Dem Musketier Streife! hat der Angeklagte mit seinemGewehr die Brust blau und braun gestoben. Die Mibhandlungenwaren derart schlimm, daß Kreisel sich durch Kameraden ausziehenund inS Bett bringen lassen mußte. Als er sich beschweren wollte,bat ihn der Unteroffizier, das nicht zu tun, weil ihm dadurch seineKarriere verdorben werden könnte. Eine Meldung ist denn auch nichterstattet worden. In ähnlicher Weise hat der saubere Herr Unter-offizier auch die anderen Soldaten mißhandelt, ihnen die Fingerblutig geschlagen, mit der Faust unter das Kinn gestoßen, daß esanschwoll, und dergleichen mehr. Einen Rekruten hat er einmal aufdem Exerzierplatz so»geschliffen", daß der Hauptmann hinzukamund drohte, dem Oberst Meldung machen zu wollen, wenn das nichtaufhöre.Das Gericht verurteilte den brutalen Rekrutenerzieher zu a ch tMonaten Gefängnis. Auf Degradation wurdenicht erkannt. Obgleich die Mißhandlungen roh gewesen seien,habe der Angeklagte, da er diensteifrig gewesen sei, nicht aus un-edlen Motiven gehandeltl Der Anklagevertreter hatte einZahr Gefängnis und Degradation beantragt.—Husland.Dänemark.Das Kommunalwahlrecht.Kopenhagen, S. April. Nach längerer Verhandlung in einer ausMitgliedern des Folkethings und des LandthingS zusammengesetztenKommission über den Regierungsentwurf des Gesetzes, betreffend dieEinführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer und Frauenunter Anwendung der Proportioualwahlmrthode für die Gemeinde-Vertretungen legten heute die Leiter der Regierungspartei sowie dieWortführer der gemäßigten Linken der genannten Kommission einenVorschlag zu einem Uebereintommen vor. Dieser Vorschlag kommtin einzelnen Punkten den Wünschen der Freikonservativen ent-gegen; so wird als Bedingung für Ausübung des Wahlrechtseinjähriger Aufenthalt in der Kommune während des dem jeweiligenSteuerjahre voraufgehenden Jahres gefordert. Der Vorschlag siehtferner bei größeren Steuererhöhungen ein Referendum an die Ge-meindewähler vor. Schließlich ist auch die Wahlmethode zu denAmtsräten verändert, indem die größeren Gutsbesitzer, welche bisher, die Hälfte der AmtsratSmitglieder wählen konnten, nur mehr einDrittel der Plätze besetzen dürfen.Die freikonservative Partei, deren Zustimmung zu diesem Vor-schlage für notwendig erachtet wird, hielt heute eine Sitzung zurBesprechung der Angelegenheit ab. Die endgültige Entscheidungwird von der morgen nachmittag stattfindenden Sitzung der Reichs-tagSkommisston erwartet....Für den Achtstundentag. Am Sonnabend mußte sich das Folke-thing wieder einmal mit dem sozialdemokratischen Vorschlag auf ge«setzliche Einführung deS achtstündigen Normalarbeitstages befassen.ES war vor zehn Jahren, daß dieser Gesetzentwurf zum erstenmalzur Verhandlung kam. Gleichwohl zeigte sich das Folkething jetztnoch nicht reif, um ein solches Gesetz zu beschließen. Von denbürgerlichen Parteien war eS nur der Wortführer der Radikalen,der feine Sympathie aussprach, und die Sozialdemokraten ersuchte,ihren Entwurf immer von neuem einzubringen, bis er eines TagesGesetz werden müsse. Der Minister des Innern teilte mit. daß erzurzeit Untersuchungen über die Frage vornehme, aber noch nichtversprechen könne, daß die Regierung selbst einen Gesetzentwurf ein-bringen werde. Der Entwurf unserer Parteigenoffen wurde schließlicheinem Ausschuß von 11 Mann überwiesen.Eine gerechte Einteilung der FolkethingS-Wahlkreise wollte dieRegierung bekanntlich auf dem Wege der Verfaffungsänderung durch-geführt wissen, weshalb unsere Genossen im Folkething vorläufigauf ihren Vorschlag verzichteten, der die Erfüllung der Verfassungs-bestimmung bezweckt, daß auf je 16 000 Einwohner ein Abgeordneterkommen soll. Nun steht jedoch fest, daß der Landsthing denRegierungsvorschlag zur Verfaffungsänderung scheitern läßt. Darumhat die sozialdemokratische FolkethtngSfraktion am Sonnabend ihrenim Februar 1S0S eingebrachten Vorschlag wieder auf«genommen und verlangt, daß eine Kommission eingesetzt werde.die zu einer dem K 32 der Verfassung entsprechenden Wahlkreis-eintcilung Vorschläge ausarbeiten soll, welche dem Folkething imOktober dieses Jahres vorzulegen find.Finnland.Helstngfors, 6. April. Nach dem nunmehr vorliegenden end-gültigen Ergebnis der Landtagswahlen sind gewählt 80 Sozial-demokraten, 68 Altfinnen, 25 Jungfinnen, 24 Mitglieder derschwedischen Volkspartei, 11 Agrarier und 2 Mitglieder der christlichen Arbeiterpartei. Von den gewählten 12 Frguxn gehören2 der sozialdemokratischen Partei an.—Rnmänien»Regime Sturdza.Der Wiener.Arveiter-Zeitung" wird geschrieben:Die rumänischen Ordnungsmänner haben ein neues Opfer ge«funden: die einstigen Matrosen deS»Potemkin", die hauptsächlichim Petroleumgebiet Arbeit gefunden haben. Keiner dieser im Exillebenden Revolutionäre wurde irgendwie beim Agitieren oderManifestverteilcn betroffen. Trotzdem sind sämtliche P o t« m«kinisten imPetroleum gebiet Campina-Bustenariearretiert worden, aber ohne jede gesetzliche Grundlage.Mehrere Offiziere sprachen in einem öffentlichen Lokal üver dieLage und äußerten ihre Freude über die Art. wie die Unruhen ge-stillt wurden. Im Ausland weiß man nur, daß in Rumänien jetztalles ruhig ist. nicht aber, daß diese Ruhe durch M a s s enm or d evon Bauern erzielt wurde, und daß es noch jetzt, wo doch schon»Ruhe" herrscht, genügt, einen Bauern zu denunzieren, daß er ein-mal eine Zeitung gelesen habe, damit er erschossen wird.Ein Potemlunst, der die Aeußerungen der Offiziere hörte, ent«fernte sich und sagte seine Meinung offen über die Offiziere. Einer,der seine Worte hörte, hinterbrachte sie dem Hauptmann Ton«d e e S c u, Kommandanten der in Campina sich befindlichen Kom-pagnie, und dieser rapportierte siedemGeneralHarieu, Komman«bauten der in dem betreffenden Bezirke dislozierten Truppen.Darauf befahl der General, sowohl die 43 in Caurpina als auchdie 36 in Bustenari arbeitenden Potemkinisten zu arretieren. Siewurden von der Arbeit geholt, und ohne daß man ihnen Zeit ge-geben hätte, sich zu waschen, wurden sie zum Bahnhof geführt undNach der Begirkeyauptstadt Plojsti transportiert.Auch in Bukarest würgen mehrere Potemkinisten verhaftet!unter anderen Ivan Siloghin und Eugen Bugilen, die im Nestau.rant Dumitrescu beschäftigt waren.Keinem von ihnen hat man eine direkte Teilnahme an denUnruhen nachweisen können. Von der liberalen RegierungSturdza ist zu erwarten, daß die Potemkinisten guSgewiesen oderaar an Rußland ausgeliefert werden.Marokko.Die Kundgebung des Sultans, uzckche in der Haupt-Moschee zu Fez verlesen wurde, hat folgenden Wortlaut:»Ihr habt Kenntnis erhalten von der Ermordung desfranzösischen ArztcS durch den Pöbel von Marrakefch sowieauch von der Ermordung von Franzosen in Tekna und Tanger.Ihr wißt auch, daß ein Franzose in Fez verwundet wurde.Wir teilen Euch mit. daß die französische Regierung sehr auf-gebracht ist und daß ihre Erregung ihren Höhepunkt erreichthat. Daher hat sie auch einen Teil ihrer Truppen zu-samniengezsaen und die Stadt Udschda besehen lassen.Die französische Regierung ist hierbei in ihrem Rechte. Wirhatten Euch zu wiederholten Malen nachdrücklichst auf dieFolgen aufmerksam gemacht. die das Verhalten der Ve-völkcrung haben könnte und Ihr habt unseren Ermahnungen.nicht Rechnung getragen; die gegenwärtigen Ereignisse sinddurch Eure Schuld entstanden. Jetzt wollen wir uns bemühen, diese Angelegenheit zu regeln und dafür, wenn esnötig ist, Gut und Blut zu opfern, um zwischen der fran-zösischen Regierung und uns gute Beziehungen wieder her-zustellen und der Besetzung Udschdas ein Ende zu machen.Wir teilen Euch dieses mit, damit Ihr Euch von allen Un-ruhen fernhaltet."Tanger, 8. April.<B. H.) Zwischen Deutschland, Frankreich,England und Spanien einerseits und der maroklanischen Regierungandererseits ist ein Abkommen über Errichtung einer Station fürdrahtlose Telegraphie in Mogador getroffen worden; die Stationwird als eine gemeinschaftliche errichtet, der Sultan wird amGewinne beteiligt sein und die Station unentgeltlich benutzen dürfen.Aegypten.Aegyptischer PaniSlamiSmus und Nationalismus.London. 6. April.(Eig. Bei.) Lord Cromer, der erfolgreichebritische Verwalter Aegyptens, veröffentlichte vor wenigen Tagenseinen Jahresbericht für 1006, in dem er sich mit der panislamischenund der nationalistischen Bewegung des Nillandes beschäftigt.Unter PanislamismuS versteht man bekanntlich das Bestreben, dieAnhänger des Islams, die in Asien. Afrika und Südost-Europazerstreut sind, in eine einheitliche Bewegung zusammenzufassen,um den Christen gegenüber als eine geschlossene Macht aufzutreten.Diese Bewegung hält Cromer im allgemeinen für nicht sehr ge-fährlich. Er glaubt, sie könne wohl zu sporadischen Ausbrüchenführen, aber keine ernste Gefahr für Europa bilden, da die250 Millionen Mohammedaner nicht organifierbar seien. Ernsterist nach CromerS Meinung die Verquickung des PaniSIamiSmuSund des Nationalismus in Aegypten, wo die Nationalisten sich gegendie Nichtäghpter richten und einen nationalen Staat anstreben.Sie nehmen ihre Zuflucht zum PanislamismuS, da die ägyptischenVollsmassen nur durch das Mittel der Religion zu erreichen seien,wie überhaupt im Orient jede Volksbewegung einen religiösenCharakter annehme. So verwischen sich in Aegypten beide Be-wcgungen und erzeugen eine Gärung, die zwar nicht in die Tiefegehe, aber doch stark genug sei, um die kleinlichen persönlichen Kon-flilte, wie sie in Großstädten gewöhnlich vorkommen, zu auf-geregten Volksaufläufen zu machen und alarmierende Gerüchtehervorzurufen. Die Ueberhandnahme paniölämischer Bestrebungenbedeute für Aegypten einen Anschluß an den Sultan der Türkeisowie die Erweckung eines religiösen Fanatismus, der den Wirt-schaftlichen, politischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritthemme. Di« Zivilisation deS Westens bringe das Leben in Fluß,lehre die Realität der Welt erkennen, während der JSlamiSmuSalles verknöchere und zur Stagnation bringe, jedem Fortfchtittfeindlich fei. Die panislamischen Natidnalisten gewährten deshalbnicht die geringste Garantie, daß sie das Werk der Zivilisation,das die Briten in den letzten zwanzig Jahren verrichteten, fort-setzen könnten. Lord Cromer bemerkt, er studiere fleißig dienationalistische Presse, die vollständig f re i sei, aber er finde inihr keine klaren, zusammenhängenden Gedanken über Wirtschaft,Schulwesen und Verwaltung. Was die Nationalisten wollen,sagen sie auch nicht. Sie verlangen im allgemeinen ein Parlamentnach britischem Muster I Also eine moderne Demokratie unter derHerrschaft des türkischen Sultans. Eine derartige Idee sei fürAegypten einfach unsinnig. Keine Macht würde es gestatten, einerägyptisch-türkischen Demokratie die Verwaltung der Finanzen zuüberlassen. ES müßten noch viele Jahre der Erziehung, der politi-scheu und technischen Schulung vergehen, ehe man den Aeghptern,die seit Jahrhunderten unter schlechter Regierung gelebt haben,die Selbstverwaltung gewähren könnte. Zu diesem Zwecke sei esvor allem nötig, die gebildeten jungen Aegypter mehr als bisherin den Verwaltungsdienst eintreten zu lassen.Im übrigen gibt Cromer eine Ueberstcht über die Wirtschaft»liche Lage Aegyptens, die, wie alle Beobachter des Landes an-anerkennen, sich unter britischer Verwaltung ganz bedeutend verbessert hat.—•Manches mag ja in dem Bilde, das Cromer vom panislamischenNationalismus entwirft, richtig sein, besonders die Bemerkungüber die bisherige kulturwidrige Wirkung des Islams undüber die Unmöglichkeit einer freiheitlichen Regierung unter demtürkischen Sultan. Ob aber die ägyptischen Nationalisten wirklichso unreif sind, wie sie dargestellt werden, darüber darf man wohlmanchen Zweifel äußern. Auch die Ansicht CromerS über die absolute Kulturwidrigkeit deS Islams scheint nicht ganz stichhaltigzu sein. Im Grunde genommen ist jede Religion fortschrittS-feindlich. Und wenn man Christentum und Fortschritt scheinbarbeisammenfindet, so liegt dies nicht, wie die Europäer glauben,an der besonderen Natur deS Christentums, sondern an dem raschenLebensstrom Europas, der dem Christentum allmählich alle hartenEcken und scharfen Spitzen wegwäscht, es mitreißt und in Bewegungsetzt. DaS Christentum hat sich eben dem Leben angepaßt, da daseuropäische Leben mit seiner wissenschaftlichen Technik stärker istals die Religion. Dem JSlam wird es auch nicht andtrs ergehen,wenn die Länder, in denen er herrscht, in die moderne Wirtschafteintreten. So erging e8 auch dem Judentum. Der Jude ist so-lange religiös und fortschrittsfeindlich, als er unter veralteten.sich äußerst langsam bewegenden Wirtschaftsformen lebt. Wirder in den Strom der modernen Wirtschast geworfen, so beginnter bald herauszufinden, daß das Judentum— eigentlich fortschritt-lich sei und sich ganz gut mit den Forderungen des neuen Leben?vertragen könne.— Aber das neue, fortschrittliche Judentum ist doch nicht mehr da» alte, echte, starre und vom Leben ab-gewendete.ES ist in dieser Beziehung merkwürdig, daß viele derMohammedaner Indiens jetzt daran arbeiten, den Islam mit derZivilisation des Westen? zu versöhnen, da sie bort unter britischerVerwaltung in Handel und Gewerbe eintreten I ES bildet sich dortein fortschrittlicher JSlam aus, der natürlich moderneDeutungen und Erklärungen deS KorantexeS und der Ueber-licfexungen zu Hülfe nimmt.---Im Laude der vollendetenRechtsgarantien.ES wird uns geschrieben:Auf Veranlassung des Vorsitzenden der anarchistischen FöderationDeutschlands hatte ich für die nach Offenbach zu den Ostertagen ein»berufene Konferenz der Föderation ein wissenschaftliches Referat:»Die Idee des Anarchismus und die sich daraus ergebenden taktischenGrundsätze' übernommen, entsprechend meiner seit Jahren betätigtenGrundauffassung, daß Anarchismus und Sozialismus zu einandergehören, daß dem Materialismus des Sozialismus der PsychiSmuSicS Anarchismus hinzugefügt werden muffe. Bestrebungen, die vonmir unter dem Namen des Anarchosozialismus zusammengefaßt ssM� Sonuabenduacht gegen 12 Uhr traf ich von Locaruo aus inOffenbach ein. erfuhr dort, daß die Konferenz verboten, undreiste mit den Delegierten Sonntagmittag nach Mann«heim, wo, wie man mir sagte,' die Konferenz ge»mäß der freieren Vadischen Bcrsaminluiigsgesctzgebung in früherenJahren völlig unbehelligt stattgefunden. Trotzdem wurde HerrnFrauböse in dem Lokal, in dem ivir uns versammelten, von einemBeamten eröffnet, daß die Konferenz auch in Mannheim verboten sei.Beim Verlassen der Wirtschaft, das allmählich und in kleinen Gruppenvon zwei und drei stattfand— wir hatten verabredet zum Denkmal derMärzgefallenen zu gehen— wurden wir von einer Unzahl Kriminal«beamten zusammengedrängtundzu einer Polizeiwache sistiert.wo unserePersonalien festgestellt und wir dann entlassen wurden. Hier er«fuhren wir auch, daß zwei Delegierte, die bereits am frühen Vormittag nach Mannheim gefahren, dort ohne weiteres van der Straßeweg sistiert und noch auf der Polizei festgehalten seien. Wir gingennunmehr, immer begleuet von einer Gruppe Kriminalbeamten, zumDenlmal der 43 er und folgten dann dem Rat der Beamten, diesvörtlich sagten:»Gehen Sie doch über die GrenzeM a n n h e i m 3 hinaus, dann find Sie uns los undkönnen tun, was Sie wollen."Wir bestiegen die Freudenheime'r Lokalbahn und fuhren davon;die Kriminalbeamten, die aber bequem miteinsteigen konnten, dasie immer dicht hinter uns waren, blieben zurück und kümmerten sichnicht mehr um uns. Ob wir durch unser weiteres Verhalten dieuns vorgelegte Polizeiverfügung übertreten haben, wird die Ge«richtSverhandlung ergeben. Ich für meine Person bin der Meinung,mich absolut keines Vergehens schuldig gemacht zu haben. Aberselbst wenn Juristenlogik— trotzdem wir außerhalb MannheimerGebiet waren—, trotzdem kein Referat gehalten usw., ein Vergehengegen das Bereinsgesctz herausdestillieren sollte, so ist das eineSchuld, die nach dem Strafgesetzbuch mit einer geringen Geldstrafe— im Höchstfalle 150 M.— gebüßt wird.— Am Dienstag,den 2. April, morgens, ich toar ruhig in meinem Hotel geblieben,wurde ick) zur Polizei geführt und verhört. Es wurde festgestellt,daß ich seit 10 Jahren in Berlin ansässig, seit 1805 als Arzt nieder-gelassen, infolge einer Herzerkrankung, die durch Blutvergiftungbei einer Karbunkeloperation eingetreten, zurzeit zwecks Wieder-erlangung meiner Gesundheit im Süden weilen müßte und deshalbvon Berlin„Auf Reisen" abgemeldet sei. Meinen diesbezüglichenPaß hatte ich zur Stelle. ES wurde ferner festgestellt, daß ich keineranarchistischen Gruppe angehöre, im soglaldemokratischen Wahl-verein des 3. Berliner Reichstags Wahlkreises organisiert und miteiner wissenschaftlichen Arbeit über Anarchismus und Sozialismusbeschäftigt sei, deren Grundzüge mein Referat zum Ausdruck bringensollte und deren Konzept ich bei mir hatte. Trotzdem wurde mirerklärt, daß ich dableiben müsite und wurde ich inS AmtSgefängni?abgeführt. Dort wurden mir meine sämtlichen Sachen abgenommen.ich mußte mich dann in einer Zelle, in der Tür und Fenster offenwaren, völlig nackt auskleiden trotzdem ich auf BeftaHen nachKrankheiten angegeben, daß ich an Herzerweiterung leide, undsämtliche Kleidungsstücke inklusive Hemd und Stiefel wurdeneiner eingehenden Visitation unterzogen. Dann wurdeich in einem anderen Flügel deS Gefängnisses inhaftiert.Nachmittags wurde ich auf den.Hof gebracht und trotz meinesenergische g und drifiglichen Protestes zwang S-weise. rn mehreren S t e l l u n gen p h o t ag r a p h i e r t.Dem Untersuchungsrichter wurde ich nicht innerhalb der gesetzlichvorgeschriebenen 24 Stunden, sondern erst am Abend des nächstenTages vorgeführt, und zwqc geschah dies, indem ich bar-häuptigu n daneinereisernen Ketteangeschlossenüber Straße und Hof in das GerichiSgcbäude transportiert wurde.Nach erfolgtem Verhör, das sich ausschließlich auf die unter Anklagegestellte Zeit, von IVA bis 2 Uhr nachts vom Sonntag zum Montagerstreckte, innerhalb welcher wir in einem Lokal gesessen und vor-nehmlich unseren, durch die vorhergehende Hetzjagd bewirktenHunger und Durst gestillt hatten, wo also nichts Belastendes sich er-geben konnte, erklärte der Untersuchungsrichter mich für verhaftet.Auf meine Erwiderung, daß wohl überhaupt keine Bestrafung ein-treten würde, wenn aber doch, höchstens eine so geringe Geldstrafe.daß dadurch die Schädigung meiner Gesundheit und die Freiheit?»bcraubung nicht gerechtfertigt würde, erklärte der Untersuchungs-richftr, daß ich fluchtverdächtig sei, da ich zwac meinen Wohnsitzin Berlin hätte, aber jetzt auf Reifen abgemeldet sei. Meine Ein»Wendung, daß ich korrespondierendes Mitglied des internationalenBureaus zur Tuberkulose-Bekämpfung sei, dessen Vorsitz Grafv. Posadowsky inne habe, daß ich von der 70. Jahresversammlungdeutscher Naturforscher und Aerzte neben den Professoren Gerhard.Lehden, Hüppe, Regierungsrat Engelmann usw. in die ständigeKommission zur Schwindsuchtsbekämpfung gewählt sei, daß ichMitglied und Mitarbeiter einer Reihe anderer wissenschaftlicherKörperschaften und Zeitschriften, daß eine telegraphische An-frage beim Magistrat der Stadt Berlin ergeben würde, daß«ch bis zu meiner Erkrankung Mitglied der Berliner Stadt-verordnetenversammlung und der KrankenhauSdeputatoin gewesen,war vergeblich— dem Herrn Untersuchungsrichter half das allesnicht über seinen Fluchtverdacht gegen mich wegen der etwaigenkleinen Geldstrafe hinweg und wurde ich weiter in Haft behalten.Auch meine Bitte, sofort telephonisch Herrn Rechtsanwalt Dr.Frank benachrichtigen zu lassen, wurde nicht erfüllt, und so konntemein Verteidiger erst am nächsten Vormittag zu mir gelangen, devsofort persönliche Bürgschaft für mich leistete. Aber auch danndauerte es noch bis zum Abens, ehe ich entlassen wurde. Von derVergünstigung der eigenen Kost habe ich keinen Gebrauch gemacht.die Gefängniskost habe ich nicht berührt, bis am dritten Tage einAnfall von Herzschwäche mich zwang, einen Napf Suppe zu mirzu nehmen. Jeden Morgen mußte ich meine Zelle aufräumen undmit fünf anderen Gefangenen in einer Reihe angetreten denKübel voll Kot und Urin zum Neinigen nach der Latrine tragen.Als ich das erste Mal wartend dastand, bis die Reihe zum Aus-gießen an mich komme, fiel mir Graf Posadowsky ein, der mireinst nach einem Vortrage, dem ich als Vertrauensarzt derZentralkommisston der Krankenkassen ihm gehalten, dankend dieHand geschüttelt, in der ich jetzt den Kübel voll Unrat hielt, undzwar fein stolze? Wort:„Deutschland, das Land dergrößten persönlichen Nechtsgarantien".—Nickt weil mir, einem geachteten Arzte, dies begegnet, sondernweil solche Willkürakte und solche Herabwürdigung der menschliche,»Persönlichkeit einem jeden gegenüber den schmachvollen Polizeigeisijund Tiefstand unserer Verwaltung und Rechtspflege kennzeichnen,fühle ich mich verpflichtet, diese Borkommnisse der Oeffentlichkeitzu unterbreiten«?Dr. R. Frkedeberg.prakt. Arzt und Spezialarzt für Lungenkranlheiten.Berlin SO.. Brückenstr. 10a, 6. April 1007.•Wir haben die Zuschrift veröffentlicht, um den Protest, denDr. Friedeberg gegen die ihm widerfahrene Behandlung erhebt, zudem unseren zu machen. Die Schilderung Dr. Friedebergs zeigt mder Tat. wie jämmerlich es um die persönlichen Rechtsgarantien inDeutschland ausschaut, wessen ein deutscher Staatsbürger sich zuversehen hat, wenn er den Behörden als staatSaesährlich erscheint.Die lächerliche Anarckistenfurcht der deutschen BeHorden gebiert Maß-nahmen, die wahrhaft russisch anmuten.Nebenbei wollen wir jedoch nicht unterlassen zu bemerken, daßDr. Friedeberg sich unseres Erachtens in einem bedauerlichen Irrtumbefindet, wenn er.meint, daß Anarchismus und Sozialismus sich zumAnarchosozialismuS vereinigen lassen. Unverständlich ist e» uns auch.wie Dr. Friedeberg sich»och als Mitglied eines sozialdemokratischenWahlveremS betrachten kann, nachdem er am Anarchistenkongreß-»der Tagung einer der Sozialdemokratie feindlichen Gruppe— teil-genommen hat. Das Auöschlußverfahre», das vom Vorstand dessozialdemolrätischen Wahlvereins des dritten Berliner Kreises gegenihn eingeleitet wurde, ist zwar noch nicht beendet, aber wir solltenmeinen, daß Dr. Fricdeberg durch sein Verhalten sich selbst von derSozialdemokratie losgesagt hat.