Ob auch dem„antinationalen" Zentrum jetzt noch die Benutzung einer so nationalen Einrichtung, wie es die Post ist, auf seinen Katholikentagen gewährt werden wird, scheint mir zweifelhaft.(Heiter- keit.s Schließlich aber hat diese Frage doch auch ihre ernste Seite. Sie beweist, daß die Neichspoftverwaltung es sich heraus- nimmt, sich in Dinge zu mischen, die sie gar nichts angehen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Postverwaltung glaubt jetzt ebenso wie andere Verwaltungen der Sozialdemokratie Knüppel zwischen die Beine werfen zu müssen, während sie doch nichts anderes zu tun hat als die Interessen des Verkehrs wahrzunehmen. Der Reichstag sollte erklären, dah es der Postverwaltung unwürdig ish mit zweierlei Maß zu messen. Die Zeiten, in denen der gegen- wältige Staatssekretär des Reichspostamts als ein objektiver Förderer des Verkehrs gelten konnte, sind leider längst dahin.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Reichsschatzsekretär Frhr. v. Stengel erklärt, daß der Ergänzungs- etat für die außerordentlichen Beihülfen von 100 und 150 M. schon in den nächsten Tagen an den Bundesrat gelangen und in kurzer Zeit auch dem Reichstag zugehen werde. Staatssekretär Kraetke: Ich muß dagegen protestieren, daß auf die Beamten der Reichs- postVerwaltung irgendwie politisch eingewirkt werde. Auch ist eS nicht richtig, daß bei besonderen Verkehrseinrichtungen mit zweierlei Maß gemessen wird. Es wird lediglich die Bedürfnisfrage geprüft. So ist es auch in Mannheim gewesen, wo gewünscht wurde, daß eine besondere Postanstalt im Apollo-Theater für zwei, drei Tage eingerichtet werde.(Zurufe bei den Sozialdemokraten: Für achc bis zehn Tage I) Die Genehmigung wurde versagt, nicht weil es sich um die sozialdemokratische Partei an sich handelte; aber Sie loissen selbst, welch böser Ton immer geherrscht hat auf Ihren Parteitagen, wie Sie alles, was uns anderen heilig ist, herunter- ziehen.(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Und nun mute» Sie mir zu, daß ich meine Beamten zwingen soll, das alles mit anzuhören?(Erneute große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten. Bravo I rechts.) Ich konnte höchstens darauf eingehen, in der Nähe eine Postanstalt einzurichten, wo wir die Herren sind, aber nicht auf Ihrem Parteitage, wo wir Ihre Gäste gewesen wären.(Bravo I rechts.) Ihre Interessen sind doch nicht geschädigt worden. Die Schalter in Mannheim sind reichlich besetzt gewesen und der Dienst hat sich schnell und gut abgewickelt. Was das Verhalten der Beamten anlangt, so hat die Negierung immer auf dem Standpunkte gestanden, daß die Beamten gewisse Rücksichten auf ihre dienstliche Stellung nehmen müsien. Also von einem gesetzwidrigen Verfahren der Behörden kann da nicht die Rede sein. Die Behörde muß sich vorbehalten, in jedem einzelnen Falle darüber zu entscheiden, ob die Zugehörigkeit eines Beamten zu einem Verbände angängig ist. Auf keinen Fall kann die Behörde dulden, daß ein solcher Verband sich als Neben- regierung auftut.(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Die»Deutsche Postzeitung" ging so weit, zu schreiben, dah es jetzt, nachdem Herr Postsekretär Hamecher gewählt sei. hoffentlich gelingen lverde, den Tatsachcnverschleierungen der Verwaltung die Spitze ab- zubrechen. Durch solche Aeußerungcn muß das Vertrauen und die Achtung vor dem Vorgesetzten und damit die Disziplin untergraben werden; dagegen lverde ich immer einschreiten.(Bravo I rechts.) Weiter protestiere ich dagegen, daß die Postverwaktung durch die Erhöhung der Ortsportosätze gegen Treu und Glauben verstoßen habe. Die Mehrheit deS Reichstages hat zur Schaffung notwendiger Mittel diese Erhöhung gutgeheißen und der Bundesrat stimmte ihr zu. Diejenigen Faktoren, die die Gesetze machen, können doch die Gesetze wieder ausheben und ändern.(Sehr richtig l rechts.) Wenn der Geldbriesdienst am Sonntag eingestellt ist. so ist eS selbstverständlich, daß dann die Geldbriefträger, die ohnehin als be- vorzugt gelten, nicht ohne weiteres ftei bekommen. Die Zahl und Höhe der Geldstrafen ist bereits ganz bedeutend heruntergegangen, nur bei groben Ausschreitungen werden solche auferlegt. Die geäußerten Anschauungen über die gehobenen Stellen mutz ich immer wieder als unberechtigt zurückweisen; diese haben sich im großen und ganzen sehr gut bewährt. Die Löhne der Arbeiter sind von 2, 50 M. auf 2,70 M. erhöht; die Zulagen werden alle zwei Jahre gewährt, bis das Maximum: 3,50 M. Loh« erreicht ist.(Bravo 1 rechts.) Abg. Lattmann(wirtfch. Vg.) tritt für eine Ermäßigung des Weltportos ein fowie für die Alierkennung der bayerischen Marken in Preußen und umgekehrt. Abg. Dr. v. Cylapowo-ChlapowSki(Pole): Daß ein überaus nachteiliges Strebertum bei unseren Beamten besteht und daß dieses durch die Ostmarlenzulage erheblich verstärkt wird(Sehr richtig I bei den Polen und bei oen Sozialdemokraten), darüber besteht eigentlich ganz allgemeine Uebereinstimmung. Ich warne daher, auch die Post- veamten durch die Ostmarlenznlage zu korrumpieren. Abg. Kopsch(frs. Vp.): Die Gründe, die der Postsekretär für die Nichteinrichtnng des Postamtes in Mannheim vorgebracht hat, müssen auch außerhalb der sozialdemokratischen Partei, in den Reihen der freisinnigen Fraktionen, als nicht ausschlaggebend betrachtet werden. (Beifall links.) Dort ist einfach der Verkehr behindert worden. In der Budgetkommission hat der Staatssekretär Beweise für die Unzweckmätzigkeit des reichsfürstlichen Privilegs der Portofreiheit {gefordert. Ich kann ihm als solchen Beweis ein portofrei ver- andtes Reklamezirkular der fürstlich Lippeschcn Brunnen- Verwaltung in Pyrmont vorlegen. Die Aufrechterhaltung dieses Privilegs steht im strikten Widerspruch zu der Haltung der ReichSpostverwaltüna in der Frage der letzten Portoerhöhungcn. Diese Haltung hat ledenfalls trotz der heutigen eigentümlichen Er- llärung des Staatssekretärs das Vertrauen zu der Regierung und ihrer Glaubwürdigkeit nicht erhöht.(Sehr richtig I link».) Die seiner- zeitige Aufhebung der Privatposten haben wir übrigen« mit der Partei des Abg. Singer zu danken. Hoffentlich wird das OrtSporto bald wieder herabgesetzt. In der Frage der Ostmarkenzulagen ist unsere Haltung un- abänoerlich ablehnend. Für die Postbeamten soll wie für die Privat- beamten der Arbeitstag um 8 Uhr abends zu Ende sein. Staatssekretär Kraetke: Der Vorredner hat sich bezüglich der Vorgänge in Mannheim auf die Seite der Sozialdemokraten gestellt. Er ging von der Voraussetzung auS, daß ein Bedürfnis für eine derartige Postanstalt vorlag; da« war aber nicht der Fall. Vizepräsident Kaempf ruft nachträglich den Abg. Dr. v. Chlapowo (Pole) zur Ordnung, weil er die Polenpoliti! der preußischen Re« gierung als„unwürdige und gemeine Ausrottungspolitil"(Sehr richtig! bei den Polen und Sozialdemokraten) bezeichnet habe. (Bravo ! rechts.) Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Dienstag 1 Uhr.(Borher: Etat des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amts.) Schluß V/s Uhr._ Soziales« Zur Dienstbotenfklaverei. Das löjährige Dienstmädchen Marie Alma Strützel war am 14 Januar bei dem Zollselretär Mediger in Dresden in den Dienst Eetreten, hatte ihre Stelluny aber schon 10 Tage später, am 4. Januar ohne Kündigung verlassen. Der Zollsekretär hatte An- zeige erstattet und die Polizei war sogleich— ohne vorherige Unter- suchung— mit einer Strafverfügung über 5 M. zur Hand. Der Baier des Mädchens beantragte gerichtliche Entscheidung und machte vor dem Schöffengericht geltend, seine Tochter sei zum Verlaffen des Dienstes berechtigt gewesen, weil sie von der Frau geschlagen und mit dem Kopf in die Gosse gerammelt worden sei. Ferner habe sie in einer nnheizbaren Bodenkammer kampieren müffen, habe schlechte Wurst bekommen und sei öfters geschimpft worden. Das Schöffen- geeicht hielt die angeführten Gründe für die vorzeitige Lösung des Dienstverhältnisses nicht für stichhaltig. Das Schlagen und das „Mit-dem-Kopf-in-die-Goffe-ranimeln" sei keine».das Leben und die Gesundheit dauernd gefährdende Behandlung", wie sie nach der Ge- sindeordnung vorliegen müsse, wen» die vorzeitige Lösung des Dienstverhältnisses berechtigt sein soll. Mit Rücksicht auf das..dreiste und ungebührliche Verhalten des Dienstmädchens ihrer Herrschaft gegenüber" erhöhte das Gericht die Strafe auf 15 M. oder 3 Tage Gefängnis. Der Vater des Mädchens legte Berufung ein und nun wurde die Sache endlich einmal untersucht Der Kriminalgendarm Felix stellte fest, daß die Frau Zollsekretär ihre Dienstmädchen schlecht behandelte, daß die Mädchen von ihr geschimpft, geschlagen und auf alle erdenkliche Art und Weise schikaniert wurden. Die Frau stand in einem sehr schlechten Renomme; sie nannte ihre Mädchen „Mistbock",»Mistluder" und„Dreckschevein". Die Art und Weise, wie sie ihre Dienstmädchen behandelte, hatte schon allgemein Anstoß erregt. Seit wenigen Jahren hatte sie allein 33 Mädchen auf der Polizei angemeldet, die Mehrzahl ist aber schon früher wieder weg- gegangen. Die als Zeugen vernommene Herrschaft hatte in der Schöffengerichtsverhandlung angegeben, das Mädchen hätte dieselbe Wurst bekommen, wie die Herrschast sie selbst esse. Das traf inso- weit zu, als das Mädchen die Wurst nach 8 oder 14 Tagen in ver- dorbenem Zustande erhielt. An dem Tage, wo das Dienstmädchen die Stelle verließ, hatte sie verdorbene Wurst bekommen; Unwohl- sein und Erbrechen war die Folge. Trotzdem versuchte sie ihre Arbeit zu machen. Da dies nach der Meinung ihrer Dienstherrin nicht schnell genug ging, wurde sie von ihr gestoßen und beim Wasser- ausgießen mit dem Kopf in die Gosse gerammelt. Durch den Zeugen Felix wurde ferner festgestellt, daß die Tür zu der Bodenkammer des Mädchens nicht verschließbar war, sondern nur ein sogenanntes Schneppschloß hatte. Alles das veranlaßte den Staatsanwalt, eine Art Verteidigungsrede für das Mädchen zu halten und die Entschei- dung in das Ermessen des Gerichts zu stellen. Das Gericht erkannte auf Freisprechung. Der Fall ist typisch; eine solche Behandlung steht nicht vereinzelt da. Diese Tatsache spricht aber eine eindringliche Sprache für die Notwendigkeit der Dienstbotenorganisation. ßcricbts- Zeitung. vom Kampf gegen da» Kirchenaustrittsplakat. Bekanntlich führt die Polizei einen unerbittlichen Kampf gegen den öffentlichen Aushang des Plakats, welches anzeigt: Hier sind Formulare für die Anmeldung des Aus- tritts aus der Landeskirche unentgeltlich zu haben. Durch gerichtliche Entscheidungen, welche sich aus§ 9 des alten preußischen Preßgesetzes stützen, ist der Aushang des Plakats mit dem angeführten Wortlaut für unstatthaft erklärt worden. Um der Rechtslage, welche hierdurch geschaffen ist, gerecht zu werden, und die veraltete gesetzliche Bestimmung zu erfüllen, ist der Wortlaut deS Plakats dahin geändert worden, daß die be- treffenden Formulare fürlPf. dasStückzu haben sind. Das so geänderte Plakat stellt nun eine Nachricht für den gewerblichen Verkehr dar und darf deshalb ungehindert öffentlich ausgestellt werden. Denn die Verbotsbestimmung des alten preußischen Preß- gesetzes nimmt Anzeigen über gesetzlich nicht verbotene Versanun- lungen sowie Nachrichten für den gewerblichen Verkehr ausdrück- lich aus. Ein derartiges Plakat, welches der gerichtlichen Aus- lcgung des alten preußischen Pretzgesetzes entspricht, hatte der Rechtskonsulent Fiedler am Fenster seiner Wohnung, nach der Straße sichtbar, aufgehängt. Dem Verlangen der Polizei, das Plakat zu entfernen, kam Fiedler, gestützt auf sein gutes Rocht, nicht nach. Die Polizei schritt dann, unter einem Aufgebot von mehreren Beamten, zur gewaltsamen Entfernung des Plakates, wobei auch gegen Fiedler Gewalt angewandt- wurde. Ein Ver- fahren wegen Widerstandes gegen die Staats- g e w a l t schwebt aus diesem Anlaß gegen Fiedler. Am Montag beschäftigte sich die 3. S t r a f k a m m e r am Landgericht l mit einem Teil dieser Episode aus dem Kampf gegen das Kirchenaustrittsplakat. ES war jedoch nur zu prüfen, ob der Inhalt deS Plakates den Anforderungen des alten preußischen Preßgesetzes genügt. DaS Schöffengericht hielt den Aus- hang deS Plakates nicht für statthaft und hat Fiedler deshalb mit 30 M. bestraft.— In der Berufungsinstanz setzte Rechtsanwalt Wolfgang Heine als Verteidiger des Ange- klagten auseinander, der erste Richter habe übersehen, daß das Plakat den Verkauf der Formulare anzeige, also eine Nachricht über den gewerblichen Verkehr darstelle und deshalb ohne weiteres ausgehängt werden dürfe. Es komme garnicht darauf an, ob der Angeklagte bei dem Berkauf von 1 Pf. pro Stück etwas verdiene oder nicht, ja selbst wenn er es dem einen oder anderen umsonst geben würde, so bleibe doch die Anzeige eine Nachricht über den gewerblichen Verkehr. Uebrigens sei auch in dem Plakat ange- zeigt, daß die Formulare auf Verlangen ausgefüllt werden. Das Ausfüllen aber falle ohne Zweifel in den Gewerbebetrieb des An- geklagten, der ja Rechtskonsulent sei.— Der Staatsanwalt beantragte die Verwerfung der Berufung, denn, meinte er. die Anzeige des Verkaufs sei ja nur eine Umgehung des Gesetzes. Rechtsanwalt Heine erwiderte darauf: Wenn der Durchgang durch ein Haus verboten ist und man geht um das Haus herum, um auf die andere Seite zu kommen, so hat man durch diese Umgehung doch die Verbotsbestimmung erfüllt. Das Plakat sei ja so abgefaßt, daß die gesetzliche Bestimmung, die ja in diesem Falle nur eine Ord- nungSvorschrift ist, erfüllt wird.» DaS Gericht erachtete als festgestellt, daß der Angeklagte in allen unter Anklage stehenden Fällen nur solche Plakate aus- gehängt hat, welche den Berkauf der Formulare für 1 Pf. anzeigen. Es liege daher eine Nachricht für den gewerblichen Verkehr vor, der Aushang sei deshalb gestattet. Aus diesen Gründen wurde der Angeklagte freigesprochen. Nach diesem Urteil der BerufungSkammer war also die Polizei nicht berechttgt, die Entfernung des Plakates zu verlangen und die gewaltsame Entfernung durch Beamte stellt sich hiernach als eine ungesetzliche Handlung dar._ 6 175. Der Photograph Georg Kretschmar lockte durch HelferS- Helfer junge Männer als„Modelle" in fein Atelier. Dort wurden mit ihnen Schweinereien getrieben. Der Angeklagte gehört der »Gemeinschaft der Eigenen " an. Gestern hatte Kretschmar sowie der löjährige Mechanikerlehrling Gerhardt sich vor der Straf- kammer aus§ 176 deS Strafgesetzbuches(Verkehr von Mann zu Mann) zu verantworten. Der gleichfalls angeklagte 15jährige Apothekerlehrling Fritz Siering auS Wilmersdorf hatte, als ihm in der vergangenen Woche die Terminsvorladung zugestellt wurde, vor den Augen der übrigen Angestellten dadurch S e l b st- mord verübt, daß er eine große Dosis Morphium verschluckte und dann in den Keller hinunter ging, um in einer dunklen Ecke den todbringenden Schlaf zu erwarten.— In der Verhandlung. die unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfand, beantragte der StaaSanwalt gegen Kretschmar neun, gegen Gerhardt sechs Monate Gefängnis. Das Gericht erkannte auf nur drei Monate Gefängnis gegen Kretschmar, rechnete ihm auch zwei Monate der UnterschuchungShast an, gegen Ger - Hardt auf drei Wochen Gefängnis. BetrugSanklage gegen eine« Doktor. Gegen den in Grotz-Lichterfelde ansässigen und dort sehr be- kannten praktischen Arzt Dr. med. Hans Sigismund Jaspis war eine Anklage wegen Betruges erhoben worden, die seinerzeit vor dem Lichterfelder Schöffengericht mit der Verurteilung des Angeklagten zu drei Monaten Gefängnis endete. Der Angeklagte, der ein sehr großes Vermögen seiner Ehefrau der- waltet, hatte mit dem Hauseigentümer Ncumann in Schöneberg , der zwecks Aufnahme einer Hypothek 45 000 M. suchte, ein Abkommen dahin getroffen, daß er ihm nebst anderen Werten auch 10000 M. in Aktien der Niederschlesischen Portland -Zementfabrik Neukirch, die nicht börsengängig waren, zum vollen Werte in Zahlung gab. Er soll die Aktien auf Befragen als gut, aussichts- voll und das Unternehmen selbst als gut fundierte Neugründung bezeichnet haben. Diese Angaben erachtete das Gericht für wissent- lich falsche und verurteilte den Angeklagten zu der genannten Strafe. Gegen das Urteil hatte Dr. Jaspis Berufung ein« gelegt, die gestern vor der dritten Strafkammer des Landgerichts II zur Verhandlung kam. Auf Grund einer umfangreichen Beweis- aufnähme erachtete das Gericht die Angaben des Angeklagten, daß das Unternehmen ein gut fundiertes und eine Neugründung sei, objektiv für nicht der Wahrheit entsprechend. Das Gericht war aber andererseits der Meinung, daß den Angeklagten subjektiv kein Verschulden trifft, da er sehr wohl optimistischer Auffassung über die Rentabilität und Zukunft des Unternehmens sein konnte. Aus diesen Gründen hielt das Berufungsgericht das erste Urteil für nicht haltbar und erkannte auf kostenlose Frei, sprechung des Angeklagten. Hus der frauenbewegung. Mainnmmer der j, Gleichheit". Die„Gleichheit", das Organ der sozialistischen Frauen Deutschlands , ist unbestritten eine unserer werwollsten politischen Zeitungen. Sie ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, was auf einem beschränkten Raum in theoretischer Aufklärungs- und prakti- scher Agitationsarbeit geleistet werden kann. Den weiter Fort- geschrittenen gewähren die theoretischen Artikel der»Gleichheit" mit ihrem tiefdurchdachten Inhalt, neben dankenswerten An- regungen, die das Wissen bereichern, die Erkenntnis ausreifen lassen, wegen ihres glänzenden Stiles als Zugabe auch noch ästhetischen Genuß. Und kein Gebiet der Gesellschaftswissenschaft bleibt unberücksichtigt! Für die Agitation, in Versammlungen, in der Werkstatt, in der Familie ist das Organ eine Fundgrube wert- vollen Materials. Eine regelmäßige Beilage dient der Unter- Haltung, bietet den Kleinen gesunde Lektüre und den Müttern schätzenswerte Fingerzeige in Erziehungsfragen. Und ganz be- sondere Anerkennung verdient die diesmalige Mainummer. In ihr kommen die Vorzüge der»Gleichheit" in hervorragender Weise zur Geltung und sie ist auch ein Spiegel der Jnternationalität der Arbeiterbewegung. In großen Strichen gibt Rosa Luxem- bürg einen historischen Abriß über die kapitalistischen Gewalt- maßnahmen zur Unterdrückung der Maifeier. Besondere Bercksichti- gung erfährt die russische Revolution. Dann folgt ein warm empfundener Nachruf für unseren Jgnaz Auer. Wir geben daraus nachfolgende Sätze wieder, die sich mit dem Verhältnis des Ver- storbenen zur Frauenbewegung beschäftigen: »Auer stand vielfach in dem Rufe, ein grundsätzlicher Gegner der proletarischen Frauenbewegung zu sein. Unseres Dafürhaltens zu Unrecht. Wohl hat er sich gelegentlich früher scharf gegen manche LebenSäußerung der proletarischen Frauenbewegung gewendet, in welcher der Kampt der Genossinnen um gleiches Recht der Mitarbeit und der Wertung ihrer Tätigkeit zum Ausdruck kam und zum Aus- druck kommen niußte. Er erachtete besorgt als Ansatz zu frauen- wchtlerischer Quertreiberei, waS geschichtlich bedingt war nicht bloß durch die unvermeidlichen Kinderkrankheiten der aufstrebenden jungen Bewegung, sondern auch durch die Tatsache, daß erst der Klassenkamps dem deutschen Prolctvriat stückweise den Philistettopf des Vorurteils gcxcn die Frauen abschneiden muß. Wohl hat Auer auch im Unmut über sachliche Gegnerschaft in Parteifragen Gc« nossinnen als Frauen mit der Lauge feines SpotteS überschüttet. Aber dieS weniger aus eingefleischter Spießbürgerei, als weil er es stets mir dem Spruche hielt:„Die Regel, die den Feind schlägt, ist die höchste." Er wußte, daß er dank des oben hervorgehobenen Umstandcs mit derartigen Witzchen die Lacher und leicht den Erfolg auf seine Seite bekam, und er trug es nicht nach, wenn ihm ent- sprechend gedieni wurde. Wer hinter den Schein von Auers ge- lcgentlichen Scharmützeln mit den Genossinnen blickte, der erfuhr» daß er durchaus kein Gegner der proletarischen Frauenbewegung als Teil des proletarischen Klassenkanipfes war. Umgekehrt: er hat sie von ihren ersten Anfängen an praktisch gefördert. Wie Gcib, so unterstützte er durch Vorträge eine der ältesten soziaödemokra- tischen Frauenorganisattonen: den Frauen- und Mädchenverein in Hamburg , der dort im Anfang der 70er Jahre entstand und an den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein angeschlossen war. Und Auers Verständnis für unsere Frauenbewegung ist in dem Maße gewachsen. als sie zu grundsätzlicher Klarheit gelangte und sich kraft innerer Notwendigkeit auch äußerlich immer mehr durchsetzte. Auf dem Parteitag zu Mainz 1900 ist er bei Beratung des neuen Organi» sationsstatuts in wärmster Weise für daS Recht der Frauen ein» getreten. Den führenden Genossinnen war er jederzeit auS dem Schatz seiner reichen praktischen Erfahrung ein freundlrcher Berater. Als Mitglied des Parteivorstandes war er ein Befürworter aller Maßregeln, ein Bewilliger aller materiellen Mittel geworden, deren die proletarische Frauenbewegung zu ihrer Entwickelung be- durfte. Und er erwies sich ihr gegenüber auch darin als der kluge, erfahrene Praktiker, daß er— bei allem Festhrlten an dem einhcit- lichen Charakter der gesamten modernen Arbeitcrbeivegung— die Notwendigkeit von Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit ihrer- seits anerkannte. Nicht nur der große Vorkämpfer des einen revo- lutionären Proletariats, der aufrichtige Förderer der proletarischen Frauenbewegung hat den Kranz verdient, den Genossin Baader im Namen der deutschen Genossinnen an Auers Grabe niederlegte." Ueber den internationalen Charakter der Maifeier schreibt in klaren, frischen Zügen H. Roland-Holst- Holland. In ge- schickter Weise flicht sie in die allgemeinen Erörterungen die über die sittliche und kulturelle Bedeutung der Verkürzung der Arbeits- zeit hinein. Ottilie Baader hat es unternommen, der »Arbeiterin als Gattin und Mutter" die Bedeutung der Maifeier vor Augen zu führen. Ein weiterer Artikel, von H i l g a Parssinen- Finnland , deutsch von Adelaide Burglem, verdient besondere Würdigung. Die Genossin schildert nicht nur da?, was die Ueberschrift des Artikels:»Beteiligung der Frauen an den Wahlen" verspricht, sie läßt auch in scharfen Konturen die politische Bedeutung der Frauenbewegung erkennen und erscheint uns so ungewollt als Mahnerin; ihr Artikel ist eine Apologetik der Frauenbewegung. Sie schildert den Sieg der Sozialdemokratie durch die glänzende politische Haltung der finnischen Frau als Wählerin. Und indem sie nachweist, daß die Frauenbewegung die Quelle neuer Kraft für die parlamentarische Vertretung war, läßt sie uns ahnen, was geschehen tonnte ohne die Frauenbewegung. Sie schreibt u. a.: „Die Genossinnen haben redlich daS Ihrige zu dem großen Siege der Sozialdemokratie beigetragen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Einführung des Frauenstimmrechts die Zahl der sozialdemokratischen Wähler zum Nachteil der bürgerlichen Parteien bedeutend anschwellen ließ. Daß aber diese Wirkung eintrat, ist nicht zum wenigsten das Verdienst der sozialdemo- demokratischen Frauenbewegung, die seit langen Jahren in ge» duldiger Arbeit durch mündliche und schriftliche Agitation die Frauen deS Volkes aufgeklärt und für die sozialdemokratischen Ideen gewonnen hat.. ES sei noch erwähnt, daß der Wert deS Artikels erhöht wird durch die Beigabe einer guten Illustration, welche uns ein Wahllokal vorführt, in dem sich alte Mütterchen zur Wahlurne drängen.— Dora Duncker predigt in eindringlichen Motten den Schutz der Mütter als Born des Lebens, als Urquell der Volks- kraft: Schutz der Mutter ist Schutz der Menschheit!— Adelheid Popp in Wien löst in dankenswerter Weise die Aufgabe, die Bedeutung der Maifeier für den Kampf um das Wahlrecht in Oesterreich zu schildern.— In einem instruktiven Artikel unter» sucht Frida Wulff, wie die Verkürzung der Arbeitszeit auf die gewerkschaftlichen Arbeiterinnen- Organisationen wirkt.— Angelika Balabanoff feiert den Weltmaientag als Künderin der Befreiung der Frau von der Geschlechtssklaverei.—> Ueber»Die Maiforderungen dex Dienstmädchen" schpeWt FrärMg
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