Hr. 93. 24. Jahrgang. 3. WIM des Jatwtlö" Wim WMM. Sonntag. 2l. April 1997. Rmq der parteu . Borbereitungen zur Maifeier. � Die Leipziger P o l i z e i d i r e k t i on hat das Gesuch des Leipziger Maikomitees um Genehmigung eines Festzuges von der inneren Stadt nach Stötteritz , dem langjährigen Mai feierorte der Leipziger Arbeiter, wie alljährlich, abschlägig be. f ch reden, da der Festzug doch„lediglich eine soziale demokratische Demonstration" sei, die den Straßen- Verkehr stören werde. Die Polizeidirektion hat jedoch nichts ein- zuwenden, wenn wie in früheren Jahren die Teilnehmer in un- geordnetew Zuge und unter Vermeidung der inneren Stadt auf geradem Wege dem Festplatze zuwandern. Maifestzüge sind verboten worden in Altona und Wandsbeck aus den bekannten unzutreffenden Gründen. Arbeitsruhe beschlossen die organisierten Schuh - tnacher Lübecks.__ Zum Parteitag der badischen Sozialdemokratie. Der badische Landesvorstand hat einen Bericht über die Tätig» «it im letzten Jahre erstattet, dem wir folgendes entnehmen: Es bestehen in den 14 badischen Wahlkreisen 160 Vereine. Zu Veginn des Jahres 1906 wurde die Organisation entsprechend dem Jenaer Parteistatut umgestaltet, so daß jeder Wahlkreis einen sozialdemokratischen Verein bildet, in dem die bestehenden kleinen Vereine als örtliche Mitgliedschaften eingeordnet sind. In einigen Kreisen ist die Organisation so streng zentralisiert, daß das ganze Rechnungswesen bei dem Kreisverein liegt. Der Mannheimer Kreis hat deshalb auch einen eigenen Parteisekretär angestellt. Die allgemeine Agitation bestand in der Verbreitung eines Flug- blattes über die Tätigkeit des Reichstags und Landtags in 256 009 Exemplaren und des erstmalig ausgegebenen Volks- kalcnders in 72 000 Exemplaren. Außerdem sind etwa 150 000 Agitationsbroschüren zur Verbreitung gekommen. Versamm- lungcn, die von der Zentralleitung arrangiert wurden, haben zirka 470 stattgefunden; das ist aber natürlich nur der kleinere Teil der überhaupt abgehaltenen. Die Kreise arbeiten sonst das ganze Jahr selbständig. Es haben zum Beispiel allein im Mannheimer Kreis 70 Volksversammlungen und zirka 270 Ortsvereinsversamm- hingen stattgesunden. Im letzten Jahre wurden 48 neue Vereine mit ins- gesamt 1200 Mitgliedern geschaffen. Zur systematischen Werbung von Mitgliedern wurde ein Flugblatt in 40 000 Exemplaren an die Mitgliedschaften abgegeben. Wie lebhaft der Mitgliederverkehr ist, geht daraus hervor, daß von der Zentralleitung über 460 000 Beitragsmarken und 6845 Mitgliedsbücher an die Mitglied- schaftcn versandt wurden. Ein gewaltiges Stück Arbeit erforderten die Wahlen. Zu Beginn des Berichtsjahres nahmen noch einige Landtagsnachwahlen die Kräfte und Mittel der Partei in Anspruch. Es gelang uns nicht, neue Mandate zu erobern. Am Schlüsse des Jahres setzte die ReichStagswahl ein. Der Wahlkampf war sehr heftig, obwohl nur in einem Kreise die Gegner in Reichslügenverbandsmanier kämpften. Es wurden im ganzen Lande(14 Kreise) abgehalten 761 Wahlversammlungen und 15 gegnerische besucht. 45 Flugblätter in einer Gesamtauflage von 1 340 700 fanden Verbreitung, ungerechnet die zahllosen kleinen Spezialflugblätter. Agitations- broschüren, Plakate usw., die auch noch eine Auflage von mindestens 35 000 erreichen. Die Kosten der Wahl sind sehr hoch; es wurden verbraucht, ungerechnet die nicht unbedeutenden Ausgaben der lokalen Organisationen 43 000 M. gegen nicht ganz 30 000 M. im Jahre 1903. Von diesen 43 000 M. wurden 28 600 M. in den Kreisen selbst aufgebracht. Den Rest mußte der Landesvorstand zuschießen. Das Wahlrcsultat ist glänzend, unsere Stimmenzahl stieg von 72 300 auf 93 300, von 21,9 auf 23,8 Proz. der abgegebenen Stimmen. Unsere Partei ist die einzige in Baden, die absolut und relativ zunahm. Der liberale Block ging trotz Hurrawahl um 0,1 Proz. zurück, das Zentrum gar um 5,3 Proz., dafür sind dem Zentrum über 3 Proz. konservative Stimmen zuzurechnen, da es in zlvci Kreisen unter Verzicht auf eigene Kandidaten sofort für die Konservativen eintrat. Die Presse hat sehr gute Fortschritte gemacht, Zahlen über die Steigerung der Abonnentenziffer enthält der Bericht zwar nicht. aber aus dem finanziellen Stand geht das hervor. In Offen- bürg ist ein neues Wochenblatt gegründet worden, das nach knapp halbjährigem Bestehen ziemlich 1600 Abonnenten hat. Eine Statistik über die Zahl der in badischen Gemeinde- Vertretungen gewählten Sozialdemokraten ergibt, daß in 83 Ge- meinden Parteigenossen in der Gemeindeverwaltung sitzen. Es sind das 1132 Bürgerausschußmitglieder(Stadtverordnete) und zwar 18 von der I. Steuerklasse, 138 von der II. und 976 von III. Steuerklasse gewählt. Dazu kommen 59 Stadt- bezw. Ge- mcinderäte, 4 Bürgermeister und 8 andere Gemeindcbcamte (Ratsschrciber, Rechner usw.)— zusammen also 1203 Genossen in den Gemeindeverwaltungen der 88 Gemeinden. 83 Proz. der als Sozialdemokraten gewählten Gemeindevertreter sind politisch, 68,8 Proz. gewerkschaftlich organisiert und 80 Proz. sind Leser der Parteipresse. Die„Kommunale Praxis" wird leider bei dieser großen Zahl von kommunalpolitisch tätigen Genossen nur in 42 Exemplaren gelesen. Aus der Jahresabrechnung ist zu entnehmen, daß 1500 M. für die Landtagsnachwahlen, 1200 M. für Versammlungen, ebensoviel für andere Agitation und 15 200 M. für die Reichstagswahlen ausgegeben wurden. Aus dem ganzen Berichte geht hervor, daß eS auch in Baden mit der Parteibcwegung rüstig voran geht. Eine Pnrieivetcranin, Genossin PeterS, vollendete am Donnerstag zu W a n d s b e ck bei Hamburg ihr achtzigstes Lebensjahr. Das„Hamburger Echo" widmet ihr folgende ehrende Zeilen: In ihrem langen, arbeitsreichen Leben— seit frühester Jugend ist sie„im Tabak" tätig— hat sie stets treu zur Sache der Arbeiterschaft gehalten. Namentlich was den Versammlungs- besuch anlangt, beschämt die Greisin durch ihre Gewissenhaftigkeit die große Masse derer, die jünger als sie sind, sehr. Wenn irgend ihr Gesundheitszustand es erlaubt, erscheint sie und verfolgt auf- merlsam die Verhandlungen. Wir wollen wünsche», daß ihre zähe, körperliche Rüstigkeit und ihre unverwüstliche Lebenslust ihr noch recht lange erhalten bleiben, damit sie auch fernerhin den Lässigen ein gutes Beispiel bieten und durch ihr Borbild die Faulen zur Pflichterfüllung anspornen kann. Ausschlüsse. In Metz wurden nach zweitägiger Verhandlung eines Parteischiedsgerichts der bisherige Parteigenosse Voort- mann und noch mehrere andere Genossen aus der Partei aus- geschlossen, weil sie entgegen der Parteiparole im letzten Augenblick vor der Rcichstagsstichwahl im Mahlkreise Metz ein Flugblatt zugunsten des liberalen Kandidaten Dr. Gregoire unter- zeichnet hatten. Die Partei hatte die Parole ausgegeben, bei der Stichwahl zwischen dem liberalen und dem Zentrumskandidaten sich eventuell der Abstimmung zu enthalten, in keinem Falle aber dem liberalen Kandidaten ihre Stimme zu geben. WaS bei der BünbniSpolitik herauskommt. Rom , 17. April. (Eig. Ber.) Die Genueser kommunalen Wahlen haben zum so und sovielten Male gezeigt, daß die So- gialisten bei den Bündnissen mit den bürgerlichen Parteien stets nur zu verlieren haben. Wenn die Genueser Genossen allein vorgegangen wären, so wären sie sicher gewesen, die 12 der Minorität reservierten Sitze zu erobern. Statt dessen gingen sie eine Koalition mit Liberalen. Radikalen und Republikanern ein, Lgrderten aber für sich 30 von den 48 Sitzen der Majoritätsliste. iDas Endresultat war, daß die klerikal-konservative Koalition mit t'inem Durchschnitt von 9000 Stimmen die ganze Majoritätsliste durchbrachte und von den 12 Sitzen der Minorität nur 3 von So- zialisten erobert wurden. Die Illusion, die Mehrheit in der Stadt- Verwaltung zu erlangen, hat die Sozialisten darum gebracht, sich in der Minderheit zu behaupten. Die liberal-sozialistische Liste brachte es im Durchschnitt auf 7000 Stimmen. poUzeilichcs, öcrichtiiches usw. Strafkonto der Presse. Genosse Zenker, früherer verantwort- licher Redakteur der.Volkswacht" zu Bielefeld hatte sich vor der Strafkammer zu Bielefeld wegen Beleidigung eines Haupt- manns v. Saverne zu Detmold zu verantworten. Die„Volkswacht" hatte einen Artikel abgedruckt, in dem be- hauptet wurde, daß der Unteroffizier Kornemann einen Selbstmord- versuch begangen habe, und daß er dazu durch die Behandlung, die ihm von feiten jenes Hauptmanns widerfahre», veranlaßt worden sei. Diese Behauptungen waren nicht nur in der „Volkswacht", sondern auch in einer großen Anzahl anderer Blätter, zum Beispiel auch in der.Lippischen Landes- zeitnng' aufgestellt worden. Aber nur gegen die„Volks- wacht" wurde vom kommandierenden General Slrafantrag gestellt. Vor Gericht wurde nun nachgewiesen, daß kein Selbstmordversuch, sondern nur ein übrigens bis heute noch nicht völlig aufgeklärter Unglücksfall vorliege. Der Staatsanwalt beantragte, auf 6 Wochen Gefängnis zu erkennen. Das Gericht verurteilte den Genossen Zenker zu 300 M. Geldstrafe. Von einer Gefängnisstrafe, so wurde in der Urteilsbegründung ausgesührt, sehe man ab, weil der Angeklagte die Notiz aus der„Lippischcn Landeszeitung" über- nommen habe. Eine strafbare„Rede". Vor der Bochumer Strafkannner hatte sich der Genosse R ü ß l e r zu verantworten wegen Haltens einer Grabrede. R. soll am 21. Februar auf dem evangelischen Fried Hofe Hierselbst bei einer Kranzniederlegung folgende Worte ge sprachen haben:„Ruhe sanft, Du Opfer des Molochs Kapitalismus". Das Gericht Jbelegte den Angeklagten mit einer Geldstrafe von 15 M., weil solches bei einer Beerdigung von ungewöhnlicher Art und die „Rede" auch ohne vorherige Erlaubnis gehalten sei. Die Presse vor der Rcvisionsinstanz. Die Kritik an einem Breslaucr Schutzmanne hatte dem Ge- nassen Müller von der„Breslaucr Volkswacht" durch Urteil des dortigen Landgerichts vom 26. November 1906 300 M. Geldstrafe eingebracht. In der„Volkswacht" war unter der Ueber- schrift:„Ein Schutzmann als zärtlicher Ehegatte" ein Artikel er- schienen, worin von dem Schutzmann Nazareth gesagt wurde daß er seine Frau mißhandelt habe, so daß diese von ihm fortgelaufen sei. N. sei ein jähzorniger Mensch. In der Verhandlung vor dem Breslauer Landgericht wurde festgestellt, daß die Ehe Nazareths keine glückliche ist, und daß die Ehefrau Mißhandlungen zu er- tragen hatte. In dem Urteil des Landgerichts wurde gesagt, in dem Artikel sei N. als brutaler und gewalttätiger Mensch ge- schildert, der a u ch öfter mit dem Dienstsäbcl seine Frau schlage. Es sei aber festgestellt, daß er dazu den Dienstsäbel nur einmal benutzt habe. Da nun gesagt war, daß der Polizeipräsident, trotzdem er N. kenne, ihn noch im Dienste belasse, fühlte sich auch dieser beleidigt. Der Schutz des§ 193 war Müller versagt worden, da er die Interessen der Frau nicht wahrgenommen habe; denn wenn Müller durch seine Kritik die Entfernung des N. aus dem Dienste habe herbeiführen wollen, hätte er doch der Frau N. nur Schaden zugefügt. Die Revision rügte die Verkennung des Z 193 und die Be- schränkung der Verteidigung. Auf Antrag deS Reichsanwaltes wurde sie vom Reichsgericht ohne Begründung verworfen. Sin Freispruch. Genosse Seifert in Königswalde bei Annaberg war, wie wir gemeldet haben, vom Annaberger Schöffen - geeicht wegen Beleidigung des Ortspfarrers Golde zu 40 M. Geldstrafe verurteilt worden. In einer gemeinschaftlichen Sitzung des Gemeinderates— dem S. seit etwa zwei Jahren angehört— und des Kirchenvorstandes wurde über den Verkauf der Pfarrwiese an die politische Gemeinde verhandelt. Das Grundstück ist etwa zwei Acker groß. Die im Gemeinderate sitzenden sachverständigen Guts- befitzer hatten es aus 1400 M. geschätzt, da in Königswalde ein Acker bester Boden mit 700 M. sehr gut bezahlt sei. Die Kirchen- gemeinde forderte aber für einen Acker 1400 M., für das ganze Grundstück also 2800 M. Da bemerkte Genosse Seifert:„Die Kirche soll leinen Wucher treiben; überall will sie eine Extrawurst haben, sie handelt nicht nach dem Bibelwort:„Ihr sollt nicht Schätze sammeln. die Motten und Rost fressen." Das Schöffengericht fand in der Aeußerung, die Kirche soll keinen Wucher treiben, eine Beleidigung des OrtspfarrerS. JI 1 1) S. legte Berufung ein; ebenso der Amts- anwalt, er wollte S. strenger bestraft wissen.(!) Das Urteil hielt der Nachprüfung durch das Berufungsgericht, deS Landgerichts Chemnitz , nicht stand; es wurde aufgehoben und Genosse Seifert freigesprochen. In der Urteilsbegründung wurde gesagt, daß S. den Ortsgeistlichen nicht habe treffen wollen; seine Aeußerungen seien allgemeiner Natur und gegen die Kirche gerichtet gewesen. ßerlcbta- Zeitung. Die Schönheit der Frm». Das Landgericht II in Berlin hat am 20. September v. I. den Verlagsbuchhändler Herniann Schmidt von der Anklage aus § 184, 1 Str.-G.-B. freigesprochen. Er war angeklagt, in den Jahren 1905 und 1906 unzüchtige Abbildungen feilgehalten, zum Zwecke der Verbreitung vorrätig gehalten, angekündigt und angepricien zu haben. In seinem Verlage ist das Werk„Die Schönheit der Frau" von Dr. Paul Hirth und Kunstmaler Eduard Daelcn erschieuen. Dasselbe besteht aus 20 Lieferungen mit 180 Bildern nach Freilicht- aufnahmen. Diese Bilder, nackte Frauen darstellend, sollen nach der Anklage gegen das Gesetz verstoßen. Das Gericht hat aber an- genominen, daß der Angeklagte des ihm zur Last gelegten Vergehens nicht schuldig ist, da die fraglichen Abbildungen objeltiv nicht unzüchtig sind. Die Bilder, so wird in der Begründung gesagt, stellen zwar nackte Frauen dar, aber sie haben künstlerischen Wert und wirken so. daß für das ästhetische Gefühl des normalen Beschauers eine sinnliche Empfindung nicht aufkommt. Daran wird nichts dadurch geändert, daß je nach der Stellung die Geschlechtsteile sichtbar sind und daß das Gesicht den Ausdruck der Lebensfreude zeigt.— Gemäß dem Antrage des Reichsanwalts erkannte ani Freilag das Reichs- gericht auf Verwerfung der Revision des Staatsanwalts. Wann werden endlich die NuditätSschnüffler wegen Erregung öffentlichen Aergernisses unter Anklage gestellt werden? Wer an dem Nackten als solchem Anstoß nimmt, offenbart dadurch die unzüchtige Richtung seiner Gesinnung. Das Vorgehen gegen künstlerische Werke stärkt daS Auskommen wirklicher SchweinereUiteratur. Automobilraserei. Der in Diensten eines Manrermcisters F. in Charlottenburg stehende Chauffeur Theel erhielt eines Tages von dem Amts- Vorsteher in Grunewald ein Strafmandat in Höhe von 30 M. wegen zu schnellen Fahrens. Er konnte sich nicht besinnen, überhaupt an jenem Tage durch den Grunewald gefahren zu sein. Bor dem Schöffengericht Charlottenburg behauptete der Zeuge Rosen- b e r g. deutlich die Nummer des Angeklagten erkannt zu haben, ob- wohl Theel behauptete, daß er an dem fraglichen Tage gar nicht durch den Gnmewald gefahren war. Auch in der Berufungsinstanz blieb R. bei seinen Angaben. Das Gericht hielt die Angaben des Zeugen für glaubwürdig und verwarf gestern die B e- r u f u n g aus Kosten des Angeklagten. Der Zeuge Rosenbcrg ist jetzt als Hülfsba*"schaff»« in d"r Rheinaeg-nd ang-ste� und syMNft von dort jedesmal nach Berlin . Früher hatte der ehemalige Handlungsgehülfe Rosenberg häufig Strafanzeigen gegen Auto- mobilisten erstattet. Er soll in einem Jahre gegen etwa 3000 An- zeigen gefertigt und zum Zweck einer Anzeige häufig mit einer Stoppuhr Automobile erwartet und kontrolliert haben. In Automobilkreisen ist man über den eigenartigen Zeugen sehr er« bittert. Uns scheint— gleichviel, ob em Schutzmann oder ein be- sonderer Automobilfeind solche Anzeigen erstattet: ein verurteilende? Erkenntnis wegen zu schneller Fahrt beruht stets auf sehr unsicherer Grundlage, falls die Geschwindigkeit nicht durch GeschwindigkeitS- messer einwandfrei festgestellt ist. Wir sind sicher keine Freunde der Lust verpestenden, Staub entfachenden und Menschenleben ge- fährdenden Automobilraserei. Aber bedenklich erscheint es unS, Verurteilungen auf Grund von Bekundungen solcher Leute aus« zusprechen, deren Widerwille gegen Automobile oder deren amtliche Pflicht, Uebertretungen zur Anzeige zu bringen, leicht subjektive Empfindungen an Stelle objektiver Wahrheit treten läßt. Die vom Bundesrat entworfene Polizeiverordnung gegen Automobile trägt der Möglichkeit leider keine Rechnung, automatisch durch Geschwindig- keitsmesser die Fahrgeschwindigkeit einwandfrei festzustellen. Unter dieser Mangelhaftigkeit haben viele Antoführer zu leiden. Gegen Automobilraserei und deren Folgen vermag uur eine Haftpflicht der Autobesitzer in weitestem Umfange, Versicherungspflicht der Auto- besitzer und das gesetzliche Verlangen etwas zu schützen; durch technische Einrichtungen die Staubentwickelung auf ein erträgliches Matz herabzusetzen. Dieser Weg würde freilich nicht die Auto f ü h r e r, sondern die Auto besitzer treffen. Und deren sozialer Einfluß ist stärker als das soziale Verständnis für den Wert von Menschenleben und Menschengesundheit. Kleinliche Polizeimaßregeln können die wirklichen Schäden unvernünftiger Autoraserei nicht hemmen. Prinzessin und Kammerfrau. Die bekannte Affäre der ehenraligen Kammerftau der verstorbenen Prinzessin Amalie von Schleswig-Holstein , unverehelichte Anna Johanna M i l e w s k i soll nun endlich am nächsten Dienstag wiederum vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Berlin II zur Verhandlung kommen. Frl. MilewSki war mit der alten Prinzessin Amalie von Schleswig-Holstein , einer Tante der Kaiserin, vielfach auf Reisen und gewann einen großen Einfluß auf die alte Dame. Sie behauptet, daß sie der Prinzessin mit ihrem eigenen Gelde wiederholt aus augenblicklichen Verlegenheiten geholfen habe. Dieses enge Verhältnis zwischen der Prinzessin und dem Fräulein Milewski wurde in Hofkreisen übel empsimden, aber alle Bemühungen, Fräulein MilewSki aus der Umgebung der Prinzessin zu entfernen, blieben erfolglos, da die Prinzessin sich von ihrer Kammerfrau nicht trennen wollte. Als beide in Kairo sich aufhielten, begab sich im Austrage des Herzogs Ernst Günther von Schleswig- Holstein der Kammerherr von Blume nthal nach Kairo , um an Ort und Stelle die Entfernung des Frl. Milewski aus deni Hofstaat der Prinzessin zu bewirken. Dies geschah in sehr gewaltsamer Weise. Frl. Milewski wurde von der ägyptischen Polizei verhaftet und als „gefährliche Ausländerin" aus Aegypten ausgewiesen. Veranlassung hierzu sollen wahrheitswidrige Aeußerungen gegeben haben. Als die Prinzessin gestorben war, trat Frl. MilewSki mit einer Forderung von 50000 M. aus, die sie der Prinzessin geliehen zu haben be- hauptet. Herzog Ernst Günther bestritt diese Forderung und stellte die Behauptung aus, daß Frl. Milewski der Prinzessin bei deren Lebzeiten wertvolle Schmucksachen gestohlen habe. Außerdem war bei einer bei Frl. M. vorgenommenen HauS- suchung eine Barsumme von 17 000 M. mit Beschlag belegt worden. Die Anklage wegen Diebstahls ist bereits vor vier Jahren erhoben worden. Der erste Termin fand am 27. Sep- lember 1904 unter Vorsitz des Geh. Justizrats G a r tz statt. Der Termin endete damals nach umfangreicher Verhandlung mit der Vertagung, der Gerichtshof beschloß jedoch, die Angeklagte wegen Fluchtverdachts in Untersuchungshaft zu nehmen. Auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses wurde die Angeklagte bald wieder aus der Hast entlassen. Zwei andere Termine verfielen gleichfalls der Ver- lagung. Am 13. Februar 1906 war wieder einmal Termin angesetzt. Auch in diesem kam die eigenartige Affäre nicht zum Abschluß, denn die Ingeklagte lehnte damals den ganzen Gerichts hos als befangen ab. Sie behauptete, Herzog Ernst Günther habe ihr sagen lassen, daß, wenn sie nicht einen von ihm vorgeschlagenen Vergleich bezüglich der beschlagnahmten Gelder und Juwelen annehme, zu einem Jahre GesängniS ver- urteilt iverden würde, wie ihm ein Richter der Strafkammer, mit dem er gesprochen, mitgeteilt habe. Der AblehnungS- antrag wurde dann als unbegründet zurückgewiesen, nachdem die hierüber vernommenen Mitglieder der Strafkanimer versichert hatten, daß sie weder mit dem Herzog Ernst Günther, noch mit einem Be- austragten desselben, noch mit sonst jemand über die Affäre ge- sprachen hatten. Ein vor einiger Zeit anberaumt gewesener Termin wurde wiederum, ohne daß erst in die Verhandlung eingetreten wurde, aus unbekannten Gründen vertagt. Inzwischen haben sich im Anschluß an diese Affäre die verschiedensten gerichtlichen Akte abgespielt. Herzog Ernst Günther ist im Schlosse Primkenau über die Angelegenheit als Zeuge kommissarisch ver- nommen worden. Gegen die Prinzessin Henriette von SchljeSwig-Holstein strengte Frl. Milewski eine Be- leidigungSklage an, weil sich diese in einem zu den Akten Sekommcnen Briefe in beleidigender Weise über sie geäußert abe. Diese Beleidigungsklage endete mit der Znrücknahnie, nach- dem Prinzessin Henriette der Klägerin eine befriedigende Erklärung abgegeben hatte. Ein von Frl. M. gegen den Kammerherrn v. Blumenthal angestrengter BeleidigungS - Prozeß verlief im Sande. Wegen ihres Anspruchs auf 5j0000 Mark und Herausgabe der beschlagnahmten 17 000 Mark hatte Fräulein M. gegen den Nachlaßpfleger der Prinzessin einen Zivilprozeß angestrengt. der dem Wer- nehmen nach durch Vergleich beendet sein soll. Gegen die ägyptische Regierung endlich hat Rechtsanwalt Dr. Gräfe für Frl. M. bei dem internationalen Gerichtshof in Kairo die Klage wegen Verletzung des Völkerrechts angestrengt. Diese Klage ist noch nicht entschieden.— Die Diebstahlsauklage gegen Frl. M. soll nun am Dienstag wiederum verhandelt werden. Den Vorsitz im Ge- richtshofe wird Landgerichtsdirektor Leue führen. Für die Ver- Handlung, die im Schwurgerichtssaale Nr. 406 im neuen Kriminal- gerichtSgcbäude stattfindet, sind zwei Tage in Aussicht genommen. Der Eintritt zum Zuhörerraum ist nur gegen Einlaßkarten gestattxt. Ueber das Ergebnis der Verhandlungen werden wir berichten. Mißhandlungen in einer Irrenanstalt. Dr. Edel legt in einem an uns gerichteten Schreiben im An- schluß an unseren Bericht vom Mittwoch über den Mißhandlungs- Prozeß Gewicht darauf, zu betonen, daß der Pfleger Vietz unmittel- bar nachdem der zur Anklage gebrachte Vorfall der Anstaltsverwal- tung gemeldet Ivar. entlassen ist; ferner, daß nur den Oberpflegeru oder den stellvertretenden Oberpflegern Schlafmittel anvertraut waren. Nur diese waren nach den Anstaltsvorschriften berechtigt, aus Grrmd ärztlicher Anordnung Schlafmittel zu verabfolgen. Wenn in einem besonderen Falle die sofortige Anwendung eines Schlaf- mittels zu erfolgen hat, so war das in ein Buch einzutragen und sofort Mitteilung zu machen. Endlich hebt Dr. Edel hervor, daß der Arzt Dr. Ludewig nachträglich beeidigt ist. Wir nehnien keinen Anstano, diese Punkte ausdrücklich zu betonen. Sie ändern indes an den Mißständen des heutigen Jrrenanstaltssystems nicht das geringste. Was insbesondere das Eingeben gefährlicher Schlafmittel anlangt, so liegt durchaus kein berechtigter Grund vor, tvenn auch nur in Ausnahmefällen, derartiges ohne ausdrückliche ärztliche Anordnung zuzulassen: in einer An.stalt sollte jederzeit ärztliche Hülfe so» kort-rrcichbar sein.
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