Mt Untersuchungsrichter, LaudgerichtSpräfident Lauenerals Zeuge aufgerufen.Präsident Dr.� Streifs: Die Angeklagte bat gestern behauptet,Sie hätten sich beim ersten Verhör ihr gegenüber ungebührlich be-Nammen und hätten auch ein zuungunsten der Angeklagten einseitiggefärbtes Protokoll aufgenommen. Die Angeklagte sagt, sie habegegen ein derartiges Protokoll protestiert: Sie sollen daraugesagt haben:„Das ist jetzt geschrieben und bleibt jetzt geschrieben!"Zeuge Lauener: Bon diesem Vorgang ist mir absolut nichts be«rannt: Präsident Dr.�Strei ff hält dem Zeugen die Beschwerden vor,die die Angeklagte� über ihn und die beiden Landjäger erhoben hatLauener rechtfertigt hierauf in längeren Ausführungen seine Maß-nahmen: Er gebe zu, angeordnet zu haben, dah die Landjäger dieLeontieff festhielten, bestreite aber mit aller Entschiedenheit, die An-geklagte angepackt zu haben. Er sei selbst verheiratet und habe schongrosze Töchter, so daß es ihm nicht einfallen könne, eine FrauenS-Person an den Hals zu packen. sLachen.)— Präs. Dr. Streifs: DieZeugen haben bekundet, daß die Angeklagte Ihnen ins Gesicht ge-spien hat.— Laucner: Davon weiß ich gar nichts: ich glaubeauch mcht, daß es der Fall war. Richtig ist nur, daß die Leontieffsich wie rasend benahm und daß ich infolgedessen Abstand nahm, sieiju photographieren.— Präs. Dr. Streifs: Ist es richtig, daß Sieder Angeklagten Wasserflasche und Bücher, sogar die Bibel weggenommenhaben?— Zeuge Lauener: Jawohl, diese Maßnahmen hielt icha»S Sicherheitsgnmdcn für geboten.— Präs. Dr Streifs: Das magja sein, aber merkwürdig ist doch immer, daß sich in den Aktenweder von dem Widerstande der Leontieff noch von diesen Ihren Maß-nahmen ein Wort vorfindet I— Angekl. Leontieff erklärt zu derAussage Laueners, daß sie erst aufgeregt geworden sei, oder wiedieser gesagt habe,„sich rasend benommen", als Lauener anordnete,daß die beiden Landjäger sie, nötigenfalls unter Anwendung vonGewalt, entkleiden sollten. Vorher habe sie sich, wie das jaauch die Zeugin Bohner bekundet habe, durchaus ruhig benommenund habe allen Anordnungen willig Folge geleistet.— DaS Gerichtbeschließt unter anhaltender Vewegimg aller Prozcßbeteiligtcn, unterBerücksichtigung der Schwere der Anschuldigiing der Angeklagten gegenden Untersuchungsrichter, die Akten dem Kassationshof in Bern zureingehenden Untersuchung zu überweisen.Rechtsanwalt Dr. Brüstlein beantragt hierauf, die im Gerichts-saal anwesende Schriftstellerin M a r k o w i tz, jetzt in Paris, überdie Gründe des Ausbleibens des für die innerpolitischcn ZuständeRußlands von der Verteidigung als Sachverständigen vorgeschlagenenProfessors Reußner zu vernehmen. Professor Reußner habe bereitsfrüher in einem anderen Prozeß, im sogenannten KönigsbcrgerGeheimbundprozeß, als Sachverständiger fungiert, und seine Aus-sage habe großes Aufsehen hervorgerufen. Das Gericht beschließt,die Zeugin zu vernehmen. Frau Markowitz bekundet, daß ProfessorReußner die Absicht gehabt habe, dem Ersuchen der VerteidigungFolge zu leisten, daß er aber an ihrer Ausführung dadurch ab-gehalten sei, daß er vor drei Tagen ein Telegramm aus Rußlanderhielt er solle sofort eine Professur in Petersburg übernehmenund müsse sogleich eine Probevorlesung haltenl— RechtsanwaltDr. Brüstlein: Ich behalte mir vor, in meinem Plaidoyer hierausdie nötigen Schlüsse zu ziehen.Es wird nun der an Stelle Reußners erschienene ZivilingenieurWladimiroff aus Paris überdie inneren Zustände Rußlandsvernommen. Er schickt seinem Gutachten einleitend voraus, daß er.bevor er ins Ausland ging, hohe amtliche Stellungen bekleidet habeund daß er wiederholt von der russischen Staatsregierung mit derDurchführung wichtiger technischer Untersuchungen betraut wordensei. Er habe die Ursachen der gewaltigen russischen Revolutionwissenschaftlich erforscht und sei bei den Moskauer Schreckcnstagenzugegen gewesen. Er habe mit eigenen Augen all die von derSoldateska verübten Greueln gesehen. Unterschiedslos seien vonder Artillerie Männer, Frauen und wehrlose Kinder erschossenwerden. Fünfstöckige Häuser feie» dem Erdboden gleichgemachtworden. Und nach diesen Greueln habe der Minister Durnowo,um den es sich ja nn vorliegenden Prozeß hauptsächlich handele,noch Strafexpeditionen gegen das Volk angeordnet, wobeiwiederum zhhllose, meist ganz unschuldige Personen erschossenwurden! Wie der Sachverständige weiter ausführt, hat er per-sönlich Untersuchungen über die Folterungen angestellt, dieMaria Spiridonowa von den Zarenkncchten erleiden mußte.Es handele sich um jenes junge Mädchen, das durch die GehülfenDurnowos vergewaltigt und auf die barbarischste Weise körperlichmißhandelt worden sei. Wladimiroff vevlveist sodann auf seinepersönliche Amvcsenheit bei den Grcuelszenen, die die verschiedenenPogrome in Bialystok zur Folge gehabt haben. Er habe diese per-sönlichen Erfahrungen in einem Buche niedergelegt und die heftigsten Anklagen gegen die russische Regierung gerichtet. Die Re-gierung habe die von ihm vorgebrachten Tatsachen nicht widerlegenkönnen. Sic sei zwar zur Konfiszierung des Buches ge-schritten und habe ihn selber verhaftet, aber durch einen glücklichenZufall habe er aus dem Gefängnis fliehen können. Hier unter-bricht ihn der Präsident und richtet an ihn die Frage, ob er derrussischen revolutionären Partei angehöre. Wladimiroff verweigertdarauf die Antwort und verbreitet sich dann weiter über den per-sönlichen Charakter des Ministers Durnowo: Durnowo sei eingrausamer, lügnerischer Mensch, der sich durch zahlreiche betrügerischeManipulationen und unzählige Bluttaten in ganz Rußland einenberüchtigten Namen verschafft habe. Am deutlichsten habe sich seinCharakter gezeigt, als er auf die das Zarenmanifest bejubelndeVolksmenge die Kosaken jagte, die mit Nagaiken auf die Wehrloseneinhiobcn und untersdsiedslos Kinder, Frauen und Studentenniederschossen oder niederritten. Derartige Sckandtaten feien infast allen russischen Großstädten vorgekommen! Durnowo habesogar«ine Geheimdruckerci unterhalten, in der hie Proklamationengedruckt wurden, die zu Pogromen anfeuerten! Durnowo sei esauch gewesen, der die„Schwarzen Banden" organisierte. Wasdas heiße, könne nur der ermessen, der wisse, daß diese Bandenaus den verkommensten Subjekten und gemeinsten Verbrechern be-stehen, wie Durnowo selber einer sei.(Anhaltende Bewegung.)Durnowo habe sich gegen Tagelohn Leute gedungen, die weiternichts zu tun hatten, als in den Straßen Moskaus die Studentenzu prügeln! Die Verhafteten wurden bei ihrem ersten Verhör vonder Polizei den furchtbarsten Martern uuterworsen. Angesichtsall dieser Schandtaten habe das gequälte Volk endlich zur Selbst-wehr gegriffen; es habe s e l b st den Richter gespielt und einenHelfershelfer Durnowos nach dem anderen gemordet. DasselbeSchicksal war dem Minister selber zugedacht, er entging ihm nurdurch die verhängnisvolle Verwechselung, die der Angeklagten mitdem Rentier Müller passiert sei. Durnowo sei es auch gewesen, derdurch seine brutalen Maßnahmen das durch das Zarenmanifcsteinigermaßen beruhigte Volk zu neuen revolutionären Erhebungenaufpeitschte. So habe der Moskauer Gcmeinderat nach jenemManifest zwei große Versammlungen einberufen, in denen demZaren für das Manifest der Dank des Volkes ausgesprochen werdensollte. Auf Anordnung Durnowos habe die Polizei in der Nachtvor den Versammlungen Kanonen aufgefahren und gegen dieVersammlungslokale, in denen Tausende versammelt waren, eineKanonade eröffnet! Das Volk habe gegen die vorrückendenTruppen zur Notwehr gegriffen und Barrikaden errichtet. Di«Folge war eine Füsilladc der Truppen, und die Leichenhallenfüllten sich haufenweise mit Leichen von Frauen und Kindern.Aerzte, die auf den Straßen den Verwundeten helfen und ihnenLinderung ihrer furchtbaren Schmerzen verschaffen wollten, seieneinfach niedergeschossen worden, ebenso Studenten der Medizin, dieschnell an ihre Stelle sprangen.Gelegentlich des großen EissnbahnerstreikS in Rußland habeDurnowo Strafexpeditionen gegen die Streikenden geschickt. Auchdiese Truppen hätten ein schreckliches Blutbad unter den Eisenbahn-arbeitern angerichtet. Größtenteils seien aber ganz U n s ch u l-dige ihnen zum Opfer gefallen. Von 150 erschossenen Eisenbahn-arbeitern seien nur sechs gewesen, die sich an dem Streik beteiligthatten! Nach der Rückkehr von solchen Brutalitäten haben dieOffiziere an einem Diner im Kaiserpalais teilgenommen, bei demzur Frier des errungenen„Sieges" der Champagner in Strömengeflossen sei.(Anhaltende Bewegung.) In Warschau seien 17 ein-gekerkerte Genossen auf Grund der KriegSartikcl ohne gericht-liche Verhandlung, ohne daß ein Urteil gefällt worden wäre,standrechtlich erschossen worden! In Bialystok habe derGouverneur tatenlos zugesehen, wie mehrere Tage hindurch einPogrom gegen die jüdischen Proletarier stattfand. Ein Offizierhabe einem Kosaken 50 Kopeken gegeben, weil dieser� drei Judenerschossen hatte.(Große Bewegung.) Und als die Soldaten, diedoch wahrlich Grausamkeiten gewöhnt waren, keine Lust mehrzum Weiterschietzen zeigten, entriß ein Hauptmann einemSoldaten das Gewehr und feuerte einem alten vorübergehendenJuden zwei Kugeln nach.(Erneute anhaltende Bewegung.) DiePogrome, so betont der Sachverständige wiederholt, waren vonoben befohlen, und unter dem Ministerium Durnowos bestandsogar eine regelrechte Pogromkanzlei, die die Pogroms bis inseinzelne organisierte!? In Riga und Warschau hättenregelrechteFolterkammernbestanden, die mit den unmenschlichsten mittelalterlichen Folter-werkzeugeil versehen waren und in denen Männer und Frauenden grauenhaftesten und abscheulichsten Folterungen unterzogenwurden. Besonders wirkungsvoll war die Mitteilung Wladimirosfs,daß er heute einen Brief aus England erhalten habe. In diesemBriefe werde gesagt, daß die Zarin-Mutter, die gegenwärtig inEngland weile und gewiß starke Nerven habe, zu einer Hofdamesagte:„Wenn auch nur ein Teil von den Folterungen wahr ist,über die aus Riga gemeldet ist, und die dort auf AnordnungDurnowos stattgefunden haben, dann ist für diesen keine Strafehoch genug!" Bezeichnend für die Stinimung im russischen Volkeüber die Tat der Leontieff sei, daß eine große Baueniversammlungbeschlossen habe, den Namen des tapferen Mädchens zu eruieren.Der Name dieses Mädchens sollte in die Kirchentafel eingefügtwerde»!!(Bewegung.)Wladimiroff erklärt weiter, er habe gesehen, wie vor Weih-nachten in den Städten Plakate angeschlagen wurden, die zurTötung aller Revolutionäre ausforderten. Als man Durnowomeldete, daß alle Gefängnisse überfüllt seien, soll er ausgerufenhaben:„Was macht das? Unter der Erde ist ja noch Platz genug!"(Große Bewegung.) Rechtsanwalt Dr. König, Vertreter derFamilie Müller, hält dem Sachverständigen Wladimiroff vor, daßer am 20. März im offiziellen Organ der französischen Sozialisten.in der Pariser„Humanite" geschrieben habe, ihm habe ein Mit-glied des Berner Magistrats mitgeteilt, daß die russische Regierungeinen Richter des aburteilenden Gerichtshofes dahin zu beeinflussenversucht habe, daß das Gericht den Prozeß gegen Tatjana Leontiefsals einen ganz gewöhnlichen Kriminalfall behandeln möchte undnicht als einen Ausfluß der russischen Revolution. Die Ge-schworenen sollten daran gehindert werden, die Verbrechen undSchlächtereien Durnowos zugunsten der Angeklagten in die Wag-schale zu werfen.— Sachverständiger Wladimirofs gibt zu, diesenArtikel geschrieben zu haben, verweigert aber die Aussage darüber,von wem er die betreffende Mitteilung erhalten habe.Von den Aussagen der Leumundszeugen interessiert nur dieBekundung eines ehemaligen Lehrers der Angeklagten. Als dieserihr vorhielt, daß sie durch ihr Verhalten die Position ihres Vatersgefährde, hat Tatjana erwidert:„Was liegt mir daran? Aus dereinen Seite 130 Millionen Russen, auf der anderen mein Vater.Da ist doch die Entscheidung nicht schwer!"Das von den beiden Irrenärzten Direktor Glaser undDr. Good erstattcts Gutachten lehnt einleitend ab, daß die An-geklagte Leontieff den politischen Verrückten zuzurechnen sei.Es dränge sich vielmehr die Frage auf, ob sie trotz der formalenRichtigkeit ihres Denkens bei Begehung der Tat doch nicht in einerkrankhaften Geistesverfassung gehandelt habe. Wie anders als auseinem Irankbaften geistigen Zustande heraus sei es erklärlich, daßdie einzige Tochter eines hervorragenden russischen Beamten sicheiner terroristisch-revolutionären Partei angeschlossen habe.— Seinicht allein der Gedanke, durch Mord und Totschlag einen glück-licheren Zustand in der menschlichen Gesellschaft zu erzielen, dieAusgeburt eines verirrten Gehirns, dem das klare Urteil überdas Handeln abhanden gekommen? Das Handeln der Angeklagtenkönne nur unter Würdigung der bestehenden russischen Verhältnissebeurteilt werden. Nur dann könne man verstehen, wie die russischeJugend zum Kampfe gegen das bisherige System in der Politikgetrieben wurde. Dieses System bedeute Gewaltherrschaft,Bcamtenwillkür und Bestechlichkeit auf der einen, ArmutUnwissenheit und Unfreiheit auf der anderen Seite.Man dürfe politische Fanatiker nicht als Geisteskranke beurteilen,andererseits aber handeln sie unter einer verminderten Willens-tätigkcit. Die Angeklagte vertrete in allen Punkten am kon-sequentesten den Standpunkt des radikalsten Sozialismus. Sieläßt Eltern, Verwandte und Freundschaft zurücktreten, verwirft diebisherigen Anschauungen über Ehe und Religion, kurz, alles stelltsie unter die eine, für sie höchste Pflicht: der Partei, für die siemit all ihrer Begeisterung und Leidenschast kämpft, zu dienen. Diebeiden Aerzte kommen deshalb zu dem Schluß, daß die Angeklagtedie Tat in einem Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit be-gangen hat, daß sie eine durchaus psychopathische Person sei, derenWillensfreiheit vermindert und deren Widerstandskraft gegenäußere, soziale und politische Einflüsse recht schwach war. Trotz-dem aber könne sie sich am 1. September 1900 der Strafbarkeit ihrerHandlung sehr wohl bewußt gewesen sein: darum müsse hier derStrafrichter das letzte und entscheidende Wort sprechen.Der Vertreter der Familie Müller, Rechtsanwalt Dr. König,macht nunmehr die Zivilansprüche seiner Klienten geltend. Erfordert die Geschworene» auf, daß sie im vorliegenden Falle, un-beeinflußt von außen, sich lediglich an die nüchternen Tatsachenhalten, und nur sie zur Grundlage ihres Urteilsspruchs machen. DieVerteidigung habe versucht, hier eine Geschichte der russischen Re-Volution zu entrollen. Das sei jedoch in durchaus einseitiger Weisegeschehen und müsse bei Fällung des Schuldigspruchs außer achtbleiben. Er schließt seine Ausführungen mit der Ausforderung, dieAngeklagte des M o r d e S schuldig zu sprechen.Soziales.Zur Gehaltstiefe der Bureaubeamten bei der LandwirtschaftSkammrr.Die ostpreußischeLandwirtschaftSkammer suchtefür ihren Arbeitsnachweis einen Bureaubeamten zur auShülfsweisenBeschäftigung auf etwa drei Monate. Als sich ein ungefähr 40 Jahrealter verheirateter Bureaugehülse meldete, wurden ihm folgendeBedingungen unterbreitet: Die Beschäftimmg ist vorübergehend.Lohn wird monatlich gezahlt, tägliche Kündigung und proTag 1,50 Mark.Der Bureaubeamte war ohne Stellung und Mittel, nahm aberdie Stelle nicht an, weil er bei einem Lohn von 1.50 M. pro Tagnicht bestehen kann. Für die„höheren" Beamten der Landwirtschaftfürstliche Gehälter, für Bureaubeamte 1,50 M. pro Tag— das verlangt agrarische Mittelstandspolitik.Zur Unfallquetsche.Die Süddeutsche TextilbenifSgenosienschaft ging daran, einen intDienste des Kapitals zum Krüppel gewordenen Arbeiter die Unfall-rente zu ermäßigen bezw. sie ganz einzuziehen. Die Berussgenosseii-'chaft wandte sich deshalb„um gütige Auskunft" an die P o l i z e i-behörde in Kempten. Diese erleilte, wie wir unseremAugsburger Bruderorgan entnehmen, folgende Auskunst:.... DerRentenbezieher hat es nicht so notwendig, Arbeit zu finden.wie andere A»beiter. und er wird eS aus dem Grunde mit derArbeitsaufnahme nicht so eilig haben, weil er einen gut-ituierten Schwiegervater hat."Das Verdienst, die Existenz eines gutsituierten Schwiegervatersals Mittel zur Rentenquetsche an die Hand gegeben zu haben, ge-bührt demnach der Kemptener Polizei. Mit aller Entschiedenheitmuß gegen die Verwendung dieses neuesten Rentenquetsch-apparates Verwahrung eingelegt werden. Dem Gesetz widersprichtdiese Berücksichtigung des Schwiegervaters aufs entschiedenfte. Gegendie Rechte de? armen im Dienste der Arbett zum Krüppel Ge-wordenen marschiert in erster Linie das durch das Gesetzorganisierte Unternehmertum, die Berufsgenossenschast, also die Ge-samtheit der z u r Z a h l u n g Verpflichieten. Wird deren Allmachtgar noch durch polizeiliche Mithülfe unterstützt, so wird somanchem die Richtigkeit der Ansicht einleuchten, daß die Behördenin, letzten Grunde nur als Ausschüsse zur Wahrnehmung derInteressen des Unternehmertums wirken können.Z Monate Gefängnis wegen— zu später Zahlung von 5 Pfennigan den Eisenbahnfiskus.Wegen Rückfallsbetruges ist am 10. November v. I. vom Land-gericht G l c i w i tz der Grubenarbeiter Franz C z e r n i k in Zaborzezu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Am 7. Juni 1906 be-stieg er den Zug Nr. 7 der elektrischen Bahn, um nach Zaborze-Poremba zu fahren, wofür er hätte 15 Pf. zahlen müssen. Er nahmaber nur eine Karte für 19 Pf. bis Zaborze-Post. Hier stieg er nichtaus, sondern fuhr weiter. Der Schaffner bemerkte das nicht. InZaborze-Krcos stieg der Kontrolleur em und entdeckte, daß der An-geklagte nur eine Karte für 10 Pf. hatte. Der Angeklagte be-hauptcte, er habe 15 Pf. bezahlt und weigerte sich, 5 Pf. wachzu-zahlen. Er wurde deshalb aus dem Zuge gesetzt. Das Gericht hat„festgestellt", daß der Angeklagte die Bahn um 5 Pf. gefchäd-igt hatdurch Unterhaltung des Irrtums in dem Schaffner, daß er bisZaborze-Poremba bezahlt htfbe.— Die Revision des Angeklagten, der das Vorliegen eines Betruges bestritt, wurde am Frei-tag von, Reichsgericht verworfen.Häufig haben wir auf das ungeheuerlich hohe und ungerechteM i» d c st st r a f m a ß von 3 Monaten für Rückfall bei Diebstahlund Betrug himveisen müssen. Im vorliegenden Fall tritt hinzu,daß die Konstruktion eines Betruges in solchen Und ähnlichen Fällenvermeintlicher Schädigung des Eisenbahnfiskus auf außerordentlichschwankender Grundlage beruht. Unter anderen hatte sich seinerZeit der berühmte Professor von Jhering gegen diese Konstruktionvon Eisenbahnbetrug, die heute leider herrschende Praxis gewordenist, gewendet._'Bus Induftrie und RandeUWeltausstellung in Berlin.Eine Weltausstellung in Berlin, das ist das Thema, das festeiniger Zeit in den Berliner Blättern behandelt wird. Die HerrenKommerzienrat Goldberger, Professor Paaschs und KommerzienratRavenö haben eine Darlegung veröffentlicht, in welcher sie auf denPlan näher eingehen. Damit das Projekt auch von der höchstenStelle gefördert werde, ist der Vorschlag gemacht worden, das Jahr1913 als Termin anzunehmen, weil in diesem Jahre da» fünfund-zwanzigjährige Regierungsjubiläum des Kaisers stattfindet.Auch industrielle Kreise haben sich mit der Sache bereits befaßt.Der„Verein Berliner Kaufleute und Industrieller"und der.Zentralausschuß Berliner kaufmännischer.gewerblicher und industrieller Vereine" haben inihrer Sitzung vom 25. d. M., an der fast sämtliche der demZentralausschuß angeschlossenen 64 Bereine durch ihre Delegiertenvertreten waren, zu dem Plane einer„Berliner Welt-auSstellung" einstimmig folgende Resolution gefaßt:Der„Verein Berliner Kaufleute und In-dustrieller" und der.Zentralausschuß Berlinerkaufmännischer, gewerblicher und industriellerBereine" begrüßen den Gedanken einer Berliner Welt-auSstellung auf das lebhafteste und find entschlossen, diesen Planmit allen Mitteln zu fördern.Da jedoch die Stimmung der Regierung, der gesetzgebendenund wirtschaftlichen Körperschaften sowie der Vertreter von Handelund Industrie noch nicht in dem Maße geklärt ist, um einer Welt-auSstellung praltisch näher zu treten, so hält eS der Zentral-ausschuß vorerst für notwendig, die Stellungnahme dieserFaktoren durch eine Enquete feststellen zu lassen. Das Präsidiumdes Vereins und des ZentralausschuneS wird beauftragt, dieständige Ausstellungskommission für die deuffche Industrie umtunlichst schleunige Herbeiführung dieser Feststellung zu ersuchen.Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller glaubt umso mehr dazu berufen zu sein, der Idee einer Berliner Welt«auSstellung Ausdruck geben zu dürfen, als er bereits im Jahre 1802die Initiative zu einer Weltausstellung ergriffen hat und an demZustandekommen der Berliner GeWerbeausstellung 1896 wesent-lichen Anteil hatte._Bergab!Am Montag schien an der Berliner Börse neue Hoffnung«f-keimen zu wollen, aber kurz nur war die Freude. Wie eine Bombewirkte die Nachricht, daß der Preis des Kupfers plötzlich um 4 Lftrl.pro Tonne gefallen fei. Die Kurse gingen an der New Jorker Börserapid zurück und auch London erlebte enorme Kursstürze. Die Panikin New Jork war so groß, daß die Banken ausgeliehene Geldereinzogen und die Hergabe von Termingeldern ablehnten. Danebenwird betont, die industrielle Geschäftslage sei glänzend. Umfang-reiche Interventionen der Großbanken sicherten am Dienstag inBerlin und speziell in der Provinz eine gewisse Ruhe, eS wurden ineinzelnen Werten sogar kleine Avancen erzielt. Vielleicht schlägtheute das Wetter wieder um; die schönsten Konjunkturtage scheinenjedenfalls vorüber zu sein._Aus dem Krankenlager. Die KurSsprünge an der Börse findeinigen Beteiligten sehr unangenehm aufgestoßen. Es stellen sichbedenkliche Störungen in ihrem FinonzorganiSmus ein. EinigeSpekulationsmakler sind insolvent geworden, kleine Bankfirmen stellendie Zahlungen ein: weiter verlautet, daß auch eine größere Bank-firma der Stütze bedürfe. Daß den größten Instituten durch dieKursstürze Beschwerden erwachsen, konnte man auf der Generalver-sammlung der Diskontobank vernehmen. Geheimrat Schöler be-merkte, die Bank fei natürlich von den Kursrückgängen nicht verschontgeblieben. Wenn auch ein Rückschlag von 30 bis 40 Proz. mit Rücksicht auf eine gegenwärtige gewisse Stagnation in der Industrieerklärlich erscheine, so sei aber doch kein Grund vorhanden, allesdrunter und drüber gehen zu lassen. Die deutsche Banlwelt seidurchaus solide Wege gegangen und könne auch den Konsequenzeneines Rückschlages mit Ruhe entgegensehen. Er hege daö Vertrauenin die Zukunft, daß die Gesellschaft vor größeren Verlusten bewahrtbleibe. Daß die gegenwärtige Lage zu einer schweren Krisis aus-arten weide, sei nicht anzunehmen. Wenn auch die Gesellschaftgegenwärtig an ihrem Effekteubesitz und an den Anlagewerten größereKurSeinbußen erleide, so fühle sich die Verwaltung doch durchausnicht beunruhigt.— Uns will scheinen, Herr Schöler hat dem Wirt-schastSleben mit seinem Bulletin gerade die Diagnose einer schwerenKrisis gestellt. Bisher ist immer noch bestritten worden, daß dieLage des Jndustriemarftes die Deroute an der Börse rechtferttge.Krisis im Kalisyndikat. Wie verlautet, haben einige Syndikats-werke mit der erforderlichen Stimmenzahl sich dahin verpflichtet,das Syndikat zu küudigen, wenn außer Sollstedt irgend eines deranderen außenstehenden Werke einen Doppelzentner Kali außer-syndikatlich abschließt.Bcruhigungspulvcr. Die Verwaltung der AktiengesellschaftWestfälische Drahtwerke in Langendreer läßt erklären, daß die starkenRückgänge, die die Aknen der Gesellschaft erlitten haben, mit deninneren Verhältnissen des Werkes nichts zu tun hätten. Nach denbisherigen Monaisresultatcn werden für das laufende Jahr 1996,07eine ebenso hohe Dividende wie im Vorjahre— 23 Proz.— zurVerteilung kommen können, wenn nicht der Stahlverdand und derWalzdrahtverdand in die Brüche gingen. Also ein„wenn" ist dochdabei.— Auch die Verwaltung der Eiieniudustrie zu Menden undSchwerte Aktiengesellschaft läßt einen ähnlichen Stimmungsvogel auf-fliegen. Sie will ein noch besseres Ergebnis herausbringen als im