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Nr. 90. 24. Jahrgang. 1. ßtilnp des Jonnörtü" Knlim Sollisblntt. Donnerstag. 18. April 1907. Reichstag 81. Sitzung vom Mittwoch, den 17. April 1907, nachmittags 1 Uhr. Am Bundesratstische: Graf Posadowskh. Auf der Tagesordnung steht Fortsetzung der zweiten Beratung des Etats für das Reichsamt des Innern, Kapitel Reichs gesnildheitsamt. Alig. Dr. David(Soz., zur Geschäftsordnung): Ich beantrage, von den bei diesem Kapitel zur Verhandlung kommenden Fragen die W e i n f r a g e gesondert zu beraten. Mehrere Abgeordnete sprechen sich in gleichem Sinne aus. 1 wird beschlossen, die Weiufrage zuerst zu beraten. Präsident Gras Stolberg: Meine Herren, ich muß Sie bitten, fich noch einmal zum Wort zu melden, da ich nicht wissen kann, wer von den Herren, die zum Worte gemeldet sind, zur Weinfrage sprechen will. Es entsteht ein Sturmlauf der Abgeordneten zu den Sitzen der Schriftführer, die im Augenblick von etwa 30 Abgeordneten umlagert find.(Schallende Heiterkeit.) Mit zur Verhandlung steht eine Resolution des Zentrums behufs einer Revision des Gesetzes betr. den Verkehr mit Wein; danach sollen zur Ausführung des Weingesetzes und zur Ueberwachung des Weinbaues und Weinhandels besondere Beamte angestellt und jede Weinhandlung der zuständigen Verivaltungsbehörde angemeldet werden; ferner soll die ständige Führung eines Lagerbuches zur Pflicht gemacht, der Zusatz von Zuckerwasser wirksamer eingeschränkt, die Deklarationspflicht für den Verschnitt von Rotwein mit Weiß- wein festgesetzt und jede absichtliche Uebertretung des Gesetzes mit Freiheits- und Geldstrafe geahndet werden. Abg. Dr. Ruegcnberg(Z.)(bei der großen Unruhe zuerst sehr schwer verständlich): �Lei der letzten Besprechung des Weingesetzes find die Zustände im deutschen Weinhandel als außerordentlich schlimme hingestellt worden. Das hat Erbitterung bei den Jnter- essenten hervorgerufen und der ausländischen Presse will kommenes Material zur Diskreditierung des deutschen Wein Handels geboten. Namentlich ist das Moselweingebiet angegriffen worden, ohne daß seine Vertreter in der Lage waren, diese Angriffe zurückzuweisen. In seinen weiteren Ausführungen polemisiert der Redner gegen die Abgg. Stauffer, Rösicke und Ehrhart und begründet die einzelnen Forderungen der Resolution des Zentrums. Abg. Dr. David(Soz.): Die Abgg. Stauffer und Rösicke haben bei der letzten Besprechung des Weingesctzes Aeußerungen gemacht, welche die größte Erregung hervorgerufen haben, weil man sie als Diskreditierung des deutschen Weinbaugebietes auffassen mußte. Herr Stauffer hat auch einen Fall aus RüdeSheim erwähnt und in einer Weise behandelt, daß sich nicht nur die Schuldigen, sondern die ganze Gemeinde und das ganze Gebiet getroffen fühlen mußten. Es wäre Wünschens wert, wenn man eine Beschuldigung gegen eine einzelne Firma nicht in einer solchen Weise verallgenieinern würde, daß man eine ganze Gegend auf die Anklagebank setzt. Uebrigens zeigt gerade dieser Fall, wie notwendig eine einheitliche Kontrolle in Deutschland ist. Im allgemeinen muß ich sagen, haben die Herren Rösicke und Stauffer durch ihre Verallgemeinerungen und Ucbertreibungen unserem Weinbau nicht genützt, namentlich auch nicht im Interesse der kleinen Weinbauern. Es ist eine unglückliche Tatsache, daß die Vertreter eines Wcinbaugebietes die eines anderen Weinbaugebietes zu diskreditieren suchen; denn der Er- folg ist schließlich eine Diskreditierung der ganzen Wein- bauindustrie. Uebrigens ist dies nur eine Folge davon, daß wir keine einheitliche Weinkontrolle haben; deshalb greifen die einzelnen Gebiete zur Selbsthülfe, indem sie bei Prozessen, welche ihre Solidität in Frage stellen, die Schuld auf ein anderes Weinbaugebiet mit minder scharfer Kontrolle abzuwälzen suchen. Daß auch wir bereit sind, mitzu- arbeiten und zu helfen, hat unser Kollege Ehrhart bereits am 7. März dar- gelegt. Ich will mich darum nicht auf Einzelheiten einlassen. Im allge- meinen sind wir einverstanden, daß eine scharfe Buchkontrolle ein- geführt wird, daß der Zuckerzusatz verboten wird und daß versucht wird, eine Uebereinstimmung über die Volumeneingrenzung zu er- zielen. Wir sind bereit, zu erwägen, wie weit schärfere Bestrafungen eintreten müssen: denn daß da, wo Hunderttausende verdient worden find, mit Strafen von einigen tausend Mark vorge- gangen wird, ist geradezu eine Aufforderung zur Fälschung. Graf Posadowskh hat angeführt, daß eine einheitliche Kontrolle sehr kostspielig würde, und zur Beseitigung dieser fiskalischen Schwierig- leiten hat man verlangt, daß die Kosten durch neue Weinsteuern aufgebracht werden sollen. Wir würden das auf keinen Fall mit- niachen; denn die Ankündigung dieser Ausnahmestener hat schon eine hochgradige Erregung hervorgerufen, und es würde gesagt werden können, daß von Preußen versucht wird, den Weinbau mit einer überaus ungerechten neuen Steuer zu belasten. Die Frage wird zufriedenstellend nur durch eine einheitliche strenge Nahrungs- Mittelkontrolle gelöst werden. Man hat früher Nahrungsmittel ge- fälscht, aber heute ist es unter dem Einflüsse der kapitalistischen Wirtschaftsordnung noch viel schlimmer geworden. Was man auch heute an Lebensmitteln kauft, stets riskiert man, gesundheitsschädliche Produkte einzukaufen. Aus allen Gebieten der Nahrungsmittel- Produktion ist die Kontrolle unzureichend. Aus diesem Grunde sollte die Reichsregierung alles aufbieten, um zu verhindern, daß die preußische Regierung die Dinge noch weiter hinausschiebt. Dann noch eine Seite, die ich zum Schlüsse andeuten will. Alle diese Kontrollmaßregeln, die wir schaffen, werden nicht alle Fälschungen aus der Welt schaffen, ebensowenig wie Dieb- stahl und Mord ausgerottet werden können. In gewissem Maße kommt auch hier die Selbsthülfe des Publikums in Frage. und auch die liegt noch außerordentlich im argen. Es ist Klage darüber zu führen, daß selbst in Berlin , das'doch Zentral- gunkt der Intelligenz sein will, das Publikum sich das Minder- wertigste für vieles Geld ruhig aufhalsen läßt.(Sehr richtig I bei zen Sozialdemokraten.) Das erregt Erstaunen, wenn man eS be- obachtet, auch in den modernen Lokalen von Berlin W. Das kommt vielleicht daher, daß die Konsumenten nicht das Gesetz kennen, sonst würden sie sich nicht einfach über den Löffel barbieren lassen. Wenn sie lesenRüdeSheimer ",Piesport ", so glauben sie, der Wein käme auch daher. Auch wennWachstum" dabei steht, ist das noch keine Garantie. Garantie bietet mir der Zusatz, daß eS ein naturreines Produkt sei. Es ist in Frage gekommen, daß der Weinkonsum zurückgegangen sei, und man hat die Schuld daran auf die Abstinenzbewegung geschoben. Meiner Meinung nach sehr zu Unrecht. Die Abstinenzbewegung hat doch sonst so wert- volle Tendenzen, daß man sie aus diesem Grunde heraus auf keinen Fall diskreditieren darf. Der Weinlonsum leidet auch nicht unter der freiwilligen, sondern unter der aufgezwungenen Abstinenz. 90 Prozent der Bevölkerung sind gar nicht in der Lage, sich Wein leisten zu können, dieser ist vielmehr nur LuxuSgetränk der wohlhabenden Schichten. Schließen Sie sich unserer sozialpolitischen Wirtschafrs- Politik an, die darauf hinausläuft, die wirtschaftliche Lage der Schwachen zu heben, so werden Sie leicht den Konsumentenkreis er- weitern. Aber durch die Verteuerung der notwendigsten Lebens- mittel wird erreicht, daß natürlich ein Glas Wein ein unerschwing- licher Luxus für die arbeitende Bevölkerung ist. Wenn die Herren von der Rechten sich als Beschützer der kleinbäuerlichen Wein- Produzenten gerieren, so sollten Sie doch daran denken, daß diese Verteuerung auch ein schwerer Schaden für unsere weinproduzierende Bevölkerung ist.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Keller(fraktionslos): Daß Herr Rösicke der pfälzischen Weine siS anoenommen hat, finde ich durchaus begreiflich, nur I durfte er das nickrt auf Kosten eines benachbarten Weinbaugebietes 1 tun. Herr Stauffer hat erklärt, daß die Hälfte aller in den Konsum 1 gebrachten Weine gefälscht sei. Derartige Uebertreibungen sind ein wahres Fressen für die ausländische Presse und die ausländische Konkurrenz. Bezüglich der Frage eines neuen Weingesetzes meint ein großer Teil der Interessenten, daß man mit dem alten Gesetz noch sehr gut auskommen könnte, falls es nur einheitlich in ganz Deutschland ausgeführt würde; ein anderer Teil der Interessenten freilich, die Winzergenossenschaft zum Beispiel, meint. daß mit dem alten Gesetz in keiner Weise auszukommen sei. Auf jeden Fall muß das Weiirpantschertum vom Erdboden vertilgt werden. (Bravo.) Abg. Dr. Rösicke(B. d. L.): Dr. David hat uns schuld daran gegeben, daß es den kleinen Winzern schlecht gehe; denn wir hätten Fleisch und Brot verteuert. Die Landwirte haben niedrige Schweine- preise, aber die Detailpreise in den Städten werden nicht herab- gesetzt.(Sehr richtig l rechts.) Das Kriegsbeil ist hier erhoben morden gegen die, welche gegen Pantsch und Manisch auf- getreten sind. Ich habe die Verhältnisse in Hessen zur Sprache ge- bracht, um die Notwendigkeit der einheitlichen Kontrolle in ganz Deutschland zu begründen. Das aber wollen die Herren aus Hessen ja ebenfalls. Auch die anderen gegen mich erhobenen Vorwürfe sind teils falsch, teils übertrieben. Ich habe nur den unreellen Weinhandel angegriffen, und darin sollten die reellen Weinhändler mir beistehen. Ohne guten Wein hätten wir die schönen Scheffelschen Gedichte nicht erhalten. Reinen Wein wollen wir jedermann in Deutschland kredenzen.(Redner trinkt ein Glas Wasser und setzt sich. Laute Rufe: Prosit I Große Heiterkeit.) Abg. Dove(frs. Vgg.): Die Vorwürfe gegen den Berliner Weinhandel sind unbegründet; denn dieser ist so solide wie der Wein- Handel irgendwo.(Große Heiterkeit.) Abg. Stauffer(Wirtsch. Vg.): Auf die Angriffe des Weinhändler- Vereins der Mosel werde ich auf keinen Fall eingehen, ich behaupte nach wie vor, daß an der Mosel ebenso gefälscht wird wie anders- wo. z. B. wie in der Pfalz . Redner führt zum Beweise für seine Behauptung eine Reihe von Beispielen an, aus denen hervorgehen soll, daß mindestens die Hälfte aller Weine gefälscht sei. Abg. Preiß(Eis.): Im reellen Weinbau und Weinhandel ist infolge der verfehlten Gesetzgebung ein großer Notstand eingetreten, während gewissenlose Händler schnell reich werden. Wir dürfen die Verantwortung für die Fortdauer solcher Zustände nicht über- nehmen. Abg. Gräfe(Antis.): Es ist bedauerlich, daß den Weinfälschern von den Gerichten mildernde Umstände geradezu auf dem Präsentier- teller entgegengebracht werden. Die gesetzlichen Bestimmungen müssen schärfer gefaßt werden.(Bralvo bei den Antisemiten.) Abg. Dr. Mayer-Kausbeuren lZ.), verlangt den Schutz nament- lich der lothringischen Winzer gegen die Rebenschädlinge. Abg. Dr. Dahlem(Z.): Da allgemeine Uebereinstimmung über das Vorhandensein von Mißständen im Weinhandel und der Wein- Produktion besteht, so sollte man doch mit der Vorlegung eines ent- sprechenden Gesetzes nicht zögern, zumal auch über die'Mittel zur Abhülfe keinerlei M e i nu ngeve Nschiedenhäi t herrscht. Den Wider- stand des fiskalisch denkenden Preußen sollte das Reichsgesundheit energisch zu brechen suchen. Daraus wird auf Antrag der Rechten, der Nationalliberalen und der Freisinnigen die Weindebatte geschlossen. Unter stets sich steigernder Heiterkeit bedauert eine ganze Reihe von Abgeordneten, durch den Schluß der Debatte nicht zu Worte gekommen zu sein. In der nun folgenden allgemeinen Debatte zum Kapitel«Ge- sundheitsamt" erhält zunächst das Wort Abg. Dr. Fleischer(Z.): Meine hochansehnliche Versammlung! (Schallende Heiterkeit.) Für die hygienischen Verhältnisse der arbeitenden Bevölkerung muß ganz entschieden mehr getan werden. Gegen die Schäden der gewerblichen Gifte muß man aus das energischste einschreiten. Wetter ist unbedingt die Anzeigepflicht zn fordern für alle Betriebe, die mit Giftstoffen arbeiten. Mit Nachdruck ist eine bessere gowerbe-hhgienische Vorbildung der Kreis- ärzte zu fordern, ist doch die Diagnose bei Erkrankungen durch ge- werbliche Gifte besonders schwierig, für die Behandlung aber be- sonders wichtig. Man sollte deshalb ein Institut für experimentelle Fabrikhhaiene errichten, das vielleicht mit der chemisch-technischen Reichsaustalt zu verbinden wäre, von welcher der Staatssekretär letzthin gesprochen hat. Dies« unsere Forderungen sind reif; sie sind das Ergebnis internationaler Verständigung, nämlich in der internationalen Vereinigung für gewerblichen Arbeiterschutz, die eine entsprechende Eingabe an den Staatssekretär des Reichöamts des Innern gerichtet hat. Staatssekretär Graf Posadowskh: Die Wichtigkeit der vom Vor» redner geforderten Fürsorge für die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung ist nicht zu verkennen. Wir sind aber nicht schlechter gestellt als das Ausland; denn in England darf der Gewerbcauf- sichtsbeamte nur das anordnen, was in dem Statut für das be- treffende Gewerbe vorgeschrieben ist; in Deutschland dagegen kann er vorschreiben, was er nach seiner Kenntnis der Sache für not- wendig hält. Auch müssen bei uns bei der Konzessionierung von gewerblichen Anlagen auf Grund des§ 16 G.°O. die Vorschriften zur Verhütung von Gefahren für die Gesundheit der Arbeiter in die Konzessionsurkunde hineingesetzt werden. Zur Ausführung der Vorschläge der internationalen Vereinigung für gewerblichen Ar- beiterschutz sind eine Reihe von Verordnungen notwendig, derent- wegen ich mich mit dem Kultusminister und dem Handelsminister in Verbindung gesetzt habe. Zur Verhütung der Giftgefahren haben wir auf Grund von Gutachten der ersten Autoritäten schon Merk- blätter erlassen, um da? Verhalten der Arbeiter in den Betrieben zu regeln. Für die keramische Industrie mutz vor Erlaß einer Per- ordnung zunächst geprüft werden, ob und welche Glasuren giftig sind. Die mehrfach verlangte Einrichtung von Lehrstühlen für ge- werbliche Hygiene hält der Kultusminister für unnötig, weil schon bei den medizinischen Vorlesungen diese Materie berücksichtigt werde. Den Hauptschwerpurikt bei Regelung dieser Materie werden bilden gründliche Erörterung der Bedingungen für den Betrieb bei der Konzessionserteilung, dann eine Aufficht, die das Nötige anordnen kann, und endlich Belehrung der Arbeiter. Der Erlaß von Ver- Ordnungen wird immer nur die Ausnahme bilden müssen. Abg. Fischbeck(frs. Vg.)(auf der Tribüne fast unverständlich) tritt für eine reichsgcsetzliche Regelung der Abdcckereifrage ein. Geh. Oberregierungsrat Kaufmann: Die Beschwerden des Ab- geordneten Fischbeck über die Buntscheckigkeit des AbdeckmiwesenS in der Provinz Brandenburg gehören ins preußische Abgeordneten- haus. Die Regelung der Abdeckereifrage selbst hält auch die Reichs- regicrung für sehr notwendig, und sie ist bestrebt gewesen, durch ein Reichsgesetz die Grundlage zu schaffen, damit die Bundesstaaten die Frage durch Ausführungsbestimmungen regeln. Abg. Rösicke(Bd. d. L.): Die Landwirtschaft wird durch die Ab- decke rci nicht unerheblich geschädigt, da hier oft eine Konfiskation von Eigentum ohne Entschädigung eintritt. Abg. Rupp(Bd. d. L.) wendet sich im Interesse der Landwirt- schaft gegen dasi Fleischbeschaugesetz., Darauf vertagt sich das Haus auf Donnerstag 1 Uhr. Tages- ordnung: Fortsetzung der Beratuna. dann Beratung des Reichs- justizetats. Schluß%7 Uhr._______ Parlamentarisches. Wahlpriifungskommifsi-n. Die Berichte über die Wahlen der Abgeordneten Stengel (Wahlkreis Rügen -Stralsund ) und v. Richthofen(Wahlkreis Schweidnitz -Striegau ) wurden festgestellt; bei letzterem handelte es sich nur um die schriftliche Feststellung, daß gestern der Versuch ge- macht wurde, den auf Ungültigkeitserklärung lautenden Beschluß vom 11. April umzustoßen. f Dann wurde die Wahl des Abgeordneten Schlüter, Reichspartei (Wahlkreis Züllichau -Crossen), gegen die ein umfangreicher Protest von freisinniger Seite vorlag, geprüft. Nach allen auf den Beschlüssen über Verstöße beruhenden Abzügen bleibt dem Abgeordneten Schlüter noch eine Mehrheit von 36 Stimmen. Indes soll die Auf« rechnung und endgültige Abstimmung über die Wahl in der morgigen Sitzung stattfinden. Die Prüfung der Wahl des nationalliberalen Abgeordneten HauSmann(Wahlkreis Hameln -Springe ) führte zur Gültigkeits- erllärung der Wahl._ Aus der Budgetkommissiou. (Sitzung vom 17. April.) Die Beratung des Kolonialetats wird bei Titel 4 (Bureauvorsteher, Rendailten, Expedienten, Sekretariatsassistenten usw.) fortgesetzt. Hierüber bringt Erzberger den Fall Tesch zur Sprache, der seinerzeit au Gehalsbezügen zu viel liquidiert haben soll und von dem in dein famosenUntersuchungsbericht über die Kolonial- skandale" lako nisch bemerkt ist, die Beschuldigung sei unzutreffend! Allerdings traf die Schuld weniger den �Hofrat Tesch als die Kolonialverwaltung, die dem Manne zu Unrecht 600 M. pensionsfähige Zulage gab. Jetzt, nachdem das so heftig kritisiert wurde,' gibt man ihm 760 Mark aus dem RemunerationsfondS I Bei der Regierung fällt eben jeder, der in solcher Weise zur öffentlichen Kritik Anlaß giebt, die Treppe hinauf. Die angeforderten Summen werden für diesen wie für die sonstigen Personalausgaben betreffenden Titel genehmigt. Die sachlichen Unkosten werden ohne Debatte genehmigt. Bei der PositionFahrkosten und Tagegelder für Mitglieder des Kolonial- ratö" verlangt Lattmann eine Reform diesrKKolonialrats, dessen Beratungen öffentlich sein sollen. Im Verlauf der Debatte hierüber komint zur Sprache, daß im Kolonialrat in der Hauptsache Interessenten sitzen, die ihre Kenntnis von Plänen der Regierung zum eigenen Borteil ausnutzen könnten. D e r n b u r g ist der Meinung, daß der Kolonialrat in seiner jetzigen Verfassung keinen Zweck hat! Es würde zweckmäßiger sein, ihn auf weniger Personen zu beschränken jetzt zählt er 40 Mitglieder und ihm gewisse technisch- wirtschaftliche Aufgaben zu stellen. In Zukunft sollen die Verhandlungsberichte der Budget- kommission zugänglich gemacht werden. Es wird ferner gewünscht, daß der Kolonialrat eine mehr selbständige Stellung erlange, etwa ähnlich dem deutschen Landwirtschaftsrat. Ein Wahlrecht zu dieser Körperschaft wie auch zum Gouvernementsrat, einer ähnlichen kleinen Körperschaft, soll nicht gewährt werden. Beschlüsse werden nicht gefaßt, die Anforderung wird bewilligt. Eine geforderte Vergütung von 26 500 M. an das Hamburger Institut für Schiffs- und Trope ukrankheiten grbt Anlaß zur Erörterung des Planes einer Kolonialakademie. Ab- geordneter Semler meint, es stünden in Hamburg Millionen für diesen Zweck glatt zur Verfügung! Dernburg hat schon einen Plan für die Akademie ausgearbeitet, aber bisher habe es an Geld gefehlt. Im Bericht an den Reichstag soll ausgesprochen werden, daß der Plan einer Kolonialakademie weiter verfolgt werden möchte. Semler teilt noch mit, daß der Hamburger Geldmann Oswald heißt. Zu Titel 21, unter welchem 42 000 M. für Vorbereitung von Beamten, Offizieren, kaufmännischen und technischen Kräften verlangt werden, geben verschiedene Mitglieder der Budgetkommission An- reaung für die Ausbildung der kommenden Kolonialbeamten zum besten. Der Rest der Ausgaben für die Zivilverwaltung, die im ganzen 1220000 M. betragen, wird bewilligt. Die kommende Kolonialarmee. Die Verwaltung der militärischen Einrichtungen im Kolonial- Wesen lag bisher mit in den Händen der Kolonialverwaltung. Nach der Schaffung des Kolonialamtes soll hier nun eine Teilung in Zivil- und Militärverwaltung eintreten und die Militärverwaltung oder wie sie auch sonst heißt, das Kommando der Schutztruppen soll eine selbständige Stellung einnehmen. Die Organisationsänderung erfordert eine Mehrausgabe von 568 000 M., die gesamte Militär- Verwaltung in diesem Jahre 1682 800 M. Referent Semler und Korreferent Wiemer tragen Bedenken, von vornherein der Forderung schon zuzustimnien; erst möchten sie die Regierung hören; schon des- halb, weil man in der Neuerung die Anfängeteincr Kolonialarmee sehe. Kolonialdirektor Dernburg schildert die Bemühungen, das Kom- mando der Schiitztruppen dem preußischen Kricgsniinister zu über» tragen. Diese Bemühungen sind bekanntlich gescheitert, da sich der Kriegsminister, wie er früher der Budgetkommission selbst mitteilte, sehr entschieden weigerte, sich in das koloniale Wespennest zu setzen. Deshalb soll nun das Schutztruppenkommando ausgebaut und auf eigene Füße gestellt werden. Ein Ueberwiegen der Militär- Verwaltung über die Zivilverivaltung befürchtet Dernburg nicht. Hinsichtlich der Kolonialarmee erklärt er, daß die Regierung nicht daran denke, eine solche Armee zu schaffen, aber man müsse immer auf alle Fälle eingerichtet sein; eine friedliche Okkupation vollziehe sich eben in den Kolonien nicht; er erinnere nur an die vielen Kolonialkriege der Engländer und Holländer. Oberst- leutnant Quade sucht gleichfalls die Bedenken zu zerstreuen, daß mit der geplanten Neuorganisation ein militärisches Ueber- gewicht in den Kolonien geschaffen werden solle. Die Mkitär- gewalt in den Kolonien stehe immer bei dem Gouverneur. Das einheimische Schutztruppenkommando habe wesentlich mili- tärische Berwaltungsaufgaben und diese hätten sich in der letzten Zeit sehr vermehrt. Redner schildert sehr eingehend die Verteilung der Arbeiten bei dieser Neuorganisation und General Sixt v. Armin verteidigt danach den Plan als absolut not» wendig. Dr. A r n i n g(natl.) ist mit der Forderung ein- verstanden. Die Vertreter anderer Parteien kommen erst morgen zum Wort, da um 1 Uhr wegen der Plenarsitzung Vertagung eintritt._ Die russische Revolution. Väterchen schützt seine schwarzen Hundert. Die.Russische Korrespondenz" erhält das nachstehende Tele» gramm: Petersburg , den 17. April. Der Präsident des ApellhofeS zu Moskau , Senator Arnold, einer der gcachtetsten Vertreter des russischen Richterstandes, ist abgesetzt worden. Die Hofkreise waren längst gegen Arnold aufgebracht, weil in dem sogenannten Fiedlerschen Prozeß anläßlich des Moskauer Aufstandes von 1VVS die Angeklagten verhältnismäßig milde verurteilt worden waren. Unmittelbar nach dem Prozesse sagte der Zar, wie ich auS zuverlässiger Quelle weiß, Schtscheglewiteff möge sofort einen Gesetzentwurf wegen Beseitigung der Unabsetzbarkeit der Richter vorlegen! Der Justizminister zog es vor, um eine öffentliche Diskussion zu vermeiden, die Unabsetzbarkeit theoretisch bestehen zu lassen, hingegen tatsächlich Richter abzusetzen. Die Absetzung des Präsidenten Arnold erfolgte, weil im MoSlauschen Gerichtsbezirl gegenüber Mitgliedem des Verbandes des russischen Volkes sachlicher Recht gesprochen wurde, als es sonst üblich ist. Kürzlich wurde der Präsident der Filiale des Verbandes in Kostroma , ein verabschiedeter Unteroffizier, vom Ge- richte verurteilt. Diese Verurteilung nun führte zur Absetzung Arnolds), welche Schtscheglewiteff aus allerhöchsten Befehl dem Appellhospräsidenten, und zwar am nämlichen Tage übermittelte, als er in der Duma eine Erklärung über die Unabhängigkeit der russt- schen Gerichte abgab!