Einzelbild herunterladen
 
  

8«« Volnrschtn Schulstreik. Wie dieMünchemer Allgemeine Leitung" meldet, sind die Gesuche mehrerer der im Zusammenhang mit dem polnischen Schulstreik von preußischen Gymnasien per- wiesenen Schüler um Aufnahme in bayerischen Gymnasien von den zustandigen Stellen abschlägig beschicden worden. Fürther Freisinn. Vom Schöffengericht zu Fürth wurde ein Echveinermeister Köhler wegen Hausfriedensbruchs und groben Un- fugS mit 25 und 5 M. Geldstrafe belegt. Er hatte am Abend des Hauptwahltages eine Versammlung der Freisinnigen besucht, in der das Wahlresultät verkündet wurde. Die Freisinnigen hatten durch Inserate und Plakate Gegnern den Zutritt verboten. Köhler hat stch geärgert, als er einen freisinnigen Agitator in seiner Rede sagen hörte, Fürth sei die Schand e erspart, daß Segitz, der wüste Klassenvertreter, in den Reichstag ziehe. Darob ließ Köhler sich zu Zwischenrufen hinreißen. Darauf, erklärte er vor Gericht, habe er hinausgehen wollen, als man ihm dabeiRaus! raus!" zugerufen, habe er erwidert:Ihr Fleischverteuerer! Ihr Brotwucherer!" Die Anzeigen und Plakate habe er nicht gelesen. Der Vorstand der freisinnigen Partei hatte sich nicht gescheut, den Mann dem Gericht zu denunzieren, und obgleich ein Schutzmann, der die Versammlung überwachte, als Zeuge meinte,die Leute, die in nächster Nähe Köhlers saßen, hätten sich über sein Benehmen gar nicht geärgert; es sei wie beim Salvator gewesen", erfolgte die Verurteilung. Der Freisinn hat also seinen von ihm erwünschten Triumph, zugleich auch eine gerichtliche Bestätigung seines entschiedenen Libe- raIi5«Mt Husland. Frankreich . Caillaux ' Wirtschaftspolitik. Am 24, März hielt der Finanzminister Caillaux in Lyon eine bemerkenswerte Rede, in der er die leitenden Gedanken seiner Mrtschaftspolitik darlegte. Er sagte u. a.: Das fast ausschließliche Uebergewicht der indirekten Steuern bedeute eine große Gefahr; diese Abgaben ständen im umgekehrten Verhältnis zu dem Reichtum. Man müsse daher stufenweise die indirekten Steuern verminder« und die direkten Steuern befestigen. Man müsse sie der Familie jedes Bürgers entsprechend berechnen, und ihnen den Charakter von Progressiv steuern geben. Er wünsche einen Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten eines liberaleren Wirtschafts- regimes, als das gegenwärtige sei. Der Minister sprach dann die Hoffnung aus, daß die Völker wegen der Ausschreitungen der T r u st s und Kar- teile, die sich fortddauernd zum Schaden der Konsumenten der- mehrten, auf wirtschaftlichen Nationalismus verzichten werden, um die Zollpolitik vermittels internationaler Abkommen herabzusetzen, gleich dem, das in Brüssel betreffend die Abgaben auf Zucker ge- troffen worden sei. Er besprach darauf die Lage jeder einzelnen Kategorie von Steuerpflichtigen und fuhr fort:Dem Privilegium von Besitzern von französischen oder ausländischen Staatsfonds: keine Einkommensteuer zu bezahlen muß ein Ende gemacht werden! Nicht nur Preußen und die übrigen deutschen Staaten, sondern alle großen Völker Europas wandeln feit dreißig Jahren ihr Steuersystem im Sinne der Einkommensteuer um. Der Ein- kommensteuerentwurf der Regierung ahmt die Systeme des Aus- landes nicht sklavisch nach, sondern trägt den französischen Ueber- lieferungen und Gesinnungen Rechnung." Caillaux erklärt weiter, er sei bereit, Einzelheiten des Eni- Wurfs gemeinsam mit der Kammer einer Revision zu unterziehen. Die Einkommensteuer werde die Armen entlasten und die Reichen treffen, sie sei also eine gerechte upd logische Reform. Er verteidigte sich schließlich gegen den Vorwurf, daß er dem Kollektivismus in die Hände arbeite,' und forderte das Bürgertum auf, in seinem eigenen Interesse einige Opfer zu bringen; es müsse gute Politik getrieben werden, die Zeit sei gekommen, wo die notwendigen Umwandlungen durchgeführt werden müßten. Italic«. Eine Diätenvorlage. Die chronische Leere des italienischen Parlaments hat den Abgeordneten Chimienti bestimmt, einen Gesetzentwurf ein- zureichen, der den Deputierten Taggelder sichern soll. J�ür jede Sitzung, der die Abgeordneten beiwohnen, sollen sie 30 Lire erhalten. Dafür soll die Arbeit in den Kommisstonen, für die heute Präsenzgelder bezahlt werden. künftig un- entgeltlich sein. Ein Deputierter, der vom Staate angestellt ist, kann zwischen seinem Gehalt und den Diäten wählen. Allmonatlich gelangen die Taggddcr zur Auszahlung; gleich­zeitig soll eine Liste, die die Teilnahme der einzelnen Depu- tierten an den Sitzungen vermerkt, zur Verlesung gelangen. Das Projekt wird nach den Ferien zur Diskussion ge- langen. Dänemark . Die Koinmunalwahlen in Kopenhagen , die am Dienstag stattfanden, haben wie im vorigen Jahre wieder zum Siege der sozialdemokratisch-radikalen Kandidatenliste geführt. Die Antisozialisten hatten diesmal überhaupt keine Kandidaten auf- gestellt, also von vornherein eingesehen, daß sie für eine ver- lorene Sache kämpfen würden. Die Gemeindevertretung Kopenhagens besteht nun aus 18 Sozialdemokraten, 13 Radikalen und 11 Antisozialisten. Falls nicht das Proportionalsystem für die Kommunalwahlen eingeführt wird, kann man darauf rechnen, daß die Anti- sozialisten in absehbarer Zeit ganz und gar aus der Gemeinde- Vertretung der Hauptstadt verschwinden. Gleichwohl haben unsere Genossen nichts gegen die Einführung des Proportional- systems einzuwenden, sie verlangen jedoch, daß dann das Wahlrecht auch allgemein gemacht werde und nicht mehr an ein Steuereinkommen von mindestens 1000 Kronen ge- bupden sei. Durch den günstigen Ausfall der diesjährigen Wahl ist, unter anderen wichtigen Reformen, auch die Uebcrnahme der Straßenbahnen durch die Stadt, die im August 1903 erfolgen kau«, gesichert. Finnland . Die Wahlen. In Nylandslän(Hclsingsorser Bezirk) sind die Endresultate bereits bekannt: 8 Sozialdemokraten sind hier gewählt worden, darunter Genosse Walpas und beide Perttiläs> sowie die Genossinnen Müna Sillanpaa und Maria L aine. In Tammsforer wurden die Genossen Dr. af Ursin und?> n j ö S i r o l a gewählt. Wenn die noch fehlenden Stimmen in demselben Der- hältnis abgegeben sind, so wird die Sozialdemokratie von den 200 Sitzen 3035 Plätze einnehmen. Die bürgerlichen Parteien sind in ihren Hoffmmgen schmählich enttäuscht. Sie hatten jede für sich auf.mehr als 100 Plätze gerechnet, nun müssen sie sich mit 3040 begnügen. Amerika . Zur AnswandcruiiySfragr. In New Dork und in anderen Groß- skädten im Osten der Union ist in letzter Zeit die Einwanderung von russischen Juden der Gegenstand lebhafter Erörterung in den Kreisen der wohlhabenden Juden gcivesen. Gewisse Viertel in den Städten, besonders in New Dork, leiden an Ucbersüllung, und die Einwaitdercr kommen auch wirtschaftlich in große Bedrängnis. Im Jahre Ivvö kamen 98 000 und im Jahre 1903 kamen 154 000 russische Juden nach Amerika ; von diesen blieben 70 Prozent in den großen Städten im Osten. Nun ist eine Bewegung im Gange, diese Einwanderer nach dem W e st e n, hauptsächlich aber nach dem Süden zu locken, denn die Südstaaten verlangen dringend nach Einwanderern. Wenn die a r m e n Einwanderer aber nach den Süd- staaten gehen, kommen sie vom Regen in die Traufe; denn die Ber- Hältnisse liegen im allgemeinen dort noch viel ungünstiger alsimNorden: Die Arbeiter werden schlecht bezahlt und schlecht behandelt. Am 1. Juli treten die neuen Bestimmungen über die Einwände- nmg in Kraft. Nach diesen ist Japanern, die ohne Pässe kommen, die Landung nicht mehr gestattet. Die Kopfsteuer für alle Einwanderer wird von zwei auf vier Dollar erhöht. Im übrigen sind die alten Bestimmungen verschärft. Für natural!- sierte Amerikaner, die sich im Auslande befinden, ist eS von Interesse, zu wissen, daß der Kongreß zugleich ein Gesetz angenommen hat, nach welchem jene als Ausländer angesehen werden können, wenn sie dauernd ihren Wohnsitz in dem Staate-ihrer Herkunft ans- schlagen oder sich nach fünfjährigem Aufenthalt im Auslände nicht bei einem amerikanischen Konsul registrieren lassen. ** San Francisko, 28. März.(33. H.) Die amerikanische Ein- wanderungsbchörde hat aus Washington die Anweisung erhalten, das Einwanderungsgesetz auf die Japaner vorläufig nicht an- zuwenden._ Marokko . Durch den Beschluß, zum Protest gegen die Ermordung des Dr. Mauchamp die an der Grenze Algiers gelegene Stadt Udscha zu besetze», hat die französische Regierung die leidige Marokkofrage, die eine Zeitlang lyenigstens aus dem Vorder- g r u n d e der öffentlichen Erörterung zurückgetreten war, wieder zum Thema weltpolitischer Diskussionen gemacht. Die Erinnerung an die Konflikte der letzten Jahre wird wach, jene Konflikte, die sich so zuspitzten, daß ja nicht viel ge- fehlt hätte und deutsche Söhne wären zum Kampfe gegen französische marschiert I Die Erinnerung an das französische Gelbbuch wird aufgefrischt, und uns fällt tvieder ein, wie Deutschlands Diplomatie im vorigen Jahre nicht gerade gut abschnitt, als ihr nach- gewiesen wurde, daß sie eine Politik treibt, die sich an Winkelzügen und gefährlichen Experimenten aller Art kaum genugzutun weiß. Daß auch Frankreichs hohe" Politiker nicht immer ein- wandsfrei openert hatten, war damals durchaus nicht ver- schwiegen worden, und doch kann man den Männern nicht unrecht geben, die vor drei Tagen in der französischen Kammer wieder darauf zu sprechen kamen, daß Deutschlands Re- gierung ein gerüttelt Maß Schuld daran tragen, daß die Situation in Marokko nicht langst in befriedigender Weise gelöst ist. Tie Quertreibereien der Diplomaten haben ja auf jeden Fall die Möglichkeit unterbunden, diejenigen Re- formen in Marokko zu schaffen, die diesem Lande hätten dienlich sein können und keiner der beteiligten europäischen Mächte zu schaden brauchten. Nicht seit heute und gestern geschieht französischen Staatsangehörigen in Marokko Unbill. Die Regierung Frank- reichs hat in den letzten sechs Jahren, in denen sich Attentate auf Franzosen häuften, oft genug Gnade vor Recht ergehen lassen: sie ist den Marokkanern nicht sonderlich scharf zu Leibe gegangen. Seit der Marokko -Konferenz hat sich die Konstellation für Frankreich ganz außerordentlich verbessert, und wenn es jetzt schärfere Töne anschlägt, so ist dabei sicher- lich der Glaube an seine stark gefestigte Position im Konzert der Weltmächte mit im Spiele. Um so mehr Grund haben alle beteiligten Faktoresi, kaltes Blut zu bewahren und sich nicht etwa in eine Aufregung hineinzureden, die den Völkern Europas zum Unheil ausschlagen könnte. In der französischen Kammer hat Pichon der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß in Marokko bald friedliche Be- Ziehungen zwischen den verschiedenen europäischen Staats- angehörigen geschaffen werden möchten, und derGemäßigte" Ribot drückte dem Beschlüsse der Kammer, durch den der Re- gierung das übliche Vertrauensvotum ausgesprochen wurde, den Stempel einer friedlichen Kundgebung auf durch die ausdrückliche Verwahrung gegen eine Eroberutlgs- Politik in Marokko . Deutsche Ueberchauvinisten stehen schon wieder auf der Lauer; ihnen wäre es am liebsten, wenn um Marokkos willen ein neuer Brand aufloderte. Wäre der Reichstag nicht gerade in Ferien, so müßte die Regierung den Volksvertretern Auskunft geben über ihre Stellung in der neuerlichen Phase der marokkanischen Ereignisse; sie vergäbe sich nichts, wenn sie in einem ihrer offiziösen Organe, die sonst um die nichtigsten Dinge von der Wilhelmstraße aus bemüht werden, die Erklärung abgäbe, daß sie diejenige auswärtige Politik zu treiben gedenkt, die das deutsche Volk von ihr ver- langt: die Politik der� Friedlichkeit, der Besonnenheit. Wir lassen die wichtigsten Telegramme folgen: Paris , 28. März.(W.?. B.) Im heutigen Ministerrat teilte der Minister des Aeußern, Pichon, mit, daß keine ausländische Re- gierung bei der Bekanntgabe des Entschlusses FrankreickM. Udschda zu besetzen, irgend einen Einwand erhoben habe. Pichon verlas' sodann ein Schreiben, das er durch Reguault dem marokkanischen' Minister des Aeußern hat zustellen lassen und das die Beschwerden Frankreichs gegen die marokkanische Regierung und die Genug- tuung, die Frankreich beansprucht, zusammenfaßt. Madrid , 28. März.(W. T. B.) Der Minister des Aeußern hat an die Presse eine Mitteilung ergehen lassen, welche besagt, es sei sehr erklärlich, daß die französische Regierung bestrebt sei, den Attentaten gegen ihre Staatsangehörigen in Marokko ein Ende zu bereiten. An Mohammed el Torres sei die Aufforderung er- gangen, zu veranlassen, daß der Sultan das Reglement der Polizei gutheiße und daß diese ohne Aufschub in Tätigkeit trete. Das er- scheine um so mehr begründet, als die spanische Regierung selbst gegenwärtig beim Machscn Schritte unternehme, bannt das inter - nationale Polizeikorps gebildet werde und seine Tätigkeit beginnen könne. Die Rote bemerkt noch, die spanische Regierung könne nur wünscben, daß Frankreich Genugtuung erhalte, und sie werde auch in diesem Sinne dem Machsen Mitteilung zukommen lassen. Orau. 28. März.(Meldung der Agence HovaS.) General Liautey ist hier angekommen und wird zur Ucberioachung der Truppenbewegungen nack Lalla Marnia gehen. Die Zusammen. ziehung der Truppen bei Lalla Marnia mutz binnen 48 Stunden beendet sein. Die Besetzung von Ubschda soll' s r i e M i ch sein und nicht den Charakter eines feindliche» Schrittes gegen Marokko tragen. Die in Udschda wohnenden Europäer haben die Stadt ver- lassen und ihre Möbel und ihre Habe in den Häusern verschlossen. Udschda ist ruhig. Die Eingeborenen haben von der bevorstehenden Besetzung noch keine Ahnung�_ Von Ferien zu Ferien. Rom , 25. März.(Eig. Ber.) Die kurze Arbeitsperiode, die sich unliebsam zwischen WeihnachtS - und Ostcrferien einschiebt, ist zu Ende, und die Kammer hat 40 Tage Zeit, um sich von einer nicht ganz vierzigtägigen Session zu erhole». Das Bedürfnis nach Erholung war diesmal i» der Mehrheit ebenso lebhast, wie die Arbeitslust inatk und schlaff gewesen war. Bei dem bloßen Gedanken daran, die Ferien schon am 9. anstatt am 28. April abzubrechen, entstand eine Art Tumult in der Kammer. Als sich bei der zweiten Abstimmung(die erste hatte gezeigt, daß das Haus nicht beschlußfähig war) nicht einmal 15 Abgeordnete fanden, um die Forderung auf namentliche Abstimmung �zü unter- stützen, da ward es gar zu deullich, daß die Partei der Ferienfreuiidc sich über alle Bänke der Kammer ausdehnte: von der äußerstep Rechten bis zu den Sozialisten! Welcher Art sind nun die Ursachen dieser Feriensucht der gesetz- gebenden Körperschaft in einsc Zeit, in der die Elastizität des Budgets sowie das Vorhandensein einer großen ministeriellen Mehr- heit und die wachsenden Bedürfnisse des Landes eine intensive und fruchtbare parlamentarische Tätigkeit fordern und ermöglichen? Was die Mehrheit betrifft, so hat der Abgeordnete Pantano in der letzten Sitzung ein grelles Schlaglicht auf die Gründe ihrer parlamentarischen Indolenz geworfen, als er ironisch� vorschlug: dem Ministerpräsidenten Giolitti auf 6 Monate die Befugnisse der Kammer und alle Vollmachten zu' erteilen! Ministerpräsident und Mehrheit fühlten sich durch Pantauos Hieb nicht wenig_ ge­troffen;, denn in der Tat sind ja die letzten Monate des jetzigen Ministeriunis nichts anderes als eine verschleierte Diktatur. Der Ministerpräsident hat es ja verstanden, jede politische Gruppen- bildung, jedes politische Programm im Keime zu ersticken, indem er nach dem in Italien bewährten Muster die Bühne des potitischen Lebens hinter die Kulissen der Kamnior verlegte. Es handelt sich einfach darum, die Abgeordneten aus Vertretern der Nation in Vertreter ihrer Wahlkreise zu verwandeln. Es bedarf bei diesem famosen System keiner Abstimmungen, keiner Reden im Parlament ein freundschaftliches Tete-a-tete zwischen Ab- geordnetem und Minister genügt und eindringlichem Ersuchen winkt, freundliches Gewähren. So werden Briickenbauten, Bahn- anschlüsse, Versetzungen von Beamten, Auflösungen von Konununal- verwaltungen, hie und da auch wohl Begnadigungen Verurteilter, Vertagungen von Prozessen bis zur Verjährung erbeten und gewährt, ohne daß das Parlament in Frage käme I Nur der Preis dieser Vergünstigungen, die den einzelnen Abgeordneten seinen Wählern empfehlen, wird iin Parlament bezahlt in einer bedingungs- losen Annahme aller ministeriellen Vorschläge. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß die so geschaffene Mehrheit keinen Wert auf lange Tagungen legt. Wozu auch? Sie kann in. den Ver- Handlungen nichts sehen als eine Formalität, und sie erspart gern die Mühe, im Parlament Reden zu halte» über Dinge, die zwischen Kabinett und Mehrheit längst abgekartet sind.% Man könnte nun meinen, daß die Indolenz der Mehrheit bei der Opposition gerade kritischen Eiser und Kampfeslust entfesseln müsse. Aber die Aussichtslosigkeil jedes Angriffs, die innere Uneinigkeit und die geringe Autorität der Führer lähmt alle Energien der konsti- tutionellen. und der antikonstitutioncllen Opposilion, die doch Per- sönlichkeiten von hohem Werte einschließen. Bei der Ueberzahl der Ministeriellen ist jede ordnungsmäßige Schlacht, bei ihrer Wachsam- keit jeder Ueberfall aussichtslos. Dazukommt, daß natürlich die beiden Flügel der Opposition, die mcherste Rechte und die äußerste Liuke, nicht leicht zusammengehen lönnen, von dem Wider- streit zwischen Sonnüüaneru und den Parteigängern RudiniS ganz zu schweigen. Was die Führer der Opposition betrifft, so galt SoNnino als der Mann der Vorsehung, bis er sich während seiner drei­monatigen Regierung um sein Ansehen brachte durch seine zaudernde Taktik, seine Geringwertigkeit als Redner und seine beispiellose Un- geschicklichleit im parlamentarischen Kampfe. De Rudini, der sich auch gern als Führer der Opposilion ausgibt, ist persönlich, hoch- gradig unsympathisch, und ihm wird es wohl auch auf Lebenszeit anhängen, daß er während der blutigen Repressalien in Mailand Ministerpräsident war. Nach einem änderen Führer schaut mau aber auf den Bänken der Opposition vergebens aus. Der reformistischeTempo" hat nun zwar die Augen auf den Abgeordneten Pantano als auf den Führer der Opposition ge» worfen, aber er steht mit diesem Vorschlag wohl ganz allein da. Pantano war bis zum vorigen Jahre Republikaner und einer der tätigsten Deputierten seiner Fraktion. Um in das Ministerium Sonnino einzutreten, zerschnitt er damals die in der letzten Zeit schon sehr mürbe gewordenen Bande, die ihn an seine Partei sesselten. Wen kann er heute hinter sich haben? Die Republilaner sicher nicht, höchstens die Kandidaten und die sozialistische Fraktion, die nur aus Reformisten besteht. Was will er mit dieser Gesellschaft gegen eine Mehrheit wie die Giolittis? WaS schließlich die Sozialisten betrifft, so hat ihr beständiges Fehlen im Parlament mancherlei Gründe. Solveit sie Wirtschaft- licher Natur sind, müssen sie unbedingt alsmildernde Umstände" gelten; denn viele sozialistische Abgeordnete sind mitteUoS und müssen, da sie keine Diäten erhalten, auch in den TagungSperioden des Parlaments ihrem Berufe nachgehen! Aber diese persön- l i ch e n Gründe haben die Fra'tion allezeit in ungefähr gleich»,» Maße beeinflußt, ohne daß je die Abwesenheit von neu» Zehnteln der sozialistischen Abgeordneten die Regel gewesen wäre. Die heutige Apathie hat mehr ihre Ursache in der gänzlichen Entmutigung unserer Genossen, die im Parlamentpositive Arbeit" leisten wollen und dazu keinen Loden finden. Die Regierung bedarf ihrer nicht und fürchtet sie nicht; fortschrittliche Gesetze gehen ohne die Prarteifraktion, reaktionäre trotz ihrer glatt durch. Daher fühlen sich unsere Abgeordneten überflüssig im Parlament, und sie vergessen oft auch jene kritische, negative Arbeit, die daS Proletariat von ihnen erwartet. So haben wir denn Apathie hüben und drüben, während Giolittis Diktatorenfaust die Gesetze, die er für nötig hält, in den Hafen lenkt. Eine kleine Entlastung der Lokalverwultungen war nötig; sie ist verwirklicht worden zum Borteil der großen Kommunen vor allem: das am' 22. d. Mts. vom Senat an- genommene Gesetz entbindet die Städte von einem Teil der ihnen bisher obliegenden Ausgaben für den öffentlichen Sicherheitsdienst. Auch eine Ab gaben Verminderung war nicht gut länger aufzuschieben. Man hat als Versuchsobjekt das Petroleum auserlesen und den Zoll von 48 auf 24 Lire für de» Hektoliter herabgesetzt eine Verminderung, die zwar im Detail- Handel kaum fühlbar sein. wird, die aber dem Ministerium das Recht gibt, von demBeginn der Abgabenreform" zu reden I Die parlamentarische Mehrheit hätte wohl noch nicht einmal, das wenige gefordert, aber Giolitti keimt sie zu gut, uin in irgend einer Weife in ihr die Vertreterin des Willens und der Bedürfniffe des Landes zu sehen. Er schätzt sie�alS das ein,, was sie ist: als Staffage. Rom , 28..März.(W. T. B.) Die Ermäßigung des Petroleum- zollcs wird am 1. April d. I, in Kraft treten. Gcwerkfcbaftlkbe**. Aus der bürgerlichen Lügenfabrik. Bei jedem wirtschaftlichen Kampf kann man die Erfahrung machen, daß die bürgerliche Presse mit unkontrollierbaren Sensationsmeldungen den Arbeitern in den Rücken fällt. Da sich der Schwindel gewöhnlich nicht feststellen läßt, weil ge- nauere Angaben fehlen, gehören die Sensationsmeldungen nachher zum eisernen Bestand der VcrlcumdungShclden gegen Sozialdemokratie und Gewerkschaften. DieNeue Zeit" in Charlottcnburg wollte bielleicht da8 Material des Reichslügenverbandes ebenfalls bereichern; sie war aber so ungeschickt, positive Angaben zu machen und da war der Schivftldcl schnell enthüllt. Das Blatt brachte in feiner Nr. 72 vom 26. März folgende Mitteilung: Ein wüster Exzeß wurde gestern vormittag von streikenden Ziehleuten gegen einen hiesigen Fuhrherrn verübt. Der Fuhrherr Ewil Mülldr aus der Pestalozzistr. 73 hatte einen Möbeltransport nach dem Hause Suarezstr. 2 unternommen. Als er mit dem Abladen der Suchen beschäftigt war, fielen plötzlich sechs aus- stäudigc Ziehleute über ihn her und mißhandelten ihn derartig, daß er. u. a. auch durch Schläge mit einem Bierseidel erhebliche