Der Staatsanwalt hat gemeint, die Angeklagte habe die beidenTöchter de? Generals Trepoff auf dem Gewissen, die aus Angst vorder Aufdeckund ihrer Beteiligung an dem Mordanschlag gegen deneigenen Vater Selbstmord begangen hätten. Da ist dem Staats-anwalt eine Verwechselung passiert. Nicht die Angeklagte,sondern eine andere Leontieff hat die Töchter des GeneralsTrepoff in das revolutionäre Lager hinübergezogen.Wenn der Staatsanwalt die Schilderungen des Sachverständigen Wladimiroff für übertrieben hält, so mutz dem-gegenüber doch betont werden, datz Wladimiroff hier nur das ge-sagt hat, was er selbst gesehen oder gehört hat! Auch die An-geklagte Leontieff war Augenzeugin vieler Greueltaten, vor allemjenes Blutbades, das dem Bittgang des Volkes zum Winterpalaisam 22. Januar IÖ05 folgte. An jenem Tage hat sie den russischenMachthabern Todfeindschaft geschworen, und die Tochter einesGeneralgouverneurs ging hinüber in das Lager der Revolution.Auch sie hatte sich zu der Ansicht durchgerungen, datz die Notwehrdas einzige Mittel gegen die Bestialitäten der Regierenden war.Der Rechtsbeistand der Familie Müller hat hier gesprochen,wie es ein Anwalt der russischen Gesandtschaft nicht besser hättetun können.(Heiterkeit.) Im Gegensatz zu ihm hat der Staats-anwalt durchaus loyal die Morschheit des russischen Staatsgevauoesanerkannt und den Minister Durnowo als den Typ eines durchund durch korrupten und grausamen Menschen hingestellt. WjeraSassulitsch, die das gleiche tat, was die Angeklagte tun wollte,ist von Petersburger Geschworenen freigesprochenworden: DaS Volksgewissen siegte über das papierne Gesetz. Solltenfreie Schweizer Geschworene weniger freiheitlich urteilen als dieGeschworenen Wjera Sassulitschs? Was würden die SchweizerBauern, aus deren Reihen diese Geschworenen stammen, wohl anMitteln der Gegenwehr für erlaubt halten, wenn man sie zwangS-weife von ihrem heimatlichen Boden losreitzen wollte, wie man dierussischen Bauern zwangsweise zu Tausenden nach Sibirien über-führt und dort angesiedelt hat? Den schrecklichen Druck, den einDurnowo auch auf den russischen Muschik ausübte, wollte FräuleinLeontieff mildern und erleichtern helfen. lind dafür solltenSchweizer Geschworene, Schweizer Bauern, sie für viele Jahreihres jungen Leben» ins Zuchthaus schicken?— Nein, der Wahrspruch der Geschworenen mutz hier wie einst im Prozesse derWjera Sassulitsch ein Freispruch sein.Niemals hat eine russische Regierung aus freien Stückenund eigenem Willen etwas Gutes für das Volk geschaffen, nie-malS das Volk zu irgend welcher Teilnahme an der Regierung zu»gelassen. Das Schreckensregiment Alexanders III. ist durchNikolaus II, den blutigen Friedenszaren, in den Schattengestellt worden!Der Verteidiger erinnert an das Ausbleiben des Professorsv. Reutzner: Nicht umsonst habe die russische Regierung diesenMann, dessen Aussagen im Königsberger Geheimbunds- undZarenbeieidigungsprozeh die Kulturwelt zuerst auf die Leiden desrussischen Volkes aufmerksam gemacht hätten, durch einen plötzlichen„amtlichen Auftrag" von dieser Gerichtsstelle ferngehalten. SeineWorte würden wiederum die fühlende Menschheit haben schaudernmachen.Die russische Regierung weih gegenüber der Empörung desVolkes, gegenüber den Bauernrevolten, die in kurzen Intervallenimmer wieder aufflackern, nichts weiter zu tun, als das alteRegiment der Strafexpeditionen und Hinrichtungenfortzusetzen. Die politischen Gefangenen werden in der fürchter-lichsten Weife gemartert, und zwar, wie die Enthüllungen aus demRigaer Gefängnis bewiesen haben, mit Wissen und Willen der Regiernag. Die russische Regierung führtein Regiment des Massenmordes»gegen welches das Volk in einem Verzweiflungskampfe steht. WasTatjana Leontieff tat, ist ein Akt der Kriegsführung, ein Akt derNotwehr des Volkes, nicht ein Mord. Sie hat es mir selbsterzählt, wie schwer ihr die Tat geworden ist, wie sie die Zähne zu.sammengebissen hat, als sie den tödlichen Schuh abfeuern sollte. Aberkonnte sie kaltblütig zusehen, wir ihr Volk litt und für die Frei-heit kämpfte? Auch uns als Männern, als Schweizern, können dieLeiden, kann der Freiheitskampf des russischen Volkes unmöglichgleichgültig sein.Der Zivilanwalt Dr. König hat sich darauf berufen, datz einFreund und Gast des Schweizerlandes in Müller erschossen wordensei. Aber dürfen wir der Liebe zur FpeihTu die Interessen derSotelindustrie voranstellen? Niemand wird die Gastlichkeit derchweiz deshalb anzweifeln, weil in ihr gegen einen Durnowo einSchutz fiel. Wie beim Morde PlehweS und SfipjaginS hätte dieWelt aufgeatmet, wenn die rächende Kugel Durnowo erreicht hätte.Kein Schweizer wird ihm eine Träne nachweinen, wenn er unserLand meidet. Möge der sichere Besitz der Freiheit die Schweizer-bürger nicht zu Pharisäern machen gegenüber einem Volke, das nochum feine Freiheit kämpfen mutz:„Nein, eine Grenze hat Thrannenmacht!Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,Wenn unerträglich wird die Last,Greift er getrosten Muts hinauf zum HimmelUnd holt herunter seine ew'gen Rechte,Die droben hangen unveräutzerlich."MS letztes, als äutzerstes Mittel ist dem Manne dasSchwert gegeben— so lassen Sie es aus„Wilhelm Tell" jedenSchweizerknaben schon in der Schule lernen, damit er weih, datzer die Freiheit bis zum äutzersten zu verteidigen hat. Vielemildernde Umstände stehen der Angeklagten zur Seite. Sie hatkeinen Mord verübt, sondern höchstens einen Totschlag: DerJammer ihres Volkes hat ihren Geist verwirrt und ihre Zu-rechnungsfähigkeit gemindert. Aber wenn ich Geschworener Ware,weitz Gott, ich spräche sie frei.(Laute Bravorufe im Zuhörerraum,die der Präsident als ungehörig rügt.)Da eS inzwischen bereits später Abend geworden ist und derVertreter der Anklage eine längere Replik ankündigt, konnte dieVerhandlung heute noch nicht zu Ende geführt, sondern mutzte sienochmals vertagt werden._Soziales.Haftung de» Eisend ahnfiskus für durch eine Schlägerei tu eine«EisenbahncoupS verursachte Unfälle.Beim Reichsversicherungsamt nimmt leider in wachsendem Matzedie mit dem Wortlaut, der Absicht und der Entstehungsgeschichte deSUnfallgesetzes unvereinbare, dem Drängen der Berufsgenossenschaftenaber entsprechende Tendenz zu, solche Unfälle als auherhalb deSBannS des Betriebes zu erachten und in diesen Fällen die Unfall-rente zu versagen, in denen Arbeiter infolge von Neckereien oderRaufereien im Betriebe verunglücken. Das Reichsgericht ver-trat schon während der vollen Geltung des Haftpflicht-aesetzeS allen Unfällen und vertritt auch heute noch denEisenbahnunfällen gegenüber die entgegengesetzte, dem Gesetzentsprechende soziale Auslegung deS Geseye«, wiewohl auchhier der Eisenbahnfiskus das Recht in entgegengesetzte Bahnenzu leiten versucht. Aus der Praxis des Reichsgerichts heben wirnachstehenden dieser Tage entschiedenen Fall hervor:Der Maschinist S. aus Essen reiste am 6. September Ivvgper Eisenbahn m emem Wagen IV. Klasse von Wanne nach Bruch.Bei und infolge einer Schlägerei, welche sich unter Mitreisendenerhoben hatte, geriet S. aus die Plattform des Wagen» und kamwährend der Fahrt vom Wagen herunter, wodurch er sich einenKniescheibenbruch zugezogen hat. Er klagte infolgedessen gegen denEisenbahnfiSkuS auf Grund deS HaftpsiichtgesetzeS auf Zahlung einerjährlichen Rente von 2100 M. unter Zugrundelegung völliger Er-werbsunfähigkeit. Der beklagte Fiskus machte eigenes Ver-schulden des Kläg-x'—'tend, weil dieser ohne zwingende Notdie Plattform deS Wagens betreten hat, während verschiedene andereFahrgäste ohne Gefahr in, Wagen geblieben sind.Das Landgericht Essen erNärte den Anspruch des Klägers demGrunde nach für gerechtfertigt. Gegen dieses Urteil legte derBKlagte Bsrufung em, und der Kläger ermätzigte feinen Anspruchin der Verhandlung vor dem OverlanbeSgericht Hamm ummonatlich 60 M. vom 1. November 1904 ab, von welcher Zeit an er diesenBetrag als Portier verdiene. DaS Oberlandesgericht sahden FiskuS ebenfalls als haftpflichtig für den be�sagten Unfall an, verurteilte den EisenbahnfiSkuS jedoch auGrund eines Sachverständigen-Gutachtens nur dahin, daß der Beklagte bis zum 1. April 1904 für eine Verminderung der Erwerbs�fähigkeit des Klägers um 100 Proz., von da ab bis zum 13. Dezember190S für eine solche von SO Proz. und dann für ein weiteres Jabrfür eine solche von 26 Proz. aufzukommen und dem Kläger auchnoch allen weiteren Schaden nach dem 13. Dezember 1906 zu ersetzenhabe.Die vom Reichsgericht gebilligten EntfcheidungSgründe des Ob erl a n d e S g eri ch tS zumUnfallereignis selbst sprechen folgendes auS: Beider dem Kläger durch das Heruntergeraten von der Plattform zwgestotzenen Verletzung handelt es sich um einen B e t r i e b s>Unfall, indem Kläger bei der Schnelligkeit deS sich bewegendenZuges nicht habe unbeschädigt von der Plattform auf den Bahn«danim gelangen können, somit bei und durch die Fahrtätigkeit derEisenbahn verunglückt sei. Ein Verschulden trifft ihn nicht.Was nun die Frage der höheren Gewalt, die der Fiskusaufgeworfen hatte, anlange, wenn eS als festgestellt zu gelten habe,datz Kläger durch Dritte gewaltsam von der Plattform gedrängtworden sei, so wird ausgeführt, datz hierbei die eigenartigen Verhältniffe des rheinisch-wesifälischen Jndustriebezirks mit in Berücksichtigung gezogen werden mühten, insbesondere, datz diedicht gedrängte Arbeiterbevölkerung vielfach und namentlichan arbeitsfreien Tagen, an welchen sie die vorhandenenTransporteinrichtungen in Massen zu benutzen pflegt, zu Exzessenneige.(Der Unfalltag war ein Sonntag). ES sei zur Verhütungsolcher Vorkommnisse zunächst möglich und ohne erhebliche Kostendurchführbar, datz auf jeder Seite der Eisenbahnabteile ein die Notbremse in Tätigkeit setzende.Griff angebracht werde. Ferner sei es möglich, datz die Plattformder Wagen ebenso wie bei den Kleinbahnen auf den nach dem Eisenbahndamm sllhrenoen Seiten mit Türen oder anderen SicherungSVorrichtungen versehen werde. Endlich könnte durch kontrollierendeEisenbahnbeamte für Aufrechterhaltung der Ordnung in denWagen gesorgt werden.Gegen diese? Urteil hatte der EisenbahnfiSkuS Revisioneingelegt und um Abweisung der Klage gebeten. Auch der Klägerhatte Anschluhrevision eingelegt, mit dem Antrage, dem Klage-anspruch mit der von ihm vorgeschriebenen einschränkendenErmähigung deS monatlichen Abzuges von 60 M. stattzugeben. Der sechste Zivilsenat des Reichs-gerichtS erkannte auf Z u rü ck w e i su n g der Revisiondes Beklagten und gab der Anschlutzrevission des Klägersstatt, indem er annimmt, datz der dem Kläger entstandene Schaden>h" bis zum 13. Dezember 1906 zu einer anderen Beschäftigungzwingt, und das infolgedessen für diese Zeit nur der in dieseranderen Beschäftigung erzielte Gewinn in Abrechnung gebrachtwerden könne.ES wäre zu wünschen, datz das Reichsversscherungsamt mehr dieRechtsprechung des Reichsgerichts als die Rechtsdeduktionen derBerufßgenossenschansvertreter in Zukunft befolgt, zumal ja leiderden nach dem Unfallgesey zu entschädigenden Arbeitern weitweniger als i/g dessen als Entschädigung zugesprochen wird, alsim Eisenbahnbetriebe verletzte Passagiere zu beanspruchen haben.Versammlungen.Der sozialdemokratische Wahlverein für den zweiten BerlinerReichstagswahlkreis hielt am Dienstag abermals eine General-Versammlung ab. Gemätz dem Beschlüsse der vorigen Versamm-lung steht als erster Punkt auf der Tagesordnung: Einleitung desAuSschlutzverfahrens gegen den Genossen Möhring. Möhring,der seit mehreren Dezennien Parteimitglied ist, also zu den ältestenGenossen gehört, war jahrelang Vorsitzender deS alten Senefelder-bundes und wurde anlätzlich der Verschmelzung desselben mit demVerband« der Steindrucker. Lithographen usw. Mitglied der söge-nannten Rechtsschutzvereinigung, deren Vorsitzender in Berlin erwurde. Diese Vereinigung stand hinter den 31 Frankfurter Mit-gliedern des Bundes, die gegen den Bund in seiner neuen Formjenen Prozeß führten, durch dessen Entscheidung das neue Statutdes Senefelderbundcs(Verband der Steindrucker, Lithographen)für nicht gültig erachtet und unter anderem ausgesprochen wurde.daß aus der vertragsmäßigen Natur einer„Gesellschaft" und ihrerSatzungen folge, daß Mitglieder, die in einem Verein zu einem be-stimmten, vertragsmäßig fest gesetzten Zweck verbundenseien, nicht durch Mehrheitsbeschluß verpflichtet werdenkönnten zu anderen Beiträgen. Voraussetzung dafür ist nachMeinung des Reichsgerichts die Zustimmung aller Mitglieder. InBetracht kam hier, daß der alte Senefelderbund nur eine Unter-stützungsvereinigung mit verschiedenen Kassen war, während er inseiner neuen Form nach der Verschmelzung zugleich eine moderneGewerkschaft darstellte, die die Unterstützungseinrichtungen mitübernommen hatte. Der Prozeß war geführt worden im Interesseder Mtglieder deS alten Bundes, die sich die Unterstützungenweiter sichern, nicht aber für die gewerkschaftlichenwecke, sondern eben nur für Unterstützungszwecke steuern wollten.„nr Durchführung jenes Urteils beantragten die Einunddreißigeine richterliche Verfügung, die gerade zur Zeit derAussperrung der Steindrucker und Lithographen herauskam undan sich auch die Gewerkschaftskasse festlegte.— AuSdiesen ganz turz skizzierten Vorgängen heraus resultiert nun derAntrag aus Einleitung des Ausschlußvcrfahrens gegen Möhring.den Genosse Haß vom Senefelderbund(Verband der Steindrucker,Lithographen usw.) noch einmal«ingehend begründete. Die An-klage läßt sich kurz so zusammenfassen: Möhring habe Unrechtgetan, indem er an dem geheimen Wirken und dem Kampfe derRechtsschutzvereinigung gegen die neue einheitliche Gewerkschaft.die die Berufsinteressen vertreten sollte, sich hervorragend beteiligthabe.(Die vorhandenen Akten würden dem Schiedsgericht unter.breitet werden.) In jeder Weise habe M. in der Rechtsschutz-Vereinigung gegen die gewerkschaftlichen Interessen der gesamtenBerufsbollegen gearbeitet. Die schlimmste Tat der Rechtsschutz-Vereinigung sei gewesen die Einholung der richterlichen Verfügungzu einer Zeit, als die Arbeitgeberschaft zu einem gewaltigenSchlage gegen die Organisation ausholte. Die Arbeitgeber hättendavon gewußt. Möhring aber habe sein Meisterstück gemacht, indemer Flugblätter der Rechtsschutzvereinigung(mit seinem Namens-stempel) an die Kollegen in den Betrieben verschickt habe, worinausgesprochen wäre, daß nach dem Erlaß der Verfugung keinMitglied den Ausschluß aus den Unterstützungskassen zu befürchtenhabe, wenn eS nur seinen Verpflichtungen gegenüber diesenKassen gerecht werde und sonst nach eigenem Ermessen handele.Die Folge dieses Flugblattes fei gewesen, daß am dritten Pfingst-feiertage in Berlin 83 Streikbrecher stehen blieben, und zwarLeute, die in den Betrieben erste Stellungen einnahmen, für siealso von besonderer Bedeutung gewesen seien, und dennoch vorhersich bereit erklärt hätten, mit herauszugehen beim Eintritt derAussperrung. Besonders jenem Flugblatt und der Verfügungmesse die Organisation die Schuld daran bei, daß der Kampf überzehn Wochen sich hinzog und nicht den von den Kollegen erwünschtenErfolg hatte. Wmn am Vorabend einer solchen Aussperrung einölches Pamphlet(das Flugblatt) verschickt werde, so bedeute dasnicht mehr und nicht weniger als eine Aufforderung zum Streik-bruch, also eine ehrlose Handlung, die den Ausschluß aus der Parteirechtfertige.M ö h r i n g ging in seiner ebenfalls sehr langen VerteidigungS-rede— beide Reden, die der Anklage und der Verteidigung, um-äßken zusammen drei Stunden— ausführlich auf die Ent-lehungsgeschichte der Verschmelzung, der Rechtsschutzvereinigungund ihres Handelns ein. Er sieht die Sache, auf die es schließlichankonunt, ganz anders an. als der Vorredner, nämlich als dieAbwehr einer Minorität gegen eine VergeNattigimg, crfi eftWIKampf ums Recht, dem er sich um der Gerechtigkeit willen an-geschlossen habe. DieS nachzuweisen, darauf liefen seine Aus-führungen hinaus, wobei er auch auf eine Anzahl Einzelheiteneinging, die Jahre vor der Verschmelzung liegen. Er betonte, daßer die Notwendigkeit der Verschmelzung offen ausgesprochen habe,als die Frage reif gewesen sei, aber mit dem einen Vorbehalt,daß die erworbenen Rechte der alten Mitglieder deS Senefelder-buirdes, die zu einem Teil eine recht indifferente Masse gewesenseien, geachtet würden, daß man sie nicht vergewaltige, daß manihnen nicht sage: entweder ihr zahlt den ganzen Beitrag ernschließ-lich Gewerkschaftskasse, oder ihr werdet rausgeschmissen und gehteurer, durch vieljährige Beiträge errungenen Unterstützungs-ansprüche verlustig. Man müsse beachten, daß viele im Laufe derJahre 600 bis 1000 M. eingezahlt hätten, daß insbesondere Rechtean die Jnvalidenkasse erworben waren auf 365 M. Rente im Jahr,was einen Kapitalwert von 10 000 M. repräsentiere. Wer auS»geschlossen würde, verliere damit nicht bloß die gezahlten Beiträge,sondern auch den Wert eines Kapitals von 10 000 M. Das seiaber zu befürchten gewesen, nachdem die Radikaleren durchgesetzthätten, daß die Verschmelzung in der radikalsten Form vor stchging. Allerdings fei eine Gegenwehr eingetreten: die Bildung desRechtsschutzvereins und die Einreichung der Klage der Einund-dreißig schon am Vorabend der Generalversammlung. Rednerverliest seine damalige Austrittserklärung, aus der hervorgeht, daßer die Entwickelung der Dinge als einen Rechtsbruch gegenüber derMinorität ansah, dem auch er sich widersetzen müsse. Bei Be»Handlung des Prozesses, den er lediglich als Mittel zur Sicherungvon Ansprüchen alter Mitglieder betrachtet, führte Redner zurRechtfertigung der Einholung der richterlichen Verfügung durchAntrag vom 12. Mai an, datz sich der Verband(Bund) nicht nachden Entscheidungen gerichtet habe. Die Verfügung sei zu ihrerDurchführung nötig gewesen. Das Gericht wäre über den Antrag,wie die Kläger sich ihn dachten, hinausgegangen, indem es auchdie Gewerkschaftskasse festgelegt hübe. In Betracht gekommen seiauch ein juristischer Haken. Kurz und gut: schonamVerhand-l u n g s t a g e. dem I. Juni, sei dem Vertreter der Organisatto-nsofort erklärt worden, die Gewerkschaftskasse werdenatürlich freigegeben. Am 2. Juni sei es brieflich geschehenund spätestens am 9. Juni habe der Vorstand des Senefvlderbundesdie notariell ausgefertigte Freigabe in Händen ge-habt. Daraus ginge hervor, daß sich die Kläger sehr wohl derSolidarität bewußt gewesen seien und es sich nur um die Sicherungder Rechte alter Mitglieder gehandelt habe. Redner führte nochErklärungen und Gegenerklärungen an, die in der fraglichen Zeitim„Vorwärts" erschienen, richtete verschiedene Vorwürfe gegen denVorstand der Organisation und kommt auf ein den Mitgliedernzugegangenes Zirlular der Rechtsschutzvereinigung zu sprechen, vondem er annahm, es sei das von Haß ganz besonders scharf an-gegriffene. Als er es verliest, ruft Haß dazwischen: DaS, stnicht das richtige. Möhring: Dann besorgen Sie daS richtlgel— Möhring schließt: Ich hatte die Devise: nicht gegen dieVerschmelzung, wohl aber gegen Gewaltakteund Rechtsbruch. Er bestritt, Ursache deS StrcikbruchS vi»83 Kollegen gewesen zu sein.Auf einen Antrag aus der Versammlung, der damit begründetwird, daß die Versammlung unmöglich das vorgebrachte, außer.ordentlich weitschichtige Material sichten könne. dieS aber einemSchiedsgericht möglich sei, wird von einer Diskussion Abstandgenommen und die Einleitung deS schiedsgerichtlichen Verfahrenslegen etwa 6 Stimmen bei einer Anzahl Stimmenthaltung be-chlossen.— Nach einigen persönlichen Erklärungen d«S GenossenHaß. die der Zurückweisung der erwähnten Angriffe gegen dieOrganisation dienten, ging die Versammlung über zum nächstenPunkt der Tagesordnung:„.Anträge zur Generalversammlung von Groß-� e r l i n. Es lagen nur die Anträge auf Verbilligung deS„Vor-wärts" vor. Nach lebhafter Debatte darüber wurde mit knapperMehrheit beschlossen:„»,.-„In Erwägung, daß der„Vorwärts, unser größte» undwirksamstes AgitaiionS- und Aufklärungsorgan, in zeder Prole-tarierfamilie gelesen werden müßte, dies aber deS Preise» weg«,nickst geschieht, beantragt die Generalversammlung deo Wahl-Vereins für den zweiten Berliner Reichstagswahlkreis. daß bal,digst eine Verbilligung des„Vorwärts" oder eine Form der Be»zahlung geschaffen werde, welche es einem jeden Arbeiter er»leichtert, den„Vorwärts" zu abonnieren. Das Wie überläßt dmVersammlung den beteiligten Personen und Körperschaften.—>Der Antrag ist der Generalversammlung der sc�ialdemolran»scheu Wahlvereine von Groß-Berlin zu unterbreiten."Es folgten die Wahlen der Delegierten zur Generalversam«,lung von Groß-Berlin.Bereinigung der Maler. Die Filiale Berlin hielt am DvnttetS«tag eine Generalversammlung in BuggenhagenS Saal ab. DerVorsitzende Mietz erstattete den Geschäftsbericht für da» Jahr1906. Das bedeutendste Ereignis des JahreS war der im Früh-jähr geführte Streik, der am 12. April mit einer Einigung endete.Ein neuer Tarif wurde abgeschlossen, der einen Stundenlohn von65 Pf. für Maler und 60 Pf. für Anstreicher festsetzt. Anfangsgab es einige Differenzen wegen Umgehung des TarifeS, die abereine baldige Erledigung zugunsten der Arbeiter fanden. DieTarifübcrwachungskommisston hatte bis zum Schluß des Jahres56 Beschwerden zu erledigen.— Eine im Frühjahr vor dem Streikvorgenommene Baukontrolle erstreckte sich aus 551 Arbeitsstellen mit3939 Beschäftigten, von denen 2965 organisiert waren. Auf 528Arbeitsstellen wurde nur in Lohn, auf 163 auch in Akkord ge»arbeitet. Eine im Herbst vorgenommene Baukontrolle erstreckte sichauf 582 Arbeitsstellen mit 3700 Beschäftigten, von denen 3052organisiert waren. Auf 503 Arbeitsstellen wurde nur in Lohn, auf82 auch in Akkord gearbeitet. Der keineswegs einwandSfreie Zu-tand, daß Material im Umkleideraum lagert, wurde in 67 Fällenestgestellt. Waschvorrichtungen fehlten in 38 Fällen gänzlich.—Zm Jahre haben 17 Versammlungen und 200 Werkstailsitzung«,tattgefunden.— Die Benutzung deS Arbeitsnachweise» ist gegendaS Jahr 1905 zurückgegangen. DaS ist darauf zurückzuführen.daß das Arbeitsuchen unter der Hand eine große Rolle spielt undder Arbeitsnachweis hauptsächlich nur in der Hochsaison lebhafterbenutzt wird.— Die Mitgliederzahl hat ein bedeutendes Wachstumerfahren. Von 8000 Arbeitern, die am Streik beteiligt waren.ind 7229 in der Organisation verblieben, so datz dieselbe etwa90 Proz. der Berufsangehörigen umfaßt. Die Stabilität de« Mit-gliederbestandeS wird in erster Linie auf die am 1. Februar 1906eingeführte HauSkassierung zurückgeführt.— Der Kassenberichtzeigt eine Einnahme von 270 721 M., eine Ausgabe von 229 252 M..einen Bestand von 41 468 M. Ausgegeben wurde für Streiks96 808 M.. Krankcnunterstützung 8792 M.. Reiseunterstützung 264Mark, Gemaßregeltenunterstützung 76 M., Rechtsschutz 688 M.,Sterbegeld 1050 M.«In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wie e» mitder Durchführung der BundeSratSverordnung über die Verarbeitungbleihaltiger Farben steht. Der Vorsitzende beantwortete die Fragedahin, die Vorschriften der Verordnung würden, wie die Bau-kontrollen ergaben, tn vielen Fällen sehr mangelhaft oder gar nichtbeachtet werden. In 158 Fällen waren Bürsten und Handtücher.die zur Reinigung der Hände vorgeschrieben sind, nicht vorhanden.Die Organisationsleitung wendet der Durchführung der Arbeiter-chutzvorschriften ihre lebhafte Aufmerksamkeit zu. Leider mußaber festgestellt werden, daß die Arbeiter selbst oft nicht daS er-orderliche Interesse an der Durchführung der Schutzvorschriftenlekunden. Auch die Polizei, wenn sie auf Verstöße aufmerksamgemacht wird, folgt oft nur widerwillig dem an sie gestellten Er-iichen. So sagte ein Wachtmeister zu einem OrganisationS-Vertreter, der thn zum Einschreiten gegen eine Nichtbeachtung derSchutzvorschristen ersuchte:„Ach, das kennen wir schon: Siearbeiten wohl nicht.Nachdem die Diskussion über den Bericht beendet war, er-olgten die Vorstandswahlen. Als Vorsitzender wurde Mietzwiedergewählt. Die Beisitzerwahlen ergaben kein enogulttzeS