Reichsgesetze zu schaffen hat. Aus diesen Gründen will sich auch die Arbeiterschaft an den kommenden Wahlen be- teiligen(I) Hierbei mangelt es uns aber an dem notwendigsten, an dem Gelde. Weil Sie nun, wie wir mit Sicherheit annehmen, als Geschäftsmann an der Hebung des ArbeiterstandeS eben- falls ein Jntereffe haben, da ja naturgemäß dann auch die Lage der gesamten Geschäftswelt eine bessere wird, gestatten wir unS, an Sie die freundliche Bitte zu richten, uns in diesem Wahlkampfe durch einen. Beitrag gütigst unterstützen zu wollen. Wir erlauben uns dieserhalb am Sonnabend unter Vor- läge einer Legitimation.vorzusprechen. Verschwiegenheit ist selbst- verständlich zugesichert. Hochachtungsvoll und ergebenst das sozialdemokratische Wahlkomitee. Karl Krämer. Joh. Spaniel. Joh. Großmann, Joh. Götte. Friedrich Schneider. A. Werner. Das„Berliner Tageblatt" hat dazu sittlich höchst entrüstet gejammert: „Das ist eine Erpressung in optima forma. Denn wenn die betreffenden Geschäftsleute nicht in dem gewünschten Sinne reagieren, lverden sie von den Mitgliedern der Partei für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit b o y k o t t i e r t und dadurch wirtschaftlich zugrunde gerichtet." Der Wortlaut des Zirkulars enthält üichis. was der frechen Behauptung des„Berliner Tageblatts" auch nstr einen Anhalt von Strohhalmsstärke gäbe. Es ist einfach ans den Fingern ge- sogen, daß die Geschäftsleute, die nichts zahlen, boykottiert werden sollten! Nicht sozialdemokratische Erpressung, sondern „nationale" Verlogenheit wird hier festgestellt. Indes wollen wir trotzdem nicht verhehlen, daß uns der Schritt der Oberhausener Genosien nicht sympathisch ist. Nicht um der Entstellungen wegen. zu denen unseren ver- logenen Gegnern Gelegenheit geboten wird, denn solche Ver- lcuindungen fürchten lvir nicht, sondern weil das Sammeln für den Wahlfonds bei politischen Gegnern unserem ganzen Empfinden widerspricht. Eine derartige Methode ist denn auch in der deutschen Sozialdemokratie nicht üblich und wird zweifellos auch keine weitere Verbreitung finden. Schamloser Wahlschwindel, dessen sich der„nationale" Mischmasch in Leipzig schuldig ge- macht hat, wird von'dcr„Leipziger VolkSzeitung " gebrandmarkt. DaS Limatt-Papier, die„Leipziger Neue st e Nachrichten", be- haupteten am Freitag: „Am letzten Sonnabend trat der neue Buchdruckertarif in Kraft, der den Setzern und Druckern eine Besserstellung ver- schafft. Ueberall hat sich die Einführung des neuen Tarifes ohne Störung vollzogen. Nur an einer Stelle ergaben sich Differenzen: in der Druckerei der„Leipziger Volkszeitung " I Hier versuchte die Geschästsleitung zu feilschen und zu handeln, so daß die Setzer und Drucker sich gezwungen sahen, die Arbeit zwei Stunden lang ein- zustellen. Infolgedessen erschien die.Volkszeitung" am letzten Sonnabend zwei Stunden zu spät und entschuldigte daS mit einem Maschinendefekt." Die„Leipziger„Volkszeitung " kann diese elende Verleumdung durch folgende Feststellungen kennzeichnen: Erstens. Der neue Buchdruckertarif trat nicht am letzten Sonn- abend, sondern am 1. Januar in Kraft. Zweitens. Die Einführung des Tarifs hat sich in der„BolkS- zeitung" glatt vollzogen. Daß Setzer und Drucker zwei Stunden lang die Arbeit eingestellt haben, ist eine elende Wahlliige. Drittens. Die„Leipziger Bolkszeitung" ist am letzten Sonn- abend überhaupt nicht zwei Stunde» später erschiene». Dieses Malheur passierte ihr vielmehr am Sonnabend, den 22. Dezember, und beruhte allerdings auf einem Maschincndefckt, wie in der Nummer vom Montag, den 24. Dezember, erklärt wurde und wie auS dem Kontrollzettel hervorgeht. Der Druck der Zeitung begann nur eine Bicrtelstunde später wie gewöhnlich, was sich auS dem starken Andrang der Weihnachtsinsrrate genügend erklärt. Der Gipfel der Unverschämtheit ist in diesem Falle von den „Leipz. Neueste Nachrichten" erreicht worden. Dasselbe Blatt, das mit eherner Stirn behauptet: überall hat sich die Einführung des neuen Tarifs ohne Störung vollzogen, hat in seinem eigenen Be- triebe den Tarif noch nicht eingeführt. Der Gauvorstand der hiesigen Buchdrucker ermächsigt die„Leipziger Vollsztg." zu der Erklärung, daß bis zum Sonnabend im Be- triebe der„Leipziger Neueste Nachrichten" noch keine Einigung über die Tarifzulagen zustande gekommen ist. so daß die Angelegenheit höchstwahrscheinlich das Tarifamt be- schäftigen wird. Im Betriebe der„Leipziger Volkszeitung " ist da- gegen seit dem 1. Januar jedem Buchdrucker eine Zulage von wöchentlich 3 Mark ohne Rücksicht auf die bisherige Höhe des Lohnes gewährt worden. Unter 33 M. wird kein Buchdrucker im Be- triebe der»Leipziger Vollszeitung" eingestellt. Dernburg auf Reisen. In M ü n ch e n hat sich, loie liberale Blätter berichten,»ein größeres Komitee gebildet, das an den Herrn Kolonialdirektor Dernburg eine Einladung zu einem Vortrage in München über koloniale Fragen ergehen ließ. Dem Komitee sind etwa 200 Herren beigetreten, darunter„hervorragende Vertreter der Wissenschaft und Kunst, der Industrie, des Handels und Gewerbes, auch Militärs. Schriftsteller" usw. Der Vortrag soll am 21. Januar abends 8 Uhr im Alten Rathaussaale stattfinden. Herr Dernburg spricht natürlich, wie in Berlin , unter Ausschluß der Oeffcntlichkeit, wie sich das für solch hohen Regierungsvertreter von selbst versteht. Ein Frcisinnsknndidat. Der auch mit Hülfe des Freisinns aufgestellte Mischmasch- Kandidat für Gotha , Prinz Hohenlohe-Langenburg. ge- nannt der„Vorschußprinz", hat sich nun doch herabgelassen, eine Rede zu halten. Diskussion war selbstverständlich ausgeschlossen. Die verflossene Kolonialexzellcnz erklärte, daß sie im Reichstage keiner Fraktion beitreten werde. Ihrer Stellung und Vergangen- heit nach gehöre sie fvcilich zu den Parteien der Rechten! Irgend ein klar umrissencS Programm zu geben, hielt der Kolonialprinz für seiner Würde nicht angemessen. Auch in der Frage des Wahl- rechts verweigerte er jede präzise Stellungnahme. Er erklärte es einfach für ausgeschlossen, daß die Regierung innerhalb der nächsten Session eine Aenderung des Wahlrechts beabsichtigen könne. Er drückte sich aber ängstlich um jede Auskunft darüber, welche Stellung er einnehmen werde, wenn die Regierung sich doch zu einem solchen Attentnt gegen das elementarste Recht deS Volkes bereit finden lassen werde! So sieht der Kandidat aus. den der gokhaische Freisinn mit hat auf den Schild erheben helfen, und für dessen Wahl et alle seine Kräfte aufwenden wird! In Leipzig hat am Freitag der Genosse Stadtverordneter Lange, nachdem ihn eine Versaniinlung deS Leipziger Sozialdemokratifchen Vereins einstimmig als ReichStagSkandidaten aufgestellt hatte, seine erste Rede, in dieser Eigenschaft gehalten, die ihn aufs glücklichste eingeführt hat. Der Mischmnschkandidat Junck, der sich im Falle seiner Wahl den Natioualliberalen anschließen tvill, war erschienen und nahm das Wort. Genosse Lauge halte in richtiger Voraussicht seine Rede auf eine Kennzeichnung der Nationalliberalen angelegt, deren Sünden- register er in wirlungsvoller Weise entrollte. Herrn Junck scheint dabei recht ungemütlich geworden z« sein, denn er erklärte in seiner Rede, er habe sich den Nationalliberalen angeschlossen, weil sie immer treu zu Kaiser und Reich gehalten hätten, er lehne eS aber ab, für die Abstimmungen und die Haltung der Nationalliberalen verantwortlich gemacht zu werden. — Eine sehr bequeme Methode, die Herrn Junck aber bei denkenden Wählern nicht viel nützen wird. Bemerkenswert an seiner Rede war noch eine Spekulation auf d,e Buchdrucker, indes fiel er damit
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