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Ist also die Samnilungspolitik Bülows nicht neu, so doch das direkte, offene Eingreifen der Regierung bei Wahlen zugunsten dieser Sammlungspolitik. Auf den Vorwurf der Wahl- bceinflufsung antwortete nämlich der Reichskanzler mit der brüsken Erklärung, daß die Regierung künftig noch offen- kundiger in den Wahlkampf eingreifen werde k Diese Erklärung erschließt eine liebliche Perspektive aufPräfekten- Wahlen", und der Reichskanzler schien seine heutige Rede zum Schluß sogar schon auf künftige Wahlen anzulegen. Er seifte die Liberalen mit einigen Redensarten über ein zu schaffendes Reichs-Vereins- und Versammlungsgesetz ein, operierte in forziertcm Tone mit derFortfiihrung einer der- ständigen Sozialpolitik", bezeichnete es als eine dreiste Unwahrheit, daß die Regierung mit der Auflösung des Reichstags verfassungswidrige Absichten verfolgt, daß sie überhaupt je solche gehabt habe, bestritt das Auftreten des persönlichen Regiments und gefiel sich in der Freude darüber, daß die Sozialdemokratie nur einige 40 Mandate besitzt, so sehr, daß er dem Zentrum harte Vorwürfe über seine Haltung bei den Stichwahlen machte, da die Sozialdemokratie sonst höchstens 23 Dutzend Mandate be- säße! Die sozialdemokratischen Stimmen zählt, wie es scheint, der Reichskanzler nicht.-- Er war ganz Wahlstratege, der für eine Mehrheit von Konservativen und Nationalliberalcn schwärmt, wie einst Bismarck   das berüchtigte Kartell bei den Wahlen 1837 protegierte. In der Tat eröffnet die Staatskunst Bülows keinen politischen Ausblick, der neue Bahnen erkennen ließe; es ist alles aus dem Arsenal deseisernen" Kanzlers erborgt bis auf die direkte Wahlbeeinfluffung durch Briese und Reden der regierenden Personen. So sieht dieneue Aera" aus, die Bülow seiner Regierungskunst zuschreibt. Zu bemerken ist noch, daß der Kanzler harte Worte gegen das Zentrum schleuderte, ihm Mangel an Besonnenheit und Selbstbeherrschung vorwarf, vor allem aber es als ein moralisches Unrecht bezeichnete, daß das Zentrum sich mit der Sozialdemokratieliierte" I Er schien ganz vergessen zu haben, daß die Regierung sich die Unterstützung der Sozial- demokratie bei verschiedenen Gelegenheiten gefallen ließ, ohne moralische Bedenken empfunden zu haben. Vor dem Reichskanzler hatte übrigens noch der ge- schniegelte Bassermann frisch-fröhlich eine Attacke a la Sancho Pansa gegen Zentrum und Sozialdemokratie unter- nommen. Als ob die Nationalliberaleu noch wie vor 30 Jahren eine große selbständige Partei seien, so blies er sein Trara mitten ins parlamentarische Getriebe hinein. Der Flottenverein ist nach ihm ein vortrefflicher Verein: der Ausfall der Wahl hat so sagt Bassermann der Re­gierung und ihren Trabanten recht gegeben. Am besten ge- fiel sich Bassermann in der Nachahmung Bülows als Zitaten- verleser. Die in der sozialdemokratischen Partei völlig ver- einzelt dastehenden Aeußerungen Calwers und Bernsteins trat er mit kindlichem Behagen breit und meinte, sie machten künstig Keimsche Wahlflugblätter entbehrlich!! Der arme Schlucker! Wo stände er, wenn er nicht auf konservativen und freisinnigen Krücken in den Reichstag   gelangt wäre? Es erübrigt sich, die schttmlstigen Tiraden dieses Rede­helden: daß das Bürgertum sichendlich aufgerafft" habe, und daß der Glaube an den unaufhaltsamen Aufstieg der Sozialdemokratie erschüttert sei. auf ihren Unwert zurück- zuführen. Die Angriffe Bassermanns auf das Zentrum erregten hei diesem erbitterte Zwischenrufe, wie überhaupt die Situa- tion zwischen Zentrum und Regierung sowie zwischen ersterem und den liberalen Parteien durch die heutigen Debatten schärfer zugespitzt worden ist. Auffällig ruhig zeigte sich die Rechte, deren erster Redner noch nicht zum Worte kam. Die weiteren Debatten werden die Situation-noch mehr klären. So viel ging aus der heutigen Stellungnahme des Reichs- kanzlers allerdings schon hervor, daß die Regierung sicher auf höhere Weisung gern ohne das Zentrum regieren möchte. Lange dürfte dieseAera  " nicht vorhalten. Abgeordnetenhaus. Im Abgeordnetenhause stand am Montag auf der Tagesordnung zunächst der Bericht der Geschäftsordnungs- kommisfion betr. die Ermächtigung der strafrechtlichen Ver- folgung unserer Genossen Arthur Molkenbuhr, Ernst Witt- maack und Robert Dornheim vomVolksblatt" in Halle, der Magdeburger Volksstimme" und der Erfurter  «Tribüne" wegen BeleidigungdesAbgeordnetenhauses! Die Beleidigung soll in einemDer Triumph der Wahlrechts- feinde" überschriebenen Artikel liegen. Der neuesten Praxis des Hauses entsprechend beantragte die Geschäfts- ordnungskommisfion die Erteilung der Ermächtigung. Wider Erwarten wurde der Antrag nicht angenommen, die An- gelegenheit vielmehr zur nochmaligen Prüfung an die Kom- Mission überwiesen. Die Anregung hierzu ging von den Nationalliberalen aus. die im vorigen Jahre bei einem ahn- lichen Anlaß die Ermächtigung zur Verfolgung erteilt hatten. In ihrem Namen erklärte Abg. Schiffer, daß sie zwar nach wie vor auf dem Standpunkt ständen, daß man das hohe Haus nicht ungestraft beleidigen dürfe, daß es sich aber hier um Artikel handele, die schon vor dem letzten Beschluß auf Genehmigung der Erteilung eines Strafverfahrens ver- öffentlicht sind und daß man zunächst einmal die W i r k u n g jenes Beschlusses prüfen müsse! Das verspricht für die Kom- Mission eine recht interessante und belehrende Arbeit zu wer- den: denn die Herren haben so Gelegenheit, aus der sozial- demokratischen Presse zu lernen, vorausgesetzt, daß sie Ke- lehrungen zugänglich sind._ Das Haus beriet dann rn erster Lesung die Novelle zum Berggesetz, die im wesentlichen dem Staate allein da« Recht zur Auffuchung und Gewinnung der Steinkohle. des Steinsalzes, der Kali  -. Magnesia- und Borsalze und der Solquellen geben will. Es tvar vorauszusehen, daß sich be- sonders die Vertreter des Großkapitals gegen diesen per- meintlichen Eingriff in ihr Recht: zum Schaden der Allgemein- heit die der Gesamtheit gehörenden Naturschätze ausbeuten zu können, mit Händen>lnd Füßen wehren würden. Der Handelsminister Dr. Delbrück hatte große Mühe, die er- regten Gemüter zu beruhigen. Es gelang ihm das Haupt- sächlich dadurch, daß er ein kräftiges Loblied auf das Groß- kapital sang und auch die Syndikate verherrlichte. Die Debatte endete mit der Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern. Am Dienstag wird-die unterbrochene Etatsberatung fortgesetzt und zwar kommt der Etat der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung zur Beratung. Wilhelm II.   über die Wahlen. Das neue Reichstagspräsidium ist am Sonntag Mittag vom Kaiser empfangen worden. Die Audienz währte 114' Stunde, lieber Aeußerungen des Kaisers berichtet ein Blatt: Aus den Worten des Kaisers klang immer aufs neue die freudige Genugtuung durch, daß durch die jüngsten Reichs- tagswahlcn dem nationalen Gedanken der Sieg beschieden gewesen sei. Auch die Wirkung dieses Sieges gegenüber dem Ausland betonte der Monarch. Das Ausland müsse den Aus- fall der letzten Wahlen nach der Stimmung bewerten, die in nationalen Dingen die Mehrheit des deutschen   Volkes be- herrsche, und eine solche Wahrnehmung könne nicht anders als eine rückwirkende Kraft ausüben auf die Stellung der anderen Mächte Deutschland   gegenüber. Dabei nahm der Kaiser Gelegen- heit. über das allgemeine Wahlrecht zu sprechen, und er gelangte zu dem Schluß,daß dies so vielfach angefeindete Wahlrecht sich durchaus bewährt habe". Mit besonderer Lebhaftigkeit beschäftigte sich der Monarch mit dem Ausfall der Wahlen im Königreich Sachsen. Er sprach über sie in dem Sinne des Telegramms, die er und König Friedrich August voller Genugtuung über das endgültige sächsische Wahlergebnis mit einander ausgetauscht hatten. Aber gleich nach der Hauptwahl, �o erzählte der Kaiser, habe er mit dem König, als dieser am 27. Januar nach Berlin   gekommen war, über die Wahlen in Sachsen   sich ausgesprochen, und da sei es ihm interessant gewesen, zu bemerken, wie gut sich der König über die Persönlichkeit der Abgeordneten beziehungsweise der Kandidaten unterrichtet gezeigt habe. Eines sei jedenfalls fest- gestellt und festzuhalten als das lehrreiche Ergebnis der letzten Wahlen, und dieses eine sei die Tatsache, daß der Anprall der Sozialdemokratie zerschelle, sobald die bürgerlichen Parteien sich zusammenschließen. Bezüglich des Zentrums ließ der Kaiser durchblicken, daß ihm die Ver- schiddenheit zwischen der regierungsfreundlichen Haltung des Epistopats und der der Zentrumspartei   nicht entgangen sei. Auf diese Verschiedenheit stützte der Monarch die Hoffnung auf eine künftige ersprießliche Politik des Zentrums. Die IveltpolitischeLage berührte der Kaiser ebenfalls. Er zeichnete in großen Umrissen die Konstellation der Mächte, wie sie nach den Ereignissen im fernen Osten und durch diese sich ergeben habe. Das Fazit seiner Betrachtungen zog er in einem für die Erhaltung des Friedens höchst günstigen Sinne. Auch die EntWickelung unserer Kolonien wurde von ihm erörtert. Auch an Bemerkungen persönlicher Art ließ es der Kaiser nicht fehlen. Den Präsidenten Grafen Udo Stolberg-Wernigerode begrüßte der Monarch als alten Bekannten. Dem ersten Vize- Präsidenten, Professor Paasche, gegenüber brachte er das Gespräch auf dessen Sohn, den Oberleutnant z. S. Paasche. Er beglück- wünschte den Vater zur Verlobung seines Sohnes und zeigte sich genau über den Vortrag unterrichtet, den in Wort und Bild der junge Offizier in der Kolonialgesellschaft kürzlich ge- halten hat. Ten zweiten Vizepräsidenten. Stadtältesten Kämpf, hatte der Kaiser mit den Worten begrüßt, daß er sich freue. den Vertreter des ersten Berliner   Rcichstagswahlkreises, in welchem er selbst ja wohne, willkommen heißen zu können. Er sei aber auch überzeugt, daß die wahlberechtigten Mit- belvohner des Schloßbezirks ihre Schuldigkeit getan haben, um ihm, Herrn Kämpf, zum Siege zu verhelfen. Das, was über die Aeußerungen des Kaisers zu den Wir- kungen der Wahlen auf das Ausland gesagt wird, erscheint einigermaßen dunkel. Fürst Bülow   und Herr v. T i r p i tz sind ja bekanntlich bemüht gewesen, ausländischen Interviewern gegenüber zu betonen, daß der Nationalismus, wie ihn der Ausfall der Wahlen gezeigt habe, keineswegs Chauvinismus sei, daß im Gegenteil Deutschland   auch nicht im entferntesten daran denke, anderen Nationen gegenüber in irgend einer Beziehung aggressiv aufzutreten. Darüber, daß das deutsche   Volk einer ausländischen Offensive gegenüber g e- schlössen dastehen würde, herrschte auch vor den Wahlen im Ausland nicht der geringste Zweifel. Hat doch selbst pie Sozialdemokratie oft genug erklärt, daß auch sie bei einem Augriffskrieg ihre Schuldigkeit tun werde. Auch ist uns niemals bekannt geworden, daß das Ausland Deutschland   gegenüber es jemals an dem Respekt habe fehlen lassen, den eine starke Nation zu verlangen hat. Die Worte des Kaisers sind also schwer zu deuten. Sie könnten höchstens die Wirkung haben, die Erklärungen abzuschwächen, die Fürst Bülow   und der Staatssekretär des Reichsmarineamts  , Herr v. Tirpitz, erst vor wenigen Tagen abgegeben haben! Eigentümlich nimmt sich auch das Wort des Kaisers aus, daß das allgemeine Wahlrecht, das so vielfach angefeindete, sich diesmaldurchaus bewährt" habe. Das allgemeine Wahl- recht dient doch dem Zwecke, dem Willen des Volkes Aus- druck zu geben. Wie auch immer das Endergebnis einer Wahl' ausfallen möge, für einen prinzipiellen Anhänger des all- gemeinen Wahlrechts muß es sich jedesmalbewährt" haben. Eine Beurteilung des allgemeinen Wahlrechts, die sich mit ihm nur dann befreundet, wenn sein Votum so ausfällt, wie es dem betreffenden Beurteiler gefällt, kann als prinzipielle Billigung des allgemeinen Wahlrechts nicht aufgefaßt werden! Seltsam nimmt es sich daher auS, wenn das freisinnigeBerl. Tageblatt" schreibt: Das wiederholte Bekenntnis des Kaisers zum bestehenden Reichstagswahlrecht kann im Lande nur einen günstigen Ein- druck machen. Man weiß nur zu qut, daß die heimlichen und offenen Gegner der allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl gerade mit der Behauptung arbeiten, daß sie die Stellung des Kaisers aus die Dauer untergraben müsse. Für den Kenner der Scharfmacher-Clique bestand allerdings längst kein Zweifel darüber, daß diese Besorgnis nur ein Vorwand zur Verhüllung eigensüchtiger Klasseninteressen war. Aber man wußte nicht recht, ob angesichts des beständigen Anwachsens der Sozial- demokratie solche Argumente auf den Kaiser ohne Eindruck blieben. Jetzt ist die Lage geklärt." Also der Freisinn hält erst jetzt nach den Erklärungen Wilhelms I!. die Gefährdung des allgemeinen Wahlrechts für aus- geschlossen. Trotzdem schanzte der Freisinn bei der letzten Wahl durch seine Unterstütznng der Reaktion<3 Mandate zu! Wäre also das Wahlresultat ein andere» gewesen, hätte die Sozialdemo. kratie einige hunderttausend Stimmen mehr gewonnen und wäre dadurch die Besorgnis des Kaisers gesteigert worden, so hätte der Freisinn mit dazu beigetragen, das Reichstagswahlrecht in der schlimmsten Weise zu gefährden! Ueber den Optimismus des Kaisers, daß der Anprall der Sozialdemokratie zerschelle, sobald die bürgerlichen Parteien sich zusammenschließen, wollen wir lieber Taten reden lassen. Die im Zeichen der Sozialistenvernichtung geeinte Reaktion wird ja in wenigen Jahren eine neue Probe auf das Exzempel machen können. Interessant und für den Freisinn nicht gerade erbaulich mögen die Aeußerungen des Kaisers über das Zentrum geklungen haben. Der Kaiser erwartet von dem Zentrum auch künstig»eine ersprießliche Politik". Er denkt also gar nicht daran. das Zentrum vor den Kopf zu stoßen und den Freisinn dauernd in die bisherige Rolle des Zentrums einrücken zu lassenk .' 9 Deutfcbcö Reich* Georg Bernhard als Reformator und Lerleumder. Herr Georg Bernhard hat in sich den Beruf zum Messias und Reformator der Sozialdemokratie entdeckt. Die. fortschreitende Verkirchlichung� der sozialdemokratischen Bewegung hätte. meint er. die Partei soeben erst eineempfindliche Niederlage" erleiden lassen: eine Niederlage, die den Anlaß zu einem neuen Auffticg bieten, die aber ebenso daSEnde einer glorreichen Bewegung" bedeuten könne. In Dresden   habe er (Bernhard) noch geglaubt, der Partei durch Nachgiebigkeit zu nützen. Jetzt sei eS aber mit seiner Geduld vorbei. Und da ein großer Teil der Parteipresse, vor allem derVorwärtZ", sich in den Händen einerbestimmten Clique" befände, welche dieDemokratie als Deckmantel für die Befriedigung auto- kratischer Gelüste" benutze, so wende er sich an die liberale Presse. Welches sind nun die reformatorischen Mittel, die Bernhard an­gewendet wisien will, um dasEnde" der sozialdemokratischen Be- wegung zu verhüten und der Partei zu neuem Aufftieg zu ver- helfen? Er sagt darüber wörtlich in derWelt am Montag": Die Sozialdemokratie ist vor die Frage gestellt, ob sie endlich politischen Einfluß erobern, oder sich dauernd mit dem Schicksal einer nörgelnden Sekte begnügen will. Die letzten Wahlen haben ganz deutlich gezeigt, daß auf eine politisch ausschlag- gebende Stellung aus eigener Kraft die Sozialdemokratie auj Jahre hinaus nicht rechnen kann. Es gilt nunmehr, Bundesgenossen zu suchen. Der einzige Bundesgenosse der Arbeiter kann der bürgerliche Liberalismus sein. Bedauer- licherweise sangen nun gerade jetzt diejenigen Parteigenossen, die bisher etwas vom Liberalismus erhofften, an, die Flinte ins Korn zu Wersen. Und zwar weisen sie daraus hin, daß um des Mandatschachers willen die Liberalen bei den letzten Wahlen sich auch mit den schwärzesten Reaktionären verbündet haben. Das ist nicht zu leugnen. Aber man sollte doch in unseren Reihen zweierlei nicht vergessen. Erstens haben wir durch unsere oft maß- losen Angriffe und dnrch die widerliche Art, in der einzelne Personen bei uns gekämpft haben. das liberale Bürgertum gewaltsam von uns fortgestoßen. Und zweitens haben wir es in vielen Wahlkreisen auch gar nicht anders gemacht als die Liberalen. Es ist hüben und drüben gesündigt worden. Aber ich muß sagen, daß ich diese Sünde auf beiden Seiten aar nicht so schlimm werte. Auch ich wäre in manchen Fällen dafür zu haben gewesen, für das Zentrum, ja sogar für Konservative zu stimmen, um wenigstens den Liberalen einmal vor Augen zu führen, daß die Arbeiterschaft, wenn sie ihre Stimme gibt, auch Gegen- leistungen verlangt. Der Erfolg, den ich von solcher Haltung erwartete, ist jetzt da. Der Freisinn hat eingesehen, daß er Bundesgenossen braucht, und die Sozialdemokratie ist zu derselben Einsicht gekommen. Jetzt ist eS an der Zeit, die Politik der gegenseitigen Berärgerung fallen zu lassen. Jetzt müssen Sozialdemokratie und Liberalismus sich erinnern, daß, so sehr sie sich auch in der Grundauffassung vieler Dinge unterscheiden, ihnen beiden doch gemeinsam der Wunsch nach politischer Befreiung und kultureller Hebung ist. Die parlamentarische Regierung und die Befreiung der Volksschule sind jetzt diejenigen Ausgaben, die im Vordergrunde stehen und für die Liberalismus und Sozialdemokratie Schuller an SchuWr zu kämpfen haben. Um dieses Ziel zu erreichen, werden auf beiden Seiten taktische Konzessionen gemacht werden müssen. Die Sozial- demokratie hat, um auch parlamentarisch bündnisfähig zu sei», ihre negative Haltung in den Budgctabstimmungen, der Liberalismus seine Engherzigkeit in der Sozialpolitik und seineu Doktrinarismus in der Wirtschaftspolitik aufzugeben. Neben dem Bestreben, ein taktisches Zusammengehen beider Parteien zu ermöglichen, muß aber der Versuch einhergehen, das Bürgertum über die sozialistische Bewegung aufzuklären. Wir müssen diejenigen Männer innerhalb des Liberalismus rechtfertigen, die ein ehrliches Zusammengehen mit uns seit Jahren erstreben und deren Streben dadurch erschwert wird, daß bei ihren Partei- anhängern die über die Sozialdemokratie verbreitetm Lügen uur allzu leicht Anllang finden. Den Boden für die Aufnahmefähigkeit dieser Lügen haben wir selbst bereitet. Und zwar dadurch, daß wir uns allmählich daran gewöhnt haben. Phrasen. Schlag Worte zu prägen, die ebenso unsozialiftisch wie unmarxistisch sind. Die Wahl 1907 bedeutet ein Jena   dieser Phrasen. Sie müssen hinaus aus unserer Parteiagitation. Sie können hinaus, denn sie nützen uns nicht einen Pfifferling, schaden unS aber außer­ordentlich." Eine Kritik dieser Weisheit lohnt sich nicht der Mühe; denn s» weit überhaupt von einer Niederlage der Partei bei den letzten Reichstagswahlen gesprochen werden kann, trägt die Schuld an dieser etwas ganz anderes, als dienegative Haltung" der Partei in den Budgctabstimmungen, diem a ß l o s e n A n g r i f s e" auf die Liberalen, diePhrasen" undSchlagwörter", nämlich die übertriebene Rücksicht, mit der nach Dresden   die Partei noch Leute vom Schlage des Herrn Bernhard inihrenReihengeduldethat Leute, die, wie die obigen Zitate aus derWelt am Mo n t a g" aufs neue beweisen, von den Lehren der Sozialdemokratie nicht das geringste verstehen und die sich der Partei nur angeschlossen haben, um die Arbeiter- masscn als Sockel für ihre eitle Persönlichkeit zu benutzen und e in'e politische Rolle spicken zu können. Diese Per- soncn nicht, ohne Rücksicht auf das Gezeter der Gegner, aus- geschlossen und dadurch diese der Freude beraubt zu haben. die mündlichen und schriftlichen Aeußerungen dieser Leute immer wieder gegen die Sozialdemokratie ausspielen zu können, darin liegt der schwer st e Fehler, den die Partei in den letzten Jahren begangen hat. Selbstverständlich begnügt sich ein Mensch von der Qualität eines Bernhard nicht mit der Mcssiasrolle. Er spielt zugleich den Verleumder, indem er behauptet, daß derVorwärts" Parteigenossen von der Mitarbeit ausgeschlossen und ferner den Bericht über die von Bernhard in Charlottenburg   abgehaltene Versammlung nicht abgedruckt hätte, damit die Parteigenossen nicht erführen, daß er (Bernhard)mit Beifall gegen denVorwärts" referiert" hätte. Beides ist erlvgen. Weder war in dem Bericht etwas davon er- wähnt, was Bernhard gegen denVorwärts" gesagt hatte, noch daß diese Ausführungen Beifall gefunden hätten. Den Beweis werden wir dadurch liefern, daß wir in nächster Sitzung den Originalbericht dem Parteivorstand und der Preßkommission vorlegen werden.~- Die gegenwärtige Reichstagsscssion wird, wie nach der K r e u z- Z e i t u n g" als ziemlich sicher an- genommen werden darf, nur vonsehr kurzer Dauer sein". Sie werde, wenn nicht schon vor Pfingsten, so doch bald nach dem Feste geschlossen werden. Die Bolksvertrewug werde damit rechnen müssen, daß ihr zur Bewältigung ihrer Aufgaben nicht mehr als etwa zehn Wochen zur Berfügung ständen, nämlich vier Wochen vor und sechs Wochen nach den Oster- respektive Pfingstferien. ES entspreche durchaus der Sachlage, wenn die Tagung eines Parlamentes, das unmittelbar nach einem schweren Wahlkampfe einberufen worden sei, nur eme mäßige AuS- dehnung zugesagt werde. An die Durchberawng der zahlreichen Initiativanträge, deren schon jetzt einige SO vorlägen, sei des­halb gar nicht zu denken. Die Antragsteller müssen sich auch von vornherein klar machen, daß die Zahl der SchwerinStage- an denen die Initiativanträge beraten werden könnten. nur eine kleine sein würde. Es sei auf kaum mehr als höchstens Vs Dutzend von SchwerinStagen zu rechnen. Man würde sich deshalb damit bescheiden müssen, daß außer den Etats- »orlaaen nur noch kleinere Gesetze einaebracht werden