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SlBintn, daß das Unternehmertum im nächsten Jahre einen großen Schlag unternehmen will. Wenn man den Schlag nicht ausführt, ist cs gut, es wäre aber ein Fehler unverant- lv o r t l i ch e r Art, wenn die Arbeiterschaft sich nicht auf den Kampf einrichten würde. Wenn der Kampf kommt, muß er die Zimmerer Deutschlands in geschlossener Reihe vorsinden und ste müssen bereit sein, für ihre Sache und ihre Organisation Opfer auf sich zu nehmen. Der Redner wendet sich dann im einzelnen gegen die Plan- losen Streiks, mit denen endlich aufgeräumt werden müsse, und gegen den groben Fehler, einen Streik auch dann noch weiter zu führen, wenn er aussichtslos geworden ist. Gerade durch das letztere werde die Bewegung an den betreffenden Orten auf Jahre zurückgeworfen, während ein rechtzeitig abgebrochener Streik des öfteren im folgenden Jahre die Bewilligung der Forderungen ohne Kampf gebracht habe, weil das Unternehmertum sich einer un- geschwächten Organisation gegenübersah. Zuin Schluß begründete Schräder eine ausführliche, vom Verbandsausschuß und Zentralvorstand unterbreitete Reso- l u t i o n. In der Diskussion stellten sich sämtliche Redner auf den Boden dieser Resolution, und sie wird schließlich einstimmig an- genommen. Wir ziehen aus ihr das folgende heraus: 1. Die wirtschaftliche Lage der Zimmerer ist keineswegs als befriedigend zu betrachten, sondern ist derartig, daß sie unter allen Umständen verbessert werden muß. 2. Ganz besonders ist auf eine Verkürzung der Arbeitszeit hinzuwirken, und es sollen vor allen Dingen jene Orte in erster Linie berücksichtigt werden, wo die Arbeitszeit länger als 10 Stunden dauert. 3. Um die geplanten Maßnahmen der Unternehmer in ge- bührender Weise zurückweisen und für die wirtschaftliche Besser- stellung der Zimmerer eintreten zu können, verpflichten sich alle Delegierten, für die weitere EntWickelung und Erstarkung des Zentralverbandes der Zimmerer mit ihrer ganzen Kraft einzu- treten. 4. Sobald es sich zeigt, daß die Unternehmer den Versuch zur Vernichtung der Organisation oder zu einer größeren Aus- fperrung machen, soll der Zentralvorstand sofort von dem im Z 14 des Streikrcglements gegebenen Rechte in ausgiebigster und unbeschränkter Weise Gebrauch machen. Zur besonderen Beachtung bei Lohnbewegungen bestimmt die Resolution u. a. weiter: Es sollen alle Mittel versucht werden, ge- stellte Forderungen auf friedlichem Wege durchzuführen. Bevor ein Kampf zu ihrer Durchführung inszeniert wird, bevor der Beschluß gefaßt wird, in einen Kampf einzutreten, ist das Gut- achten bezw. der Rat des Zentralvorstandes einzuholen. Kämpfe, die veranstaltet werden, ohne dem Zentralvorstand vorher Ge- legenheit gegeben zu haben, sich darüber zu äußern, verwirken das Recht der Unterstützung seitens der Ver- bandShauptkasse._ Hio der Frauenbewegung. Frauenwahlrecht und politisches Berrinsrecht. In einer Wahlnummer der Wiener»Arbeiterinnen-Ztg.' schreibt Th. Schlesinger u. a.: Die Arbeiterfrau hat mitgeholfen und mitgekämpft, um den Männern ihrer Klasse das gleiche Wahlrecht zu erringen, aber sie selbst ist rechtlos geblieben gleich dem Kinde, dem Verbrecher und dem Schwachsinnigen. Nicht nur, daß ihr auch weiterhin das Wahl- recht versagt ist, das die Männer endlich besitzen, sie darf nicht ein- mal einem politischen Vereine angehören. Schon dadurch würde sie eine Selbständigkeit beweisen, die unvereinbar ist mit der Sklaven- stellung. die Staat und Gesellschaft ihr heute noch anweisen.... Was aber können wir tun, um zu erreichen, daß das neue Parlament, dessen Mitglieder am 14. Mai gewählt werden sollen, so beschaffen sei, daß es den Forderungen der Frauen Rechnung trage? Wir müssen alles daransetzen, daß in dieses Parlament Männer gewählt werden, welche die volle Gleichberechtigung der Frauen an- erkennen und bereit sind, mit aller Kraft dafür einzutreten, daß den Frauen sowohl daS gleiche Vereinsrecht als auch das gleiche Wahl« recht wie den Männern zuteil werde. Diese Forderung aber wird einzig und allein von den ver- tretern der Sozialdemokratie erhoben und wird durch sie allein durch- gesetzt werden, und je mehr sozialdemokratische Abgeordnete in daS neue Parlament gelangen, um so früher dürfen wir die Erringung der politischen Frauenrechte erwarten. Wohl haben sich bei verschiedenen Anlässen auch Vertreter bürgerlicher Parteien für das Frauenwahlrecht ausgesprochen, aber sie fordern es immer nur als ein Recht der wohlhabenden oder wenigstens der bessersituierten Frauen und wollen die Arbeiterinnen davon ausgeschlossen sehen. Sie hegen immer nur die Volksfeind- ljche Absicht, das gleiche Wahlrecht aller Männer dadurch zu ver- derben und wirkungslos zu machen, daß sie die Uebermacht der Besitzenden durch Heranziehung der bürgerlichen Frauen wieder her- stellen wollen..._ Ein Sieg der Frauen. Sei? Jahren bemühten sich die Lehrerinnen im Staate New Bork, mit den Lehrern in der Gehaltsfrage gleichgestellt zu werden. Der Staatssenat hat nun in den letzten Tagen mit allen gegen eine Stimme ein Gesetz angenommen, nach welchem männlichen wie weiblichen Lehrern das gleiche Salär zu zahlen ist. ES wird bestimmt, daß keine Lehrerin weniger als 3000 M. pro Jahr er­halten soll. Die Erhöhung der Gehälter für Lehrkräfte in New Uork wird dadurch etwa 20 Millionen Mark betragen. Das Gesetz wird zweifellos in Kraft treten. Das Beispiel von New Uork wird seine Wirkung auf die übrigen Staaten nicht verfehlen, denn über- all sind die Lehretinnen mit einer Forderung hervorgetreten, das gleiche Salär wie die Lehrer zu erhaltxn. Lehrerinnen find in den amerikanischen Schulen sehr zahlreich angestellt, fast durchweg in allen Schulen für die unteren Klassen, während für die höheren Klassen gewöhnlich Lehrer bevorzugt werden. In der Stadt New Uork erhalten 11 000 Lehrerinnen durch das neue Gesetz eine Ge- haltserhohung._ Ihr dürft nicht fehlen! Ihr Frauen und Mädchen in erster Linie sollt dem Maifeste der Arbeit beiwohnen. Euch vor allem geziemt es, eine bessere Zukunft gebieterisch zu fordern, weil Ihr am schwersten bedrückt werdet. Der satte, zahlungsfähige Bürger freilich, dessen vergoldete Existenz in Eurem Elend seine feste Grundlage findet, höhnt Eurer, wenn Ihr gemeinsam mit den Männern eine Regelung der Arbeits- Verhältnisse heischt, und straft Euch dazu, wo er's vermag. Die Frau gehört ms Haus!" sagen dieselben Leute, die Hunderte von Frauen und Mädchen in den Fabriken gegen Hunger- löhne fronen lassen und als Konkurrenz gegen den«begehrlichen" Mann benutzen. Wir wissen, daß heute die Frau mehr und mehr dem Hause entfremdet wird, und daß diese ihre Verbannung aus dem Heim nur ein Glied in der Kette der wirtschaftlichen Umwälzungen ist. die dem ganzen Gesellschaftsgebäude in recht kurzer Zeit ein völlig verändertes Aussehen gegeben hat. Heute finden wir die Frau schon überall. Sie sitzt beim Kauf- mann und Rechtsanwalt am Aktenheste, am Geschästsbuche und an der Schreibmaschine; sieverbindet" uns, wenn wir telephonieren möchten und verkauft uns am Postschalter die Wertzeichen; sie steht in allen Läden hinter den Verkaufstischen; sie fertigt m den Fabriken nicht nur Kleidungsstoffe aller Art, Hüte und künstliche Blumen, Schuhe und Stiefel aus Leder und aus Gummi, sondern sie steht auch an der Stanzmaschine, welche die Wichsschachteln, Teedosen usw. preßt; sie sortiert Lumpen und Federn; sie schneidet und färbt Leder; sie hilft Margarine und Schokolade fertigen und verpacken; sie hilft weben und spinnen; sie trägt ihre Gesundheit ig faß Gflttüfe«. Fleische und Flschkonserven-Fabriken zu Markte; ja sie schleppt sogar Mörtel und Steine zu Leu Maurern auf die Gerüste hinauf. Es gibt bald keine Arbeit mehr, die zu verrichten die Frau nichtgut genug" befunden würde. Wir sehen dies Schauspiel, dessen Entwickelung wir weder ver- ursacht haben noch aufhalten können, wir kennen seine Folgen für die Lohnverhältnisse, für das Familienleben, wir wissen, daß alles, was bisher geschah, den ärgsten Mißständen abzuhelfen, eitel Flick- und Stückwerk war, wie die schönen Wohlwollensreden gewisser Frauenfreunde eitel Schaumschlägereien sind. Wir sind nicht gewillt, dies Elend und dies Unrecht stumm zu ertragen, noch es verewigen zu lassen. Am 1. Mai fordern wir gebieterisch von der Gesetzgebung eine Regelung der menschlichen Arbeitszeit, und vor allem auch der Frau em arbeit, welche dem Arbeiter endlich im bescheidenen Maße das gibt, was ihm heute allen Schönfärbereien zum Trotz versagt ist: ein Familienleben, das diesen Namen wirklich verdient. Weil wir aber wissen, was zu erwarten ist von denen, die leider über unsere Geschicke zu entscheiden haben, deshalb rufen wir am 1. Mai, und gerade an diesen: Tage, die Arbeiter und Arbeiterinnen zur selbständigen Tat auf. Und diese Tat heißt Organisation! Mann und Weib haben das gemeinsame Interesse, das fluch- würdige System, unter dem sie beide, samt ihren Kindern leiden, in geschlossenen Reihen zu bekämpfen. Die Befreiung der Arbeit vom Joche der kapitalistischen Aus- beutung wird auch die Frage der Frauenarbeit zur Lösung bringen. Und so gilt heute wie allezeit den Frauen und Mädchen unser Ruf: Ihr dürft nicht fehlen! Am 1. Mai wie zu aller Zeit! Hinein in die Reihen des kämpfenden Proletariats! ES gilt nicht nur zu demonstrieren für Verkürzung der Arbeits- zeit, sondern es gilt auch, gegen den völkcrmordenden, kulturfeind- lichen Militarismus zu Felde zu ziehen und für den Völkerfrieden zu demonstrieren._ Berichts-Zeitung, Der ZeitungShändler als Oberzensor. Das Feilbieten einer Druckschrift, die in sittlicher Be- ziehung Aergernis zu erregen geeignet ist, ivurde dem Berliner Straßenhändler Heidekorn in einem Strafprozeß vorgeworfen, der gegen ihn auf Grund der ZZ 42 a, 56 Nummer 12 und 148 der Gelverbeordnung angestrengt worden war. Er hatte die Nummer 27 derZeit am Montag" feilgeboten. Diese enthielt in ihrer. Beilage eine ErzählungLorenzos Heirat". An ihr hatten Polizei und Staatsanwalt- schaffin sittlicher Beziehung Aergernis" genommen. Das Landgericht I als Berufungsinstanz sprach aber den Angeklagten frei. Es lehnte sich in seiner Begründung im wesentlichen an die Ausführungen eines Urteils des Landgerichts Frankfurt a. O. an, durch das der Redakteur Schneidt von derZeit am Montag" freigesprochen worden war. Es handelte sich damals um dieselbe Erzählung. aber um eine Anklage wegen Uebertretung des§ 184 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs, wo es heißt:Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bis 1000 M. oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zweck vorrätig hält, ankündigt oder anpreist". Jenes Frankfurter Urteil ist rechtskräftig. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob am Montag das Kammergericht in Sachen Heide- körn die Vorentscheidung auf und wies die Sache zu noch- maliger Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Begründend wurde ausgeführt: Die Strafkammer begehe den Irrtum, den§ 184 des Strafgesetzbuchs mit dem Z 66 der Gewerbeordnung zu konfrontieren. Sie sage gleich- sam: Die Erzählung sei, wie schon Frankfurt fest- gestellt habe, nicht unzüchtig(§ 184 St.-G.). Deswegen sei sie nicht geeignet, in sittlicher Beziehung Aetgernis zu geben(Z 56 G.-O.). Jene beiden Rechtsbegriffe seien aber durchaus nicht vergleichbar, sie bedeuteten etwas ganz Ver- schtedenes. Deshalb müsse das Landgericht sich nochmal mit der Sache befassen. Das kammergerichtliche Urteil gefährdet auf das leb- hafteste die Preßfreiheit. Denn nach diesem Urteil soll ja gar die Verbreitung eines Literawrcrzeugnisses, dessen Straf- losigkeit rechtskräftig durch das Gericht anerkannt ist, strafbar sein können._ Hallenser Polizeiskandale beschäftigten gestern das Charlottenburger Schöffengericht. Angellagt war der frühere Polizeikommissar, Leutnant der Reserve Alfred Kricdel aus Halle. Er ist beschuldigt, im Jahre 1905 dem Hauptmann a. D., Polizeiinspeltor v. Dossow in Halle vorgeworfen zu haben, dieser sei dem Branddirektor, früheren Leutnant Michel bei seiner Flucht nach der Schweiz behülflich gewesen. Michel war, nachdem er Unterschlagungen begangen hatte, verschwunden. Ferner hat Kriebel dem v. Dossow .vorgeworfen, dieser habe ein Paar dem Magistrat der Stadt Halle ge- höriger Lackstiefel unterschlagen. Die Lackstiefel waren zum damaligen Kaiserbesuch angeschafft worden. Kriebel hatte seine Erfahrungen in Halle a. S. einem Ingenieur Meyer in Charlottenburg mitgeteilt. Dieser hatte jene Mitteilungen, nachdem er sich mit Kriebel über- warfen hatte, dem v. Dossow hinterbracht. Den Vorwurf, v. Dossow habe jene Lackstiefel unterschlagen, hält Kriebel aufrecht. Er behauptet, er habe in früheren Prozessen hierüber schon wiederholt den Wahrheitsbeweis angeboten. Er tue dies auch heute. Der Prozeß, in den noch andere Skandalgeschichten hineinspielen, wurde behufs weiterer Beweiserhebung vertagt. Es sollen ein Schuhmachern, eister, mehrere Polizeibeamte und eine Reihe Personen aus sogenannten besseren Kreisen im nächsten Termin als Zeugen gehört werden._ Ein Anarchistcnprozeß. Am Donnerstag hatten die Arbeiter Alfted Ungerath und Paul Krause sich gegen die Anklage vor der 2. Strafkammer des Bremer Landgerichts zu verteidigen,«verschiedene Klassen der Bevölkerung in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zu Gewalttätigkeiten aufgereizt zu haben" und zwar durch Verbreitung von Schriften, von deren Inhalt sie gewußt haben, daß sie erdichtete und entstellte Tatsachen enthielten; Vergehen gegen ߧ 130 und 131 des Strafgesetzbuches. Die Angeklagten wurden von dem Rechts- anwalt Dr. Herz verteidigt. Aus der Verhandlung ergibt sich: Der Angeschuldigte Krause nahm am 22. Wbruar dieses Jahres die regelmäßige für Bremerhaven bestimmte Sendung des anarchistischen Publikationsorgans«Der freie Arbeiter" in Empfang und gab einen Teil der Sendung seinem Mitangeklagten. Diese Nummer 8 des bezeichneten Blattes war in Berlin wegen ihres antimilitaristischen Inhalts beschlagnahmt worden. Am Morgen des 23. Februar ver­haftete die Bremerhavener Polizei in der Herberge«Zur neuen Welt" den Angeklagten Ungerath, weil sie ihn im Besitze von 64 Exemplaren des anarchistischen Blattes ge- funden hatte. Ob der Verhastete von diesen Blättern welche verbreitet hatte, kann weder der Kriminalbeamte noch ein anderer Jeuae bekunden. Ebensowenig kann dem Angeklagten Krause die ierbreftuog de» beschlagnahmten Blätter nachgewiesen werden, ab- gesehen von dem Teil der Sendung, den er an Ungerath verabfolgte. Der Staatsanwalt hielt die Anklage dennoch für erwiesen und beantragte für jeden Beschuldigten eine Gefängnisstrafe von 4 Monaten. Der Vertesidiger kenn- zeichnete in seinem Plaidoyer die Auffassung des deutschen Spieß- bürgers vom Anarchismus, zerpflückte im einzelnen die Ausführungen des Staatsanwalts und beantragte die Freisprechung für seine Klienten. Das Urteil lautete auf Freisprechung. Die Polizei als Herrin des BersammlungSleleiis. In Gudensberg hatten sich die Interessenten des in der Bildung begriffenen Konsumvereins in einem Lokal zusammengefunden, um einen Vortrag der Genossin Steinberg aus Hamburg über: Praktische Ideale im Kampfe ums Dasein", zu hören. Zu der bei der Polizei nicht angemeldeten Versammlung war vom Bürger- meister des Städtchens ein Gendarm mit dem Auftrag entsandt worden, die Versammlung aufzulösen, wenn öffentliche Angelegen- heiten erörtert werden sollten. Als der G e n d a r m eine solche Erörterung in dem Vortrage entdeckt zu haben glaubte, löste er auf und ersuchte die Anwesenden zum Weggehen. Viele blieben und folgten erst einer weiteren Aufforderung. 32 Personen (Baum und Genossen), darunter Genossin Steinbach, wurden auf Grund des preußischen Vereinsgesetzes angeklagt und zwar wegen Uebertretung des§ 6, welcher lautet:Sobald ein Abgeordneter der Polizei die Versammlung für aufgelöst erklärt, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort zu entfernen. Diese Erklärung kann nötigen- falls durch die bewaffnete Macht zur Ausführung gebracht werden." D a s L a n d g e r i ch t Kassel als Berufungsinstanz sprach jedoch sämtliche Angeklagte frei. Der Gedankengang seines sehr aus- führlich begründeten Urteils war kyrz folgender: Die Entscheidung hänge davon ab, ob ein gesetzlicher Grund zur Auflösung vorhanden gewesen sei. In Frage kommen könne hier nur die Vorschrift des Z 6 des Gesetzes, wonach die Polizeibehörde befugt wäre, jede Versammlung aufzulösen, die zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten dienen solle und nicht gemäߧ 1 des Gesetzes polizeilich gemeldet sei oder bezüglich deren die polizeiliche Bescheinigung ihrer Anmeldung gemäß Z 1 nicht vorgelegt werden könne. Voraussetzung der Bestrafung der Angeklagten wäre also die Feststellung, daß in der Ver- sanmilung öffentliche Angelegenheiten hätten erörtert oder beraten werden sollen. Das sei aber zu verneinen. Ihr im voraus bestimmter Zweck sei gewesen, die Interessenten des schon in der Gründung begriffenen, nur noch nicht eingetragenen Konsumvereins Gudensberg über die zweckmäßigste Einrichtung des Betriebes zu belehren. Soweit das Referat möglich war, habe cs sich in der Hauptsache auch daran gehalten. Darin liege aber keine Erörterung oder Beratung öffentlicher Angelegenheiten. Ans die Revision der Staatsanwaltschaft hob daS Kammergericht am Montag dies Urteil auf und verwies die Sache zu nochmaliger Entscheidung an das Land- gericht zurück, indem es ausführte: Bei der Anwendung der§Z 6 und 16 des Vereinsgesetzes komme es gar nicht darauf an, ob die Auflösung mit Recht erfolgt sei. Die Anwesenden müßten nach der Absicht des Gesetzgebers auf jeden Fall den Raum verlassen, und zwar augenblicklich. ES sei undenkbar, daß die Auffassung der Versammlung maßgebend sein sollte. Es könne nach s 6 ja auch mit Waffengewalt die Auflösung»- erklärung nötigenfalls durchgeführt werden. Man wolle verhüten. daß es zu Zusammenstößen komme, indem man meine:Zunächst wird pariert, das weitere wird sich finden; es kann Beschwerde er- hoben werden usw." Auch andere Rechtsirrtümer enthalte die Vorentscheidung. Es werde z. B. eine Versammlung zu einer an- meldepflichtigen, wenn im Laufe der Verhandlung ohne vor- herige Absicht öffentliche Angelegenheiten erörtert würden, und es komme auch nicht darauf an, was der.Hauptzweck" sei. Zwei Anklagen wegen Verbrechens i« Amte beschäftigten kurz hinter einander die Schwurgerichte an den Land« gerichten II und III. In dem ersten Falle handelte es sich um Unterschlagungen des Telegraphen sekretärs Gottfried Stallknecht. Der Angeklagte, der seit neun Jahren im Postdienst tätig ist, wurde im März v. I. zum Führer der Hauptkaffe im Fernsprechamt VI in der Körnerstraße bestellt und verwaltete diese Kasse bis zum 6. Dezember 1006. Er wurde beschuldigt, in 19 Fällen Geldbeträge, die er als Kassenführer empfangen und zu verwahren hatte, im Gesamtbetrage von über 1300 M. sich rechtswidrig zugeeignet und zur Verdeckung dieser Unterschlagungen die Bücher unrichtig ge- führt, Fälschungen in den Büchern durch Veränderung von Zahlen, Rasuren und Herausreißen eines Blattes vorgenomnien und un- richtige Abschlüsse aus den Büchern vorgelegt zu haben. Der An- geklagte war in vollem Umfange g e st ä n d i g, bestritt aber, daß er sich die Gelder angeeignet habe, um sich selbst persönliche Vorteile zu verschaffen. Er sei als ein mit dem Kassenwesen ganz unbewanderter Mensch plötzlich mit der Leitung der Kassen« geschäfte in dem sehr großen Telephonamt VI betraut worden, wo er schon am ersten Tage einen ganz gewaltigen Kassenbetrag zu übernehmen hatte. Die Sache sei ihm über den Kopf gewachsen, es hätten sich Unstimmigkeiten in der Kasse ergeben und da sein Gehalt nicht ausreichte, um diese zu begleichen, habe er die ver- schiedenen Manipulationen vorgenommen, die nun zur Anklage ge- führt haben. Das Urteil lautete, unter Annahme mildernder Umstände, auf ein Jahr Gefängnis, wovon drei Monate auf die Untersuchungshast angerechnet wurden. Der Angeklagte wurde aus der Haft enllassen. Vor dem Schwurgericht Berlin Hl stand der VollziehungS- beamte Paul Wiedebach aus Spandau unter der Anklage der Amtsunterschlagung in zwei Fällen und der Urkunden- fälschung gleichfalls in zwei Fällen. Der Angeklagte war seit dem März 1804 als Vollziehungsbeamter der Stadt Spandau angestellt. Er soll 1140 M. Umsatzsteuer und 587 M. Prämien der Nord- östlichen Baugewerks-Berufsgenossenschaft nebst Gebühren und Porto eingezogen, aber nicht abgeliefert, die zur Kontrolle der Ein- nahmen bestimmten Bücher unrichtig geführt und in Urkunden wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt haben. Er hat die Summe in Teilbeträgen der Kaffe wieder zugeführt. Zwei m e d i- zinische Sachverständige begutachteten, daß der Angeklagte an Arterienverkalkung und starker Neurasthenie leide. Die Ge­schworenen verneinten in diesem Falle die Schuldfragen, worauf die F r e i s p r e ch u n g deS Angeklagten erfolgte. Der Diebstahl am Postschalter. Der Spitzbube, der am 30. März an dein Schalter des Post­amts in derTaubenstraße einem Kaufmannslehrling 300 M. gestohlen hatte, wurde gestern dem Schöffengericht Berlin-Mitte als der 20 Jahre alte Kellner Walter Kahmke aus der Unter- suchungshaft vorgeführt. Als am 30. März der Lehrling eines kauf« männilchen Geschäfts, der beaustragt war, drei Hundertmarkscheine auf dem Postamt in der Taubenstraße einzuzahlen, diese drei Scheine auf da« Schalterbrett legen wollte, riß ihm der hinter ihm stehende An- geklagte die Scheine blitzschnell aus der Hand und lief davon. Es entwickelte sich hinter ihm eine wilde Jagd, an der sich nach und nach immer mehr Personen beteiligte». Der Angeklagte suchte die Straßenpassanten dadurch irre zu führen, daß auch er sich als .Verfolger" gerierte und kräftig mitrief:«Haltet ihn!" Er wurde schließlich in der Kanonierstraße festgenommen und der Polizei übergeben. Vor Gericht erklärte er, daß er die Tat in einer verzweifelten Stimmung begangen. Nachdem er in- folge Krankheit seine letzte Stellung in einem hiesigen Wein- zeschäst verloren, sei er gänzlich mittellos geworden und habe in- olgedesien auch keine neue Stellung erlangen können, weil er nicht das nötige Geld gehabt habe, um eine Stellen- vermittelung in Anspruch zu nehmen. Er habe sich an einen gutsituierten Onkel um Unterstützung gewendet, diese sei ihm aber abgelehnt worden, und so sei ihm denn der unglückliche Gedanke ge- kommen, einen solchen Diebstahl vor einem Postschalter auszuführen. Das Gericht erkannte auf fech» Koche » Gefängnis unter