»etzung der bestehenden Gesetzesvorschriften fernerhin unmöglich machen. Der Minister de? Innern wies die Gouverneure an, keine Dorf- �ersamnilungen zur Beratung von Vorschlägen, die seitens der Duma- abgeordneten brieflich oder telegraphisch an die Dorfbehörden gemacht werden würden, zu gestatten bezw. die Schuldigen sofort zur Ver- antwortung zu ziehen. Konzessiöncheu. Petersburg, 9. April. Die Sektion der Budgetkommisston des Reichsrats hat das Budget des Kriegsministeriums bereits um sieben Millionen herabgesetzt. Weitere Streichungen sind in Aussicht genommen. Ebenso werden eine Reihe von Sinekuren aus den Etats des Justiz- und des Unterrichtsministeriums und der Synode gestrichen werden. Budgctberatung. Gestern(Dienstag) wurde in der Reichsduma das Budget weiter beraten. Der Kadett F e d o r o w, Abgeordneter für die Stadt Petersburg , trat der Ansicht des Finanzministers bei, welcher sagte, daß eine Generaldebatte über das Budget nur in der Budget- kommission von Nutzen sein werde und dast diese Beratung vor allem in Ruhe und ohne Voreingenommenheit sowie ohne politische Sonderbestrebungen geführt werden müsse. Redner erinnerte daran, daß man von dem gegenwärtigen Ministerium nicht Ueber- mätziges verlangen dürfe, da es erst seit zwei Jahren einer neuen Lage gegenüberstehe und da es durch die ernste und bewegte Ver- gangenheit Rutzlands ein schweres Erbe angetreten habe. Fedorow kritisierte im weiteren Verlaufe seiner Rede die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Regierung und sagte, die Regierung könne die Ausgaben nicht verringern; ihre einzige Aufgäbe müsse sein, die produktiven Kräfte des Landes zu verstärken. Redner tadelte die Regierung wegen der Geringfügigkeit der für eine Unter- stützung solcher Entfaltung der produktiven Kräfte ausgeworfenen Mittel gegenüber den stets wachsenden Ausgaben für Gendarmerie und Polizei. Er bezeichnete es als eine verderbliche Politik, die Ausfuhr von Lebensmitteln, die für das Volk nachteilig sei, zu begünstigen und die indirekten Steuern zu erhohen. Fedorow schlotz mit einem Appell zur ruhigen Arbeit ohne Furcht bor einer Dumaauslösung. politische debersicbt. Berlin , den 9. April 1907. Der Wiederbeginn der Parlamente. ' Der Reichstag und das preußische Abgeord- netenhaus nehmen morgen, am Mittwoch, nach den Oster- ferien ihre Verhandlungen wieder auf. Im preußischen Abgeordnetenhaus wird die zweite Beratung des Kuttusetats mit den Universitäten fortgesetzt und im Reichstage ' stehen auf der Tagesordnung die erste eventuell zweite Be- ratung des Gesetzentwurfes betr. Gebührenerhebung auf dem Nordostsee-Kanal sowie die zweite Be- ratung des Etats, die mit dem Reichsamt deS Innern beginnen wird. Die Zeichendeuter der bürgerlichen Presse sind an der Arbeit, anzukünden, wie in beiden Parlamenten die konser- vativ-liberale Paarung ihre Geschäfte machen wird, und es ist sehr ergötzlich, wenn auch politisch völlig belanglos, wie kaum zwei dieser Weltweisen in ihren Prognosen übereinstimmen. Nur in einem sind sich wenigstens die Blockparteien einig, daß man im Reichstage vor dem Herbste, also in den bevor- stehenden Wochen, alles vermeiden müsse, was ernste Kon- flikte zwischen Regierung und„nationaler" Mehrheit hervor- rufen könnte.„Stille, stille, kein Geräusch gemach t", das ist die Parole dieser Herren. Tatsächlich wird es mit dieser so heiß ersehnten Stille und Konflikts- losigteit gute Weile haben, sintemalen die Logik der Tat- fachen ihren eigenen Willen hat und vor den edlen Absichten des Blocks keineswegs den regierungsfrommen Respekt hat. Konflikts st off liegt nämlich im Reichstage wie im Landtage überreichlich vor, und es ist ganz zweifellos, daß er in die Erscheinung treten wird, wenn auch mit den Unter- schieden, die in der Natur der Zusammensetzung der beiden Parlamente hinlänglich begründet sind. Im R e i ch s t a gc wird die zweite Beratung des Etats für unsere Vertreter die Einzelkritik ermöglichen, und sie werden sich darin, was Griindlichkeit betrifft, auch nicht durch die Schlußrufe der bürgerlichen Sommerreisenden hindern lassen, die zufällig Reichstagsabgeordnete geworden sind. Wollen einzelne Parteien, wie aus der agrarisch-konser- vativen Presse mit besonderer Deutlichkeit hervorgeht, die an sich schon so begrenzte parlamentarische Kritik diesmal noch durch gewaltsamen Debattenschluß einengen, so dürften sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben, ja sie dürften im Reichstage nicht einmal die Majorität für solche Mordgelüste unter den jetzigen Verhältnissen zusammen- klappern können. So wird es denn auch eine ziemlich eitle Hoffnung sein, den Etat bis Pfingsten unter Dach und Fach zu bekommen, und ein erneuter K n a l l e f f e k t ist nicht ganz ausgeschlossen. Die Debatten der zweiten Reichsetat-Lesung dürfen und können diesmal um so weniger eingedämmt werden, als besonders für die Etats des Reichsamts des Innern, des Auswärtigen und der Kolonien eine solche Fülle von Material vorliegt wie kaum zuvor. Dazu wird die Opposition im Reichstage mit aller Energie darauf dringen müssen, daß sein Recht der Initiative gerade jetzt verstärkt zur Geltung kommt, wo die Regierung in allen sozialen und kulturellen Fragen sie völlig vermissen läßt. Die strikteste Innehaltung der Schwerinstage ist eine abfolute Notwendigkeit. Das jetzt viel diskutierte Ver- h ä l t n i s der„Paarung" ist nachgerade zur Lächer- lichkeit geworden: sachlich in sich widerspruchsvoll bis zum äußersten, hatte es schon in den ersten Wochen des neuen Reichstages die wunderlichsten Beispiele seiner Haltbarkeit gegeben, und die ganze Systemlosigkeit bürgerlicher Par- lanwntspolitik konnte an dieser„Paarung" wahre Schul- beispiele erleben lassen. DaA muß mit fortschreitender Zeit immer gegensätzlicher wirken, und die gloriose Politik des Reichskanzlers wird auf ihren eigenen Dunghaufcn verwesen. Dieser Verwesungsprozeß hat sich nicht bloß im Reichstage schon angekündigt, sondern auch im preußischen Ab- geordnetenhause.wo die liberal-konservative Paarung von vornherein nur mit Hohn und Spott begrüßt wurde. Da hier überdies jeder frische Luftzug durch das Fehlen sozialdemokratischer Reinigungsbemühungen ausgeschlossen ist, wird das Hinfaulen dieser Mißgeburt von„Liberal- Konservativ" noch widerlicher wirken. Es ist sonach kein Wunder, daß beim Wiederbeginn der Parlamente den Siegern vom 25. Januar vor ihrer eigenen Herrlichkeit Angst und Bange wird, und daß nur die„nationalen" P a r t e i e n", zu denen sehr wider eigenen Unmut und Willen auch das Zentrum gehört, so etwas wie Freude in die neue Arbeit mitbringen. Ministcrwechsel in Bayern . AuS Bayern wird uns geschrieben: Mit dem Beginn der Landtagswahlbewegung hat sich in Bayern ein Ministerwechsel vollzogen, bei dem welter nichts ver- wunderlich ist, als daß er so lange hat auf sich warten lassen. Herr v. F e i l i tz s ch, der ein halbes Menschenalter fast Minister des Innern war, ist auf seinen Wunsch in Huld und Gnaden ent- lassen worden, und an seiner Stelle ist der Mann seiner Empfehlung, der frühere Regierungspräsident der Oberpfalz , Herr v. Brett- reich, getreten. Vor wenigen Jahren noch wäre es ein unerhörtes Ereignis ge- Wesen, unter der Regentschaft in Bayern einen lebenden Minister aus dem Amte scheiden zu sehen. Wie alles Gute im Reiche von Preußen kommt, ist aber die Zerstörung der Seßhaftigkeit unseres Ministerinvcntars aus dem Jahre 1886 auch von dort eingeleitet worden. Jenes Swinemünder Telegramm des deutschen Kaisers, das der„Empörung" Ausdruck gab«über die schnöde Undankbarkeit" der Streichung von IVO OVO M. für Kunstforderungen im Kultus- etat durch das Zentrum und das im Hofjagdlager des Prinzregenten völlige Verblüffung erregt hatte, war zum Stein geworden, über den der damalige Ministerpräsident v. Crailsheim stolpern sollte. Da sich in Bayern Ministerernennungen und Entlassungen im engen Zirkel des Hofes, des Geheimkabinetts und einer kleinen Zahl von berufenen und unberufenen Ratgebern vollziehen, kennt man noch heute die näheren Einzelheiten dieser auffälligen Wendung nicht. Aber, wie gesagt, der Regent ließ damals Herrn v. C r a i l s- heim ziehen, der noch rüstig genug war, nachher die aufreibende Tätigkeit eines Aufsichtsrats einer großen Bank und eines bedeutenden industriellen Unternehmens auf seine gräflichen Schultern zu laden. Und wie Herrn v. F e i l i tz s ch jetzt, so folgte dem Minister- Präsidenten damals das laute Wehegeschrei der Konservativen und Liberalen, die in Bayern seit Jahren schon so innig gepaart sind, daß man sie kaum mehr von einander kennt. Was auch biologisch begründet sei mag. da in einer guten und langen Ehe die liebenden Gatten häufig eine erstaunliche Aehnlichkeit gewinnen sollen. Dieser Liberalismus, der sich soeben mit den Konservativen und Landwirtsbündlcrn und mit— den acht oder neun hundert Soldaten der„demokratischen" Armee Q u i d d e s zum Landtagsblock wieder verbunden hat, trauert dem scheidenden F e i l i tz s ch heftig nach. Es ist allerdings die Nachrede, die die trauernd Hinterbliebenen ihrem Toten gönnen, nicht bei allen von gleicher Lieblichkeit. Am untröstlichsten geberdet sich das Organ der süddeutschen Volkspartei in Frankfurt , das überhaupt in den letzten Jahren eine bayerische Politik gemacht hat, für die das Eigenschafts- wort nationalliberal noch viel zu schmeichelhaft ist. Dieser Demo- kratie war F e i l i tz s ch ein Mann mit einem unsäglich edlen Herzen, ein Liberaler erster Güte, dem für sein Wirken der ewige. unauslöschliche Dank des Landes gebührt. Die„Kölnische Zeitung " tat» etwas billiger wie�das Frankfurter Demokratenblatt"; sie rühmte nur den„gemäßigten Beamtenliberalismus" des Dahin- geschiedenen. Der„Nürnberger Anzeiger" aber, der sich manch- mal noch des einen oder anderen demokratischen Prinzips erinnert, tut seiner größeren Schwester in Frankfurt das Leid an, auch in dieser schweren Stunde die Wahrheit zu bekennen und bezichtigt den in Gnaden entlassenen und mit dem goldenen Neliefbilde des Regenten beschenkten Minister der ödesten Polizeireaktion. Nicht zu den Leidtragenden gehört daS Zentrum. Und es ist nicht etwa ein Ausfluß edler Christenliebe, wenn die Zentrunispresie ihre Freude über das Ereignis keusch im Busen barg. Die Mehr- heitspartei hat schon im Herbst 190S die Entlassung deS jetzt frei- willig Gegangenen stürmisch gefordert. Und das war so ge- kommen: Als im Februar jenen Jahres Liberale und Konservative gegen das neue Wahlgesetz gewütet hatten, sah sich die Regierung zu der Erklärung veranlaßt, sie werde nach dem Fall des Gesetzes die— auf den Gewinn der Liberalen zugeschnittene— Wahlkreiseinteilung nach den Grundsätzen des befehdeten Entwurfs ändern. Das Gesetz fiel. Aber Herr v. F e i l i tz s ch, der alte Freund deS Beamtenliberalismus, sorgte dafür, daß den Liberalen kein Leid geschah und wandte die neue Wahlgeometrie zum Schaden deS Zentrums und zum Vorteil der Sozialdemokratie an. Unsere Partei hatte dem Polizeiminister nicht erst neue Fehde anzusagen, sie lag von jeher mit ihm im Kampfe. DaS Zentrum jedoch faßte feierliche und hallende Beschlüsse und schwor, der Erzfeind F e i l i tz s ch müsse verschwinden. Beim Begiim der Landtagssession fehlte es auch nicht an großen und scharfen Worten, gerade wie jctzv im Reichstage. Sogar eine Tat geschah: Dr. Heim wurde zum Referenten für den Etat des Ministeriums des Innern ernannt. Wollmar war Korreferent. Daniit schien das Zeichen einer unerbittlichen Opposition gegeben. Indessen Herr von F e i l i tz s ch kannte seine Pappenheimer vom Zentrum. In aller Gemütlichkeit legte er die Gegenmine. Wozu hat man denn auch Vettern beim Zentrumsadel und mit guten Diäten gesegnete Hagel- und Viehversicherungskommissäre unter den Zentrumsbauern? Zudem war der Minister davon unterrichtet, daß der gute Franz Seraph P i ch l e r seinem Freunde Heim es nicht gönnen werde, so edles Hochwild zu fällen. Eines schönen Tages legte denn auch Dr. Heim das Referat nieder, die Treibereien in seiner Fraktion waren ihm zu dumm geworden. Die Friedenstaube mit dem Oel- zweig im Schnabel flog auf das Referentenpult in der Gestalt eines indifferenten ultramontancn Landgerichtsrats, und der Be- Herrscher des Innern feierte seinen Sieg über die umgefallenen Krieger Gottes, indem er lächelnd blieb, so lange es ihm paßte. Vielleicht wäre er auch jetzt noch nicht freiwillig gegangen, lvenn nicht eine gewisse Erkältung eingetreten wäre zwischen dem Hofe und dem Ressort des Innern. Es spielt da das Wassergesetz hinein und die Frage der Was'erkraftverwertung im Zusamnienhang mit der Hofjagd und der gefährdeten Popularität des Prinzregenten: Dinge, die dadurch peinlich geworden sind, daß sie unser Mlliichener Parteiorgan öffentlich erörtert hat. Unserer Partei gegenüber war F e i l i tz s ch ein rücksichtsloser Vertreter der herrschenden Klassen. Unter dem Ausnahmegesetz putt- kamerte er besser wie sein preußischer Kollege. Und daß er nicht mehr Unheil angerichtet hat, daran ist lediglich der Umstand schuld. daß seine Untergebenen menschlicher waren wie er. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes schikanierte er die politische Partei wie die Gewerkschaftsbewegung unablässig weiter, bis um Weihnachten 189ö unser unvergeßlicher Grillen berger im Landtage so gründ- lich mit ihm abrechnete, daß selbst bürgerliche Organe von einer„parlamentarischen Hinrichtung" sprachen. Oeffent- liche Bloßstellungen aber waren nicht nach dem Geschmack des Ministers, und je mehr der Einfluß unserer Presse und unserer Partei in Bayern wuchs, umso vorsichtiger wurde er nun. An die Stelle der offenen Drangsalierungen trat mehr die hinterlistige Be- lästigung, die- allerdings unterstützt wurde durch eine von den bürger- liehen Parteien aufrecht erhaltene, unwürdige Vereinsgesetzgebung aus den Jahren der Konterrevolution. Bei alledem muß zugestanden werden, daß Feilitzsch kein Durchschnittsmensch war. Mit einer ungewöhnlichen Routine ver» band er eine hervorragende Arbeitskraft, und wenn er seinem Nach- folger auch ein auf vielen Gebieten verrostetes Ressort hinterläßt, so muß man bedenken, daß er zwanzig Jahre fast mit einem Land- tag zu wirtschaften hatte, für den die Bezeichnung hieratisch-archaistisck (priesterlich-altmodisch) noch eine sehr höfliche Oualifikation ist. Was den Nachfolger anbetrifft, so hat er die Gunst, daß dai früher sehr umfangreiche Gebiet des Ministeriums des Innern durch Zuteilung einiger wichtiger Sparten(Handel und Gewerbe. Fabrik- inspektion usw.) an das Ministerium des Aeutzern verkleinert worden ist. Die bürgerliche Presse iveiß viel Rühmendes von ihm zu melden über seine Beliebtheit in seinem früheren Wirkungskreise und seinen Arbeits- eifer. Politisch ist er nie hervorgetreten, und die Zentrumspresse findet, er passe ausgezeichnet in das neue völlig parteilose Kabinett. Warten wirs ab. Und sehen wir vor allem, was die Wahlen er- geben. Denn, wenn auch Bayern nichts weniger als ein parlamen- tarisches Regime hat, von der Entschiedenheit und Stärke der sozial- demokratischen Fraktion im Landtage hängt doch gerade auf dem Felde der inneren Verwaltung viel ab. Das hat sogar ein so zäher Polizeibureaukrat wie der verflossene Herr v. Feilitzsch er fahren müssen.— � � Deutfebeo Reich. Die Zeugnisfolter im Aufschwung. Nürnberg , 9. April. (Privatdepesche.) Genosse Paul Schlegel von der„Volkstribüne" wurde vom Schöffengericht zu Kulmbach in Zeugniszwangshaft genommen, weil er als Zeuge im Prozeß des Fabrikbesitzers Hornschuh gegen den Genossen Goller-Kulmbach den Verfasser eines Artikels in der.Volkstribüne" nicht verraten wollte. Zugleich wurde er zu ISO M. Geldstrafe verurteilt. Am Sonnabend mußten wir aus Mannheim melden, daß in der bekannten„Schnupftabaks "-Affäre die Strafkammer die Beschwerde des Genossen O. Geck von der„Volks stimme" gegen die Verhängung der Zeugniszwangshaft verworfen habe und daß Genosse Geck— der inzwischen Beschwerde beim Ober- landesgericht Karlsruhe eingelegt hat—, aufgefordert worden ist, die Haft im Mannheimer Gerichtsgefängnis am Mittwochvormittag 11 Uhr anzutreten. Noch ehe das geschehen ist, sind schon wieder einem sozialdemokratischen Redakteur die Zeugnisdaumschrauben an- gelegt worden! Die Zeugnisfolter erfreut sich steigender Anwendung in der neuen„konservativ-liberal gepaarten" Aera . Gedeiht trotz der Proteste der liberalen Presse, trotzdein vor kurzein selbst ein sächsischer — wohlgemerkt: ein sächsischer— Staatsanwalt sie bekämpft hat! Bemerkenswert ist, daß auch der Fall Schlegel in Süddeutsch- land spielt. Die Fälle Geck und Schlegel, die Behandlung der Dele- gierten zum Anarchistenkongreß, alles beweist, daß die Borussifizierung Süddeutschlands mächtige Fortschritte macht. Kulturelle Forlschritt» sind das indes nicht.— Ein Kuckucksei. Während die liberale Presse seit den letzten Reichstag?- Mahlen tatsächlich ihren Lesern die Mär auftischt, die deutsche Sozialdemokratie habe ihren Höhepunkt überschritten und der sozialdemokratische Wahlausfall des 25. Januar 1907 sei der Anfang eines unvermeidlichen Endes der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, bringt die letzte Morgennuminer der bis- her am lautesten diese tiefgründige politische Weisheit ver- kündenden„Nationalzeitung" einen Leitartikel, in dem die Ansicht ausgesprochen wird, weder habe die sozialistische Be- wegung ihren Höhepunkt erreicht, noch könne sie jemals unterdrückt werden, denn sie fei nichts als ein notwendiges Produkt der Entwickelungsverhältnisse und in diesen fest verankert. Wörtlich heißt es in dem Aufsatz: „Wer zurückdenkt, von welch geringen Anfängen die Be» wegung im Jahre 1848 ausging, und welche Bedeutung und Macht sie seitdem in allen Staaten, in der Wissenschaft und Kunst erlangt hat, wird sich nicht zu dem Wahne verleiten lassen, sie habe ihren Höhepunkt erreicht oder könne jemals unterdrückt werden. Die' soziale Frage hat von dem Leben der Menschheit fortan Besitz ergriffen, wie ehedem die- Religion. Schon der feudale Staat hat in schweren Krisen Aenderungen der gesellschaftlichen Ordnung ausführen müssen und alte historische Rechte und Ein- richtungen beseitigt. Das Eigentum ist so wenig heilig gewesen, wie die Unterschiede der Kasten und die Vorrechte der Stände. Die Emanzipation des Bürgerstandes, die Befreiung der Bauern- schaft aus der Leibeigenschaft sind das Vorspiel und das Vorbild der Emanzipation der arbeiten» den Klassen geworde n." Nach der Versicherung des Verfassers können zwar die Forderungen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft nicht durch eine revolutionäre Erhebung, fondern nur durch eine „längere Entwickelung" izur Verwirklichung gelangen, aber andererseits meint er, werde nie die soziale Bewegung auf die revolutionären Elemente verzichten, denn sie seien„ihre werbende und treibende K r a f t": „Da sie in jeder Nation die überwältigende Mehrheit aus- machen und von ihrer Erhaltung und Tüchtigkeit die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates abhängt, kann ihre Erhebung und Gleichstellung mit den oberen Schichten nur ein Werk sorg- fältigster Erwägung und die Folge einer längeren Entwickelung sein. Von der Ansicht, durch den großen Krach den Zukunftsstaat oder auch nur die Herrschaft des Proletariats herbeizuführen, sind die verständigen Führer der sozialdemokratischen Partei überall zurückgekommen, und die Ereignisse, die sich in Rußland vollziehen, übernehmen auch für die revolutionslüsternen Ge- nossen den Beweis von der Vergeblichkeit des Schreckens und des Generalstreiks, die bestehenden Zustände zu ändern. Wie kirchliche und politische Umwandlungen, sind auch die sozialen einzig durch Reformen und allmähliches Fortschreiten möglich, auch sie stehen unter dem Gesetz der organischen Entwickelung. Die soziale Bewegung wird nie auf die re- bolutionärcn Elemente verzichten, sie sind ihre werbende und treibende Kraft, aber so- lange die Regierungen und die bürgerlichen Parteien dem Re- formwerk treu bleiben, ist die Gefahr eines wirklichen, allgemeinen Zusammenbruches nicht groß, sie verschwindet in demselben Ver- hältnis, wie der Fortschritt der' Reformen sich ausbreitet und die Steigerung ihrer Wirkungen wächst. Nur eine heilige Allianz gegen die Sozialdemokratie könnte diese«Revolution heraufbeschwören, weil sie durch ihre Rückwirkung auf die politischen Verhältnisse das ganze Volk in Mitleidenschaft fortreißen würde." Erstaunt fragt man sich, wie diese Aeußerungen in da? Bartningsche Blatt kommen, das sonst seinen Lesern lediglich den faden Abspülicht eines seichten liberalen Aufktärichts vorsetzt. Sollte vielleicht einer der professoralen Mitarbeiter, deren das Blatt noch einige aus früheren besseren Tagen besitzt, der Uchgltion dieses ausgetragen�! Zuckucksei in das
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