gehen werden? Zuerst wird die Rolonialarmee geschaffen; bann tommt das(Lesetz gegen die Gewerkschaften wieder und wird natür- lich angenommen; weiter naht, wie jetzt schon die„Köln . Volksztg." schreibt, ein neues Flottengesetz, dann eine Verstärkung der Armee; dazu die nötigen Steuern in Höhe von etwa 100 Millionen Mark; zudem regen sich bereits die Agrarier und künden ihren„gesunden Egoismus" an, wie sie schon während des Wahlkampfes den Doppcltarif und hohe Zölle beim Handelsvertrag mit Amerika ver- langt haben. Und das ist nur der Anfang, nur die Speisenkarte, die sich in diesem Augenblick übersehen läßt. Was sonst noch kommt, ruht in dem Schöße der Zukunft. Die Schranken sind ge- fallen und alles, alles, was das Volk sehnt und wünscht, wird niedergeritten werden.„Alles niederreiten!" ist die Signatur des Tages. Selbstverständlich wird das Wüten der Reaktion von neuem ungezählten Massen die Augen öffnen, und von neuem wird der Strom der Unzufriedenen sich uns zuwenden. Die Zahl der An- Hänger wird aufs neue beträchtlich wachsen! Politilcbe(leberNcbt. Berlin , den 9. Februar 1907. Die Enthüllnngen des„Bayerischen Kurier". Die Veröffentlichung der gestern von uns abgedruckten Keimschen Briefe durch den„Bayerischen Kurier" hat die offiziöse Presse und die Blätter StS nationalen Blocks in arge Verlegenheit gesetzt. Man hat während des Wahlkampfes soviel von der„nationalen Ehre" geredet; nun liegt diese„nationale Ehre" geschändet am Boden. Die Jubel- Hymne, die durch die konservative und liberale Presse über den großen Sieg des„nationalen Gedankens" brauste und in der mit deutschen Verhältnissen unbekannten ausländischen Presse einen lauten Widerhall fand, ist schrill unterbrochen. Es ist festgestellt, daß der große Sieg mit den unlautersten Mitteln erkauft ist— mit Mitteln, die um nichts hinter denen Auriickstchen, mit denen Napoleon der Kleine bei den Plebisziten seine glorreichen Siege erfocht. Die g e- mein st en, verlogen st cn Flugblätter und Broschüren, die zu Hunderttauscnden in den Wahlkampf geschleudert worden sind, das Dreckigste, was die Wahlagitationsliteratut aufzmveisen hat. das ist mit Geldmitteln hergestellt, die aus dem Reichskanzlcramtc stamme». Und noch mehr, diese Flug- und Schmähschriften sind sogar t e i l>v e i s c im Kolonial- amte verfaßt, demselben Kolonialamtc, dem die rein- liche. zur Abstellung der Kolonialkorruption bc- rufene Exzellenz D c r n b u r g vorsteht.— Ferner selbst bei den Machern - des„unpolitischen" Flotten- Vereins, den Nationalsten aller Nationalgesinntcn. ist das „nationale Empfinden" nicht so weit ausgebildet, daß sie vor einem Wahlbündnis mit der„Vaterlands- verräterischen" Sozialdemokratie zurückschrecken. Sie wollten vielmehr trotz deL angeblichen vaterlandsfeindlichcn Charakters der Sozialdemokratie mit dieser gemeinsam gegen das Zentruni zu Felde ziehen, und nur die Stichwahiparolc des sozialdemokratischen Parteivorstandes zwingt sie, diesen Plan fallen zu lassen. Welch hoher Flug deL nationalen Gedankens? Welch tiefes vaterländisches Empfinden? Diese Tatsachen bilden eine derartige vernichtende Kritik des Siegcsgeschwätzes. daß der größte Teil der konservativen, nationalliberalen Blätter noch immer schweigt. Nur dav „Berl. Tageblatt" brachte heute morgen einen Auszug aus den Veröffentlichungen deL„Bayr. Kuriers". Die meisten der sogenannten„anständigen" Blätter beschränkten sich darauf, auf die„Gemeinheit" des bayerischen Zentrums- blattes zu schimpfen, das„gestohlene" Dokumente ver- öffentlicht. Was aber in diesen Dokumenten steht, unter- schlagen sie ihren Lesern. Selbst heute abend, nach- dem inzwischen der Inhalt jener Briefe bekannt geworden ist, vermögen sich die meisten dieser Blätter nicht zum Abdruck aufzuschwingen, sondern begnügen sich mit heuchlerischer Entrüstung über die„ U n m o r a l"— des„Bayr. Kurier". So schreiben beispielsweise die«Berl. Neuesten Nachr.": Die ZcntrumSpreffc findet sich mit diesem schmachvollen Bor - gang, soweit wir sehen können, sehr leichtherzig ab.»Wie er wer »Bayerische Kurier") in den Besitz dieser Briefe gekommen ist, haben wir nicht zu untersuchen"— schreibt die„Germania ". Sie verwendet nun ihre ganze Mühe darauf, durch die Darstellung des Inhalts der Briefe den Eindnick zu erwecken, als ob etwas Ungeheuerliches geschehen sei. Die„Deutsche TageSzt g." schreibt: Es widerstrebt uns, auf den Inhalt dieser Briefe einzugehen. Wir halten es im allgemeinen für ein selbstverständliches Gebot des journalistischen AnstandeS, von gestohlenen Briefen überhaupt keine Notiz zu nehmen. In diesem Falle müssen wir aber von dieser Gepflogenheit abgehen, weil der Inhalt der gestohlenen Briefe die Oefientlichkeit beschäftigen wird. Die Kronsbcinsche Kloake räsonniert: „Ein unter der Devise„Für Wahrheit, Freiheit und Recht" erscheinendes Zentrumsorgan, das führende Parteiblatt in Bayern , der„Bayrische Kurier", veröffentlichte am i. Februar d. I.— am Tage vor den letzten Stichwahlen— Schriftstücke und Briefe, die in den Räumen der Präfidial-Geschäftsstclle des Deutschen Flotten- vcreins, Berlin , Wilhelmstraße 130, unter Verschluß aufbewahrt lvurden. ES sind der Mehrzahl nach Privatbricfe, welche sämtlich den Vermerk„Vertraulich" trugen." Und die„Kreuzzeitung " beschränkt sich auf die Veröffentlichung folgender die Echtheit der Briefe bestätigen- den Zuschrift aus der Präsidial-Geschäftsstelle des Flotten- Vereins: „Der„Bayerische Kurier" veröffentlichte am L Februar d. I. — am Tage vor den letzten Sttchwahlen— Schriftstücke und Briefe. die in den Räumen der Präsidial- Geschäftsstelle des Deutschen Flottenvereins . Berlin , Wilhelmstraße 130, unter Ver- schlnß aufbewahrt wurden. Es sind der Mehrzahl nach Privat- bliese, welche sämtlich den Vermerk„Vertraulich" trugen. In welchem Umfange Originale entwendet wurden. läßt sich vorläufig nicht feststellen. Von den meisten im ,0|a yeiifchen Kurier" veröffentlichten Briefe« befinden sich jedoch die Konzepte hier, so daß in diesen Fällen nur Abschriften genommen worden sind. Was die bis jetzt ermittelten näheren Umstände der Entwendung be- trifft, so deuten dieselben auf schweren Diebstahl. Jedenfalls ist hierbei systematische Arbeit geleistet worden, welche genaue und längere Vorbereitungen erheischte. Allein schon die Abschrift der im»Bayerischen Kurier" veröffentlichten Schriftstücke— und er schreibt, daß er noch „Berge" solcher besitze— erforderte sehr viel Zeit. ES ist denn auch festgestellt worden, daß von Ritte bis Ende Januar iu mehreren Nächten Diebe in den der- schlossenen Räumen der Präsidial-Geschäftsstell«' tätig gewesen sind. Die Angelegenheit ist der königlichen Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung übergeben worden. Ein Briefwechsel mit dem Herrn Reichskanzler, wie in der- schiedenen Blättern irrtümlich angegeben, hat von hier aus, auch in privater Form, nicht stattgefunden." Die„N o r d d. A l l g c m. Ztg." aber schweigt ganz. Vielleicht sinnt man in der Wilhelm st raße noch über eine plausilbe Ausredenach. oder man hat die Fonds noch nicht gefunden, aus denen die Geld- mittel für die Flugblätter stammen. Nationalliberale Ministerstürzer. Am Sonnabend leiteten die Nationalliberalen im M- geordnetenhause cndlichdie großeMtion ein, die sie seitWochen mit lautem Tamtam und unter Anwendung aller Mittel der modernen Reklame angekündigt haben: den Sturzversuch an dem ob seiner Verdienste um die Verpfaffung der Volksschule erblich geadelten Kultusminister Studt, dessen Entlassung die Liberalen als Lohn für die Dienste verlangen, die sie der Reichsregierung bei den Wahlen geleistet haben. Die Aktion ist kläglich ins Wasser gefallen, und Herrn von Studts Stellung ist eher gefestigt als geschwächt, die Nationallibe- ralen aber verlassen das Kampffcld als blamierte Europäer . Zwar sagten sie, vor allein ihr Führer Dr. Friedberg, dem Minister manch bittere Wahrheit, zwar fielen Worte, so scharf, wie sie im Dreiklassenparlament selten gehört werden, aber im Grunde ist doch alles Komödie. Wenn es wieder einmal gilt, der Volksschule Fesseln anzillegen oder die freie Wissenschaft zu unterdrücken, dann werden die nationallibe- ralen Maulhelden, die jetzt so wacker schimpfen. Arm in Arm mit Herrn von Studt daherziehen, genau so wie sie ihm bei der Verabschiedung des Schulunterhaltungsgesetzes Helfers- dienste geleistet haben und wie sie bei Schaffung der„Lex Arons" mit seinem Amtsvorgänger ein Herz und eine Seele gewesen sind. Den Grund zu der Attacke gab der bekannte„Brems- erlaß" vom 4. Mai 1909. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Erlaß einen schweren Eingriff in das Selbstverwal- tungsrecht der Gemeinden, daß er eine sckWcre Schädigung der Lehrer und der Volksschule bedeutet. Wenn irgend eine Partei, so hat die Sozialdemokratie diesen Erlaß aufs heftigste bekämpft. Und wir haben ein Recht dazu; denn wir sind es, die einzig und allein prinzipiell gegen die preußische Schulpolitik zu Felde ziehen. Allerdings nur in unserer Presse und in Versammlungen: denn von der Tribüne des preußischen Parlaments herab diese Politik zu kennzeichnen, ist uns �versagt dank dem Drciklassenwahlsystcm, das die Ent- scheidung über die Volksschule in die Hand derer legt, deren Kinder die höhere Schule besuchen! Die Nationalliberalen nun aber haben die reaktionäre Schulpolitik der Regierung mitgemacht; sie haben zu ihren vielen Sünden auch die der Auslieferung der Volks- schule au die Kirche auf sich geladen: sie haben wie im Reiche die materiellen so im Lande die ideellen Güter des Volkes schmählich verraten. Ihnen fehlt jedes moralische Recht, an den Studtschen Verwaltungsmaßnahmen Kritik zu übe». Im Grunde genommen gilt ihr Kampf ja auch gar nicht der Sache, sondern der P e r s o n. Mag Herr Friedberg noch so pathetisch versichern, daß es ihm auf die Person des Ministers nicht ankommt, seine eigenen Worte strafen ihn Lügen. Wissen die Nationalliberalen denn nicht mehr, daß sie sofort bei Beginn des Rcichstagswahl« kampfes die Entlassung deö Herrn von Studt und seinen Ersatz durch einen Liberalen gefordert haben? Jetzt prä- sentieren sie den Wechsel, aber zu ihrem Schrecken er- fahren sie, daß er wertlos, daß keine Deckung für ihn vor- handen ist! Die Debatte war äußerlich recht interessant und lebhaft; das Haus hatte einmal einen sogenaunteu„großen Tag". Nachdem Abgeordneter Schiffer(natl.) die Interpellation begründet hatte, erhob sich Herr von Studt, um eine Er- widerung zu verlesen, die ihm einer seiner Räte sorgfältig aufgeschrieben hatte. Herr von Studt war— wie immer— das Urbild der Rat- und Hülflosigkeit: er merkte gar nicht, daß die ihm vorher niedergeschriebene Erwiderung auf die Ausführungen des Interpellanten wie die Faust aufs Auge paßte. Den schlechten Eindruck, den er auf allen Seiten, außer auf der äußersten Rechten, hervorrief, vermochte auch sein Kollege, Freiherr von R Heinbaben, nicht zu verwischen, der ihm ritterlich bcisprang. Die Linke fiel wutentbrannt über Studt her, und selbst bei den Freikonservativen und im Zentruin fand er keine Unterstützung. Um so mehr freuten sich die Konservativen über diesen Mann, der die Volksschule in Grund und Podcu zu rennen und die Volksbildung auf das tiefe Niveau zu bringen geeignet ist, auf dem sie nach Ailsicht der Rechten stehen sollte. Wir haben gewiß keinen Ueberfluß an Staatsmännern unter den preußischen Ministern, aber so unfähig wie Herr von Studt ist denn doch nicht ein einziger seiner Kollegen. Aber gerade darum sind wir davon überzeugt, daß er noch recht lange im Amte bleiben wird, ein Spiclball seiner Räte und der reaktionären Par- teien. Was würde es aujlj. nützen, wenn er gestürzt würde? Ein anderer Mann träte an seine Stelle, aber das System würde das alte bleiben. Nicht der Person dcL� Herrn von Studt, sondern dem S y st c m gilt der Kampf, und an diesem System trägt Fürst Bülow genau so die Schuld, wie sein Ressortminister. Der Kampf kann jedoch nicht geführt werden von einer Partei, die sich liebedienerisch heute dem, morgen jenein Minister anbietet, sondern einzig und allein von einer Partei, die ihre Grundsätze vertritt, ohne nach rechts oder nach links zu schauen. Die Besvreckmng ging also miS wie da? Hornberger Schießen.. Es wird alles beim alten bleiben, falls cS nicht noch schlimmer wird.— �_ Sozialdemokratie und Freisinn bei den Stichwahlen. Die freisinnige Presse fährt fort, über die„Bündnisse" der Sozialdemokratie bei den Stichwahlen zu räsonnieren und der sozialdemokratischen Wählerschaft vorzuwerfen, daß sie die Reaktion begünstigt habe. Dieselben Blätter, die, wie z. B. das hiesige Organ der„gebildeten" Philister, die„Voss. Zeitung", direkt für die Unterstützung der reaktionärsten konservativen und antisemitischen Kandidaten durch die Frei- sinnigen eingetreten sind, ja die sich sogar nicht geschämt haben, das ihnen dafür von der agrar -konservativen Presse ausgestellte Lob als Zeugnis ihrer„nationalen" Gesinnung abzudrucken, werfen in ihrer Heuchelei der von ihnen aufs gemeinste bekämpften Sozialdemokratie vor. daß diese nicht bei der Stichwahl jeden beliebigen Jreisiniligeil. mochte es sich auch um eine politisch höchst fragwürdige Persönlichkeit handeln, ohne weiteres unterstützt hat. In Anbetracht dieser Perfidic, das eigene Verschulden durch Schimpseu auf die sozialdemokratische Arbeiterschaft zu verdecken, hat folgendes Urteil, das Herr Barth in seiner„Nation" über die Stich- wählen fällt, doppeltes Interesse. Barth spricht von der Schwächung der Linken und fährt dann fort: „Aber das ließe sich verschmerzen. Ungleich schlimmer ist dagegen die moralische Einbuße, die der Liberalismus, und vor allen Dinge« der Freisinn, bei diesen Wahlen erlitten hat. Die politische Charakterlosigkeit hat bei den Stichwahlen alles übertroffen, was wir bisher in Deutschland erlebt haben. So hart uns das Geständnis an- kommt: die Wahrheit soll nicht verschwiegen werden, bah frei- sinnige Wähler in zahlreichrn Fällen den schlimmsten Re- aktionären, Scharfmachern, Bündlern, Antisemiten zum Siege verholfen haben, aus blöder Angst vor dem roten Gespenst. Freisinnige Vertrauensmänner haben offen aufgefordert, für Erzreaktionäre u.nd Anti- semiten zu stimmen. Das Schauspiel war schmachvoll. Es ist ein schwacher Trost, daß auch die Sozialdemokratie eine Reihe der unsaubersten Wahlbündnisse eingegangen ist. Allerdings soll un- umwunden anerkannt werben, daß sich die Sozialdemokratie speziell im Norden und Osten Deutschlands selbst durch das offene Eintreten von Freisinnigen für die Reaktionäre fast durchweg nicht hat be- stimmen lassen, den Freisinnigen gegenüber eine Rachepolitik zu treiben. Die Sozialdemokraten haben sogar Freisinnige, die sich seit Jahren als giftige Gegner der So» zialdemokratie ausgezeichnet haben, in der Stich. wähl unterstützt und damit einen anerkennenswerten Beweis politischer Besonnenheit gegeben. Aber speziell in Süddeutsch- land hat die Sozialdemokratie ihrem politischen Ruf die schwersten Schädigungen durch allerlei schmierige Stichwahlabkommen bei- gebracht. Daß sie einen so aufrichtigen bürgerlichen Demokraten wie Quidde gegen einen Konservativen und nun gar einen Mann wie Blumenthal zweimal gegen Zcntrumsleute hat durchfallen lassen, ist doch schlechthin eine Schande. Diese Charaktervcrwüstung ist die bitterste Frucht der hinter uns liegenden Wahlen. ES wird lange dauern, ehe sich die Parteien der Linke» von diesen moralischen Schlägen wieder erholen werden. Uebrigcns setzt die Ernüchterung schon ein. Man fängt langsam an zu begreifen, wie dieser angebliche Sieg des Libera- lismus beschaffen ist. Die Sozialdemokratie, die man zerschmettert zu haben glaubte, weil man ihr beinahe die Hälfte ihrer Mandate abnahm, ist in Wirklichkeit als politische Partei heute geschlossener als vorher. Sie hat eine Viertclmillion Stimmen mehr erhalten als bei den Wahlen von 1903. Die 3% Millionen Wähler, die ihr diesmal gefolgt sind, bilden zudem eine homogenere politische Masse alt die 3 Millionen de« Jahres 1003. Wenn sie mit einiger Klugheit verfährt, die Roheit ihrer AgitationSmethode und die unerträg- liche Großmannssucht mildert, so wird sie, selbst nach diesem Verlust von 20 Mandaten, bald wieder drohender dastehe als zuvor," Oeutfckes Reich. Tirpih über die Flottenpolitik. , Der Staatssekretär des Reichsmarineamt » hat sich von einem englischen Journalisten interviewen lassen. Er er- zählte diesem Herrn, daß er sich gar nicht denken könne, daß das englische Volk im Ernst glaube, das Reichsmarineamt bereite einen Angriffskrieggegen England vor. Ein solche Annahme sei zu»närrisch". Die deutschen Flottenrüstungen dienten nur dazu, im Notfälle Deutschlands überseeischen Handel und seine Kolonien zu verteidigen. Läge es anders, so würde sich die deutsche Negierung bewogen gesehen haben, 1000 eine Flottcnvorlage von ganz anderem Umfange einzubringen. Dem Abrüstungs- gedanlen stehe Deutschland allerdings skeptisch gegenüber, aber für Deutschland mit seiner„kleinen Flotte" sei eine solche Ein- schränkung der Rüstungen auch viel bedenklicher, als sie es für England mit seiner großen Flotte sein würde. England habe zuerst mit den Flotte nrü st ungen begonnen und dadurch die übrigen Mächte genötigt, ihm auf diesem Gebiete zu folgen. Bemerkenswert ist, daß Herr v. Tirpitz auch heute noch von der „kleinen Flotte" Deutschlands spricht. Sicherlich wird die Re- gicrung die Hurra-ReichStagsmehrheit dazu benutzen, um daS im Jahre 1900 Versäumte schleunigst nachzuholen und mit einer „ganz anderen Flottenvorlage" zu kommen. Sehr unrichtig aber ist c». wenn Herr v. Tirpitz bc- hauptete, daß England mit den Flottenrüstungen begonnen habe. Daß England, die alte Flottengroßmacht, bei seinem u n- geheuren Kolonialbesitz«ine starke Flotte unterhält, ist selbstverständlich. Eine gewaltige Vergrößerung dieser Flotte trat aber erst mit dem Augenblick ein. wo Deutschland » dessen Kolonialbesitz doch ein minimaler ist und das seine Kolonien überhaupt nur deshalb erwerben konnte, weil die übrigen Staaten Deutschland diese Brocken übrig gelassen hatten, mit seinen Flotten- rüstungen begann. Bereits im Jahre 1895 hielt der deutsche Kaiser einer Anzahl von Rcichstagsabgeordneten im Potsdamer Neuen Palais einen Vortrag über die notwendige Verstärkung der Marine. Am 18. Januar 1890 hielt der deutsche Kaiser jene bekannte Rede, in der es hieß, daß das Deutsche Reich ein „Weltreich" geworden sei, mit Tausenden von Landsleuten in fernen Teilen der Erde, und daß„dieses Deutsche gleich auch fest an unser heimisches zu gliedern sei". Im Jahre 1897 fanden dann diese Flottenrüstungspläne in dem ersten Flottengcsetzcntwurf des Herrn v. Tirpitz ihren Ausdruck. Seit dem Jahre 1890 bis zum Jahre 1900 wuchsen dann die Ausgaben für die Flotte für das Deutsche Reich von 92 auf 205 Millionen, während sie sich für Eng- land von 455 auf 000 Millionen steigerten. Die deutschen Marine- ausgaben haben sich also im letzten Jahrzehnt verdreifacht, während sie sich in England noch nicht um ein Drittel erhöhten! Man sieht also,.baß Deutschland die Ausgaben für seine Flotte in einem un- geheuer viel rascheren Tempo steigerte als England. Die deutschen Ausgaben für die Flotte betragen jetzt beinahe die Hälfte der AuS. gaben für die englische Flotte. Dabei beträgt die Be- völkerung der deutschen Kolonion 13 Millionen, während die Be- völkerung der englischen Kolonien 300 Millionen, also mehr als das 2?fache, beträgt I Schon diese Ziffern beweisen, wie un» sinnig eS ist, die deutschen Flottenrüstungen mit den englischen in irgend einen Vergleich bringen zu wollen! Die Rede des Herrn v. Tirpitz wird also die englischen Bc- sorgnisse schwerlich beseitigen, um so weniger, als die„Deutsche Tageszeitung" Herrn v. Tirpitz tadelt, weil seine Aus- führungen einer»leisen Bitte um Entschuldigung" ähnlich sähen: „Wir haben es wahrhaftig nicht nötig, uns irgendwie zu entschuldigen". England wird natürlich nicht daran denken, beim Abrüsten voranzugehen: Deutschland wird also mit seinen Rüstungen fort- fahren. Die Flottcnausgaben, die schon jetzt die Höhe von zirka
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