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Nr. 23. 24. Zahrgavg. 2. ßfilnjf des Lmiirts" Ictlinn WksM Sovatag, 27. Innnar 1907. parte!- Hngetcgenbelten* Achtung, Zweiter Wahlkreis! Sonntag, 27. Januar, mittags 1 Kezw. 2 Uhr, findet die Uraniavorstellung statt. Das Komitee bittet die Genossen, wegen der Auslosung der BillettS recht pünktlich zu erscheinen, ferner seinen Anordnungen Folge zu leisten und die Vorschriften, welche auf den Billetts vermerkt sind, zu be» achten. Das Komitee. Schöneberg  . Am Dienstag, den 29. d. M., findet die öer sammlung des sozialdemokratischen Wahlveretns statt. Tages' Ordnung:Die Kampfes weise des bürgerlichen Mischmasch". Referent Genosse Küter. Vereinsangelegenheit. Verschiedenes. Der Vorstand. Rieder-Schönhausen. Die Generalversammlung de« Wah lvercins findet am DienStag,' den 29. Januar, abends Uhr. im Restaurant Wilhclmshof, Kaiser Wilhelmstrotze, Ecke der Eickenstratze, statt. Die Mitglieder werden gebeten, pünktlich und vollzählig zu erscheinen. Berliner   JVadmcbteii* Das rote Eroß-Berlin  . Daß am 2S. Januar Groß-Berlin rot g e b l i e b e n ist, das ist der bitterste Schmerz, der den bürgerlichen Parteien und besonders dem Freisinn bereitet werden konnte. Von den acht Wahlkreisen des Gebietes Berlin  -Teltow  -Niederbarnim waren sieben im Besitz der Sozialdemokratie gewesen, und alle sieben sind behauptet worden. In keinem dieser sieben gelang es den bürgerlichen Parteien, uns in eine Stichwahl zu drängen in keinem, gar im ersten Ansturm uns den Kreis zu entreißen. Angekündigt hatten sie's, daß siedie rote Fahne herunterholen" würden, wenn nicht schon am 25. Januar, so doch in den Stichwahlen, die für mehrere Kreise als das mindeste von ihnen erwartet wurden. Sie wollten es, aber es langte nicht. Auch mit Hilfe der politisch Indifferenten, der gewohnheitsmäßigenNichtWähler", von denen diesmal viele sich tatsächlich auf die Beine bringen ließen und besonders dem in allen Farben schillernden Freisinn zuliefen, haben sie es nicht geschafft. Der erste Kreis Berlins   muß als einziger den bürgerlichen Parteien ersetzen, was in sieben Kreisen von Groß-Berlin ihnen mißlang. Wieder haben sie es im ersten Kreis noch erreicht, daß erst in einer Stichwahl die Eni- scheidung herbeigeführt wird. Sie haben sogar das durchge- setzt, daß die Sozialdemokratie, die hier bei der Wahl von 1903 mehr Stimmen, als selbst der Freisinn erhalten hatte sSozialdemolratie S315, Freisinn 4266), jetzt an die zweite Stelle gerat-n ist(Sozialdemokratie 5040, Freisinn 6068). Wo der Freisinn seinen Zuwachs(rund 1800) hauptsäch- lich hergekriegt haben kann, das lehrt die Betrachtung der Stimmenzahi, die von den Konservativen erzielt wurde (vor vier Jahren 2923, jetzt nur noch 972, daneben 779 für den Bodenreforneer). Der Rückgang der Stimmenzahl der Konser- vativen ist so gewaltig, daß man sich versucht fühlen kann, von einem völligen Zusammenbruch zu sprechen. Es ist indes sicher, daß zu der Freisinnstruppe sich von vornherein zahl- reiche konservative Wähler gestellt haben, die von einem so- fortigen(Antreten für den Freisinnigen Kämpf, sich dessen Sieg versprachen. Der Berliner   Freisinn hat jetzt Gelegen- heit, seine Theorie von denMitläufer n" einmal auf sich selber anzuwenden. Wenn er das in sämtlichen sechs Wahl- kreisen Berlins   tun will, so kann er sich überzeugen, daß sie überall zuirifft. Ueberall steht neben dem Stimmenzuwachs des Freisinns eine Verminderung der konservativen Stimmen. Ueberall ist es zweifellos, daß ein mehr oder minder großer Teil des Stimmenzuwachses der Freisinnigen, durch die Kon» servativen geliefert worden ist. Die Konservativen sind dies- mal in ihrer Selbstentäußerung so weit gegangen, daß sie sich von vorrherein zu Handlangern und Schuhputzern des national� gewordenen Freisinns machten, um mitzuhelfen an derErncuerung des Liberalismus". Die Konservativen und die Indifferenten, das war das Gros der Hilfstruppen, die der Berliner   Freisinn diesmal ins Treffen führen durste. Die Verminderung der sozialdemokratischen S t i m m e n, die in einigen Wahlkreisen eingetreten ist, muß zum Te-l daraus erklärt werden, daß in der Innenstadt die Bevölkerungszusammensetzung sich immer mehr ändert. Immer mehr werden die Arbeiter in die äußeren Staditeile und in die Vororte hinausge- drängt. Das gilt namentlich für einen großen Teil des ersten Kreises, serner für den ganzen dritten Kreis und für einen Teil des fünften Kreises, ja auch schon für einen Teil des zweiten Kreises. Im dritten und noch mehr im ersten Kreis ist selbst die Zahl der Wahlberechtigten wieder geringer geworden. Desto mehr ist aber die Zahl der Wahlberechtigten im vierten und sechsten Kreis Berlins  , sowie in Teltow   und Niederbarnim gestiegen, und hier hat denn auch die Sozial- demokratie wieder einen bedeutenden Stimmenzuwachs er- zielt. In den acht Kreisen Groß-Berlins war die Zahl der sozialdemokratischen Wähler im Jahre 1903 gleich 46! Proz. aller Wahlberechtigten(330 456 von 713318), im Jahre 1907 aber ist sie gleich 4814 Proz. aller Wahlberechtigten (409 175 von 847 963). Man sieht, daß wir keinen Grund haben, für Groß-Berlin aus dem Wahlergebnis zu folgern, die Werbekraft unserer Ideen habe sich nicht aufs neue bewährt. In Berlin   allein liegen die Verhältnisse noch günstiger. Hier waren die sozialdemokratischen Wähler im Jahre 1903 erst 49 Proz. aller Wahlberechtigten(218 238 von 444 871), im Jahre 1907 sind sie fast 51 Proz. aller Wahl- berechtigten(250 514 von 492 237). In ganz Berlin   haben diesmal eine Viertelmillion Wähler rot gewählt, mehr als dieHälfteallerWahlberecht igten. Nur der Ungleichheit der Wahlkreise hat der Berliner  Freisinn es zu danken, daß nicht längst auch der erste Kreis uns gehört. Nach der Zahl der Wahlberechtigten ließen aus dem vierten Kreis acht bis neun erste Kreise, aus dem sechsten Kreis gar zwölf erste Kreise sich machen. Der Freisinn schreit über die Ungleichheit der Wahlkreise, wo sie ihm schadet. Aber er freut sich dieser Ungleichheit, wenn sie ihm nützt. Sie hat ihn bisher davor geschiitzt, daß er auch aus seinem letzten Berliner   Schlupfwinkel hinausgejagt wurde. Die Zmuihnle der sozialdemokratischen Stimmen in Groß-Berlin wäre noch größer gewesen, wem, nicht diesmal mancherlei äutzere Umstände beeinträchtigend gewirkt hätten. Die Fehlerhaftig« keit und Uttvollständigkeit der Wählerlisten war so arg, wie wohl nie zuvor. Es versteht sich von selbst, daß darunter weniger das setzhafte liberale Bürgertum als die oft umziehende Arbeiterbevölkerung zu leiden gehabt hat. Das hatte fich schon bei der Prüfung der Listen gezeigt, aber noch mehr trat es am Wahltage hervor. Aufs neue ist mancher Wähler durch eigene ärgerliche Erfahrung darüber belehrt werden, daß niemand der- gessen sollte. die Wählerlisten vorher zu prüfen. Mitunter nützt aber auch diese Vorsicht nichts. Im dritten Kreise hatte man einen Wähler nachträglich streichen wollen, weil er seine Wohnung gewechselt hatte. Irrtümlich wurde statt seiner sein Vater gestrichen, bei dem er gewohnt hatte, der aber selber dort wohnen geblieben war. Der Vater hatte sich rechtzeitig vergewissert, datz er in der Liste stand. Als er zur Wahl ging, wurde ihm zu seiner großen Ueberraschung eröffnet, sein Name sei gestrichen. Er begab sich sofort nach dem Wahlbureau deS Magistrats, forderte Aufklärung und setzte es durch, datz man ihm schriftlich bescheinigte, das Wahlbureau habe hier ein Versehen begangen. Mit dieser Bescheinigung trat er dann zum zweitenmal vor die Wahlurne und durfte nun wählen. Offen gestanden: gegenüber einem solchen Irrtum hört doch alle Gemütlichkeit auf. Auch das scheint oft vorgekommen zu sein, datz nachträgliche Aufnahme in die Liste verweigert wurde, obwohl sie begründet war. Das soll besonders vielen Personen passiert sein, die irrtümlich als Ausländer gebucht waren. Da sie von der Abweisung erst kurz vor dem Wahltage Kenntnis erhielten, so war die Möglichkeit einer erfolgreichen Beschwerde an die höhere Instanz ausgeschlossen. In der Ausübung ihres Wahlrechts beeinträchttgt wurden auch Insassen von Heilstätten und Heim- st ä t t e n. Wenn fie in Berlin   polizeilich abgemeldet waren, so wurde ihnen die nachträgliche Alifnahme in die Liste verweigert. In den Anstalten aber wird man ihnen kaum das Recht gewährt haben, dort zu wählen. Mit besonderem Eifer scheint diesmal von gewisser Seite auch auf umgezogene Wähler Jagd gemacht worden zu sein, l wurde möglichst darauf hingewirkt, datz sie nicht mehr in ihrem stüheren Wahltreis, sondern in demjenigen ihrer jetzigen Wohnung wählen mutzten. Da aber mehr Arbeiter aus den inneren Teilen der Stadt nach den äutzercn als von den äußeren nach den inneren ziehen, so wurden diejenigen Wahlkreise, aus die der Freisinn die meiste Hoffnung setzte, von manchem sozialdemokratischen Wähler befreit". Die betreffenden Wähler wurden so in die Hochburgen der Sozialdemokratie abgeschoben, wo ihre Sttmme weniger ins Gewicht fiel. m Das Resultat deS Wahlkreises verli» V ist nach neueren Ziffern das folgende: Robert Schmidt(Soz.) 14 901. Cassel(frs. Bp.) 93(51. Bernau  (kons.) 1470. Zentrum 478. Pole 91. Graf Pückler 87, Zersplittert 103. Ungültig 53. « In der Aufmachung der Stimmenzimahme unserer Partei und der Gegner in Grotz-Berlin  , die in der Extraausgabe enthalten ist, haben wir den Zuwachs der Stimmen der gemeinsamen Gegner mit über 33 000 angegeben, es find aber 44 000, während unsere Partei zirka 79 000 zugenommen. Zu einem Ausbruch des Radaupatriotismu» auf der Straße ist es am Wahlabend gekommen nach Einkauf einer Anzahl aus dem Reiche eingelaufener Wahlergebnisse. Von einer Meldung haben wir bereits Nottz genommen, und zwar, datz eine Anzahl solcher Radaupatrioten vor das Palais des Fürsten Bülow zogen, um ihn zu beglückwünschen, wobei der Reichskanzler eine Rede zum Fenster hinaus hielt. Auch vor dem kronprinzlichen Palais kam es zu einem Radau, über welchen wie folgt berichtet wird: Als die Wahlresultate aus Berlin   und dem Reiche in den Lokalen in der Friedrichstadt   bekannt geworden waren, zog eine Gruppe von Studenten nach dem Schloß zu, der sich auch zahlreiche andere Passanten, darunter einige Professoren anschlössen. So bildete sich eine aus etwa 500 Köpfen bestehende Menschen- ansammlung, deren Weitermarsch nach dem Schloßplatz durch eine Kette von Schutzleuten an der Schlohbrücke verhindert wurde. Die Menge ging nun zurück und samnielte sich vor dem kronprinzlichen Palais an, wo sie in stürmisch» Hoch- rufe ausbrach. Der Kronprinz und die Kronprinzessin erschienen am Fenster und winkte» hinaus, worauf die Menge die Rational  - Hymne anstimmte. In diesem Augenblick kam ein großes Kommando von Schutzleuten vom Schlosse herbei und trieb die Volksmassen, die zwar gegen da« Vorgehen der Polizei protestierten. aber tätlichen Widerstand nicht leisteten, bis nach der Charlotten- stratze zurück." Einer, der dabei war, beklagt fich in einer Zuschrift an das Berliner Tageblatt" darüber, datz er von der Polizei einen Schlag erhalten habe. Er schreibt: In den, Moment, als ichDeutschland   über alles" anstimmte, erhielt ich von einem Schutzmann einen Schlag inS Geficht, datz ich zurücktaumelte. Mein Freund wurde am Kragen gefatzt und bekam ebenfalls einen Stoß, datz er lang hinfiel. Das alles geschah, während der Kronprinz noch am offenen Fenster stand. Run wurden laute und anhaltende Pfuirufe auf die Polizei laut, und ich verzichtete darauf, weiter vor dem Palais zu bleiben." Diese Behandlung von Patrioten mißfällt dem.Berliner   Tage- blatt' sehr und eS wendet sich entschieden gegen diese.unbegreif- lichen polizeilichen Mißgriffe." Es schreibt: ES ist unS ganz unbegreiflich, wie die Polizei einer Masse von Bürgern, die sich noch dazu in patriotischen Kundgebungen erging und wohlgemerkt nicht etwa der Hefe deS BolkcS entstammte, sondern gesitteten und den besseren Stäudeu an- gehörigen Elementen angehörte, in dieser Form den Mund ver- bieten konnte." UebrigenS ist bei dem Eingreifen der Polizei mit.größter Milde' verfahren worden, wie der Polizeipräsident fich geäußert hat. Sollten aber wirklich einige Schutzleute zu weit gegangen sein, so sei da? nach Herrn BorrieS im.Interesse der Sache" zu bedauern. Ob die»größte Milde' auch angewendet worden wäre, wenn Arbeiter eine Kundgebung veranstalten? Und ob den ,Mtz- griffen" gegen Arbeiter auch so schnell das Bedauern folgen würde? So weit wir die Polizei kennen, würde da mit aller Schneidigkeit dazwischen gefahren werden. Wird doch schon nach Ansicht der Polizei der Verkehr gestört, wenn ein Arbeiter Streikposten steht. Ja I Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe! Der Etatsentwurf für daS Berliner   Sewerbegcricht für 1907 schlietzt mit einer Ausgabe von 35 134 M. bei 3920 M. Einnahmen ab und der für das Berliner   KaufmannSgericht einschließlich eines Extraordinarimns von 2000 M. zur Ausstattung von Räumen fieht bei einer Einnahme von 5210 M. eine Ausgabe von 26 603 M. vor. Der Zuschuß des Magistrats stellt fich danach für 1907 auf nmd 52 612 M. für beide Gerichte. Der Spez»aletat 44 über die Standesämter für 1907 schließt in Einnahme mit 43 310 M. und in Ausgabe mit 84 250 M. ab. Die, Mehransgabe beträgt danach 40 440 M. Zur Beschaffung von Familienfiammbüchern sind 6500 M. in den Etat ein- gestellt. Es werden jährlich 13 500 Stück gebraucht, im Jahre 1905 wurden 14 819 Stück solcher Stammbücher verausgabt. Es ist dies ein Beweis dafür, daß sie immer mehr Eingang finden. Heber die Versorgung kranker Gefangener in den Berliner   Stadt- Voigtei- und Polizeigefängnissen wird uns von unterrichteter Seite geschrieben: .Verschiedene Stellen in dem in Nr. 16 abgedruckten amtlichen Bericht des Polizeiarztes Dr. Zimmer kennzeichnen das in An- Wendung stehende System treffender, als die herbste Kritik es ver- möchte. �Freilich ist zu beachten, daß es sich um ein amtliches Schriftstück handelt, dessen Verfasser nicht zu befürchten hatte, daß die Blößen an dieser Stelle aufgedeckt werden. Ist es nicht ein schauderhafter Zustand, wenn die Aermsten der Armen, die Leute der Straße, die Heimat- und obdachlosen, elenden, siechen Menschen, von denen sogar ein Dr. Zimmer zugeben mutz, daß nicht 10 Proz. unter ihnen find, die nicht einer Anstaltsbehandlung bedürften, alsarbeitsscheu" bestraft werden? Wer niemals in das entsetz- liche Elend, in den unendlichen Abgrund von Unglück, Krankheit und harter Not hineingeschaut hat, in dem so viele Menschen noch heute gleichviel ob durch eigene oder fremde Schuld ihr Dasein bertrauern, dem bietet sich gerade jetzt im Winter auf Lem Schauplatze der Wirksamkeit jeneshumanen" Arztes eine solche Fülle von Jammer, daß jedes fühlende Herz erschauern muß. Und diese elenden, nur mühsam ihr bißchen Leben dahinschleppendcn Menschen, dei fast durchweg unfähig zur lohnenden Arbeit sind, und die selbst im günstigsten Falle wegen ihrer äußeren Verkommen- heit niemand beschäftigen will, bestrast man als arbeitsscheu und wirft sie nach System Dr. Z. am liebsten nach- her wieder auf die Straße. Ueber einen müden Karrengaul oder einen alten blinden Kettenhund erbarmt sich wohl noch der Tierschutzverein, aber der Mensch, der das Unglück gehabt hat. durch Krankheit, Not öder Leichtsinn an den Bettelstab zu kommen, geht in der heutigen Ge- sellschaftsordnung elend zugrunde. Selbst kann er sich nicht helfen, krank und entkräftet, wie er ist, fällt er überall lästig und das Gefängnis, das seine Tore immer offen hält und in dem man eine Ueberfüllung", wie in den Krankenhäusern selbst dann nicht kennt. wenn der reguläre Bestand sich verdoppelt, bleibt in der Tat der einzige Zufluchtsort dieses Unglücklichen. Nach offizieller Ansicht erweist der Richter mit der Bestrafung, die ihm Unterkunft und Nahrung verschafft, dem Obdachlosen eine Wohltat... Welche schöne Aussicht für denjenigen, der in Not geraten und obdachlos geworden istl Nach der Ansicht des Dr. Z. ist die Stadtvoigtei eine sehr gute Unterkunft für kranke Gefangene. Der an dieser Anstatt wirkende, menschlich fühlende Arzt Dr. Becker findet cS trotz der voraufgegangenen ärztlichen Funktion seines Polizei- kollegen für dringend erforderlich, alljährlich 360 bis 425 Kranke so fort nach dem Uebertritt auS dem Polizeigewahrsam in daS sogenannte Lazarett der Stadtvoigtei aufzunehmen und innerhalb 11 Monaten 142 Gefangene wegen schwerer Er. krankungen, gemeingefährlicher Geiste? st örung usw. als nicht haftfähig nach den Kranken, und Irrenhäusern überführen zu lassen, weil sie dringend der ständigen Pflege und Wartung bedürfen! In der- selben Zeit mußten in der Stadtvoigtei, abgesehen von den leich- teren Fällen(Revicrkranken) bei einem durchschnittlichen Tages  - bestände von 520 Köpfen 71 Nerven- und Herzkranke, 45 Epileptiker, 52 Deliriumkranke, 76 Geschlechtskranke, 13 Geisteskranke stationär behandelt werden, die sämtlich dem Polizeigewahrsam, die Stätte der ärztlichen Wirksamkeit des Herrn Dr. Z., passiert hatten und von diesem offenbar nicht für krank angesehen worden sind, denn er behauptet z. B. selbst, daß geschlechtskranke Personen von ihm durchweg(?) der Krankenstation des Obdachs überwiesen werden. Die Zahl der Lungen- und Halskranken ist so groß. daß man sagen kann, unter 20 Patienten sind immer 10 Schwind­süchtige, oder solche, die es ohne Pflege bald werden. Wie fieht nun das Stadtvoigtei. Lazarett, diese gute", famose Unterkunft aus? Sieben, für Geschlechts- und Krätzekranke bestimmte Einzelzellen und 2 Säle a 11 Betten.   Das ist die ganze(übrigens für Lahme und Krüppel sehr bequem. im vierten Stock belegene) Krankenstation für eine Anstalt, in der durchschnittlich 22 26 000 Personen der geschilderten Art im Jahre verkehren müssen! AuS Mangel an Raum" liegen in den beiden Sälen häufig äußerlich Kranke mit Epileptikern, Deliranten und Schwindsüchtigen ohne rationelle Pflege und Wartung beisammen; aus Mangel an Raum beträgt die Berpflegungsdauer de? einzelnen durchschnittlich nur 614 TagetAuS Mangel an Raum" sind die Zellen für Ge- sunde, in denen gearbeitet und geschlafen werden mutz, in dieser modernen", 1900 erbauten Anstalt großenteils nur 1011 Kubik­meter groß, d. h. so klein, daß gerade die Bettstelle und der Nacht- stuhl darin Platz finden. Breite zirka 135, Länge zirka 350 Zenti- meter l!Aus Mangel an Raum" müssen in demselben, für 29 Per- sonen(l) bestimmten Lazarett unter Umständen aber nicht nur die Bettler und Obdachlosen, sondern auch häufig andere Insassen der Stadtvoigtei untergebracht werden, die wegen irgend einer kleinen Uebertretung ein paar Tage dort absitzen müssen und die man krank aus ihren Wohnungen geschleppt hat, weil das Schema ¥ ei so vorschreibt. Auf diese vom Schicksal weniger abgestumpften und in geord- nete Verhältnisse zurückkehrenden Leute wirken diese Zustände wie ein grausamer Hohn auf die Humanität, umsomehr, wenn man sieht, datz die vernünftigen Vorstellungen eines menschenfreundlichen Arztes seitens der oberen Behörden nicht die Beachtung finden, die sie finden müßten. Iaisser kaire, Im'sser»Herl   Wann werden diese verhängnisvollen Worte im Strafvollzuge endlich einmal durch den Grundsatz Humnnitss suprema lex verdrängt werden? Die eigenartige Erscheinung eineS Rückgangs inmitten deS all- gemeinen Aufschwungs zeigt ein Zweig deS deutschen   PostdicnsteS, ab- gesehen von dem bekannten Rückgang der Personenposten infolge der Ausdehnung des Eisenbahnnetzes. Die Zahl der Postauftragbriefe weist eine stetige Zunahme bis zum Jahre 1901 auf. Von da an geht fie regelmäßig von Jahr zu Jahr zurück. Im Jahre 1901 hatte sie noch 5 665 733 betragen. Seitdem geht sie zwar nicht regelmäßig, aber ohne Unterbrechung zurück, so daß die Zahl im Jahre 1905 nur noch 5 351410 betrug. Wenn auch in dem letzteren Jahre der Rückgang nur 0,78 Prozent betrug,� so ist er doch um so merkwürdiger, als alle übrigen Zweige des PostdiensteZ mit Ausnahme der Personen- beförderung eine erhebliche Steigerung aufweisen, die bis zu 9,7 Proz. bei den außerordentlichen Zeitimgsbeilagen steigt. In den vier Jahren des Rückganges der Postauftragsbriefe stieg die Gesamtstückzahl der durch die Post beförderten Sendungen von 5.3 Milliarden auf nahezu 6.4 Milliarden. Der Grund tfi leicht einzusehen. Der Postauftrag ist verhältnismäßig teuer. Er kostet 30 Pf. für den Auftrag. 20 Pf. für die Postanweisung und 5 Pf. Bestellgeld der letzteren. Es wird deshalb mehr und mehr der Post- Nachnahme der Vorzug gegeben, für die nur eine Vorzeigogebühr von 10 Pf. zu entrichten ist. Es kommt dazu dann nur noch das Porto für einen Brief, eine Postkarte oder gar nur eine Drucksache. Durch Unvorsichtigkett erschossen. Einen verhängnisvollen Alls« gang hat wieder einmal die unvorsichtige Spielerei mit dem Revolver