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Nr. 30. 21. 1. MM des Joritiärts" Kmim pMIntt. Mtnstllg» 5. Februar 1907. Die russische Revolution. StolypwsBersammlungöfteiheit". Die«Russische Korrespondenz" erhält das nachstehende Telt gramm; Moskan, den 4. Februar. Eine Illustration zu StolypinS Wahlzirkular, das dieFreiheit der Versammlung" verheißt und nur Repressionen revolutionärer Versuche in Aussicht stellt, liefern die hiesigen Zustände: Die Wahb Versammlungen sind in Moskau völlig unterdrückt. Als in einer Wahl- Versammlung die polizeilichen Vertreter Mitglieder der Kadettenpartei zur Diskussion zuließen, wurden die drei Polizeioffiziere, die an- wesend waren, von der Administration in Arrest gesetzt II Nur Oktobristen genießen Versammlungsfreiheit. Sämtliche Sonnabend Versammlungen find aufgelöst worden. Als der angesehene Professor Jwantzef die Tribüne bestieg, erklärte der Polizeioffizier die Vcr- sammlung für aufgelöst, bevor der Redner noch seinen Namen ge nannt hatte! Der Polizist gab dabei die Erklärung ab, er wisse. Jwantzef sei Kadett, und das genüge ihm. Auch alle hiesigen Kadettenzoitungen sind unterdrückt, und der geachtete Redakteur Rodionoff ist ausgewiesen. Die Administration erklärt in voller Offenheit, daß daß Erscheinen der Zeitungen wieder gestattet werden würde, sobald die Wahl der Wahlmänner vorüber sei. StolypinS Verhalten ist offenbar von der Angst diktiert, daß ein für die Regierung ungünstiger Ausfall der Wahlen ihm doch endlich das Genick brechen könnte. StolypinS Wahlgarde. Odessa , 4. Februar. In einigen Bezirken der Stadt kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der jüdischen Selbstverteidigung und bewaffneten Hooligans, welche die jüdischen Läden zu zerstören begannen. Auf beiden Seiten gab es Verwundete. Die gefangenen Mitglieder der Selbstverteidigung wurden dem Kriegsgericht über geben. StolypinS Hooligans gehen frei auS l k Die Ausbeutung deS Hungers. Petersburg, 31. Januar. (Eig. Ber.) Der gestrige Tag brachte zum Lieferungsskandal Gurko- Lidwal neue Enthiillungen. Daß außer Gurko auch andere höhere Beamte an der Affäre beteiligt sind, stand von vornherein fest. Man nannte die Gouverneure vonNischni-Nowgorod, Pensa , Ssimbirsk, mit denen Lidwal früher Lieferungsverträge abgeschlossen hatte und die, als sich Lidwal die Lieferung der 10 Millionen Pud Getreide für die Mißerutegebiete zu verschaffen suchte, sein Anerbieten unterstützten unter Hinweis auf die angeblich gut ausgeführten früheren Lieferungen in den berreffenden Gouvernements. Die Presse forschte nach und fand, daß diese Zeugnisse keineswegs der Wahrheit entsprachen, was auch gestern in der Sitzung des ersten Departements des diri gierenden Senats, welches die Tätigkeit, der höheren Gouvernements� behörden von Nischni-Nowgorod in der Lieferungssache aufklären sollte, festgestellt wurde! Daß Lidwal die Unterstützung der höheren Gouvernements- behörden bei seinen Unternehnumgen ohne jede Gegenleistung er- halten haben sollte, war ausgeschlossen. Von dem Gouverneur von Nischni-Nowgorod , Baron Fredericks, wußte das KadettenblattRjetsch gleich beim Beginn der ganzen Affäre mitzuteilen, daß er von Lidwal mit 25 000 Frs. bestochen worden sei. Baron Fredericks sandte auf diese Mitteilung hin einen gehamischtenProtest" an dieNowoje Wremja" und verklagte den Redakteur derRjetsch wegenVerleumdung" l DieRjetsch" übergab nun ihr Material dem Untersuchungsrichter, und dieser fand, daß Baron Fredericks tatsächlich am 10. Oktober die 2S000 Fr. von Lidwal durch die Asow-Don-Bank bezw. dieSocivtö generale" in Paris erhalten hat!! Auf Grund des Ergebnisses dieser Untersuchung beschloß nun gestem das erste Departement des Senats, gegen den Gouverneur von Nischni-Nowgorod Anklage zu erheben. Der Fall wird heute von der ganzen Presse besprochen und man erwartet, daß noch weitere Einzelheiten des Skandals bloßgelegt werden. DieRussj" z. B. stellt bereits ziemlich deutlicheFragen", und eS wächst die Ueber- zeugung, daß auch Gurko ähnlich wie Fredericks von Lidwal nicht unbedeutende Summen erhalten hat. Der Hunger in den 34 Gouvernements war ein schönes Kapital für die Taschen der Regierungsmänner. * m t Druckfehlerberichtigung. Am Schlüsse der NotizWahl der Fabrikvertreter" in der Sonntagsnummer mußte es heißen:Wenn nun auch die Bauernschaft das hält..(statt:Wenn nun auch die Errungenschaft..."). Die falschen Wetter an den Orten sind von jedem Bergmanne leicht zu konstatieren, und wenn ein jeder Steiger auf die Meldung Falsche Wetter am Ort", dekretieren wollte und dürfte:Erst Lutten einbauen vom Hauptwetterstrom, dann weiter arbeiten so wäre manches Unglück auch zu vermeiden. Aber dazu darf der Steiger sich nicht so leicht versteigen, will er nicht das Odium auf sich nehmen, einschlechter Beamter" zu sein. Das jweiß der Arbeiter sehr wohl und so behilft er sich denn mit Mitteln, die manchmal zureichen, manchmal aber auch unzureichend sind. Er zieht seine Jacke oder sein Hemd aus und versucht, die stagnierende Luft in Bewegung zu bringen. Meistens hat er den Erfolg, die schlechten Wetter etwas zu vertreiben, nach dem Bremsberg oder irgend einer Nebenstrecke. Die Hauptstrecke mit der frischen Luftzufuhr liegt ja meistens weit ab von den Arbeitsorten und so halten sich die schlechten Gase in den Nebenstrecken so lange auf, bis eine Lust' bewegung sie mit sich führt. Es ist so viel die Rede von großen Luftzufuhrmaschinen. Gewiß, bei einem neu angelegten Bergwerke kann der neueste Elevator sämtliche Orte reichlich mit frischer Luft versorgen. Aber bei vielen Gruben reichen die Maschinen nicht aus. Sind die Gruben erst mal älter, haben sie ausgedehnte Ouerschläge, Stollen, taube Schächte, Bremsberge, Gesenke usw., so hapert es manchmal sehr mir der früher so tauglichen Maschine. Da werden alle möglichen technischen Kniffe angetvandt, um die Luft notdürftig einzuführen, und es be kommt ein jeder Bergmann sein Quentchen Lust zugemessen. Wer als Gast oder als höherer Beamter ein luftarmes Bergwerk besucht, merkt von dieser Armut sehr wenig. Die Ouerschläge und an- grenzenden Orte strotzen auch hier noch von frischer Lust, wenigstens auf der tiefsten Sohle, denn dorthin kommt die Luft zuerst. Aber in den leßten AuSläufen der Gänge, wohin man oft nur durch alte Oeffnungen wie Dachshöhlen gelangt, wo es an manchen Stellen immerwährend regnet, da haben solche Eintags-Bergleute keine Ei' fahrungen gesammelt. Viel besser wird eS in Bezug auf Unglücksfälle unter der jetzigen Betriebsform nicht werden. Das Gedinge und die Gleichgültigkeit am Arbeiterleben steht dem entgegen. Kleine Verbesserungen werden heute mit viel Geschrei eingeführt und übermorgen funktioniert die Neueinführung wegen mangelnder Unterhaltung nicht mehr. Was am besten helfen könnte, wäre die Einführung von Kon trolleuren aus den Reihen der Arbeiter. Man wird ja bald erfahren, ob nun endlich diese Forderung erfüllt wird. UntrrstützungSaktiouen. Wiesbaden , 3. Februar. Die hiesige Stadtverwaltung bewilligte für die Opfer in Reden 1000 M. Wien , 3. Februar. Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung den Antrag des Stadtrats angenommen und für die Hinter- bliebenen der Opfer des Grubenunglücks bei Reden eine Spende von 10000 Kronen bewilligt. Berlin , 3. Februar. Die Gemahlin Wilhelms II hat zugunsten der von dem Grubenunglück in Reden Betroffenen eine Summe von 2000 M. dorthin überwiesen. Paris , 2. Februar. Daö Zentralkomitee der Grubenarbeiter der Departements Nord und PaS de Calais hat beschlossen, zugunsten der Familien der Opfer von Reden eine Subskription zu eröffnen. Das Komitee zeichnete selbst 200 Fr. und sandte an den früheren NeichstagSabgeordneten Otto Hue ein Beileidstelegramm. Schlagwetter. Zu dem Unglück auf der Reden-Grube schreibt uns ein stüherer Bergmann: Zufall oder Fahrlässigkeit soll die Ursache der Kata- sirophe sein. DemZufall" wird alles das aufgebürdet, was sonst nicht zu etikettieren ist. oder nicht beim richtigen Namen genannt Iverden soll. Es ist so leicht, fatalistisch zu sein und damit die Schuld dem lieben Herrgott oder sonst einem Unverantwortlichen zu- zuschreiben. Nach ein paar Tagen steht man dem Unglück wie auch den Leidtragenden gleichgültig gegenüber. Nach etlichen Wochen ge- mahnen nur noch ein paar rauchgeschwärzte Stöße, zerbrochene Utensilien und die gedrückte Stimmung unter den Bergleuten an das Ereignis. Eine kurze Zeit wird die Aufficht strenger geübt, die TcnfelSlöcher werden besser kontrolliert, allmählich schläft das wieder ein, es geht wieder den alten gewohnten Schlendrian. Mit der Fahrlässigkeit" ist es ein eigen Ding. Vielfach wird sie nach einem Unglücksfall dem Bcrgmanne zum Vorwurf gemacht. Es wird aber niemals einem Bergmanne einfallen, seine Lampe zum Vergnügen zu öffnen, oder durch Funkenschlag und Schießen, ohne voraufgegangene Wetterkontrollierung, ein Unglück heraufzubeschwören. Aber es kommt vor. daß ein Bergmann sich veranlaßt sieht, die Lanipe zu öffnen, weil sie wegen schlechter Instandhaltung den Dienst versagt. Schmutzige Gläser, von Ruß verdreckte Drahtkörbe, verdorbene Zündbänder, schlechte Schraubfähigkeit sind die Ursachen derFahr- lässigkeit" deS Bergmannes . Schlechte Instandhaltung der Lampen findet man fast überall. Invaliden, alte, auch geistig minderwertige Leute werden in der Lampenbude beschäftigt; daS ist billige Arbeitskraft. Es sollen auf jeder Sohle einige Reservelampen existieren, aber gewöhnlich sind sie nicht da, wenn sie gebraucht werden. Der Steiger wird über die bei Heranschaffung verlorene Zeit ganz ungehalten. Es soll doch nicht weniger gefördert werden. Die Folge ist. daß sich der vor Ort schaffende Bergmann bei Lampendefekten die Lampe seines jüngeren, eine weniger komplizierte Arbeit ausübenden Kollegen ausbittet. Der weiß sich aber vielfach zu helfen. So ist mir von der ZecheKonkordia" und auch von Kaiserstuhl " bekannt, daß jüngere Schlepper und Lehrhauer eine gewisse Fertigkeit im Oeffnen von niagnetisch verschlossenen Lampen hatten. Diese Fertigkeit war auch den Steigern bekannt. Die über- triebene Fördereifcigkeit oder die Kubilmeterfrcfferei bei Gesteins- »besten veranlassen in vielen Fällen sogenannte Fahrlässigkeiten. Em der Partei. Nach mehrwöchiger Krankheit ist der Vorsitzende des Brauerei arbeiterverbandes, Genosse Georg Bauer in der Nacht zum Mittwoch an einem Schlaganfall gestorben. Eine heftige Erkältung. die er sich während der letzten Wahlagitation zuzog Bauer war sozialdemokratischer Kandidat im Wahlkreise Uelzen warf ihn aufs Krankenlager, von dem er bei seiner in rastloser Tätigkeit ohnehin geschwächten Gesundheit nicht wieder erstehen sollte. Mit Bauer ist ein alter, treuer Parteianhänger dahingegangen, den das Vertrauen unserer Hannöverschen Genossen zusammen mit August Brey zum Firmenträger desBolkswille" machte. In der ewcrkschaftlichen Bewegung ist Georg Bauer stets zuletzt an der spitze des BrauereiarbeilerverbandcS, um dessen Entwicklung er sich sehr verdient gemacht hat im Geiste des befreienden Sozialismus unermüdlich bahnbrechend und vorbildlich tätig gewesen. Ehre seinem Andenken! DaS Bochumer BolkSblatt" widmete dem aus der Redaktion scheidenden Genossen Linxweiler folgende Zeilen: Bochum , 1. Februar. Mit dem heutigen Tage ist Genoffe Linxweiler aus unserer Redaktion ausgetreten, um dem Rufe der Hannoveraner Genossen folgend, in die Redaktion desBolkswille" einzutreten. Genosse Linxweiler war, solange dasVolsblatt" selb- ständig erscheint, seit dein 1. Oktober 1002, also 4'/? Jahre, bei uns Redakteur. Er hat während dieser Zeit unter sehr schwierigen Verhält- nisten den Kanipf erfolgreich geführt, und was wir bis jetzt uns hier errungen haben, ist hauptsächlich mit sein Werk. Genosse Linx Weiler hat im Dienste der guten Sache manches Jahr hinter Kerkermauern verbringen müssen, aber alles dieses hatte seinen unerschrockenen KampfeSmut nicht einzudämmen vermocht. All die Tauscnde von Parteigenosten, die ihn während dieser Zeit kennen gelernt haben, werden ihn ungern auS ihrer Mitte scheiden sehen, denn durch sein liebenSioürdiges Wesen, gewürzt mit echt rheinischem Humor, hatte er sich bei jedem, mit dem er in Be- rührung kam, schnell Freundschaft erworben. Wir wünschen dem scheidenden Genossen von ganzem Herzen in seinem neuen Wirkungs- kreise viel Glück. DieHumanitö" teilt ihren Lesern mit, daß nunmehr die neue Aktiengesellschaft gebildet und der Verwaltungsrat voll- ständig ist. Dieser setzt sich folgendermaßen zusammen: Die Aktionäre(Gründer) der neuen Gesellschaft haben fünf Ver- trcter, die Partei ist durch 7. die sozialistische Parlaments- f r a k t i o n durch 3 ihrer Mitglieder vertreten, außerdem haben die sozialistischen Genossenschaften und die Gewerk- s ch a f t e n je 2 Vertreter in der Verwaltung. Unter diesen 10 AussichtöratSmitgliedern befinden sich die bekannten Nanien: Bracke, Allemane und Lafargue und von den Gewerk- jchaftern: Latapie, der Vorsitzende deS MctallarbeiterverbandeS. Damit sind alle Gruppen der französischen Arbeiterbewegung für das Blatt interessiert. Nach den Intentionen JauröS' soll die Humanitü" mit der Zeit vollständig in Parteieigentum übergehen. (BiS jetzt sind Aktien m der Höhe von 36 000 Fr. gezeichnet.) Die Tagesordnung deS schweizerischen sozialdemokratische» Partei- tages, der am 23. und 24. März in St. Gallen stattsindet. enthält u.a. die Punkte:Bericht der Geschäftslcitung",die finanzielle Lage der Partei",.Internationales sozialistisches Bureau" undJnter- nationaler Sozialistenkongreß 1007 in Stuttgart ",Schiedsgerichte und Einiqungsälnter",Militärorganisation".Anträge" usw. Genosse Greulich wird über die Aufgaben referieren, die die jetzige Reaktion und die Zersetzung der alten Parteien an die schweizerische Sozialdemokratie stellen. Der sozialdemokratische Kommunaltag sür den Kanton Bern , der am Sonntag in Lyß stattfand, war sehr zahlreich von sozialdeino- lratischen Gentcindcvertretern besucht, denen er viel Belehrung bot, Genosse Müller, der Finanzdirektor der Stadt Bern , referierte über die Arbeiterpoliti? in der Gemeinde, wobei er das Steuerwesen und die starke Vertretung der Arbeiter in den Steuerkommissionen, die Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts und der Lehrmittel. Unterstützung der Kinder unbemittelter Eltern zur Erlangung höherer Bildung, Speisung und Kleidung der Schulkinder durch die Gemeinde, Errichtung von Sonderklassen für Schwachbegabte, Spiel- und Turnplätze für Kinder, öffentliche Anlagen, Volkshäuser ohne Trinkzwang, Badeanstalten, Sport- und Spielplätze für Ertvachsene, Schulärzte, Erstellung von Wohnhäusern durch die Gemeinde, Wertzuwachssteuer, Wohnungsämter, kommunale Werkstätten, Arbeitsvermittelung, Fürsorge für die Zeiten der Arbeitslosigkeit, Kommunalisierung von Betrieben und Einrichtungen, die den öffentlichen Interessen dienen, bestiedigende Gestaltung der Arbeits- und Lohnverhältnisse der Gemeindearbeiter und Angestellten unentgeltliche Totenbestattung usw. besprach. Genosse Thies be- handelte in einem längeren Referat die Regelung des SubmissionS- Wesens im Sinne der Arbeiterforderungen. Die Verhandlungeii haben so viel Anklang gefunden, daß für das nächste Jahr abermals ein solcher Gemeindevertretertag in Aus- ficht genommen ist. Druckfehler-Berichtigung: In der Londoner Korrespondenz über:Der Kongreß der britischen Arbeiterpartei"(Vorwärts", 31. Januar, I. Beilage) wurde irrtümlicherweise angegeben, daß die sozialistische Resolutionmit 833 000 gegen 920 000 Stimmen" ab- gelehnt wurde. Es mutz heißen: mit 835 000 gegen 98 000 Stimmen. Soziales. Dr. Bödiker gestorben. Gestern früh ist an Herzschiväche der frühere Präsident de? ReichsversicherungSamteS, Wirklicher Geheimer Oberregicrungsrat Dr. Bödiker im Alter von S3>/z Jahren verstorben. Der Verschiedene war vom Jahre 1884 bis Juni 1397 der erste Präsident des Reichsversicherungsaints. Als solcher wendete er seine hohe Sachkenntnis, sein VerwaltungZtalent und sein soziales Emp- finden unparteiisch an und suchte die soziale Gesetzgebung mit gerechtem und sozialem Geist zu handhaben. Der leb- hafte nach Betätigung dringende Wunsch, die Ausgaben der sozialen Gesetzgebung aus innerer Ueberzeugung heraus, ohne nach oben oder unten zu blicken, in sozialem Pflichtgefühl mit Gerechtigkeit zu erfüllen, die den Menschen achtende, verbindliche Weise, wie er mit den Arbeitervertrctern, den Unfallverletzten, den Invaliden und Alters- rentnern verkehrte, haben dem Dahingeschiedenen trotz seiner gegen- sätzlichen politischen Richtung die wärniste Anerkennung der Arbeiter verschafft. MS er im Jahre 1897 infolge deS Drucks der anttsozialen Richtung in den Regierungskreisen aus dem Amte scheiden wollte, baten ihn die Arbeiter lebhaft, leider vergeblich, im Anite verbleiben zu wollen. Die Abschiedsworte, die der Vertreter der Arbeitervertreter Schlosser Gutheit an ihn'richtete, hoben'.hervor, daßder Name des Dr. Bödiker in den Herzen aller deutschen Arbeiterfamilien ein enguten Platz hat und behalten wird". Diesen Erfolg wird auch das Streben des Verstorbenen über seinen Tod hinaus haben. Ganz im Gegensatz zu den mit sozialen Phrasen und in antisozialem Werken sich Betätigenden hob Dr. Bödiker furchtlos hervor, daß die gesamte soziale Gesetzgebung erst eine geringfügige Abschlagszahlung auf die Forderungen der Arbeiter sei. In literarischen und sonstigen öffentlichen Bekundungen bekannte er sich zu der Ansicht, daß die Unzufriedenheit die Base jedes Fortschritts ist und daß in der Tat die Arbeiter die ge- samten Lasten der Versicherung tragen, da ja der nominell von den Arbeitgebern gezahlte Beitrag nurein von vornherein feststehender Teil des Lohnes" ist. Ein Mann von so hoher Unparteilichkeit und glühendein Streben nach sozialer Pflichterfüllung mußte in Konflikt mit der herrschenden Klasse kommen. Der Konflikt kam. als er den scharf- machcrischen Bestrebuugen des ZcntralverbandeS deutscher Industrieller sich nicht beugen wollte, die im Reichsamt des Innern seit Ende 1896 in immer schärferem Maße die Oberhand gewonnen hatten. Wer wie Dr. Bödiker vorurteilslos unter gerechter Würdigung der Lage des Arbeiters das Reichs- versicherungSaiirt zu leiten und die soziale Rechtsprechung unparteiisch und gerecht auszuüben suchte, konnte in dem reakttonären KurS, den die herrschende Klasse im Reiche steuerte, ohne fortdauernd wachsende Zerwürfuisse nicht im Amte bleiben. Mit ihm zog der gute Geist aus dem ReichSversicherungsamt. Der so früh Dahingeschiedene chätzte freilich die soziale Gesetzgebung weit höher als wir ein und war unser politischer Gegner. Das hat uns zu seiner Amtszeit und zu seinen Lebzeiten nicht gehindert, seine hohen Verdienste an- zuerkennen. Nach seinem Tode ist es doppelte Pflicht, das ehrliche 'ozialpolitische Streben des Dr. Bödiker, die vorurteilslose Un- Parteilichkeit, das Mitempfinden mit der Lage der Arbeiter seitens des Dahingeschiedenen hervorzuheben. Drei Monate Gefängnis wegen Entwendung von Briketts im Werte von 40 Pf. Eine in Ratingen bei Düsteldorf loohnende Arbeiterfrau hatte auf dem dortigen Bahnhof einige Briketts im Werte von vielleicht 40 Pf. weggenommen. Sie wurde zur Anzeige gebracht und hatte 'ich die Düsseldorfer Strafkammer mit der Sache zu befassen. Weil die Frau wegen Kohleudiebstahl vorbestraft war, mußte die Straf- bestimmung wegen Rückfall in Anwendung gebracht werden. Be- rücksichttgt ivurde die große Notlage der Frau. Das Urteil lautete auf die Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis. K 370 Ziffer 5 Str.-G-B. bedroht Entwendung von RahrungS- oder Gcimßinitteln von unbedeutendem Werte oder in geringerer Menge zum alsbaldigen Verbrauch nur mit Geldstrafe oder Haft, läßt eine Bestrafung nur auf Antrag eintreten und gestattet die An- Wendung der Rllckfallsvorschristen nicht. Eine Ausdehnung dieser Strafvorschriften auf Entwendung von Heizmaterialien ist seit Jahren vergeblich begehrt._ Sozialpolitische Rückständigkeit. In Bamberg bestand die Absicht, den Achtuhr-Ladenschluß zur Durchführung zu bringen, womit sich 2S0 Geschäftsinhaber ein- verstanden erklärten. Nur drei legten Protest ein, und diesen dreien zuliebe beschloß der Magistrat, die Sache ack acta zu legen. LohuzahlungSbüchcr für Minderjährige find polizeilich erzwingbar. § 134 Absatz 3 der Gewerbeordnung schreibt vor:In Fabriken. ür welche besondere Bestimmungen auf Grund des§ ItSa Absatz 1 nicht erlassen sind"(solche sind sür die Kleider- und Wäschekonfektion erlassen), ist auf Kosten des Arbeitgebers für jeden minderjährigen Arbeiter ein Lohnzahlungsbuch einzurichten. In daS LohnzahlungS- buch ist bei jeder Lohnzahlung der Betrag des verdienten Lohnes einzutragen; eS ist bei der Lohnzahlung dem Minderjährigen oder 'einen: gesetzlichen Vertreter auszuhändigen und von dem Enipfänger vor der nächsten Lohnzahlung zurückzureichen". Eine Strafvorschrift wegen Ueberlretuug dieser auch auf Hüttenwerke, Zimmerplätze und andere Bauhöfe, auf Wersten , auf nicht bloß vorübergehend oder in geringem Umfang betriebene Ziegeleien, aus über Tage betriebene Brüche und Gruben anwendbare LohnzahlungSbuch- Besttmmung 't im Gesetz nicht vorgesehen. Die Frage, ob die Polizei die Be- olgung der Lohnzahlungsvorschrift in Preußen auf Grund des 132 Ziffer 2 des LandeSverwaltungSge etzes vom 30. Juli 1883 erzlvingen könne, war zweifelhaft. Die e Frage ist in einer jetzt vom Ministerialblatt der Handels« und Gewerbeverwaltung im Wortlaut veröffentlichten Entscheidung deS preußischen Ober- verwaltungsgerichtS vom 22. November 1906 bejaht worden.