Die russische Revolution. RegierungS-Wahlmache. Stolypin hat von Bülow gelernt. Er sucht nach Vülows Muster Wähler zu fangen durch Wahlkundgebungen, die allerlei Schönes, aber möglichst wenig Greifbares, Be- stimmtes versprechen und es an den obligaten Drohungen gegen den Umsturz nicht fehlen lassen. Es wird gemeldet: Petersburg , 30. Januar. Der Präsident des'Ministerrats sandte an die Generalgouverneure, Gouverneure, Präfekten und an den kaiserlichen Statthalter des Kaukasus ein telegraphisches Rundschreiben, in dem darauf hingewiesen wird, dast seit Beginn der Wahlen gewisse politische Parteien die Propaganda für ihre Ideen mit Hülfe der Presse übertreiben, indem sie bemüht seien, die Handlungen und Absichten der Regierung falsch zu interpretieren, um den Erfolg der oppositionellen Kandidaten zu sichern. Der Präsident des Ministerrats stellt mit Bezug hierauf fest, daß die Vertreter der Regierungs- gewalt sich nicht in den Kampf der Parteien mischen und die Wahlen nicht beeinflussen dürfen<!) und erklärt zum wiederholtenmal, daß die Generalgouverneure und Gouverneure die volle Freiheit bei den Wahlen sichern, stets nur gegen die revolutionäre Propaganda ein- schreiten und alle falschen Gerüchte über Handlungen und Pläne der Regierung dementieren sollen. Obgleich das Programni der Regierung bekannt sei, sei es immer wieder nötig, darauf hinzuweisen, daß ihre Politik nicht durch zufällige und vorübergehende Umstände beeinflußt sein kann. Die Regierung gibt die Versicherung, daß die Reichsduma, die der Haupt- faktor der Regeneration der Staatsordnung und der Staatsprinzipien sei und die das Recht der Initiative auf dem Gebiete der Gesetzgebung habe, in der Regierung einen aufrichtigen Mitarbeiter an ihrer fruchtbaren, schöpferischen und versöhnlichen Arbeit finden werde. Die Regierung, heißt es weiter, ist sich der ungeheueren Schwierigkeit bewußt, die die Lösung der mit der Um- Wandlung der politischen und sozialen Ordnung verbundenen Fragen unter den gegenwärtigen ungewöhnlichen Umständen bietet, deshalb ist die Regierung sicher, daß die Umwandlung des Reiches nur gelingen wird, wenn ihre Absichten in der Dumaein er Kritik unterzogen und ihre Vorlagen dort eine eingehende praktische Erörterung erfahren. Unter voller Berücksichtigung der Rechte der Reichs- duma bezüglich der Gesetzgebung, derBudgetbewilligung und derJnter pellation wird sich die Regierung bei allen ihren Handlungen unwandeb bar an die be st ehe»den Gesetze halten. Die strenge Beobachtung der Gesetze bietet die einzige Möglichkeit, das Ver- trauen des Monarchen in die Regierung sowohl wie in die Reichs- duma zu bewahren, sie ist daher die einzige Bedingung einer ge- meinsamen Arbeit. Es ist notwendig, auf die Falschheit der G e rüchte hinzuweisen, nach denen die Regierung beabsichtige, die Reichsduma zusammenzube rufen, nur um sie aufzulösen und zu dem vom Kaiser ver wo rfeuen Regierungssystem zurück- zu kehren. Die Regierung verfolgt das Ziel, die Selbst- regierung der SemstwoS zu entwickeln und die Mittel der Semstwos und der Gemeinwesen vermittelst finanzieller Resorinen zu vermehren. Ihr Hauptziel i st die Besserung der Lage der Bauern nicht nur durch Schaffung von Boden- fondS, sondern auch dadurch, daß sie für jeden energischen und fleißigen Arbeiter die Möglichkeit einer eigenen Wirtschaftsführung schafft, ohne daß das' Recht von anderen verletzt lvird. Die Regierung bereitet ferner Gesetzentwürfe zur Lösung der Arbeiterfragen, zur Regelung der Schulverhältnisse und der Lokal- Verwaltung vor. Hieraus ist ersichtlich, welch großes Werk der Reichsduma, dem Reichsrat und der Regierung be- vorsteht. Die Umgestaltung des Reiches wird sich auf der Grundlage der Sicherung der Prinzipien der wahren Freiheit vollziehen, wie sie von dem Monarchen verheißen worden ist. Deshalb wird die Regierung alle verfolgen, welche Rechte antasten, wird Unruhen mit Strenge unterdrücken und über die Ruhe desLandes wachen. Sie wird zu diesem Zweck bis zur vollkommenen Beruhigung alle gesetzlichen Mittel anwenden, die ihr zu Gebots stehen. Das Wahlmanifest betont sehr energisch den Entschluß der Regierung, die Duma, die Verfassung zu respektieren. Das mag als ein Zeichen der Tatsache gelten, daß eine Rückkehr zum unverhüllten Absolutismus den Herrschen- den Rußlands angesichts der zeitlichen Lage doch nicht rätlich erscheint. Der Zweck der Kundgebung ist der Fang bürgerlicher und bäuerlicher Wähler für die Regierung. Deshalb einerseits die kräftige Hervorhebung der Absicht der Regierung, sich nur gesetzlicher Mittel zu bedienen— was übrigens nicht viel heißen will, da die russischen Gesetze den Behörden alles zu tun gestatten— andererseits die mehrmalige Drohung wider den Umsturz. Denkende Wähler werden freilich fragen, wie die Regierung zum Beispiel die Landfrage, richtiger die Bauernfrage lösen will, ohne die Rechte anderer zu verletzen, das heißt wie sie den Bauern das ihnen so nötige Land verschaffen will, ohne es den Großgrundbesitzern zu nehmen. Wieviel solcher denkender Wähler es in Rußland gibt, müssen die Wahl- resultate lehren. Die Anstrengungen der Regierung, von denen dies Wahlmanifest ein Zeichen ist, den Wahlausfall günstig für sie zu gestalten, läßt fast darauf schließen, daß die bis- herigen Resultate der Regierung nicht gefallen. Darauf deutet auch die folgende Meldung hin: Petersburg , 31. Januar. Immer größer wird die Zahl der Klagen über die offiziöse Wahlbcrichtcrstattung, die immer wieder von der Wahl eines Gemäßigten berichtet, während zuverlässige Privatberichte die Gewählten als Angehörige der extremen Linken, als Trudoviki oder als Kadetten bezeichnen. Die Petersburger Telegraphenagentur wehrt sich aller- dings gegen diese Anschuldigung und fordert die Zeitungen auf, in ihrem Bureau die Originalmeldungen einzusehen, die ihnen zeigen würden, daß die Agentur die Meldungen nicht fälsche, bezw. durch die Regierung nicht dazu gezwungen werde. Indes haben die Ableugnungen der Petersburger Telegraphenagentur in Rußland gerade so viel Wert wie die Dementis der„Nordd. Allg. Ztg." in Deutschland . Nahlnachrichten. Ucvcr die Reichstagswahlen in Mecklenburg wird uns von dort geschrieben: Mit dem Ergebnis, das die Hauptwahl am 25. Januar in den sechs Wahlkreisen des Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin und im Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz , das einen einzigen Wahlkreis bildet, gebracht hat, können wir keineswegs befriedigt sein. Im 5. Wahlkreis jR o st o ck- D o b e r a n), den wir 1903 sofort in der Hauptwahl behaupteten, nachdem wir ihn 1698 in der Stichwahl erobert hatten, sind>vir jetzt wiederum in die Stichwahl gedrängt und im 1. Wahlkreis jHagenow-Greves mühlen), wie im 3. Wahlkreis<Parch im- Ludwigslust ) sind wir an dritte Stelle gedrängt, obwohl wir seit 1890 in diesen Kreisen jedesmal in die Stichwahl gelangten. Was weit schwerer wiegt als diese Rück- schlage, das ist die Tatsache, daß wir in allen sieben Wahlkreise» einen Stimmenrückgang verzeichnen müssen, der sich insgesamt auf 8813 Stimmen belauft. Im einzelnen ergibt sich nach der amtlichen ffrmsttelung folgen' Aufstellung: Die Sozialdt«okr«te» erhielten Stimmen bei der Hauptvahl 1907 1903 im 1. Wahlkreis.. 6 876 6 861— 686 , 2.,.. 9 676 10 380— 707 , 8.... 5 762 6 906— 1143 » 4.... 6 307 6 288-- 981 . 6.... 12314 13393— 1V79 . 6.... 5 641 6 461— 910 Mecklenb.-Schwerin. 44 272 49 778— 5506 Strelitz . 6 059 6 366— 307 In beiden Mecklenb. 50 331 56 1 44— 5813 Bon je 100 gültigen Stimmen erhielten die Sozialdemokraten In beiden Mecklenb. 42 580 35 078+ 6902 Die Konservativen erhielten Stimmen bei der Hauptwahl Die Rechtspartei bezw. zersplitterte Stimmen. In beiden Mecklenburg sind demnach Stimmen abgegeben worden: 1907 1903 für die Sozialdemokratie..... 50 331 56 144 für alle bürgerlichen Parteien.. 99 010 83 121 also mehr für die bürgerlichen Parteien 48 679 26 977 Aus dieser Aufftellung ergibt sich, daß alle Wahlkreise ver- hältnismäßig gleich an dem sozialdemokratischen Stimmenrückgang beteiligt sind; am stärksten ist von ihm der dritte und fünfte Wahl- kreis, am geringsten der Strelitzer betroffen. Während die größeren Städte Rostock , Schwerin , Wismar der Sozialdemokratie einen Stimmenzuwachs gebracht haben, weisen viele der kleineren Städte einen wenn auch nicht erheblichen Stimmenverlust auf. Den weitaus größten Stimmenrückgang brachten in allen Wahlkreisen die Landbezirke. I» den Bauerndörfern haben sich die kleinen Grund- besitzer lBüdner nennt man sie hier zu Lande), als durchaus unzuverlässige Mitläufer bewiesen. Diese kleinen selbständigen Existenzen bilden eine ähnliche soziale Schickt, wie die kleinen Hand- werter und die kleinen Geschäftsleute in den Städten. Die eigentlichen Landarbeiter, solveit siein den Bauerndörfern wohnen, sind uns durchiveg treu geblieben, trotz aller Verleumdungsversuche des Reichsvercins. Sie haben sich als fenererprobte Kerntruppe bewährt. Einen weiteren Lichtblick in dem Wahlergebnis bildet die Tatsache, daß sich in allen Wahlkreisen die Zahl der Gutsdörfer ganz erheblich vermehrt hat, in denen von den Tagelöhnern, wenn auch nur vereinzelt, sozialdemo- kratische Stimmzettel abgegeben sind. Diese Tatsache ist nur richtig zu würdigen, wenn man bedenkt, daß jedes Gutsdorf einen eigenen Wahlbezirk bildet, daß also die Arbeiter direkt unter den Augen ihres „Herrn" an den Wahltisch treten müssen. Um die Schlvierigkeiten, mit denen die sozialdemokratische Agitation in Mecklenburg zu rechnen hat, richtig zu bewerten, darf nicht außer acht gelassen werden, daß in ganz Mecklenburg mit Aus- nähme von Rostock , Wismar und dem kleinen Flecken Lübtheen , wo eit einigen Jahren ein Kalibergwerk in Betrieb gesetzt ist, so gut wie gar keine Großindustrie besteht, und daß der Bevölkerungs« zuwachs gleich Null ist. Im letzten Jahrfünft hat sich nur die Ein- wohnerzahl in den größeren Städten vermehrt, die Kleinstädte und die gesamten Landbezirke sind sogar in ihrer Bevölkerung zurück- gegangen. Es liegt auf der Hand, daß es die energischsten und in- telligentesten Elemente sind, welche abgewandert sind. In allen sieben mecklenburgischen Wahlkreisen findet am 2. Februar Stichwahl statt. In fünf Wahlkreisen haben wir Sozial- demokraten mit den Konservativen um den Sieg zu kämpfen. Zwar nennt sich im fünften, im Rostocker Wahlkreise, der Stichwahlgegner nationalliberal, aber da er vom konservativ- nationalliberalen Mischmasch auf den Schild erhoben ist, so sind in der obigen Auf- tellung seine Stimmen den Konservativen zugezählt. Im ersten und dritten Wahlkreise kommt der liberale Kandidat in Stichwahl. Hier würden die sozialdemokratischen Wähler für die Liberalen die Entscheidung geben, vorausgesetzt, daß die liberalen Kandidaten die vom Parteivorstande geforderten Garantien darbieten. Mögen die Stichwahlen ausfallen wie sie wollen, darauf können ich die Parteigenossen in ganz Deutschland verlassen: wir Mccklen- burger werden alles daran setzen, den am 26. Januar erlittenen Rückschlag wettzumachen. Ein redst bitterer Wermutstropfen im Freudenbecher der sächsischen Prozentpatrioten ist der Wahlausfall im 16. sächsischen Reichstagswahlkreise, Chemnitz . Im Jahre 1903 erhielt Genosse Schippe! einen riesigen Stimmen- zuwachs. Von 24 772 Stimmen im Jahre 1898 schnellte die sozialdemokratische Stimmenzahl auf 34 266 empor. Infolge der Mandats- niederlegung Schippels fand am 13. Februar 1906 eine Nachwahl tatt. Kurz vorher hatten die sozialdemokrattschen Wahlrechts- demonsttationen das Kleinbürgertum und viele Mitläufer auf das heftigste erschreckt. Bei einer wütend betriebenen Agitatton der Gegner, besonders der Freisinnigen, die ihren Landtags- abgeordneten Günther- Plauen als Kandidaten ausgestellt hatten, ging die Zahl der sozialdemokratischen Sttmmen, die Genosse Noske erhielt, auf 31 628 herab. Bei der jetzigen Wahl haben die bürger- lichen Parteien auch im Chemnitzer Wahlkreise dieselbe skandalöse Agitation betrieben, wie in Dresden und anderen Orten und am Wahltage selbst den umfangreichsten Schlepperdienst eingerichtet, während unsere Genossen keine Wahllisten besaßen. Die Gegner haben auf das bestimmteste, wenn auch nicht auf ihren Sieg, so doch mit einem abermaligen Rückgang der sozialdemo- kratlschen Stimmen gerechnet. Sie sind gehörig enttäuscht worden. Genosse NoSke erhielt nach der amtlichen Feststellung 34 647 Sttmmen, das sind gegenüber der Nachwahl vom Februar vorigen Jahres 2919 mehr und 281 mehr als im Jahre 1903. Die Gegner vermochten zwar ihre Stimmenzahl etwas zu steigern, doch erhielt Genosse NoSke noch 10878 Stimmen mehr als alle Gegner, daS Zentrum eingeschlossen, zusammen. Auch in einem sächsischen Kreise war es also möglich, trotz der unerhörtesten Hetzagitatton der bürger- lichen Parteien neue Anhänger für den Sozialismus zu gewinnen. Wahlanfechtungen. Man schreibt uns aus Baden: Räch den aufregenden Debatten, welche im vorigen Jahre in der Zweiten badischen Kammer wegen der Wahlbeeinflussungen ge- führt wurden, durfte man erwarten, daß bei der Reichstagswahl die Verstöße gegen die Wahlordnung nicht mehr so frech ausgeübt würden. Aber der„patriotische" Charakter der Hottentottenwahl machte es dem guten Bürger geradezu zur Pflicht, das Wahlglück burrapatriotisch mit den verwegensten Mitteln zu korrigieren. Als Beispiel diene folgendes Bild, welches unsere Kehler Genossen bei einer am 25. Januar vorgenommenen Orientierungsreise durch einige Orte des Amtsbezirkes Kehl (sog. Hanauerland) zu sehen bekamen. Der Jsolierraum war häufig so hergestellt, daß man ein Stück Tuch im Wahllokal irgendwo auf- gehängt hatte. Die Wähler wurden in manchen Bezirken dem Ortspolizeidiener in Vormundschaft gegeben. In Kork saß er in seiner Wachtstube, die Wähler mußten bei ihm den offiziellen Umschlag in Empfang nehmen und ließen sich dabei zu- gleich den nationalliberalen Wahlzettel hineinstecken, damit sie über jeden Zweifel an ihrer politischen Gesinnung erhaben find. In dem Dorfe Linx bemerkten unsere Genossen, daß in der„Dunkel- kammer" mehrere Personen zugleich verkehrten. Der Polizeidiener war in dem Jsolierraum und half den Bauern, die liberalen Zettel in die Umschläge stecken. Als auf Bedrängen durch unsere Genossen der Wahlvorsteher— der sich diese Einrede verbat— es so darstellen wollte, als sei der Polizist nur zufällig hinter der Gardine, weigerte sich der Vertreter der Hermandad herauszukommen, und berief sich auf den bei der Wahleröffnung ihm erteilten Befehl. Er blieb weiter im Jsolierraum. Wie unangenehm den Wahlvorständen diese unerwartete, von den Sozialdemokraten ausgeübte Kontrolle war, zeigt die Tatsache, daß in mehreren Orten telephonisch beim Bezirksamt in Kehl angefragt wurde, ob man die lästige Aufsicht nicht hinausbefördern soll. Es liegt ein systematische, übrigens nach alter Gewohnheit verübte Wahlbeeinflussung vor, derentwegen das Wahlkomitee des 7. Kreises einen Protest einreichen muß. Würde es sich um eine Landtagswahl handeln, so erfolgte die Kassierung der Wahl aus prinzipiellen Gründen. Anläßlich einer früheren Reichstagswahl ist in einem Orte dieses Bezirks daS Wahlkomitee mit Gefängnis bestraft worden, weil für alle nicht erschienenen Wähler die Zettel in die Urne gelegt wurden, um ein einmütiges Resultat zu erzielen. Es gehörte früher zu den Eigentümlichkeiten dieses Bezirkes, daß in den meisten Orten sämtliche Wahlberechtigte abstimmten und sämtliche Stimmen für den liberalen Kandidaten abgaben. Da auch Verstorbene und Ortsabwcsende gewählt hatten, kam man in einem Falle hinter die Schliche. Die Zentrumspresse erinnert daran, daß man einmal dem Kehlcr Oberamtmann empfahl, den Hanauer Bürgermeister- ämtcrn die genaueste Befolgung des Wahlgesetzes noch ganz be- sonders einzuprägen, namentlich die Bestimmung, daß die Wahl öffentlich und die Stimmenfeststellung kontrollierbar ist; da soll der Herr Ober empfohlen haben, aus den Wahllokalen wegzubleiben, weil die Kontrolleure befürchten müßten, geprügelt zu werden. Wahlschwindel in Franken. In Punkto Wahlschwindel hat der„nationale" Mischmasch besonders auch in den fränkischen Wahlkreisen ganz erkleckliches geleistet. Hauptsächlich war dies der Fall in dem durch die Sozial- demokratie stark gefährdeten Wahlkreise Bayreuth . Hier arbeiteten die zahlreichen Abgesandten des Reichsverbandes mit den allerbedenklichstcn Mitteln, um den Blockkandidaten herauszureißen. Ein geradezu gemeingefährliches Spiel wurde mit den Arbeitern der im Wahlkreise stark vertretenen Textilbranche getrieben. Am Tage vor der Wahl wurde ihnen von den Meistern in den Fabriken ein kleines Stückchen Baumwolle präsentiert, das angeblich aus unseren deutschen Kolonien stanimen sollte. Dabei sagte man ihnen, daß in drei bis vi«tr Jahren der ganze Baumwollbedarf der deutschen Textilindustrie aus den Kolonien gedeckt werden könne, die Produktionskosten sich dann ganz bedeutend verringern und die Arbeitslöhne um den Betrag, um den die Produktion sich ver- billigen werde, erhöht würden, was für jeden Arbeiter einen Mehr- verdienst von wöchentlich 3 bis 5 M. bedeuten würZel Ein großer Teil der Arbeiter, die politisch noch wenig geschult sind, ließ sich durch solchen Schwindel einfangen. Einen ähnlichen Betrug verübten die Liberalen an den Stein- arbeitern im M a i n s a n dst e i n g e b ie t. Man suchte sie durch die Drohung einzuschüchtern, daß, wenn in diesen Bezirken eine bestimmte Anzahl sozialdemokratischer Stimmen abgegeben würden, die Gebrüder Better, die bedeutendste Steinbruchfirma, ihre Be- triebe schließen würden. Auch auf diesen Schwindel fielen viele Arbeiter hinein, da sie vielfach etwas Grundbesitz haben und an die Scholle gefesselt sind. Den Arbeitern der SNaschincnsabriken wurde vorgeschwindelt, daß die Maschinenindustric ohne den Absatz nach den Kolonien(!) nicht existieren könne. Auch kleinere Betrügereien kamen vor. So kamen unsere Genossen in Schweinfurt dahinter, daß ein nicht wahlberechtigter Zimmermeister, der Armenunterstützung bezieht, von liberalen Herren überredet wurde, für seinen kranken Sohn abzu- timmen. Merkwürdig ist, daß der Wahlvorsteher nicht hinter den Schwindel kam; der Sohn ist 30, der Vater 72 Jahre alt. Vielfach arbeitete der ganze behördliche Apparat für den Block. Aus zahlreichen Orten werden amtliche Wahlbeein- flussungen gemeldet. Das originellste wurde in Wun- s i e d e l geleistet. Dort ließ der Stadtsekretär, um die patriotische Begeisterung anzufachen, am Wahltage mittags vom Turme herab die„Wacht am Rhein" blasen! Zu welchen Mitteln gegriffen wurde, um liberale Wahlvcr- sammlungen zustande zu bringen, zeigt folgender Fall. In der Ortschaft Sichersreuth bei Wunsiedcl ließ der Bürger- meister bei den männlichen Gcmeindeangehörigcn ein Schriftstück zirkulieren, in dem die Herren Oekonomen, alt und jung, im Auf- trage des Herrn Oberamtsrichters von Wunsiedel aufgefordert wurden, zu einer bestimmten Stunde in einem Gasthaus in Alexandersbad zu erscheinen. Die Leute waren der Meinung, es handle sich um eine Fsuerwehrversammlung, und fanden sich pünktlich in dem bezeichneten Gasthause ein, wo sie zu ihrem Er- staunen gewahr wurden, daß sie in eine liberale Wahlversammlung geraten waren. Bülows Sommersitz wählt rot. Auf Norderney find 169 sozialdemokratische Sttmmen für den Genossen R. Wagner-Bant abgegeben worden; dagegen erhielt der konservattve Standesgenosse des Reichskanzlers, Fürst Knyp- Hausen, auf Bülows Sommersitz nur 130 Stimmen. Auch in dem „judenreinen" Nordseebad Borkum erhielt der Sozialdemokrat eine ganz bettächtliche Stimmenzahl. Im ganzen hat in dem über- wiegend ländlichen ersten hannoverschen Wahlkreise die Sozial- demokratte um 2000 Stimmen zugenommen. Aus dem Wahlkreise Eisenach-Dermbach wird uns zu unserem vorgestrigen Bericht über die Wahlen im Großherzogtum Sachsen-Wcimar mitgeteilt, daß der Stimmenzuwachs des Antisemiten Schack kein wirkliches Mehr von antisemitisch gesinnten Wählern bedeutet, sondern daher rührt, daß ihm annähernd 2000 Zentrumsstimmen im ersten Wahlgange zufielen. Die Zentrums- Partei hatte diesmal keinen Zählkandidaten aufgestellt. Nur dadurch ist der Antisemit in die Stichwahl gekommen. Schack, der mit seinen Hamburger Handlungsgehülfen alle möglichen Wahllmanöver gemacht, hat dem Zentrum, um seine Stimmen zu erhalten, die größten Versprechungen gemacht. Er wurde vor der Hauptwahl darauf festgenagelt, war aber so keck, alles zu leugnen. Jetzt bringt die„Fuldaer Zeitung" einen Artikel, wonach Schack wirklich, um dw Sttmmen des Zentrums zu erhalten, ihnen größere Konzessionen gemacht hat I Eine feine Sorte Politiker, diese Anttsemiten!
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