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Nr. 69. 24. Jahrgang. 1. KnlM des Joriuütts" Kerlim ilolteliliitt. Freitag, 22. März 1967. Remnhaus. 6. Sitzung vom Donnerstag, den 21. März 1907. nachmittags 1 Uhr. Am Ministertisch: Frhr. v. Rheinbaben. Oberberghauptmann v. Belsen macht Mitteilung über das Unglück in der Mathildengrube, bei dem 22 Bergleute im Förderkorbe ab- stürzten, weil das Seil riß. Es ist festgestellt worden, daß die Mini- malsicherheit der Seile in diesem Falle sogar überschritten war. Ob das Seil zuerst vielleicht festgehakt und dann durch die Gewalt des Sturzes gerissen ist, hat sich noch nicht feststellen lasten. Da­gegen ist konstatiert, daß das Seil an der Bruchstelle sehr schadhaft gewesen ist. Das widerspricht allen Auffassungen, die man bisher gehabt hatte. Man nahm bisher an, daß das Seil an d e r Stelle am meisten in Anspruch genommen wird, wo es am Fördcrkorbe festgehalten wird. Sofort nach dem Unglücksfalle ist nun an der Bruchstelle ein Stück zur Prüfung abgehauen worden. Ob ein Fehler in der Seilkonstruktion gewesen ist, ob das Seil, weil der Stahl zu weich war, sich vielleicht zu sehr abgerieben hat, ist bisher nicht festgestellt; ebenso nicht, ob die vorgeschriebene tägliche Revision immer in vorschriftsmäßiger Weise stattgefunden hat!! Die be- treffenden Beamten behaupten es; es liegen aber einige Anzeigen von Leuten, die noch nicht vereidigt sind, vor, daß die tägliche Revision in der lebten Zeit etwas mangelhaft gewesen ist. Die Nachrichten werden hierauf für erledigt erklärt. Es folgt die Beratung der Novellen zu den Pensions- gesetzen. Die Kommission hat einige redaktionelle Aenderungen an der Borlage vorgenommen. Abg. Frhr. v. Manteuffel begründet einen Antrag, nach dem den Kommunalbeamten, die in den Staatsdienst übertreten, die im Kommunaldienst verbrachte Dienstzeit bei der Pensionsbe- rcchnung voll in Anrechnung gebracht werden soll. Finanzminister Frhr. v. Rheinbaben: Schon jetzt könne die im Kommunaldienst zugebrachte Zeit bei den in den Staatsdienst übertretenden Beamten im Wege der Allerhöchsten Gnade angerechnet werden, und es wird davon in weitgehendem Maße Gebrauch gemacht, so daß die in den Staatsdienst tretenden Kom- munalbeamten vor jeder Verschlechterung ihrer Verhältnisse be- wahrt werden. Wenn aber der Antrag des Frhr. v. Manteuffel nun die Anrechnung der Kommunaldienstzeit obligatorisch machen will, so geht das viel zu weit. Das Prinzip, welches Herr v. Manteuffel hier einführen will, weicht ab von unserer bisherigen Gesetzgebung, und es würde zu einer vollkommen ungerechten Be- vorzugung der Kommunalbeamten und zu einer Benachteiligung der Staatsbeamten führen, die dauernd im Staatsdienst tätig ge- Wesen sind. Wenn der Antrag des Frhr. v. Manteuffel Annahme finden würde, so würden wir uns in Zukunft außerordentlich be- sinnen müssen, noch Kommunalbeamte in den Staatsdienst zu über- nehmen. Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Kanne und Oberbürgex- meister Struckmann-Hildesheim treten für den Antrag Manteuffel ein. Reichsbankpräsident Dr. Koch stellt fest, daß auch die Reichs- bankbeamten unter den Antrag v. Manteuffel fallen würden. Finanzminister v. Rheinbaben betont, daß die S5aatsregierung wie bisher dafür sorgen werde, daß die Beamten in ihren Pensions- Verhältnissen nicht verkürzt würden. Frhr. v. Manteuffel zieht hierauf seinen Antrag zurück. Oberbürgermeister Struckmann tritt gegen die Bestimmung ein. nach der die Pension insoweit fortfallen soll, wie die Beamten Gehalt von Kommunen erhalten. Das Gesetz wird hierauf angenommen. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Der Präsident teilt mit. daß die nächste Sitzung nicht vor dem -25. April stattfinden werde. Schluß Uhr. Hböfcordnctenhaua» 39, Sitzung vom Donnerstag, den 21. März 1997, vormittags 19 Uhr. Am Ministertisch: Dr. v. S t u d t. Die zweite Beratung des Kultusetats wird fortgesetzt. Abg. Rzesnitzek(ftk.) beantragt, die Ostmarkenzulage von 1907 ad auf Schlesien auszudehnen. Ministerialdirektor Dr. Schwartzkopff bittet, den Antrag abzulehnen, da der Antrag prinzipiell bedenklich sei. Die Regierung sei aber bereit, den Fonds für Renumerationen im nächsten Jahre zu erhöhen. Abg. Dr. Boltz fnatl.) tritt für den Antrag Rzesnitzek ein. Abg. Dr. Dittrich(Z.) erklärt, daß seine Freunde auch diesen Antrag ablehnten, da sie prinzipiell gegen die Ostmarken- ��Der� Antrag Rzesnitzek wird angenommen, ebenso eine Rcso- lution der Budgetkommission, die erst von 1998 die Einführung der OstMarkcnzulage für Schlesien fordert. Abg. Eickhoff ffrs. Vp.) bittet, die Position499 999 M. Unter- stützungen von Witwen- und Waisen von vor dem 1. April 1999 verstorbenen Volksschullehrern" erheblich zu erhöhen. Redner ver- liest zur Begründung einen Artikel aus dem»Boten auS dem Riesengebirgc" mit der Ueberschrift: Die Notlage einer 83 jährigen Lehrerswitwe." Ein Regierungskommissar erwidert, der in dem vorgelesenen Artikel angezogene Fall der Lehrerswitwe Fuchs sei ihm genau bekannt. Frau Fuchs hätte nach dem jetzigen Pensionsgesetz noch weniger erhalten, als ihr zugebilligt war. Sie bezog übrigens auch Unterstützungen vom Pestalozziverein. so daß sie jährlich über 499 M.<!) hatte. Es sei trotzdem von der Zentralinstanz einge- griffen und eine weitere Unterstützung gewährt� Im allgemeinen könne er erklären, daß Erhebungen angestellt würden, ob eine Er- höhung der Titel notwendig sei. Der Rest des KapitelsElemcntarunterrichtswesen wird be- willigt. Die Kapitel..Kultus und Unterricht gemeinsam", allgemeine Fonds, evangelischer Oberkirchenrat, Bistümer werden bewilligt. Beim KapitelProvinzialschulkollegien" führt Abg. Dippe(natl.) aus: Ich muß hier eine Beschwerde lokaler Natur vorbringen, die allgemeine Bedeutung hat. In Naumburg waren ein Professor und ein Oberlehrer vom Domgymnasium Mit- glieder der Stadtverordnetenversammlung. Sie hatten auch nach ihrer ersten Wahl die Genehmigung des Magdeburger Provinzial- schulkollegiums erhalten. Inzwischen waren sie zum Magistrat in Opposition getreten, und nun wurde nach der Neuwahl ihrem Direktor mitgeteilt, daß sie die Genehmigung nicht wieder erhalten würden, weil sie dieselbe nicht rechtzeitig nachgesucht hätten! Gleichzeitig wurde der Wunsch ausgesprochen, daß der Professor sein Amt niederlege. Der Professor hat denn auchfreiwillig" sein Mandat niedergelegt. Wie steht der Minister dazu? Kultusminister Dr. v. Studt: Ich habe auf meine Anftage in Magdeburg noch keine Antwort erhalten! Ich kann deshalb erst bei Beratung des Kapitelshöhere Lehranstalten" Auskunft geben. DaS Kapitel wird bewilligt, ebenso das KapitelPrüfungs- kommissionen". Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Nächste Sitzung: Mittwoch, dxp 19 April, 12 115- Schluß 12 Uhr. Bergwerkskatastrophen. Die Regierung hat die Beantwortung der Interpellationen be- treffend die Schlagwetterkatastrophe in Klein-Rosseln vertagt und hat damit, da der Reichstag nun in die Ferien gegangen ist, drei Wochen Zeit für die Untersuchung. Merkwürdigerweile verhält sich die Werkspresse, die bei früheren Anlässen so kräftig gegen denVor- wärts" los zog, unseren jetzigen jedenfalls nicht belanglosen Mit- teilungen gegenüber vollständig ruhig. Daß auf der Gerhardgrube nicht alles in Ordnung gewesen ist, läßt die Erklärung, die Herr Berghauptmann v. Velsen am Donnerstag im Herrcnhause ab- gegeben hat, stark durchblicken. Das gerissene Seil sei an der Bruch- stelle als sehr schadhaft befunden worden und nach einer Reihe Zeugenaussagen ist die tägliche Revision sehr mangelhaft gewesen. Das nennt man Mustergrubcn I « Die StraßburaerNeueste Nachrichten" erheben eine schwere Anklage gegen Forbacher Aerzte. Das Blatt schreibt: Leider darf nicht verschwiegen werden, daß das Verhalten der Forbacher Aerzte ein höchst unrühmliches war. Bald nach 11 Uhr in der Freitagsnacht war der Knappschaftsarzt Dr. Bcrster von dem Unglück verständigt worden. Bevor er hinauffuhr, alarmierte er die übrigen Aerzte, erhielt aber überall abschlägigen Bescheid. Die Herren verweigerten ihre Hülfe, weil sie nicht Grubenärzte sind I Wir sind nur begierig, ob derLeipziger Verband", der sonst so eifrig über die materielle Standesehre der Aerzte wacht, zu diesem empörenden Verhalten der Forbacher Stellung nehmen wird! * Auf der Grube Klein-Rosseln wurden am Mittwoch die Leichen der Bergleute Peter Meyer und Schmidt gefunden. Das letzte Opfer, der Bergmann Müller aus Kochern liegt noch unter den Steinmassen. Auf der Grube Klein-Rosseln sind, wie dieSt. Johann-Saar- brücker-Volkszeitung" meldet, gestern zwei Bergleute durch Steinfall ums Leben gekommen. Beide hinterlassen Witwe und Kinder. Huö der Partei. Als vortreffliches Agitationsmittel empfiehlt das©am» burger Echo" den Abdruck der Rede, die Genosse Richard Fischer am Freitag im Reichstag gehalten hat.Ton und Inhalt derselben sind so, daß jeder Parteigenosse nur wünschen kann, daß sie den Indifferenten zugänglich gemacht werde. Im allgemeinen schwärmen wir nicht für sogenannte Agitationsbroschnren, die nur aus der Wiedergabe einzelner oder mehrerer Parlamentsreden be- stehen und wir wünschen sehr, daß man sich darin weise Beschrän- kuug auferlege. In diesem Falle jedoch wären wir ganz damit ein- verstanden, wenn der Parteivorstand eine Massenauflage von Fischers Rede veranlaßte und zwar so. daß die Organisationen in der Lage ivären, sie unentgeltlich in die uns noch fernstehenden Kreise zu bringen." DieTribüne" zu Erfurt schließt sich dem Hamburger Parteiblatt an. Wir möchten dazu anregen, der Broschüre auch die DienstagSrede des Genossen Bebel über das gleiche Thema einzufügen._ Aus der Parteibewegung in der Provinz Brandenburg . Eine außerordentliche Generalversammlung deS Wahlkreises Züllichau-Schwiebus-Crossen-Sommer.- f e l d, die am Sonntag in S ch w i e b u S tagte und auch von einer Reihe Landorte des ausgedehnten Kreises besucht war, legte Zeugnis davon ab, daß auch die Sozialdemokratie dieses Kreises, der in nicht weniger als 179 Wahlbezirken seinenWillen" aus- zudrücken hatte, sich nichts Iveniger alsniedergeritten" fühlt. Der Kandidat, Genosse Oswald G r a u e r- Lichtenberg, fand mit seinem Vortrage überDie Lehren des Wahlkampfes" die Zustimmung der Versammlung. Seine Vorschläge, die auf eine bessere, stetigere Organisation und Agitation hinzielen, wurden lebhaft unterstützt. Urwüchsig und zum Teil recht drastisch machte sich der Unwille über die Agitationserschwerung durch das Gebaren der Braun, Bernhard u. a. geltend. Er fand seinen prägnantesten Aus- druck in dem Verlangen des Kreisvorsitzenden, die Genossen der Kreise, in denen diese Leute Vertrauensämter bekleiden oder denen sie zugehören, möchten der Partei den Dienst erweisen, diese Leute durch Entbindung von ihren Vertrauensämtern bezw. von der Partei- Mitgliedschaft wissen zu lassen, daß die Parteigenossen im Lande sich nicht mehr länger in ihrer Agitationsarbeit durch diese Quertreiber behindert sehen wollen. Der Bericht über die Wahl selbst zeigt ein Steigen der Stimmen- zahl in den Landorten, während die Städte einen Rückgang zu ver- zeichnen hatten. Das Gesamtresultat ergibt 3814 Stimmen gegen 3745 Stimmen 1993. Die Abrechnung von der Wahl ergibt einen Bestand von 168,46 M. nach Abzug einer Ausgabe von 3565,89 M. von einer Einnahme von 3734,26 M. Die Mitgliederzahl der Or- ganisation und die Abonnenten derMärkischen Volksstimme" zeigen eine stetige Zunahme. Das gleiche gilt von den Gewerkschaften. 99 Mitglieder zählt auch«ine Frauenorganisation in SchwiebuS. Die Generalversammlung stellte einstimmig den Genossen Grauer- Lichtenberg wieder als Kandidaten für die nächste Reichstagswahl auf. ArbeitSsieudigkeit und Verständnis für die nächsten Aufgaben war die Signatur der Tagung._ Zur Maifeier. Es wird uns geschrieben: Zu den Partei- genössischen Festlichkeiten, bei denen unsere Genossen als Schauspieler die Bühne zu betreten wünschen, fehlt es nicht an dramatischen Werken. Doch sei an einen Stoff erinnert, der sich bei unseren Ver- anstalwngen wegen seines künstlerischen Werts und seiner historischen und sozialen Bedeutung in allen Ehren sehen lassen kann. Es ist die in sich vollständig abgeschlossene Handlung deS 2. Aktes des DramasUllrich v. Hutten" von Karl Weiser. Das Stück befindet sich unter den Reclamschen Ausgaben; die Rollen sind also billig zu erwerben. Wegen des Aufführungsrechtes wende man sich an den liebenswürdigen Dichter, der zurzeit Oberregisseur des Weimarer Hoftheaters ist._ Bo« Fortschritt der Presse. Seit Ende 1995 hat derBraunschwciger Volksfreund" seine Abonnentenzahl fast verdoppelt. Hatte er bis dahin wenig über 5999, so konnte er am Schlüsse des Jahres 1996 7599 Abonnenten aufweisen. Eine weitere Zunahme um 2399 Abonnenten wurde während und nach der Reichstagswahl erzielt, so daß derVolks- freund" heute einen Abonnentenstand von 9899 besitzt. Ein großartiger Erfolg. Aus New Dork erhalten wir die Nach- richt, daß das jüdische Organ der Sozialistischen Partei Nord- amerikaS , derVorwärts", Anfang April sein zehnjähriges Bestehen feiert, und zwar mit einem Abonnentenstande von 69999! Damit hat derVorwärts" alle anderen Parteiorgane in den Vereinigten Staaten überflügelt ein großartiges Zeugnis für die Rührigkeit, mit der das jüdische sozialistische Proletariat in den Vereinigten Staaten arbeitet. Wir senden unserem Namensvetter jenseits des Ozeans unsere besten Wünsche für fem weiteres Gedeihen. polizeiliches, Sericbtticdes ulw. Der bestrafte Gesetzeswächter. Das Schöffengericht zu L ü tz e n (Provinz Sachsen ) verhandelte vor einigen Tagen gegen Genossen Lautenschläger aus Teuditz. Nach Schluß der Abstimmung bei der R e i ch s t a g s w a h l wollte er dem vielerorts beobachteten Unfug entgegentreten, das Geheimnis der Wahl dadurch zu verletzen, daß die in der Urne fein säuberlich auf- einandergeschichteten Stimmzettel in der rückläufigen Reihen- folge der Abstimmung zur Verlesung gebracht wurden. Er mahnte deshalb den Wahlvorsteher, die Urne und mit ihr die Stimmzettel durcheinander zu schütteln. Dieser erklärte ihm jedoch: Es wird nicht geschüttelt!" Lautcnschläger erwiderte:Es wird doch geschüttelt!" Und er machte sich daran, die Arbeit selbst zu besorgen, wurde jedoch daran durch den Wahlvorsteher und einen als Beisitzer fungierenden Schulmeister verhindert. Durch sein Verhalten soll Lautenschläger groben U n f u g<!) verübt haben. Es dauerte denn auch kaum fünf Mimiten, und er war vom Schöffengericht zu 29 Mark Geldstrafe wegen Vergehens nach § 369, 11 verurteilt. Der Bürger, der auf Wahrung des gesetzlich vorgeschriebenen Wahlgeheimnisses dringt, wird also wegengroben Unfugs" bestrastl Was mag mit dem Wahlvorsteher geschehen, der das gesetz - lich gewährleistete'Geheimnis der Wahl wohlüberlegt verletzte f Ein Nachspiel zur Reichstagswahl in Breslau . Wegen an- geblicher Beleidigung eines Schutzmannes, der im Korridor eines Breslauer Wahllokals einen sozialdemokratischen Stimmzettel- Verteiler verhindern wollte, baß er die Wähler mit seinen Stimm- zettelnbelästige", wurde Genosse Kaul vom Breslauer Schöffen- gericht zu 35' Mark Geldstrafe verurteilt. Genosse Kaul hatte zu dem Schutzmann gesagt:Sie haben sich nicht in das Wahlgeschäft zu mischen; Sie haben hier gar nichts zu sagen; sollten Sie sich noch weiter so verhalten, so werde ich dafür sorgen, daß Sie von hier entfernt werden." Dem Angeklagte», gegen den der Anklagevertreter 199 M. beantragt hatte, wurde der Schutz des Z 193 (Berechtigte Interessen) versagt, weil die Form beleidigend sei. Das sei die Art, in der ein Vorgesetzter mit seinen Untergebenen umgehe! Da also die Form als be- leidigend erachtet wurde, scheint das Gericht der Meinung zu sein, ein Vorgesetzter verkehre mit seinen Untergebenen in beleidigender Form! In Preußen-Deutschland ist natürlich der Bürger nie der Vorgesetzte, sondern stets der Untergebene des Schutzmanns I Straskouto der Presse. WegenBohkottierung" wurde Genosse Schubert vomSächsischen Volksblatt" in Zwickau zu 159 Mark Geldstrafe verurteilt. Das Verbrechen wurde in einem Artikel erblickt, derZur Saalfrage auf dem Lande" über- schrieben war, worin die Arbeiter von Lichtentanne aufgefordert wurden, ein Gasthaus solange zu meiden, bis es den Arbeitern zu Versammlungen zur Verfügung stehe. Dasgleiche" Recht für alle. Die BreSlauer»Volks- wacht" meldet: Der VereinBromberger Arbeiterheim", der sich im borigen Jahre in Blomberg gegründet hat und seine Haupttätigkeit in der Bekämpfung und Ausrottung der freien Arbeiter- Bewegung erblickt, zählt bekanntlich zu seinen Anhängern eine Anzahl Arbeitgeber, Staats- und Kommunalbeamte. Die erste Heldentat, die dieser Verein sich leistete, bestand in dem Ankauf des einzigen Lokals, das der frei organisierten Arbeiterschaft seit längerer Zeit als Verkehrs- lokal diente. Ihren Hauptzweck, die freie Arbeiterschaft obdachlos zu machen, haben die Herrschaften erreicht. Als zur Zeit unseres Verkehrs in dem Lokal ein arbeiter- freundlicher hiesiger Bürger eS erwerben wollte und bei der Be- Hörde um die Erlaubnis zum Betriebe der unbeschränkten Schankivirtschaft nachsuchte, gab es dazu keine Erlaubnis. Anders aber, als das Lokal in Besitz desAnti- sozialistischen Vereins" überging. Alles, was vorher für die Nichterteilung der Erlaubnis der Schankwirt- s ch a f t ins Feld geführt wurde, kam jetzt gar nicht in Frage, sondern die Erlaubnis wurde schlankweg erteilt. Trotz dieser Vergünstigungen und Unterstützungen, die man dem Verein zukommen ließ, will der Magistrat der Stadt Bromberg sich ihm gegenüber noch ganz besonders erkenntlich zeigen, und ersucht die Stadtverordnetenversammlung, seinem Beschluß, den Verein mit einem jährlichen Beitrag von 199 Mark zu unterstützen, zuzustimmen. So soll asio aus städtischen Geldern, zu denen alle Bürger steuern müssen, ein Unternehmen subventioniert werden, das zur Be- kämpfung eines Teiles der Bürgerschaft begründet wurde. Die reparierte Reichskanzler-Ehre. Wegen Beleidigung deS Reichskanzlers wurde vor einigen Tagen der verantwortliche Redakteur des Saalfelder Volksblattes", Genosse Zorn, vom Landgericht R n d o l st a d t zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Verbrechen soll in einem Artikel vom 23. Dezember mit der UeberschriftDie nationale Ehre und der Parlamentarismus" begangen worden sein. Die Anklagebehörde hatte ursprünglich be- absichtigt, die Anklage auch auf den Verleger, Genossen Hofmann, auszudehnen, da man in ihm den Verfasser vermutete. Gegen Ge- nossen Zorn hat Fürst Bülow unterm 6. Januar 1997 persönlich Strafantrag gestellt I Als Verteidiger im Prozesse fungierte Rechts- anwalt Dr. Liebln echt- Berlin . Der Arttkel»nacht dem Reichskanzler und der durch ihn ver- tretenen Regierung Vorwürfe darüber, daß sie durch eine ,, ruchlose, nun von ihr selbst preisgegebene Politik" den südwestafrikanischen Ausstand herbeigeführt, daß siedie den Aermsten abgepreßten Steuergroschen vergeudet",Kolonialverbrecher geschützt",koloniale Bestialitäten gekannt und gehehlt" und geduldet habe, daß jene halbe Milliardein die Taschen raubgieriger Kolonialspekulanten ver­schwand", ja, daßein aktiver Minister jahrelang aus dieser afrikanischen Milliarde geschöpft" habe. Genosse Zorn bestritt, daß der Artikel persönliche Beleidigungen des Reichskanzlers enthalte. Nicht die Person desselben sei gemeint, sondern lediglich das durch ihn vertretene Negierungs- s y st e»n. Der Vorsitzende gab seiner Verwunderung darüber Aus- druck, wie man n»r schreiben könne, daßeine halbe Milliarde deutschen Volksvermögens, die man dem Hunger der Besitzlosen erpreßt habe, vergeudet worden sei". Das treffe doch gar nicht zu, denn dir Aermsten zahlten ja bekanntlich gar keine Steuern! Verteidiger Dr. Liebknecht: Die im Verbreitungsbezirke deSVolksblatt" erscheinende bürgerliche Presse leiste, vor allem seit der Auflösung deS Reichstages, geradezu Erstaunliches an Be- schimpfungen und Verleumdungen der Partei des Angeklagten, seiner Zeitung und seiner Person. Die alten Lügen, daß die Arbeiter- sührer sich von Arbeitergroschen mästeten und tausend andere, meist von» Reichsverbande aufgebrachte und kolportierte handgreifliche Verleumdungen seien tagtäglich in jenen Zeitungen abgedruckt worden. Fürst Bülow selbst aber habe die Sozialdemokratie, be- sonders seit Auflösung des Reichstages,»mablässig in denkbar schärsster Art bekämpft und beschimpft. So habe er noch in einer kürzlich im Reichstage gehaltenen Rede sich erlaubt, einen in Anhalt geschehenen Mord der Sozialdemokratie an die Rockschöße zu hängen, obwohl daS Urteil über den Mörder damals noch gar nicht ge- sprachen war! Die Verhandlungen hätten dann klipp und klar ergeben, daß dieser Fall rein gar nichts mit der Sozialdemokratie zu tun hatte. Ferner habe Bülow in derselben Rede einen sozial- demokratifchen Vertrauensmann in Frankfurt a. M. unter Ber- schweigung der in der gegnerischen Presse selbst sofort ge- brachten Berichtigung beschuldigt, daß er Flugblätter mit schwindet- haftem Inhalte hätte herstellen und verbreiten lassen. Fürst Bülow habe sich zu einem Widerruf seiner unwahren Behauptungen im Reichstage bis heute noch nicht Vera n- laßt gesehen. Der Reichskanzler habe auch in den Wahllampf direkt als ein gewöhnlicher Agitator eingegriffen und müsse eS sich