Nr. 87. 24. Jahrgang.1. Mime des Jsrniirts" Knlim lolUlittSonntag, 14. April 1907.k�eickstag.u treten.>allin derLS. Sitzung vom Sonnabend, den 13. April�vormittags 11 Uhr.Am Bundesratstische: Graf Posadowsty.Fortsetzung der zweiten Beratung des Etats des ReichsamtsdeS Innern. Titel: Gehalt des Staatssekretärs.Abg. Robert Schmidt-Berlin(Soz.):Es dürfte kaum eine günstigere Periode für die Entfaltungeiner weit umfaffenden Sozialpolitik gegeben haben als die letztenvier Jahre. Es ist das eine Periode des großen wirtschaftlichenAufschwunges, und unzweifelhaft ist in einer solchen Periode dieDurchführung der Anforderungen an die Industrie, soweit sie aufArbeiterschutz gerichtet sind, viel leichter möglich, als in Zeitendes wirtschaftlichen Niederganges. Trotzdem ist nach fast über-einstimmendem Urteil hier im Reichstage diese Periode in bezugauf Sozialpolitik fast wirkungslos an uns vorübergegangen. HerrNaumann hat dafür die Erklärung gefunden und dargestellt,wie schwach doch der deutsche Parlamentarismus ist, wenn imReichstage für bestimmte Forderungen tatsächlich eine Mehrheitdauernd vorhanden war und ist, ohne daß die Verwirklichungdieser Forderungen möglich gewesen wäre oder in naher Aussichtstände. Der Staatssekretär Graf Posadowsky hat demgegenüberdarauf hingewiesen, daß doch auch in anderen Ländern, wo derParlamentarismus eine größere Bedeutung habe— wie in England und Frankreich— die Dinge nicht allzu glänzend lägen. Ichbin der letzte, der leugnen wollte, daß auch in diesen Ländern derKapitalismus einen außerordentlich starken Einfluß auf die Gesetz-gebung hat und daß auch dort in sozialpolitischer Hinsicht nichtder Fortschritt zu verzeichnen ist, den wir wünschen. Immerhinfällt der Vergleich mit Frankreich nicht zugunsten Deutschlandsaus. Und wie glänzend hat das englische Parlament die strittige Frageder Organisation und des Streikrcchts der Gewerkschaften erledigt!Wir in Deutschland haben dazu keine Aussicht.Herr Bassermann meinte, daß es gerade im Interesse desnationalen Blockes läge, eine fruchtbare Sozialpolitik zu treiben.Ich verstehe es, wenn Sie bei jeder Gelegenheit Ihr Triumph-geschrei über den Wahlausgang ertönen lassen. Wir konnten sooft nach Wahlen Triumphe feiern— da nehme ich es Ihnen nichtweiter übel, wenn S i e das bei gegebener Zeit auch tun. Aberdaß Sie bei jeder Gelegenheit davon reden, scheint mir zu be-weisen, daß Ihr Glaube an die politische Festigkeit des Blocks dochetwas erschüttert ist. Was würde es uns Eintrag tun, wennwirklich die Sozialpolitik fruchtbare Bahnen wandelte? Sieglauben unS damit den Boden abgraben zu können. Wenn wirnach 5 Jahren sagen können: Der nationale Block hat eine Sozial-Politik eingeführt, die eine Ruhmesperiode für den deutschenParlamentarismus ist, dann könnten wir unseren Verlust ja leichtverschmerzen. Aber wir können uns auf die Einsichtslosigkeit derdeutschen Regierung schon Verlasien, die uns immer geholfen hatund die von Sozialpolitik in ihrem innersten Wesen nichts wissetjwill.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Solange dieDinge in Preußen so bleiben wie jetzt, werden wir keine fruchtbareSozialpolitik bekommen. Jede sozialpolitische Vorlage wird immerwieder ein Stückchen sozialpolitischen Wohlwollens und ein Mehrvon Nnternehmerschutz bringen. Graf Posadowsky hat wiederholtüber den kleinlichen Polizeigeist gelästert, der in Deutschlandherrscht, und doch kann er sich und seine Vorlagen von dem Ein-fluß dieses Polizeigeistcs nicht frei machen.(Sehr richtig! bei denSozialdemokraten.) Wer bringt den Polizeigeist immer wiederda hinein? Vielleicht die„anderen", von denen der Herr Staats-fckrctär sprach? Auf unsere Frage, wer diese anderen seien.meinte er, das sei eine sehr neugierige Frage. Nun, die Antwortpfeifen die Spatzen von den Dächern: Es ist niemand anders alsder Polizei st aat Preußen(Lebhafte Zustimmung bei denSozialdemokraten), der seine Macht immer wieder im Polizeibüttelsieht und zu ihm immer wieder seine Zuflucht nimmt.(ErneuteZustimmung bei den Sozialdemokraten.) Es ist übrigens inter-cssant: Wenn es sich um Versuche handelt, den Einrichtungenund Organisationen der Arbeiter Schaden zuzufügen, da habendie Geheimrätc im Reichsamt des Innern immer Zeit, da ist dasTempo manchmal wirklich jenes Automobiltempo, das bei derSozialpolitik vermißt wird.(Sehr richtig! bei den Sozial-dcmokraten.)Der Staatssekretär besprach auch die Frage des Befähigungs-Nachweises und hat eine Vorlage hierüber in Aussicht gestellt. DieFrage des großen oder kleinen Befähigungsnachweises läßt dieArbeiterschaft außerordentlich gleichgültig. Mögen sich die Hand-werksmeister damit herumschlagen. Nützen wird ihnen wederder kleine noch der große Befähigungsnachweis.(Sehr richtig!bei den Sozialdemokraten.)Von wichtigen sozialpolitischen Forderungen soll nur eineerfüllt werden: Der zchnsttindigc Arbeitstag für Frauen. Dasist nur ein kleiner Schritt vorwärts. Die Einführung des zehn-stündigen Arbeitstages für unsere gesamte Industrie, als Ein-leitung zu einer weiteren Herabsetzung der Arbeitszeit, würde schonvon größerer Bedeutung sein. Aber davon ist keine Rede. Wasnützt es, wenn nachträglich die Regierung nur das gesetzlich fest-legt, was die Gewerkschaften in jahrelangen zähen Kämpfen schonerrungen haben? Der Staatssekretär sagt, das sei eine umfang-reiche Gesetzesmaterie, und es erscheine fraglich, ob der Reichstagsie zur gewünschten Zeit verabschieden könne. Man rufe doch denReichstag beizeiten ein, dann hat er Zeit zur Erledigungsolcher wichtigen sozialpolitischen Aufgaben.(Sehr richtig! bei denSozialdemokraten.) In den kurzen Sessionen, wie sie im ReichstageRegel sind, lasien sich große sozialpolitische Vorlagen nicht erledigen.In Frankreich und England haben die Parlamente viel längereSissioncn.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die armenpreußischen Landarbeiter müssen sich noch heute in Krankheitsfällenauf die jämmerliche Armenunter st ützung verlassen, dieihnen ohne Rechtsanspruch im äußersten Notfall gewährtwird. Warum haben ferner die verbündeten Regierungen nichtlängst einen umfangreichen Gebrauch vom§ 120e der Gewerbe-Ordnung gemacht, dort, wo gesundheitsschädliche Wirkungen für dieArbeiter festgestellt sind, eine Beschränkung der Arbeitszeit ein-zuführen? Es bedarf keiner neuen Erhebungen, um zu wissen,daß in der großen, mächtigen, finanziell so gut begründeten Hütten-industrieArbeitszeiten von 2i und 36 Stundenvorkommen.(Lebh. Hört! hört! b. d. Soz.) Das ist längst durchdie Berichte der Fabrikinspektoren, durch d«e Enqueten der GeWerk-schaften festgestellt. Steht es nicht fest, daß diese Arbeiter keineregelrechten Pausen haben, daß sie in den Werkstätten unterSchmutz und Rauch und Dreck ihre Mahlzeiten einnehmen müssen,daß es an Wasch- und Ankleideräumen fehlt? Dem Vertreterdes Wahlkreises, wo gerade die Hüttenindustrie ihren Hauptsitzhat, dem Herrn Stöcker, scheinen freilich diese Dinge nicht bekanntzu sein.— Hier läge doch alle Veranlassung vor, von der Be-stinimung des§ ILOe der Gewerbeordnung Gebrauch zu machen.Schichtdauern von 24 und 36 Stunden nehmen sich doch geradezuals Hohn auf die Behauptung von der sozialpolitischen Führer-schaft Deutschlands aus.(Sehr richtig! b. d. Soz.) Hier sind langeund dauernd die wichtigsten Pflichten der Sozialpolitik versäumtworden.(Sehr richtig! b. d. Soz.)Auf den Hainburger Hafenarbriterstreik ist auch der Herr Abg.Raab eingegangen. Der Kampf ging davon aus. daß die Arbeiterdie Nachtschichten, wenigstens in dem üblichen Umfange verweigerten.Da aber die Arbeiter die eventuelle Berechtigung der Nachtarbeitenunter gewissen Voraussetzungen in Betracht zogen, so fragte derVorstand der Schauerleute am 20. September 1000 beim Hafenbetriebsverein der Unternehmer an, ob er nicht gewillt sei, wegenWiedereinführung der Nachtarbeit in VerhandlungenDarauf schrieb der Hafenbetriebsverein, in dem Herrlsitende Mann ist:Der Vorstand erwidert Ihnen ergebenst, daß ihm keineKlagen von seinen Mitgliedern über die Beschränkung der Nacht-arbeit zugegangen sind.Der Verein Hamburger Reeder, dessen Vorsitzender Ballin ist,schreibt in seinem Jahresbericht für 1906:Die Schauerleute haben sich dieser Einrichtung(gemeint istdie Ummodelung der Maßregelungsbureaus) gefügt, haben aberdann, als ihrem Verlangen nach Beteiligung an der Verwaltungdes Nachweises nicht entsprochen wurde, Nachtarbeiten nach10 Uhr verweigert. Hiermit haben sich die Arbeitgeber abge-funden und die unverhältnismäßig teure Nachtarbeit bedeutendeingeschränkt, da sich infolge dieser Maßregel gezeigt hatte, daßdiese in weiterem Umfange, als bisher angenommen, durchführ-bar sei.Die Unternehmer gestehen also klipp und klar ein, daß dieBeschränkung der Nachtarbeit möglich und für sie sogar nützlichsei. Wenn sie jetzt also die Schauerleute zur Nachtarbeit, zuschweren körperlichen Arbeiten bis zu 36 Stunden, zwingenwollen, so ist das eine Machtprobe: sie wollen die Arbeiterorganisa-tionen unter ihren Willen beugen. Hätten wir in Deutschland eineRegierung, die ernsthaft Sozialpolitik treiben will, so hätte einesolche den§ 120 e auf die Hafenarbeiter angewandt und dieSchichtdauer von 36 Stunden kurzerhand verboten.(Sehr richtig!b. d. Soz.) Aber die Regierung hat nicht die Entschiedenheit undden Mut, um gegen die mächtigen Reeder aufzutreten. Wie weitdie Korruption gegangen ist und wie sie in die Verwaltung undin die Justiz eindringt, geht daraus hervor, daß selbst ein Institut,welches sonst so große Achtung unter der Arbeiterschaft genießt,nämlich das Hamburger Gewerbegcricht, entschieden hat, daß einzu 36stündigcr Arbeitszeit verpflichtender Vertrag nicht, wie dieArbeiter auf Grund des B. G. B. eingewandt hatten, gegen dieguten Sitten verstoße!— Wer aber nur etwas sozialpolitischesEmpfinden hat, wird gestehen, daß eine solche Arbeitszeit nichtnur gegen die guten Sitten, sondern auch gegen alles menschlicheEmpfinden verstößt.(Sehr wahr! b. d. Soz.)Es ist bezeichnend für den sozialpolitischen Kurs in Deutsch-land, daß die Regierung alle Ausländer, die sich auch nur e i nWort in der gewerkschaftlichen Bewegung, auch in der christlichenGewerkschaftsbewegung, erlauben, aus Deutschland hinauswirft,daß sie aber Leuten, die zu dem Abschaum der Menschheit gehören.die aus allen Gassen und Schmutzwinkeln Englands zusammen-gefegt sind, die Türen weit öffnet und sie in deutsche Häfen herein-läßt, damit sie den deutschen Arbeitern Konkurrenz machen. Unddann stellt sich Herr Ballin, der die Verantwortung für eine solcheWirtschaft trägt, hin und bedauert, daß nicht einer von seinenKlassengenossen in den Reichstag gekommen ist. Ich meinerseitsmöchte fast bedauern, daß es uns nicht möglich ist. uns hier Augein Auge mit einem dieser Herren auseinanderzusetzen.(Sehr gut!b. d. Soz.) Auch nach einer anderen Richtung hin sind außer-ordentlich interessante Symptome in diesem Ausstand aufgetreten:Die Arbeiter haben die„Dreistigkeit" gehabt, in die General-Versammlung der Hamburg-Amerikalinie hineinzugehen, um dortmit den Interessenten der Hochfinanz Abrechnung zu halten undzu sehen, ob hier nicht ein menschliches Empfinden für ihreAnsprüche und Forderungen erweckt werden könnte. Die Herrenhaben sich darüber entrüstet, daß die Arbeiter sie in ihren heiligenInteressen verletzen konnten. Da, wo sie die Gewinne zusammen-scharren wollten, wo sie-'immer unter f i ch waren, wo es galt,den Profit zu verteilen, da kommen auf einmal die Arbeiter mitihrer„Anmaßung" und„Frechheit" hinein und wollen mit-sprechen und an das Gewissen der Herren appellieren. InGeldsachen aber hört nicht nur die Gemütlichkeit auf, sondern fürgewisse Kreise auch das Gewissen und das menschliche Emp-finden.(Sehr richtig! b. d. Soz.) Herr Stinnes sagte einmalzu einem Minister:„Wir machen mit unserem Eigentum, was wirwollen, da lassen wir uns nicht hineinreden!" In derselben Weisereden die Herren zu dem Arbeiter, und sie zeigen ihren gesell-schaftlichen Anstand dadurch, daß sie vor den Arbeitern, wenn diesefür ihre Interessen eintreten, ausspeien und die ganze Verachtung,die sie als Unternehmer gegen die Arbeiter empfinden, zum beut-lichsten Ausdruck bringen.(Hört! hört! b. d. Soz.) Ich habe nurden Wunsch, daß es unseren Arbeitern gelingen möge, mit diesengewissenlosen Hochfinanziers, mit diesen Jndustrierrittern auchkünftig ein ernstes Wort zu reden, um diesen Hochmut und dieseRücksichtslosigkeit des Unternehmertums gegen ehrliche, anständigeArbeiter durch eine gute und entschiedene Organisation zu strafen.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)Ich komme nun zu einer Aeußerung des Herrn Pauli, der imHinblick auf die gegenwärtige Aussperrung der Holzarbeiter inBerlin über denNiedergang deS Kleingewerbesklagt. Wenn irgend eine Taktik geeignet ist, den Handwerkerstandund das Kleingewerbe zu schädigen, dann diese Taktik derUnternehmer, an welcher Herr Pauli nicht ganz unschuldig ist.Kein Meister des Holz- und Tischlcrgewerbes darf sich den Ver-pflichtungen entziehen, die ihm die Unternchmcrorganisation auf-erlegt, wenn ihm nicht sämtliche Gläubiger auf den Hals gehetztwerden und er gänzlich unmöglich gemacht werden soll.(Zurufrechts: Das haben sie von den Arbeitern gelernt!) Ach nein,Arbeiter haben keine Gläubiger; denn Arbeiter haben auchkeinen Kredit, das können sie also von den Arbeiternnicht lernen! Die Unternehmer üben TcrrorismuS in andererWeise: sie brauchen sich nicht hinzustellen und den Einzelnen ab-zufangen, sie rücken demselben auf die Bude, unter Ausschlußder Oeffentlichkeit, ohne Ueberwachung!(Sehr richtig! � beiden Sozialdemokraten.) Sie sagen: Wenn du dich nicht fügst,wird deine Existenz vernichtet! Das ist der Terrorismus jenerSeite(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Draufgänger, wieHerr Pauli, sind die ungeeignetsten Leute. Tarifverträge zustandezu bringen. Ein wenig mehr Entgegenkommen, und der großeKonflikt im Berliner Holzarbeitergewerbe wäre unmöglich ge°Wesen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn HerrPauli sagt, im Tischlergewerbe sind gesunde luftige Arbeitsräumeüblich, so zeigt er. daß er von diesen Verhältnissen garnichtS weiß.Erst jetzt hat die Technik eine Absaugevorrichtung erfunden, um derstarken Staubcntwickelung entgegenzuwirken. Doch kommen dieseEinrichtungen für das gesamte Gewerbe noch garnicht in Be-tracht. Wenn Herr Pauli auch nur ein wenig Sozialpolitiktriebe, müßte er wissen, daß in der ganzen Holzbranche die Lungen-erkrankungen außerordentlich zahlreich sind, wovon die Berufs-arbeit die Ursache ist.(Sehr rihtig! bei den Sozialdemokraten.!Auf das Gebiet der Jugendorganisation will ich Herrn Paulinicht folgen. Bemerken will ich nur, daß ich seine Entrüstungüber das bekannte Gedicht:„Bet' und arbeit', ruft die Welt", nichtbegreife. Ich will ihm verraten, daß der Verfasser des GedichtesHerwegh ist, der als Dichter sicherlich einen größeren Namenhat. als Herr Pauli je als Parlamentarier haben wird.(Sehr gut!bei den Sozialdemokraten.) Etwas sonderbar mutet es an, wennHerr Pauli sich auch über die Komposition ausspricht. Ichdarf ihm verraten, daß sie von Hans von Bülow herrührt!(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Daß Hans v. Bülow langenach seinem Tode sich den Zorn des Herrn Pauli zugezogen hat,wirkt doch etwas komisch.(Heiterkeit.)Ich wende mich nun zu dem Redner der nationalliberalenPartei, der von uns für den Arbeiter Freiheit der Organisationverlangt. Wir können Herrn Stresemann, einen Vertreter desVerbandes sächsischer Industrieller, nur auffordern: Lassen SieIhrerseits den Unternehmern die Freiheit der Organi-sationl Da wird oftmals ein sehr scharfer Druck ausgeübt, umUnternehnier in die Organisation zu zwingen, darüber kann garkein Zweifel bestehen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)Als Beispiel für den,Terrorismus der Gewerkschaftenhat Herr Stresemann angeführt, daß in einem Streit über dieOrganisation ein Arbeiter einem anderen mit einer Zange überden Kopf geschlagen hat. Jeder Streit in einer Werkstätte wirdgegenwärtig als Beispiel von Terrorismus den Gewerkschaftenin die Schuhe geschahen. Unendlich viel wird von Terrorismusgefabelt, unendlich viel Unwahres in die Welt hinausgeschleudert,natürlich nur zu dem Zwecke, die Gewerkschaften zu diskreditieren.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich will nur zwei Fällevon solchem„Terrorismus" anführen.„Die neue Zeit", einliberales Blatt in Charlottenburg, teilte mit, daß ein Fuhrwerks-besitzer von streikenden Arbeitern ganz elend verprügelt worden sei.Der angeblich Verprügelte erließ darauf folgende Erklärung, welche„Die neue Zeit" aufnehmen mußte:„Der Fuhrwerksbesitzcr Emil Müller aus der Pestalozzi-ftraße teilt uns mit, daß er nicht von streikenden Zichleuten amMontagvormittag überfallen und mit einem Bierseidel ge»schlagen, auch nicht in einer Droschke nach Hause gebracht wurde.Der Herr befindet sich im Gegenteil wohl und munter. Er hatam Montagvormittag eine Möbelfuhre geladen, von einer Aus-schrcitung ist ihm nichts bekannt."(Hört! hört! bei den Sozial-demokraten.)„Die neue Zeit" fügt einfach hinzu: Ja, wir hatten die Sachevon glaubwürdiger Seite erfahren. Die Glaubwürdigkeit ersehenSie aus dem Ergebnis. Eine andere Berichtigung, die den Tat-bestand von selbst bietet, lautet:„Ich nehme die im„Regulator" vom 9. Oktober 1906 aus-gesprochene Beleidigung mit dem Ausdruck des Bedauernszurück und erkenne an, daß die dort ausgesprochenen Be-leidigungen unwahr sind. Ebenso erkenne ich an, daß der Kessel-schmied Fritz Schulz von dem„Deutschen Metallarbeiterverband"die ihm zustehende Streikunterstützung erhalten hat."Bei solchen Berichtigungen darf man doch nicht glauben, daßgerade von unserer Seite strenger Terroriömus geübt wird,während doch von Ihrer Seite die rücksichtsloseste UnterdrückungAndersdenkender ausgeübt wird.(Sehr richtig! bei den Sozial.demokraten.) Ich erinnere z. B. an einen recht interessantenBoykott der katholischen Geschäftsleute: Die„Rhein- und Ruhr.zeitung" forderte nach den Wahlen nicht mehr und nicht wenigerals den Boykott aller Geschäftsleute, die im Verdachte stehen, inder Stichwahl für unseren Parteigenossen Hengsbach gestimmt zuhaben, sowie die Maßregelung der Arbeiter. Weil aber daß Kartellim Duisburger Wahlkreise auch von den„besseren" KatholikenZuwachs erhalten hat, soll der Geschäftswelt gegenüber Vorsichtgeübt werden. Das Blatt schreibt:„Lieber ein solch schwarzesSchaf ungestraft laufen lassen, als unseren gut national gesinntenMitbürgern Gelegenheit zu geben, über politische Ungerechtigkeitzu klagen."— Andere Töne freilich schlägt das Scharfmachcrorgaugegen die Arbeiter an; hier empfiehlt es, die schwarzen undroten Agitatoren überhaupt nicht mehr zu beschäftigen! Wenn Siealso über Terrorismus der Arbeiter klagen, so bessern Sie selbstsich zuerst.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)Herr Stresemann sagt, der Terrorismus der Gewerkschaftengeht so weit, daß sie nicht einmal mehr Kriegervereinsmitgliedcraufnehmen wollen. Ich würde einen solchen Beschluß für un»geschickt halten; aber in Sachsen wie in Preußen ist es den Krieger-vereinen direkt verboten, Gewerkschaftsmitglieder zu werden, wennsie nicht sämtliche Kassenanrcchte verlieren wollen. Da mag HerrStresemann mit seiner Einwirkung einsetzen.(Sehr richtig! beiden Sozialdemokraten.) Mit Anerkennung sprach er von denTarifverträgen. Was nützt uns diese Anerkennung, wenn diegroße Mehrzahl der Unternehmer sich ablehnend verhält? DasOrgan des Verbandes deutscher Industrieller weist mit Genug-tuung darauf hin, daß es in der Großindustrie keine Tarifverträgegäbe, und als bei Vergebung von Aufträgen die bayerischeRegierung Berücksichtigung solcher Unternehmer empfahl, welcheTarifverträge abgeschlossen haben, wehrte sich der Zentralverbanddeutscher Industrieller gegen solche Anerkennung der Arbeiter-organisationen! Der Gcsamtverband deutscher Metallindustriellcrhat erst vor kurzem beschlossen, die Verhandlungen von Organisationzu Organisation zu vermeiden.Auch aufdie Kartell- und Syndikatsbildungmöchte ich Ihre Aufmerksamkeit hinlenken. Die Grundpfeiler derkapitalistischen Produktionsweise werden hier erschüttert, die freieKonkurrenz ist aufgehoben. Noch eine andere wichtige wirtschafts»politische Aenderung ist hervorgebracht: Durch die Konzentration derBetriebe, durch die Ausnutzung technischer Hülfsmittel und Er»sparung menschlicher Arbeitskraft ist die Ware nicht billiger ge-worden, sondern die Syndikatsbildung ermöglicht die Hinauf-schiebung der Preise ohne Rückficht auf die Herstellungskosten, lvo-bei rein spekulative Werte eine außerordentlich bedeutsame Rollespielen. Kurssteigerungen der Aktien von 100 bis 150 Proz. sindmeines Erachtens ungesund. Da fragt es sich, was die Re-gierung gegen diese außerordentliche Machtentfaltung der Hoch-finanz und der Großindustrie unternehmen kann. Als die Regie-rung versuchte, bei der„Hibernia" einzugreifen, ist das HerrnMöller sehr verargt worden, und gerade seine Freunde in derGroßindustrie haben dazu beigetragen, daß er nicht mehr im Amteist. Auch die Entwickelung auf dem Gebiete der Kohlenproduktionsollte der Regierung Anlaß zu ernsten Erwägungen geben. Kohleund Erz, die sich im Innern der Erde befinden, gehören der ge-samten Nation und nicht dem einzelnen zur Spekulation. AIS dieRegierung in diese Interessensphäre eingreifen und das Mutungs-recht verstaatlichen wollte, wiesen die Herren vom Kartell daraufhin, daß im Saarrevier höhere Preist und niedrigere Arbeitslöhneherrschen als im Kartell! Wenn der preußische Staat in dasKohlcnkartell eintreten will, so wird er wahrscheinlich für höhereKohlenpreise sorgen, ob aber auch für höhere Arbeitslöhne.das erscheint mir sehr fraglich.(Zustimmung b. d. Soz.) Nichtmit Unrecht sagen die Interessenten der Großindustrie: Wie kanndie Regierung sich gegen den Einfluß der Großindustrie wenden,wenn sie selbst die rücksichtslosesten Unternchmcrpraktiken übt?Auf einem staatlichen Werke im Saarrevier ist ein Arbeiter, der33 Jahre in diesem Betriebe gearbeitet hatte, entlassen worden,weil er in einer Wirtschaft ein sozialdemokratisches Flugblatteinem Eisenbahnbeamten auf Erfordern hinübcrgereicht hat.(Hörtlhört! bei den Sozialdemokraten.) Das war sein ganzes Vergehen.Der Gemaßregelte ist Vater von 15 Kindern, von denendrei beim Militär dienen; auch er selbst hat dem Vaterlandc ge-dient, bei den Bergungsarbeiten auf„Reden" hat er sich mit be-sonderer Bravour betätigt! Sie reden von der Undankbarkeit derArbeiter, beweisen Sic einmal erst Dankbarkeit gegen die Ar-bester!(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Weiter verweise ich darauf, daß in Staatsbetrieben den Ar-Hestern verboten ist, sich an irgendwelchen politischen Vereinen derSozialdemokratie zu betätigen. Der Terrorismus und die Bevormundung gehen soweit, sogar den Frauen der Arbeiter dieBeteiligung an den Konsumvereinen zu verbieten. Herr Raabwirft den Konsumvereinen vor, daß sie Sparkassen anlegen. Siesollten uns doch für die Förderung des Spartricbes dankbar sein;Sie werfen uns doch so oft vor. daß wir die Arbeiter anreizen,nicht zu sparen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) AlsTrumpf spielt Herr Raab aus, man solle den Konsumvereinen ver-bieten, Dividende zu zahlen. Wenn Sie es den Aktiengesellschaftenauch verbieten wollten, läßt sich vielleicht darüber reden.(Sehrgut! bei den Sozialdemokraten.) Aber da werden wir wohl aufunerschütterlichen Widerstand stoßen.Nun ein paar Worte überdie Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter.Bei der Zolltarifberatung haben die Herren von der Rechtcil ge-> sagt: wir wollen Zustände in der Landwirtschaft haben, die es