und die Presse. Die hessischen und dieelsaß-lothrin- g i sch e n O r<; a n i s a t i o n e n hatten Vertretungen entsandt. — Der Verlauf des Parteitages war ein durchaus guter und mit Recht konnte der Vorsitzende am Schlüsse hervorheben, daß auch diese Tagung die badische Partei wieder ein gut Stück voran bringen wird. Clemenceau , der Gesellschastsretter. Paris , 26. April. (Eig. Ber.) Die Sozialistenhetze ist in vollem Gange. Clemenceau ist mit Erfolg beiniiht, die Gewalttaten aller reaktionären Regierungen gegen die Arbeiterklasse in einer verstärkten Auflage zu rekapitulieren. Bon R o u v i e r übernimmt er die Verfolgung der AntiMilitaristen, von Dupuh die Schließung der Arbeitsbörsen, von Casimir Perier das Verbot der Beamtengewerkschasten. Und aus eigenem tut er reichlichst hinzu.— DieWiederholung des sinnlosen, dieRepublik sosehr kompromittieren- den Antimilitaristenprozesses wird jetzt mit Eifer präpäriert. Vor kurzem ist ein antimilitaristischcr Aufruf angeschlagen worden, der von 2v Gewerkschaftlern unterzeichnet war. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Verhaftung angeordnet, und heute vormittag wurden sieben von ihnen unter Schloß und Riegel gebracht, unter ihnen Genosse Aulognier, Sekretär des GewerkschaftsverbändeS des Seine-Departements. Die Verhaftung geschah auf Grund des 18V3 modifizierten Artikels 25 des Gesetzes von 1881(Aufreizung von Soldaten zum Ungehorsam). Die in diesem Artikel vorgesehene Strafe beträgt 1—5 Jahre Ge- fängnis! Vor 1893 betrug sie nur 1—6 Monate. Heute früh hat der Bürgermeister von Nancy im Einvernehmen mit dem Präfekten die Arbeitsbörse schließen lassen I MS Borwand gilt die angebliche VerÜbung von„Sabotage"(Verpfuschen von Arbeitsmaterial und Verderben von Arbeitsmitteln) durch streikende Schuhmacher und Maler. Die Streikenden, die ihre gewöhnliche Ver- sammlungsstätte nicht mehr betreten durften, antworteten auf die Regierungsmaßregel mit einer Demonstration. Etwas viel Unangenehmeres ist gestern den Herren Clemenceau und Briand im Departement deS Volksschulwesens zugestoßen. Diese Körperschaft hat nämlich den Genossen N ö g r e, gegen den daS Ver- fahren wegen seiner Mitgliedschaft bei der Arbeitskonföderation und wegen seiner Unterschrift unter den offenen Brief an Clemenceau eingeleitet worden war, freigesprochen! Dabei hatte die Regierung alles getan, um die Situation des Beschuldigten zw verschlechtern. Nicht einmal die Zuziehung eines Anwalts wurde ihm bewilligt. ein Verfahren, gegen das die Liga der Menschenrechte vergebens Protest erhob, die einst in den Tagen der Dreyfuskrise, als Cle- menceau noch den Vorkämpfer des„Gerechtigkeitsideals' posierte, zum Schutze des Individuums gegen Justizmißbrauch gegründet worden ist. Die von ihren Kollegen delegierten Lehrer und Lehre- rinnen, die die Mehrheit im Disziplinarrat bilden, ließen sich nicht einschüchtern, auch nicht, als der Seinepräfekt die Greuel und Ver- brechen der Arbeitskonföderation in den brennendsten Farben schilderte; vielmehr legten sie fachlich und ruhig die Gründe berge- werkschaftlichen Bewegung in der Lehrerschaft und die Berechtigung zur Organisation dar. Bei der Abstimmung ergaben sich 15 Stimmen gegen, 10 für die Absetzung Nögres, außerdem wurde ein weißer Zettel abgegeben. Was wird nun der Präfekt tun?— Er scheint Lust zu haben, die Absetzung trotz des Spruches des Departementsrates auszu- sprechen, obwohl der Bericht der Kammerkommission anläßlich der Schaffung des Gesetzes über das Disziplinarverfahren dieses Vor-. gehen geradewegs ausschließt. Aber was kümmert die wütende Reaktion sich um Geist und Buchstaben des Gesetzes?— Jedenfalls ist die Regierung durch die Entscheidung des Departementsrats in eine arge Verlegenheit geraten. Denn wenn Mgre im Amte bleibt, ist die Amtsenthebung der P o st b e a m t e n, gegen die genau die gleiche Anklage erhoben worden war, unmöglich aufrecht zu halten. Es ist auch nicht anzunehmen, daß Clemenceau und Briand die Ohrfeige von gestern ruhig einstecken werden. Aber es scheint wenigsten?, daß doch viele Angehörige der bürgerlich- radikalen Parteien in weiser Furcht vor den Wählern die tolle Hetze gegen die Beamten nicht werden mitmachen wollen. Das Exekutiv- komitee der radikalen und radikalsozialisttschen Partei hat sich in einer Beratung bezeichnenderweise um das eigentliche Problem verlegen herumgedrückt. Clemenceau arbeitet freilich darauf loS, einen foziatreaktionären Majoritätsblock zu gewinen, deffen Basis' auf der Rechten ruht. In welche lächerliche Kleinlichkeit daS„große Ministerium' des Bourgeoisradikalismus verfallen ist, das wird durch eine Episode beim Leichenbegängnis deS sozialistischen Senators Chantagrel beleuchtet, das heute früh in Clermont-Ferrand stattgesimden hat. Zum Begräbnis des ehrwürdigen Seniors der Partei hatten sich die sozialistischenVereinevonClermontundMezelmitihren roten Fahnen ein- gefunden. DaS veranlaßte den Präfekten, in Befolgung des neuen Erlasses des Ministerpräsidenten, sich zurückzuziehen! Die Regierung war also beim Begräbnis dieses greisen Parlamentariers, der Jahrzehntelang der Vorkämpfer der republikanischen Ideen in seinem Departement gewesen war, nicht vertreten— und das um der schrecklichen roten Fahne willen. 1899, bei der Enthüllung des Denkmals des Triumphes der Republik , hat L o u b e t ,. Präsident der Republik, die Proletariermassen unter der roten Fahne vorbeidefilieren lassen. 1907, unter der Regierung Georges Clemenceaus ist die rote Farbe wieder für staatsgefährlich erklärt worden, und die Präfekten müffen die Würde der Republik wahren, indem sie vor ihr davonlaufen. «» » Paris , 29. April. Der Ministerrat beriet in seiner heute im Elysee abgehaltenen Sitzung nicht über die Entlassung des Lehrers Negre , dem die Möglichkeit einer Berufung an den Minister offen steht. Entsprechend dem kürzlich gemachten Vorschlage des Disziplinarrates beschloß der Ministerrat die Entlassung von fünf Postbeamten. Verfaffungskonflikt im elsaß -lothrmgischen Landesausschutz. Die wiedergewonnenen Brüder, wie man in hurrapatriotischen Kreisen die Elsaß-Lothringer nennt, haben auch heute nach 36 Jahren der Wiedervereinigung mit Deutschland so gut wie nichts in die Politik ihrer Eroberer hineinzureden. Das mußte kürzlich das Zerrbild einer Volksvertretung, der Landesausschutz, von neuem erfahren. Alles brave Verhalten der„Volksvertreter" während der letzten 36 Jahre, alles Entgegenkommen der reichs- ländischen Gesetzesmacher, alle Nachahmung preußischer Verwal- tungs- und Gesetzgebungskunst haben in Berlin noch keine Sinnes- änderung den Reichslanden gegenüber bewirkt. Nur im Reichstage nimmt man sich ab und zu Elsaß -Lothringens an und hat ein wachsames Auge auf die Tätigkeit der preußisch- deutschen Sieichslandregierung..• Diese stete Zurücksetzung der Reichslande hat endlich auch den Landesausschuß zu einer schärferen Tonart bestimmt. Wir berichteten- früher bereits einmal, daß ein in der vor- jährigen Tagung des Landesausschusses angenommener M. tialivänlrag über die Heranziehung der Reichseisenbahnelt— von deren Ucberschüssen kein Pfennig im Reichslande bleibt>— zur Gewerbesteuer vom Reichskanzler nicht an den Bundesrat weiter gegeben worden sei; Im Anschluß an dieses Vorkommnis beantragte der Abgeordnete Blumenthal, der Landesausschuß wolle beschließen:„die Regierung zu ersuchen, dafür zu sorgen, daß die vom Landesausschuß be- schlossenen Gesetzentwürfe dem Bundesrat zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorge- legt werden". Vor der Beratung dieses Antrages teilte Staatssekretär v. Kölker mit, daß wegen des die Reichseisen- bahnen betreffenden Antrages der Statthalter sich an den Kaiser zur Einholung der landesherrlichen Genehmigung gewandt habe, nachdem die früheren Verhandlungen mit dem Reichskanzler zu keinem Erfolge geführt hätten. Der Kaiser aber habe entschieden, daß die Sache vorläufig auf sich beruhen bleibe. Diese Erklärung brachte den Landesausschuß in Harnisch und die Abgeordneten Blumenthal(Dem.), Wetterle(klerikal), Preiß(klerikal) und Winter er(klerikal) griffen die Re- gierung heftig an. Das Verhalten der Regierung sei verfassungs- mäßig und staatsrechtlich nicht zu billigen. Das Gesetz ge- b u n gs r e ch t des Landesausschusses sinke auf Null herab, wolle man bei Jnitiativgesetzen dem Kaiser ein Borrecht einräumen. Erst nachdem Landesausschuß und Bundesrat sich über den Inhalt eines Gesetzes geeinigt hätten, habe es der Kaiser zu sankttonieren. Der Kaiser könne unmöglich zwischen Landesausschuß und Bundesrat stehen. Eine solche Ver- fassung sei ein Hohn und eine Demütigung für das Volk. Der Reichskanzler mißachte die Rechte des Landesausschusses, er handele gegen seine Pflicht. Sein Verhalten laufe darauf hinaus, das Jnitia- tivgesetzesrecht in verfaffungswidriger Weise dem L a n- desauSschuß zu rauben. ■ Staatssekretär v. Koller verwahrte den Reichskanzler gegen' den Vorwurf, daß er die Rechte des Landesausschusses mißachte und seine Pflicht verletze. In dem vorliegenden Falle scheide dieser vollständig aus. Statthalter und Regierung hätten sich un- mittelbar an den Kaiser gewandt. Der Landesaus- schuß solle seines Initiativrechtes nicht beraubt werden. Alle Re- gierungsvorlagen müßten er st an den Kaiser gerichtet wer- den, und gingen erst dann an den Bundesrat. Bei Jnitiativan- trägen liege es freilich etwas anders. Die Regierung habe sich im entscheidenden Moment an den Kaiser gewandt, da sie eine direkte Korrespondenz mit dem Bundesrat zu führen nicht in der Lage sei. Das Recht des Landesausschusses sei, Gesetzentwürfe zu beschließen: ebenso aber sei es das Recht der anderen Faktoren, diesen Gesetzentwürfen nicht zuzustimmen. Auch er sei der Meinung, daß die Frage vor den Reichstag gehöre. Der Antrag Blumenthal lourde dann ohne Widerspruch angenommen. . Die Regierung hat sich mit ihrem Verhalten gegenüber dem genannten Jnitiativgesetzcntwurf bös in die Nesseln gesetzt. Sie durfte die Sache nicht aus sich beruhen lassen. Sie mußte vielmehr darauf drängen, daß der Beschluß des Landesausschusscs an den Bundesrat gelangte, auch nachdem die Verhandlungen mit dem Reichskanzler ergebnislos verlaufen waren. Sie hatte gar kein Recht, sich an den Kaiser zu wenden. Dieser konnte, ohne daß der Bundesrat Kenntnis von dem Beschlüsse des Landesaus- 'chusscs erlangt und ohne daß der Bundesrat darüber beschlossen hatte, über den Beschluß des reichsländischen Parlaments keine Entscheidung treffen. Das einzige, was er tun konnte, um einen Verfassungskonslikt zu vermeiden, war, daß er die Angelegenheit an den Bundesrat verwies. Für diese Auffassung spricht klar und deutlich das Gesetz vom 2. Mai 1877: 8 1. Landesgesetze für Elsaß-Lothringen ... werden mit Zu- timmung des Bundesrats vom Kaiser erlassen, wenn der.,. Landesausschuß denselben zugestimmt hat. § 2. Die Erlassung von Landesgesetzen im Wege der Reichs- gesetzgebung bleibt vorbehalten. Daraus geht deutlich hervor, daß der Bundesrat sich zu- nächst mit den Gesetzen zu beschäftigen hat. Die neueste Pretzklage Woermanns. Herr Woermann setzt seinen Feldzug gegen die Presse, die nicht auf dem Niveau der„Hamb. Nachrichten' steht, fort. Wie wir be- reits mitteilten, hat er auch gegen den für den politischen Teil der „Frankfurter Zeitung ' als verantwortlich zeichnenden Redakteur Albert Büsching eine Privatklage wegen Beleidigung durch die Presse anhängig gemacht. Die Verhandlung fand am Montag vor dem Schöffengericht I zu Hamburg statt. Dem Prozeß liegt ebenfalls, wie im Prozeß gegen den „Simplicissimus", Woermanns„scharfe Ausnutzung der Konjunktur" an seinem Afrikaunternehmen zugrunde. In einem Enttefilet der „Frankfurter Zeitung ' vom 1. Dezember 1906 über die tags zuvor stattgehabte ReichstagSverhandlung heißt es u. a.: „... Er(Erzberger ) schilderte, wie seit zehn Jahren jegliche Konttolle und Rechnungslegung von den Kolonien fehle, deutete an, daß in Kolonien Fonds gebildet wären, die für Champagner, Bier und Lackstieseln verwendet würden. Er kennzeichnet noch einmal die unerhörten Verdienste, die TippelSkirch und Woermann gehabt haben, und wie Woermann das Reich geradezu übers Ohr gehauen hat, besonders bei Berechnung der Liegegelder." Da der Ausdruck„übers Ohr gehauen" im Stenogramm über die Reichstagsverhandlungen nicht enthalten fft, nimmt der Privat- kläger an, daß es sich nicht um eine einfache Beleidigung handle, vndern daß wider besseres Wissen eine ehrenkränkende Tatsache be- hauptet worden sei, die der Wahrheit zuwiderlaufe. Der Beklagte ließ in seinem Antrag auf Abweisung der Klage einwenden: er gebe zu, daß der Ausdruck„übers Ohr gehauen" in der Rede des Ab- geordneten Erzberger nicht vorkomme, was aber belangslos sei, denn in einer Besprechung könne er die Rede nicht wörtlich, andern nur dem Sinne nach wiedergeben. Der Sinn dieser Rede gehe dahin, daß Woermann sich in ungebührlicher Weise am Deutschen Reiche bereichert habe, indem er seine Fachkenntnis und seine wirtschaftliche Ueberlegung der Regierung gegenüber miß- braucht, um ungebührliche Gewinne zu erzielen. Allgemein bekannt sei ja auch, daß die von der Woermann-Linie mit der Reichsregierung abgeschlossenen Verttäge im Reichstage' und in der Presse als die Interessen des Reiches schädigend bezeichnet worden seien. Der Aus- druck„übers Ohr gehauen' enthalte keine Beleidigung, er sei ein dem Zweikampfe entlehntes Bild. Als Vertteter Woermanns fungiert sein Schwiegersohn, Rechts« anwalt Dr. HauerS, als Verteidiger des Beklagten Bürgerschafts- Mitglied Dr. Petersen. Nach kurzer Verhandlung kommt ein Vergleich zu stände. Redakteur Büsching verpflichtet sich zu folgender Erklärung: „ES ist richtig, daß Erzberger nach dem Stenogramm den Ausdruck„übers Ohr gehauen" nicht gebraucht hat. Ich habe mit diesem Ausdrucke nur den Sinn der Ausführungen Erzbergers wiedergeben wollen. Eine Veranlassung, in dem betteffendcn Teil meine eigene Ansicht zum Ausdruck zu bringen, bestand nicht. Eine Absicht, den Privatkläger zu beleidigen, hat mir völlig fern- gelegen." Durch den Vergleich ist leider die gerichtliche Austragung der verhindert worden, ob wir jene Berichte über Reichstag »« Verhandlungen straffrei sind, die sich genau an den Wortlaut der von den Reichstagsabgeordneten gehaltenen Reden halten, oder auch jene Berichte, die nur kurz den Sinn und die Tendenz der Aus- führungen wiedergeben. Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, daß Geistesverwandte Woermanns den Versuch, die Presse für nicht genau dem Wortlaut des amtlichen Stenogramms ent- sprechende Reichstagsresümees und Reichstagsberichte gerichtlich in Anspruch zu nehmen, wiederholen werden. politische(leberlickt. Berlin , den 29. April 1997. Postalische Kleinkrämerei. Der kleinliche Bureaukratismus macht unter dem jetzigen Staatssekretär des Reichspostamts Fortschritte. Kein freier, großer Zug geht durch seine Maßnahmen. Ein postalischer Fachmann, der Zentrumsabgeordnete amacher, hatte am Sonnabend die Schikanen gegen den ostassistentenverband scharf beleuchtet. Heute gab Genosse Singer ein anschauliches Bild von der verkehrsfeindlichen Rückläufigkeit und von den bureaukrattsch-politischen Praktiken der Postverwaltung. Er geißelte die Plusmacherei zugunsten des Fiskus und stellte demgegenüber die Knauserei an den Gehältern der Unterbeamten und Arbeiter der Post ins rechte Licht. Die politische Parteinahme der PostVerwaltung gegen die organisierten Postbeamten, zu der die Resolution G a m p aufs neue drängt, indem sie eine Ost markenzulage für die unteren und mittleren Beamten in Posen und West- Preußen verlangt, verurteilte Singer aufs schärfste, und er forderte die Ablehnung der Resolutton. Mit ätzendem Spott übergoß Singer schließlich die Klein- krämerei, die das Reichspostamt durch seinen Einspruch gegen die Einrichtung eines Postbureaus für den sozialdemokratischen Parteitag in Mannheim dokumentiert hat; er bezeichnete dieses Vorgehen als kleinlich, schikanös und— kindisch, es ver- rate, so sagteer, russische Diktaturgelüste. Was für andere Parteien gelte, müsse auch für die sozialdcmo- krattsche gewährt werden, zumal es den Postdienst in der- gleichen Fällen vereinfache und erleichtere. Wie der Reichskanzler sich räuspert und wie er spukt, das hat ihm Herr Kraetke abgeguckt— denn in seiner Erwiderung verteidigte er unter dem Gelächter der Abgeordneten die Maßnahmen gegen den Assistcntenverband mit der Be- merkung: er könne nicht dulden, daß der Verband eine Nebenregierung bilde! Von völliger Unkenntnis zeugten auch des Staatssekretärs Ausführungen zur Verteidigung der Verweigerung eines Bureaus für unseren Parteitag in Mannheim . Er war z. B. der Ansicht, unser Parteitag tage nur zwei bis drei Tage. Seinen Haupttrumps spielte er aus, indem er erklärte, er werde stets verhindern, daß der Beamte eines solchen Bureaus die Reden des Parteitages anhören müsse l!— Selbst dem Abgeordneten K o p s ch(freis.) war diese mit so vielen Unrichtigkeiten operierende Kleinkrämerei zu stark. und er bezeichnete die Gründe des Staatssekretärs höflich als„nicht durchschlagende".— Der Abgeordnete v. Chla» p o w s k y bekämpfte die Resolutionen, die der polenfcindlichen Politik dienen. Nachdem der Präsident dem edlen Polen einen Ordnungsruf erteilt hatte, wurde die Beratung vertagt. Morgen unter anderem: Beratung des Etats der Reichs- kanzlei._ Sekundärbahnen. DaS preußische Abgeordnetenhaus nahm heute die erste Lesung der Sekundärbahnvorlage vor. Im Saale waren 28 Abgeordnete. auf der Rednerliste 86. Es gab keinen Flecken in Preußen, für den nicht eine neue Eisenbahnverbindung verlangt wurde. Von größerem Jntereffe waren aus der Fülle der Reden nur drei: Zunächst die Einleitungsrede des Ministers Breitenbach, der groß' Rühmens davon machte, wie sehr er die BerkehrSentwickelung in Preußen gefördert hätte und wie wunderbar viel er noch zu tun gedenke. Dabei entschlüpfte ihm das Geständnis, daß von den Neu» anlagen 60 Proz. auf das im Verkehr doch weniger weit entwickelte ostelbische Gebiet entfallen und nur 40 Proz. auf Westelbien. Dem Minister gab der nattonalliberale Abg. Macco, ein gründlicher Kenner des Eisenbahnwesens, eine so scharfe Antwott, wie man sie von einem Nationalliberalen kaum erwartet hätte. Aber in Reden zeigen :q die Nationalliberalen noch manchmal Entschloffenheit. Er wies dem Minister nach, daß das großzügige Bauprogramm, das man für die Kolonialeisenbahnen geschaffen habe, in Preußen noch immer fehle, daß die Geschlvindigkeit der Kleinbahnzüge viel zu gering und die Tarife viel zu hoch seien, als daß Handel und Wandel daraus den möglichen und notwendigen Nutzen ziehen könnten.— Die Antwort auf diese schweren Vorwürfe blieb ihm der preußische Eisenbahnminister schuldig. Schließlich sei noch ein Ausfall des konservativen Frhrn. v. Erffa gegen den Allerweltspolitiker Müller-Meiningen erwähnt; dieser hat sich nämlich erlaubt, in einer Versammlung daran zu erinnern, daß die thüringischen Kleinstaaten durch die preußische Eisenbahnpolitik schwer geschädigt würden. Das Verlangen, einen Teil der preußischen Eisenbahnüberschüffe als Entschädigung an die Kleinstaaten abzu- geben, bezeichnete Frhr. v. Erffa als„Raubzug auf die preußische StaatSkaffe". Hierauf blieben wieder die waschlappigen Freisinnigen die gebührende Antwort schuldig. Morgen beginnt die Sitzung schon früher, damit noch mehr Abgeordnete ihre Lolalschmerzen ausstöhnen können.— Die Magdeburger Terrorismus-Legende. Bei der letzten Reichstagswahlbewegung wußten die nationalen Parteien allerlei Geschichten über sozialdemokratischen TerroriSmuS aufzutischen. Eine der grausigsten dieser Art, die auch der Reichskanzler in seiner Rede im Reichstage am 26. Februar zu verwerten suchte, ist ein Bericht über einen Vorfall, der sich am 6. Februar in M a g d e- bürg ereignet haben soll. Dort war angeblich der reichStteue „Arbeiter" Haase, als er am Abend von seiner Arbeitsstätte, dem bekannten Krupp- Grusouwerk, kam,„von einer aus dem Hinterhalt kommenden Horde vonGenosfen, die etwa zlveihundert Mann zählte, überfallen. „Lump".„Verräter" usw. beschimpft, mit Eis- stücken und sonstigen harten Gegenständen ürchterlich mißhandelt und dann hingeworfen worden, so daß er schwer krank danieder- lag." Nur mit Mühe und Not hätte er. so wurde be- richtet, sein Leben retten können. Das alles sollte deswegen geschehen sein, weil Haase während der ReichStagswahl ein nationalem Sinne gewirkt" habe. Dieser Arbeiter Haase ist ein Mensch mitsehr zweifelhafter Bergangen- heit und hat ftüher, obwohl er seine gesunden Gliedmaßenhat, als„ein- armiger" Drehorgelspieler die Bewohner der Magdeburger Vorstädte mit Musik begeistert. Die dabei erhaltenen Groschen legte er in Schnaps an, so daß man ihn abends häufig neben seinem Leier-
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