Nr. 284.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Fernfprech- uchlug 3mt 1, Nr. 4186.
Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2.
Sonnabend, den 3. Dezember 1892.
Reichstag und Reichsregierung. wärtige Militärvorlage. Der einzige praktische Widerstand
gegen diese wäre die Ablehnung der 1890 er Militärvorlage
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
nicht kompetent. Er hat also fachlich in feiner Weise geurtheilt, sondern hat einen formell forrekten Standpunkt eingenommen."
Aus der Rücksicht, welche die Reichsregierung den Be- gewesen. Wer damals, als sein Wort und seine Stimme schlüssen des Reichstags zollt, sieht man deutlich, wie wenig noch ins Gewicht fiel, feine Zustimmung gab, Daß der Reichstag mit seinen Beschlüssen keine besseren diefelben Beachtung finden, wenn sie nicht den Wünschen und seinen Widerstand hinter einer nicht ins Gewicht Erfolge erzielt, hat er sich selbst zuzuschreiben. Ihm ist der der Regierung gradezu entgegenkommen. Dem Reichstage fallenden Resolution barg, wird auch diesmal fein Be- Weg vom Bundesrath selbst gezeigt, wie er sich Achtung ist in diesen Tagen die Uebersicht der vom Bundesrath ge denken tragen, es zu thun und für die Zukunft die besten verschaffen kann. Die Regierung erscheint jetzt vor ihm als faßten Entschließungen aus der 1. Session der 8. Legis- Vorsäge aufzubewahren. Forderuder oder Bittender mit neuen Belastungen des laturperiode zugegangen. Diese Entschließungen liefen in Da wird seit 1867 wiederholt und auch wieder zu Be- Landes. Wenn der Reichstag sich dazu aufraffen könnte, den wichtigsten Fällen darauf hinaus, daß der Bundesrath ginn dieses Jahres mit übergroßer Mehrheit vom Reichs- die Militärvorlage mit einem einfachen Beschluß: einfach beschloß, ihnen keine Folge zu leisten, oder sich tage der Beschluß gefaßt, daß den Abgeordneten Diäten damit begnügte, von ihnen Kenntniß zu nehmen. Sehen und Reisekosten zu gewähren seien. Hierauf folgt der wir uns nun einmal einige Beschlüsse des Reichstags, die einfache Bescheid: folche Abfertigung fanden, näher an. Da sind zuerst die fogenannten Windthorst'schen Resolutionen, welche der Reichstag am 28. Juni 1890 annahm. Dieselben gingen dahin:
1. Die Erwartung auszusprechen, daß die verbündeten Regierungen Abstand nehmen werden von der Verfolgung von Plänen, durch welche die Heranziehung aller wehrpflichtigen Mannschaften zum aktiven Dienst durchgeführt werden soll, indem dadurch dem Deutschen Reiche geradezu unerfchivingliche Kosten erwachsen müßten."
Der Bundesrath hat beschlossen, der Resolution eine weitere Folge nicht zu geben."
Da wird weiter vom Reichstage beschlossen:
1. dem Reichstage einen Gefeßentwurf vorzulegen, welcher die jenigen Fälle regelt und näher begrenzt, in denen die Zivil verwaltungen berechtigt sind, die dauernde Gestellung von militärischen Wachtposten zu polizeilichen Sicherheitszweden zu verlangen. 2. auf eine thunlichste Einschränkung der Militärposten, insbesondere in verkehrreichen Gegenden hinzuwirken.
2. Die Erwartung auszusprechen, daß die verbündeten Der Reichstag denkt, der Bundesrath lenkt, und beRegierungen in eine etwaige weitere Vorlage bebufs Abschließt, den Resolutionen feine Folge 311 änderung des Gesetzes über die Friedens Präfens
stärte des Seeres unter Aufhebung der Fristbestimmung des geben."
Septennats das Etatsjahr als Bewilligungsfrist aufnehmen Als durch den Erlaß des Herzogs Georg und dessen werden, während der Reichstag es sich vorbehält, auch bei Veröffentlichung durch den Vorwärts" die abscheulichen sonstiger sich ergebender geeigneter Gelegenheit die Durchführung Soldatenmißhandlungen im Reichstage zur Sprache kamen, biejer Kenderung der grit zur Geitung zu bringen." beschloß der Reichstag , die verbindeten Regierungen zu er suchen:
3. Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, eine balbige Herabminderung der thatsächlichen Präfenzaeit bei der aktiven Armee, sei es durch die thatsächliche Verlängerung der Refrutenvatanz, sei es durch Vermehrung der Dispositionsbeurlaubungen, eintreten zu laffen."
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4. Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, die Einführung der gesetzlichen zweijährigen Dienstzeit für die Fußtruppen in ernstliche Erwägung zu ziehen."
Der Bescheid des Bundesraths hierauf faßt sich in der furzen Erklärung zusammen:
„ Der Bundesrath hat von den Resolutionen Kenntniß genommen."
In welcher Weise er Kenntniß von ihnen genommen, zeigt die gegenwärtige Militärvorlage. Die Resolution ad 1 ist geradezu bereits ein Protest gegen dieselbe. Als vor zwei Jahren die Verdy'sche Militärvorlage eine Erhöhung der Militärpräsenzstärke um 18 500 Mann verlangte, hegte bas als Regierungspartei sich fühlende Zentrum Bedenten, sich der Regierung zu widersetzen, während es aus Rücksicht par den Wählern sein Gewissen zu falviren suchte, indem es sich gegen die damals bereits in Aussicht gestellten Mehr fordernugen aussprach. Auch die Nationalliberalen stimmten mit einzelnen Ausnahmen für die Resolution. Gegen diefe ftimmten geschlossen nur die Konservativen und die Sozialdemokraten, weil sie in ihr nur eine Komödie er blickten. Wie sehr sie damit Recht hatten, zeigt die gegen
Feuilleton.
Stadbrud verboten.)
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und die neuen Steuervorlagen mit einem ebenso einfachen Beschluß
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Der Reichstag hat beschlossen, den Steuervorlagen feine Folge zu geben"
zu antworten, dann würden die Beschlüsse des Reichstags eine andere Würdigung seitens des Bundesraths finden.
Politische Lebersicht.
Berlin , den 2. Dezember. Der dritte Tag der Etatdebatte sollte eigentlich, nach altem Herkommen, der Nachlese dienen, heute aber hat sich der Verlauf ganz anders gestaltet. Abgesehen von der Rede des polnischen Hofmanns Koscielsky, der die Aufgabe hatte, den letzten Rest von Oppositionsgeruch von sich und feinen Freunden abzuwvaschen, und der Nede des Benjamins des 1. Jm Interesse der größeren Sicherstellung Hauses, des Abgeordneten von Münch, welcher das Prieiner angemessenen Behandlung der Soldaten vilegium genießt, daß aus seinen Reden niemand klug wird, durch ihre Vorgesezten erscheint es dringend erforderlich, bei der in Aussicht genommenen Reform der Militär- bewegte sich die Debatte heute noch auf einer Höhe, welche gerichts- Verfassung und der Militär- Strafprozeß- Ordnung die sonst Verhandlungen, wenn fie in den dritten Tag hinein Grundsätze der Ständigkeit und Selbständigkeit der Gerichte, dauern, im Deutschen Reichstage selten behaupten. Ausfowie der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Hauptverfahrens, genommen muß dabei allerdings noch die Rede des Spaß wie sie sich im Königreich Bayern bewährt haben, zur Geltung machers des Zentrums, des Herrn Grafen von Schalscha, zu bringen. 2. Die verbindeten Regierungen zu ersuchen: die werden. Aber dieser schlesische Agrarier scheint ja selbst Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen, feinen Anspruch darauf zu machen, für ernst genommen zu namentlich in der Richtung einer Erleichterung dieses Be- werden; warum sollen wir ihn also anders behandeln, als er selbst schwerderechts, einer Revision zu unterziehen. 3. Die verfich giebt? Mit einer vortrefflichen Rede martirte der bündeten Regierungen zu ersuchen: nach dem Vorgange der sich giebt? Veröffentlichungen über die allgemeine Krinrinalstatistik auch die Abgeordnete Haußmann seinen Standpunkt. Vielleicht hätte Beröffentlichung einer besonderen Statistit über die von den er die Vertheidigung der freisinnigen Partei gegen Caprivi's Militärgerichten erledigten Straffachen zu veranlassen. Anzapfungen besser den Freisinnigen selbst überlassen. Aber Der Bundesrath überwies die Resolution ad 1 dem das find Interna, welche die Herren unter sich ausmacher: Reichstanzler und beſchloß zu den beiden anderen Refo- mögen. Nach unserem Geschmacke waren auch die parti lutionen, denselben„ teine Folge zu geben". Der Reichs- fularistischen Auwandlungen des Herrn Haußmann nicht, kanzler wurde in der gestrigen Sigung des Reichstags vom wir begreifen diefelben aber, ist es doch die einzige Nüance nationalliberalen Abgeordneten. Dr. Buhl hieran erinnert, nachdem der sozialpolitische Theil des Programms der worauf Herr von Caprivi erwiderte, daß der Bescheid des Boltspartei aufgegeben ist durch welche sich die Herren Bundesraths,„ aus einem vollkommen zutreffenden formell aus Schwaben von den Freifinnigen noch unterscheiden. korrekten Grunde" geschehen sei. Doch sei dem wie ihm sei, Haußmann's Rede, war eine " Die Handhabung des Beschwerdevechts gehört der Kom Leistung und zählt zum besten, was die Etat- Debatte mandogeivalt, und der Bundesrath ist in Kommandosachen brachte.
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Aus ihren Schuppen tamen die ersten Lokomotiven Sie gingen hinab. Ein Herr erivartete sie im Wagen. hervor und fuhren pfeifend weiter, um vor die ersten Züge Rival stellte ihn vor: Doktor Le Brument." Duroy gespannt zu werden. Auch aus der Ferne tönten schon drückte ihm die Hand und stotterte: Dante, dante sehr." scharfe Lokomotivenpfiffe unausgefeßt herüber; es war ihr Dann wollte er auf dem Rücksitz Plaz nehmen und setzte Morgenruf, so wie die Dorfhähne den Tag verkünden. sich auf einen harten Gegenstand, der ihn aufspringen ließ, Vielleicht seh' ich all das nie mehr wieder", dachte als wenn ihn eine Feder emporgeschuellt hätte. Es war Duroy. Wie er aber merkte, daß er sich wieder selbst zu der Pistolenkasten. rühren anfing, fämpfte er den Gedanken gewaltsam nicder: Man darf an nichts denken bis zum Duell; das ist Ein neuer Anfall schrecklichster Verzweiflung über das einzige Mittel, den Wuth nicht zu verlieren."" in kurzen ganzer Körper flog; in furzen Er machte Toilette. Während er sich rasirte überkam Pausen durchlief ihn heftiges Zittern. Er biß die Zähne ihn noch einmal Schwäche bei der Vorstellung, daß er sich zuſammen, um sich am Schreien zu hindern. Er hatte vielleicht zum letzten Mal im Spiegel sehe. ein tolles Verlangen, sich auf dem Fußboden herum. Aber er trant noch einmal Branntwein und kleidete zuwälzen, irgend etwas zu zerreißen, zu beißen. Da sah er sich dann fertig an.
Iam ihn.
Sein
"
ein Glas auf dem Kaminsims stehen, und es fiel ihm ein, Die nächste Stunde verstrich ihm sehr langsam. Er daß er fast einen vollen Liter Branntwein im Schrank ging im Zimmer auf und ab und suchte sich zu beruhigen. tehen habe; er hatte nämlich die alte Soldatengewohnheit is er an seine Thür Klopfen hörte, wäre er beinahe um beibehalten,' an jedem Morgen„ eins hinter die Binde zu gefallen, so groß war seine Erregung. Es waren seine
gießen".
Bengen. Schon!
Er setzte die Flasche ohne weiteres an den Mund und Sie waren in Pelze gehüllt. Rival drückte ihm die trant in gierigen, laugen Zügen. Er setzte erst ab, als Hand und meinte: ihm der Athem ausging. Er hatte fast den dritten Theil
getrunken.
Flammende Wärme brannte ihm bald im Magen, durchströmte alle seine Glieder und stärkte seine Seele, indem sie sie betäubte.
Er sprach vor sich hin: Jetzt hab ich ein Mittel."
"
Eine wahre sibirische Kälte!" Dann fragte er:
"
Nun, wie geht's?"
" O, sehr gut.
# 1
Man ist doch ruhig?"
# 1.
Ganz ruhig."
Rival rief:„ Nein nein! Duellant und Arzt auf den Vordersitz! Auf den Vordersiz!" Duroy begriff endlich und setzte sich neben den Doktor.
Nun stiegen auch die beiden Zengen ein, und der
Kutscher fuhr ab. Er wußte schon, wohin es ging.
Aber der Pistolenkasten war jedem im Wege; besouders Duroy störte er, der ihn lieber gar nicht gesehen hätte. Man versuchte ihn hinter die Rücken unterzubringen, bort aber zerstieß man sich an ihm das Kreuz; dann stellte man ihn zwischen Rival und Boierenard, er fiel jedoch alle Augenblicke herunter; schließlich nahm man iha unter die Füße.
Das Gespräch schlich mühsam dahin, obwohl es der Arzt durch Anekdoten zu beleben suchte. Nur Nival antwortete ihm. Duroy hätte wohl gern Geistesgegenwart be wiesen, aber er fürchtete den Gedankenfaden zu verlieren und so die Verwirrung zu offenbaren, in der er sich bes fand; die quälende Angst, sein Zittern nicht unterdrücken zu tönnen, beherrschte ihn völlig.
" Dann vorwärts. Sie haben doch etwas gegessen und lassen. Es war getrunken?"
aus
Seine Haut glühte und er öffnete wieder das Fenster. Der Morgen grante; talt und ruhig däminerte er Ja, ich brauche nichts weiter." herauf. Oben am Himmel verblichen die Sterne, und in Der Gelegenheit zu Ehren hatte Boisrenard ein ländisches, grüngelbes Ordensband angelegt, das Duroy noch nie sonst bei ihm gesehen hatte.
Eisenbahnsignale blasser und blasser.
Bald hatte der Wagen die Stadt hinter sich geEs war gegen neun Uhr. In dem frischen Wintermorgen Tenchtete die ganze Natur, und alles schien so spröde und hart wie Krystall zu sein. Reif hatte die Bäume umsponnen: fie saben aus, als hätten sie Eis
geschwitzt; die Erde klang unter jedem Schritt, das geringste
Geräusch wurde von der trockenen Luft weit fortaetragen,