Hr. 17. 24. Ichrglmg. 4. KeilU des.Amärls" KnI« WsblÄ Zonntag, 20. Illmm 1W7. Der Wahlkampf in Groß-Berlin. Zwei„neue Parteien">— zwei Sonderkandidaten. Von der angeblich„stärksten" Partei, der Partei.derjenigen, die am Wahltage zu Hause bleiben, ist seht in der Wahlbewegung wieder viel die Rede. Jede der bürgerlichen Parteien behauptet, diese„NichtWähler" seien größtenteils ihre Leute, jede wirbt um sie und sucht sie auf die Beine zu bringen. Mit Hülfe der „NichtWähler", so versichert jede, werde mindestens das"gelingen, die Sozialdemokratie sogar Sa in eine Stichwahl zu drängen, wo sie sich sicher fühlt, und es sei zu hoffen, daß man dann mit vereinten Kräften zu rü cf Neersen könne. Dieselbe Hoffnung kehrt'bei jeder neuen Wahl wieder. Doch bei jeder neuen Wahl zeigt sich, daß trotz aller Gespcnstmalerei, durch die die bürgerlichen Parteien die Wahl- faulen gejgen die„rote Gefahr" in Bewegung zu setzen suchen, immer wieder eine mehr oder minder große Zahl Wähler am Wahltage zu Hanse bleiben Jetzt ist aber ein ganz Schlauer auf den Einfall gekommen, man müsse nicht länger versuchen, die „NichtWähler" den bestehenden Parteien zuzuführen, sondern solle mal aus ihnen eine völlig neue Partei bilden. In eiper vom sogenannten„Deutschen Volksbund" einberufenen Versamm- lung deutschgesinnter Wahler, die am Freitag im Gebiet des dritten Wahlkreises stattfand, wurde dieser Gedanke vorgetragen von dem antisemitischen Professor P au.l Förster aus Friedenau , der in Berlin an einer höheren Lehranstalt Jugendbildner ist. Auch Herr Förster begründete seinen drolligen Einfäll mit der Notwendigkeit, die„rote Gefahr" abzuwehren. Auf die Sozialdemokratie schimpfte er in seiner putzig polternden Art, die so erheiternd wirkt, daß man ihm nicht gram sein kann und man ihm auch die gepfeffertste Bosheit in dankbarer Willigkeit verzeiht. Herr Förster meinte, man solle seine neue Partei als eine„Partei der Unabhängigen" betrachten. ES sei nicht nötig, daß seine„Unabhängigen" irgend einem der auf- gestellten Parteimänner ihre Stimme geben. Sie könnten ja jeder sich selber wählen, aber wählen müßten sie diesmal auf jeden Fall, um das Stimmenverhältnis zuungunsten der So- zialdemokratie zu verschieden.„Scklcppen Sic," so rief er,„diese NichtWähler heran! Versprechen Sie ihnen, einen Schoppen zu geben, wenn sie kommen!" Schließlich ergänzte er seinen Vorschlag dahin, daß man für die neue Partei auch eigene Zählkandi- baten aufstellen könne. Die krausen Gedankengänge des Herrn Professors fanden den Beifall seiner Zuhörer. Professor Hcntig, gleichfalls Antisemit und gleich Förster ein Jugendbildner, warnte vergeblich, man solle doch nicht die Dummheit begehen, durch Sondcrkandidaturen den konservativen Kandidaten Abbruch zu tun. Die Versammlung hörte wenig auf ihn und entschied, daß jeder, der nicht die Kandidaten der Konservativen wählen wolle, im ersten Kreis für den Bodenrcformer Damaschke, aber in allen übrigen Kreisen Berlins für Herrn F ö r st e r stimmen müsse. Förster ist somit Kandidat des antisemitischen„Deutschen VolkÄbundeS" und zugleich der.NichtWähler", die für ihn mit allen Mitteln der Ucberredung— et selber empfahl, wie gesagt, unter anderem einen Schoppen Bier— herangeschleppt werden sollen. In derselben Versammlung ließ sich auch ein Redner hören, der nicht minder den Beruf zu einem Sonderkandidaten in sich fühlt. Es ist ein Arbeiter Rpbert Wolf, der in alle möglichen Versammlungen läuft und dort bei allen Einsichtigen durch sein Auftreten das Gefühl aufrichtigen Bedauerns weckt. Im„Deutschen Volksbund" weckte er nur das Gefühl der Entrüstung. Der krank- hast erregte Mann wurde, weil er eine Reihe Forderungen zu- gunsten der Arbeiter vortrug, als ein Vertreter der Sozial» demokratie angesehen. Dabei hatte er im Saal einen Aufruf verbreitet, der sich gegen sämtliche Parteien richtet, über Freisinnige und Konservative, Juden und Antisemiten mit gleichem Ingrimm wettert, vor allem aber auf die Sozialdemokratie und namentlich auf Singer schimpft und schließlich'den Wählern des vierten Kreises statt Singer den Herm Robert Wolf als Kandidaten anbietet. Auch am VorstandStisch war man im Besitz dieses Aufrufes, und die Herren konnten aus dem verworrenen Geschreibsel ersehen haben, wen sie vor sich hatten Aber das rettete ihn nicht, und urteutsche Schneidigkeit machte ihn schonungs- loS herunter. Der Mann wird sich dadurch nicht überzeugen lassen, daß nicht auch er berufen sei, eine„neue Partei zu gründen und für sie vor die Wähler hinzutreten. Berlin ist hiemach um zwei Sonderkandidaten reicher geworden: um den Professor Förster und den Arbeiter Wolf. Herr Förster will, wie schon gesagt, überall die„Nichtwöhler" zusamnwntrommeln, um die Wahl von Sozial- dcmokraten möglichst zu verhüten. Herr Wolf will sich vorläufig daran genügen lassen, nur im vierten Kreiö die Sozial- demokratie zu st ü r z e n. In diesem vierten Kreis stehen die Sonderkandidaten der beiden„neuen Parteien" einander Segen- über, da sind also die nickst zur Sozialdemokratie haltenden Wähler vor die Frage gestellt, ob sie sich für Förster oder lieber für Wolf entscheiden sollen. Möge ihnen die Wahl leicht werden! m Ergänzung zum Reichstags-Wahltableau. Nach den letzten Bekanntmachungen noch eingetretene Verände- rungen resp. Berichtigungen betreffend Reichstagswahl 1907. Im 3. Wahlkreis. Wahlbez. 156. Skalitzerstr. 112. Hof pari. . 157. Skalitzerstr. 142. vorn. , 241. Feilnerstr. 10 bei Schumacher. Im 4. Wahlkreis. Wahlbez. 393.„Jägerheim", Landsberger Allee 48. Im 6. Wahlkreis. Wahlbez. 498. 105 /121. Gem-Schule. Prenzlauer-Allee 227/228.— Turnhalle. 542. Schönhauser Allee 107 bei Wolter. , 601. Borsigstr. 31B bei Verworner. . 651. Kronenbrauerei, Alt-Moabit 43, pari, rechts. 672. 41./242. Gcm.-Schule. Emdenerftr. 16— Turnhalle. _ 675. Dorotheenfchule. Wilhelmshavenerstr. 2. , 715. Brüsfelerstr. 5. bei Langseld. • Zum 193c. Stadtbezirk, 416. Wahlbezirk, gehören auch die Häuser Allensteinstr. 22—33. Wahllokal: Friedebergerstr. 1 bei Zwarg. Außerdem gehören die Häuser Sebastianstr. 77—88 zum 132. Stadtbezirk und 258. Wahlbezirk. Wahllokal: Luckauerstr. 15 Luckauer Hof, kleiner Saal. pari. • Wahlversammlungen. Erster Wahlkreis. Morgen Montag für das Hansa-Viertel: Wählerversammlung im Cafs Gärtner. Näheres heutiges Inserat. Zweiter Wahlkreis. Am Dienstag, den 22. Januar, findet in der Bockbrauerei, Tempelhofer Berg, eine Wählerversammlung statt. in der Genosse Singer über die bevorstehende ReichstagSwahl sprechen wird. Zahlreichen Besuch erwartet Der Vorstand. Dritter Wahlkreis. Heute, mittags 12 Uhr, findet bei Buggen- Hägen(Moritzplatz ) eine öffentliche Wählerversammlung statt. Genosse Wolfgang Heine spricht über die bevorstehende ReichstagSwahl. Zahlreichen Besuch erwartet Der Borstand. Achtung fünfter Wahlkreis. Montag, dm 21. Januar 8 Uhr abends 2 große öffentliche Wählerversammlungen. 1. AlteS Schützenhaus, Linien st r. 6, 2. Musikersäle. Kaiser Wilhelm str. Igm. Referenten: Paul Singer, Robert Schmidt. Erscheinen ist Vklicht. Das Wahlkomitee. Der Besuch gegnerischer Versammlungen durch Parteigenössen ist, soweit wir das übersehen können, unseren Gegnern insofern nicht unwillkommen, als sie die Gelegenheit benutzen, unsere Partei und die anwesenden Genossen in der pöbelhaftesten Weise an- zuflegeln, wobei sie sich obendrein noch brüsten, daß sie volle Ver- sammlungen haben. Macht der eine oder andere Genosse einen Zwischenruf, so kann er gewärtig sein, daß er in der nieder- trächtigsten Weise beschimpft wird, ganz im Stile des Reichs- Verbandes zur Verleumdung der Sozialdemokratie. Wie dann in der Presse über solche Vorgänge berichtet wird, möge ein Bericht über eine Versammlung im dritten Wahlkreise beweisen, den wir in der„Post" finden. Da heißt es: „Wie frech die„Genossen" lügen, zeigte sich wieder einmal gestern in einer liberalen Wählerversammlung im„Oranien- salon", wo sozialdemokratische Sprengkolonnen wüste Tumult- szenen herbeiführten. Als die Gemeinheit des Mehring-Organs in Leipzig , das den auf dem letzten Krankenlager liegenden Eugen Richter einen„Strolch noch im Sterben" genannt hatte, zur Sprache kam, trat ein„Genosse" Jekesch auf und leugnete'mit dreister Stirn diese oft genug festgenagelte Tatsache. Das war selbst seinen eigenen„Genossen" zu stark. Die Lüge war so frech, daß die Partei kompromittiert werden konnte, wenn man sie einfach bestehen ließ. So belehrte denn der Führer der Spreng- kolonne diesen mehr hitzigen als geschickten Parteikämpen, daß er im Unrechte sei. Und nun rief wieder ein begeisterter Jünger der„Kulturpartei", der die Früchte sozialdemokratischer Erziehung ins rechte Licht stellen wollte:„Eugen Richter ist noch heute ein: Strolch". Echt Bebel-Mehring-Stadthagensche Kulturpflanze! Die Folge dieser echten Genossenrohcit war eine kleine Keilerei zwischen empörten Freisinnigen und durch Ueberzeugungsschnä'pse animierten„Genossen". Ein Sozialdemokrat, der noch einige Erinnerung an das, was anständig ist, aus seiner bürgerlichen Vergangenheit bewahrt haben mochte, rief:„Parteigenossen, bc- nehmt Euch doch anständig! Es soll nicht heißen, wir wüten Radaubrüder!" Doch wirkungslos verhallte diese Mahnung bei den Jüngern des Geistes der Bebel, Mehring, Stadthagen . Spitzel- Fischer e tutti qusnti. Erst als eine Reihe der am stärksten spiritusbeseelten Gestalten an die frische Luft gesetzt war, kehrte so viel Ruhe in den Saal zurück, daß man weiter debattieren konnte. In der kühlen Nachtluft wird dann wohl der Spiritus allmählich verflogen und das Phlegma wiedergekehrt sein." Daß dieser Bericht im wesentlichen Schwindel ist, ersiecht man schon aus der Fassung. Nichtsdestoweniger aber möchten wir unsere Parteigenossen ausdrücklich ersuchen, unsere Gegner, denei« cS gar nicht um eine sachlicheAuseinandersetzung zu tun ist, lieber unter sich zu lassen. Die Freisinnigen haben speziell ohnehin durch ihre Anpöbe. lung unserer Partei die Absicht. sich'Padurch nur die Gunst und die Stimmen der scharfmacherischen Kreise zu erwerben. Zu dieser Sache erhalten wir noch vom Vorstand des sozial- demokratischen Wahlvereins des dritten Kreises folgende Zuschrift: „Die Art, wie unsere freisinnigen Gegner Vorgänge in Ver- sammlungen des Herrn Rosenow sensationell aufbauschen und ausschlachten, veranlaßt uns, die Genossen zu bitteu, gegnerische Wahlversammlungen zu vermeiden, und falls sie doch dorthin gehen, um sich über die Behauptungen unserer Gegner zu unter. richten, sich aller Zwischenrufe zu enthalten. So berechtigt die Entrüstung über Unwahrheiten und Verdrehungen sein mag, ist doch nicht zu vergessen, daß man durch Zwischenrufe sie nicht widerlegen kann, sondern nur den Gegnern erwünschte Gelegen- heit zu neuen Anwürfen bietet." Um volle Versammlungen zu bekommen. verfallen die freisinnigen Maulhelden auf die sonderbarsten Ein- fälle, wobei sie agch vor dem größten Schwindel und vor Fälschungen nicht zurückschrecken. WaS auf diesem Gebiete von Freisinnigen im fünften Kreise geleistet wird, dürfte kaum noch steigerungsfähig sein. Zu einer Versammlung, die am Freitag, den 18. Januar, stattfand und in der Herr Cassel redete, wurde folgender Einladungs wisch auf rosafarbenem Papier verbreitet: Fortschrittlicher Verein Waldeck. Berlin , Datum des Poststempels. Mitglieder deS Fortschrittlichen Vereins Waldeck l ES wird bekannt, daß die Sozialdemokraten beabsichtigen, die Versammlung unseres Ehrenmitgliedes, Abgeordneten Justiz rat Cassel, am Freitag, den 13. Januar, im Verbandshause der deutschen Gewerlvereine, GreifSwalderstr. 223/|25, zu sprengen. Man will daS sonst boykottierte Lokal so rechtzeitig besetze», daß Herr Abgeordneter Justizrat Cassel nur Sozialdemokraten vorfindet. Es bedarf sicher nur dieses Hinweises, um alle Waldecker zu veranlassen, um 8 Uhr zur Stelle zu sein. Zeigen wir, daß wir „nS das Versammlungsrecht durch die Roten nicht beschränken lassen. Der Vorstand des Fortschrittlichen Vereins Waldeck. I. A.: Paul Tröger. Die Wahrheit ist, daß die Sozialdemokraten des fünften Kreises im Gegenteil in ihren Versammlungen von dem Besuch der frei- sinnigen Versammlung abgeraten haben. Die Veranstalter der Ver- sammlung haben das sicher gewußt und befürchteten wohl, daß Herr Cassel in dem, in einem Proletariervicrtel belegenen VersammlungS- lokal vor leeren Stühlen sprechen würde, wenn sie nicht einen zug» kräftigen Schwindel in die Welt setzten und so wenigsten» die eigenen Leute zum Besuche der Casselversammlung auf die Beine brächten. Der Unterzeichner der Einladung, ein Herr Tröger, muß es sich schon gefallen lassen, daß die von ihm aufgestellte Behauptung von der Sprengung der Versammlung durch Sozialdemokraten als eine grobe handgreifliche Lüge festgenagelt wird. Was hiermit. geschieht! » Im zweiten Wahlkreise ist der Professor Dr. Pfleiderer in die KampfeSarena gestiegen. Er hat im jungliberalen Berein eine Rede gegen Zentrum und Sozialdemokratie geschwungen in der er geradezu in Kolonial- enthufiasmus schwelgte.»Die Kolonien sind die Er- ziehungSschule eines Volkes zu kraftvollem Handeln, zu weiterem Denken, namentlich der Jugend", war einer der Weisheitssätze, die der Herr Professor seinen gläubigen ZuHörem hersagte. Seine Kenntnis oder besser gesagt Unkenntnis der sozialdemokratischen Bewegung bewies der geehrte Herr durch folgende Aeußerungen: „Die Sozialdemokratie hat nicht immer ihre heutige Gesinnung gehabt; sie hat mit einem viel besseren Anfang begonnen. Ferdinand Lassalle wollte mit Hülfe deS Staates die Hebung des Arbeiter- standes erreichen. Für dieses Ziel stände auch heute noch die Unter- stützung des liberalen Staates zur Verfügung, wenn es auf gesetz- lichem Wege erstrebt würde. DaS fremde Gift hat erst der Vater- landölose Flüchtling, der gehässigste aller Baterlandsfeiude Marx in die Bewegung gebracht. Weil aber das Gift von außen gekommen ist. dürfen-wir hoffen, daß es mit der Zeit wieder ausgemerzt werden kann, daß die gegenwärtige KrisiS die Vernunft wieder zu Wort kommen läßt.* Es wäre gut, wenn Herr Pfleiderer erst die Geschichte der Sozialdemokratie studieren würde, bevor er über sie redet. Was er hier geredet hat, beweist die dringende Notwendigkeit eines solchen Studiums. Die Versammlung war zur Unterstützung der Kandidatur Reicke einbemfen.— In konservativen Kreisen scheint man von der Ausstellung des Arbeiters" Reinhard nicht allenthalben sonderlich erbaut zu sein, wie aus einer Notiz im„Reichsboten" hervorgeht. In einer Anpreisung der Kandidatur Reinhardt heißt eS da: „Warum hat der zweite Berliner ReichstagSwahlkreiS den Arbeiter Reinhard und nicht emen anderen Kandidaten aufgestellt? Diese Frage haben wir m der letzten Woche vielfach in Kreisen erörtern hören, die wohl aus Unkenntnis der Persou scheinbar an den Kandidaten nicht mit dem rechten Vertrauen herantreten, weil sie meinen, ein Arbeiter hätte nicht das Zeug dazu, die Ansprüche, die an einen Reichstagsabgeordneten gestellt werden, zu erfüllen. Zur Aufklärung dieser Zweifler möge folgendes gesagt sei: Der Arbeiter Reinhard ist ein oolk-ins.cks maa— ein Mann, der sich aus eigener Kraft vom Weißgerber, der wegen seiner christlichen. gerechten Gesinnung von den Sozial- demokratcn boykottiert worden ist und unter großen Entbehrungen für sich und seine Familie durchgerungen hat, zum politisch ge- reiften Volksvertreter, der in der Lage ist. vermöge seiner Er- fahrungen die Bedürfnisse aller Stände zu beurteilen und die be- rechtigten Wünsche des Volkes vermöge seiner politischen Kennwisse unter Berücksichtigung der Interessen des Staates voll und ganz zu vertreten. Nach unserer Ueberzeugung gehört zum Reichstags- abgeordneten ein Mann von Charakrer, Gottesfurcht, Königstrcue und Vaterlandsliebe, der durch seine politische» Kenntnisse sich ein zutreffendes Urteil gebildet hat, über die Wirkungen von Gesetzes- vorlagen auf alle Stände. Ein solcher Mann ist der Arbeiter Reinhard, und gerade denjenigen, welche stets den Grundsatz auf- stellen, daß der Mann nach seinem eigenen Werte beurteilt werden soll, ist nunmehr Gelegenheit geboten, durch Abgabe ihrer Stimme für den Arbeiter Reinhard die Verwirklichung dieses Grundsatzes herbeizuführen." Die obige Behauptung, Reinhard sei wegen seiner christlichen, gerechten Gesinnung von der Sozialdemokratie boykottiert worden, ist Schwindel. Richtig ist, daß Reinhard früher Mitglied de? Verbandes der Lederarbeiter war und daß es dort kaum einen gab, der radikaler austrat als Reinhard. Einmal in einer Streikversamm- lung wurde er gegen einzelne Fabrikanten dermaßen ausfällig, daß ihn selbst der Borsitzende der Versammlung, ein Parteigenosse. Mäßigung ermahnen mußte. Auch sonst war er sehr dringlich und er ruhte nicht früher, bis ihm in politischen Organisation ein Bezirk übertragen wurde. Vorliebe trat er in solchen Versammlungen auf, denen religiöse Fragen behandelt wurden. Dort hat er als Atheist aufgespielt und zog sich infolge seiner Aeußerungen eine Gefängnisstrafe wegen Beschimpfung kirchlicher Einrichtungen zu. Die Partei konnte aber für derartige Aeußerungen keine Verant- wortung übernehmen und lehnte deshalb auch eine materielle Unter- stützung ab. Das scheint ihn sehr verdrossen zu haben, und so wandte er sich den Christlichsozialen zu, um schließlich für den Reichs- verband noch gut genug zu sein. Heute ist Reinhard der»Mann von Charakter, Gottesfurcht, Königstreue und Vaterlandsliebe". Wo wird er noch enden? » Wahlversammlungen. Erster Wahlkreis. Vor einer außerordentlich stark besuchten Versammlung von HandlungLgehülfen in den„Arm in hallen" hielt am «-reltegabend Genosse Dr. A r o n s eine Ansprache, in welcher er das Verhalten der Freisinnigen in Fragen, die die eingestellten des Handelsgewerbes angehen, kritisierte und speziell hervorhob, wie sie als Fe i n d e der so notwendigen und ersehnten Sonntagsruhe sich erwiesen. Der Berliner Freisinn im Roten Hause denkt nicht daran. den Haiidclsangestellten. zur Hülfe zu kommen, trotzdem er die Macht dazu hat. Arons forderte energisch zur Unterstützung der Sozialdemokratie auf.— Was Aröns in seiner Ansprache nur an- deuten konnte, darauf ging der Redner deS Abends, Julius Kaliski , in einem längeren, glänzenden Vortrag näher ein und beleuchtete scharf die Sünden des Freisinns, erinnerte an die Kämpfe, welche die Handlungsgehülfen um bessere Arbeitsbedin- gunyen zu führen hatten und zeigte, wie diese Kämpfe einen poli- tischen Charakter erhielten. Es galt oft genug, gegen des Freisinns antisoziale Haltung Front zu machen. Begeistert wurde ihm zu- gestimmt, als er dazu aufforderte, für die Sogialdemolratie ein- zutreten und am 25. Januar für die sozialdemokratischen Kandi- >daten zu stimmen. Als ein Redner in der Diskussion den Kandidaten Damaschke empfahl, trat ihm Kall i Ski wirkungsvoll entgegen und erklärte, daß der Bodenrcformer Damaschke in keiner Weise mit einem Ver- tretet der Sozialdemokratie konkurrieren kann, daß die Sozial- demokratie sich nicht begnügt, einen Teil des Kapitalismus zu de- kämpfen, soiwern dem ganzen System zu Leibe loill. Mit einem begeisternden dreifachen Hoch auf die Sozialdemokratie wurde die Versammlung geschlossen. Dritter Wahlkreis. In den beiden Wählerversammlungeu am Freitag sah sich unser Kandidat Genosse Heine veranlaßt, in semen Ansprachen an die Wähler auf einige Verdächtigungen zu antworten, die die Freisinnigen in ihren, für die Sozialdemokraten bekanntlich unzu- gänglichen Versammlungen, gegen ihn vorzubringen Pflegen. In abgeschwächter Form evscheinen diese Anwürfe in den Versamm- lungsberichten der Freisinnigen, in den Versammlungen selbst aber werden den Wählern noch ganz andere Dinge erzählt. ES ist ein Kollege unseres Kandidaten, der Rechtsanwalt Cassel, der sich hierbei besonders auszeichnet, der den schrecklichen Vorwurf er- hebt. Heine wäre Reserveoffizier gewesen, und den Wählern zu verstehen gibt, sie könnten doch unmöglich für einen weggejagten Offizier stimmen. Ein anderer Vortvurf, der auch von dem frei- sinnigen Mischmasch-Kandidatcn Rosenow verbreitet wird, ist, daß Heine einer archsemitischen Studentenverbindung angehört habe. Genosse Heine erklärte, er brauche sich durchaus nicht zu schämen, daß er seiner staatsbürgerlichen Pflicht auch als Soldat und Offizier genügt habe, und ebensowenig der Tatsache, daß er vor 10 Jahren seiner sozialdemokratischen Gesinnung wegen aus dem Offiziers- stände ausgestoßen worden fei. Auch könne er es keineswegs als eine Schande empfinden, daß er als zwanzigjähriger Jüngling sich einer„nationalen" StudentenbcweguNsg angeschlossen habe. Er habe sich von dieser Bewegung getrennt, sobald er die Ueberzeugung gewonnen hätte, daß seine freiheitliche Auffassung der nationalen Ideale dort keinen Anklang fanden. Darüber seien nun mehr als 22 Jahre verflossen. Ihm das vorzuwerfen, stimme sehr schlecht zu dem Versprechen RoienowS, den Wahlkampf sachlich zu führen. Lächerlich sei auch der Vorwurf, daß ein sozialdemokratisches Flug- blatt des dritten Wahlkreises„antisemitisch" sei und daß darin Herrn Rosenow seine«Konsession zum Vorwurf" gemacht werde. Es handele sich hier um nichts anderes, als daß in dem Flugblatte gesagt werde. Rosenow,„obgleich selbst Israelit , spekuliert auf die Stimmen der Antisemiten". Hier werde Herrn Rosenow nicht wegen seiner Konfession ein Vorwurf gemacht, sondern tvegen des widernatürlichen Wahlbündnisses eines sich freisinnig nennenden und noch dazu israelitischen Mannes mit den Gegnern der kon- fessionellen Gleichberechtigung. UebrigenS sei dies eine Frage des Geschmacks, über die er, der Redner, mit Rosenow nicht rechten wolle,— Im Anschluß ort diese Ausführungen beleuchtete Heine
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