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It. 101. 34. IlthrglMZ. I DU des Amiirts" KM» MM Mmch, l. W»i M7. keickstag. 42. Sitzung vom Dienstag, den 30. April 1907. nachmittags 1 Uhr. Am'Bundesratstische: Fürst v. B ü l o w, Graf PosadowSlh, Frhr. v. Stengel, Frhr. v. Tschirschky, Dernburg . Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Etats des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amts. Auf Borschlag des Präsidenten wird zunächst die Frage der auswärtigen Politik behandelt. Zur Beratung stehen folgende Resolutionen. Erstens die des Zentrums: Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstage periodisch Uber die internationalen Beziehungen des Deutschen Reiches urkundliches Material zugehen zu lassen. Zweitens die der Freisinnige n und Genossen: Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen. Schritte zu tun, um durch internationale Verhandlungen eine Vereinheitlichung des Wechselrechts der für den Wcchselverkehr vorwiegend in Betracht kommenden Staaten in die Wege zu leiten. Frhr. v. Hcrtling<Z.): Meine Freunde haben eine Resolution eingebracht, in welcher der Reichskanzler ersucht wird, dem Reichstag periodisch urkundliches Material über die auswärtige Politik vorzu- legen. Eine häufigere Beschäftigung des Reichstages mit den Fragen der auswärtigen Politik wäre sehr erwünscht. Bevor ich mich den Fragen der auswärtigen Politik zuwende, will ich bemerken, daß wir hierbei jede Erinnerung an innere Zwistigkeiten werden zurücktreten lassen.(Lebhaftes Bravo l rechts Bor einem Jahre gab der Reichskanzler seiner Befriedigung über die Konferenz von Algeciras Ausdruck. Ich weiß nicht, ob diese Befriedigung heute noch eine ungeteilte ist. In Frankreich , selbst in ernsthaften Kreisen, meint man, Marokko solle für Deutsch land ein Ausgleichsobjekt für die Bagdadbahn bilden. Ich kann einen solchen Zusammenhang nicht anerkennen. Ich wende mich nun zu dem, was in der letzten Zeit am meisten besprochen worden ist, die sogennimte Einkreisungspolitik des Königs von England. In der Tat hört man viel von Einverständnissen zwischen auswärtigen Mächten, ohne daß dabei von Deutschland die Rede ist. Das mag vielleicht nicht schmeichelhaft sein für Deutsch » land, vielleicht auch nicht angenehm, aber man soll doch nicht übertreiben. Die Auslassungen, daß die neuen Gruppierungen sich gegen Deutsch lands Oberherrschaft richten, finden sich vor allem auch nicht in der deutschen , sondern in der französischen Presse. Festzustellen ist, daß Deutschland immer von Weltmachtsaspirationen, von dem Gedanken einer Oberherrschaft frei gewesen ist. Bon diesem Gesichtspunkte will ich die Gruppierungen der Mächte betrachten. Die französisch englische Entente ist nicht von heute und bedeutet keine Gefährdung des Friedens. Ob die Verständigung Englands mit Rußland über Zentral-Asien schon perfekt ist. weiß ich nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, daß unsere Interessen dadurch gefährdet, daß deutsches Kapital in Zentral-Asien ausgeschlossen werden soll. An der Verständigung Englands mit Japan können wir nichts ändern, seitdem nach Beendigung des japanisch-chinesischen Krieges eine Verstimmung gegen Deutschland eingetreten ist. Aber eine Ge fahr liegt darin für uns nicht. Die neueren Zusammenkünste des Königs von England mit denen von Spanien und Italien darf man ebenfalls nicht über schätzen; auf Monarchenzusammenkünfte soll man überhaupt nicht zu großes Gewicht legen(Sehr richtig!); die realen Interessen können zu ganz anderen Gruppierungen der Mächte führen als die Neigungen und Antipathien der Fürsten . Zu einer dauernden, geschlossenen Front der anderen Mächte gegen Deutsch land fehlt es an der dauernden Gleichmäßigkeit der Interessen. Ich bestreite, daß wir überhaupt mit einer dauernden Feindschaft Englands und Frankreichs gegen Deutschland rechnen müssen. Schon in Deutschland kann die Neigung eines einzelnen nicht maßgebend fein für die auswärtige Politik, noch viel weniger in England. Ai " das französische Volk halte ich für friedlich gesinnt; allerdings geht meine Sympathie für Frankreich nicht so weit wie die einiger Herren von der äußersten Linke. Zu der in der letzten Zeit aufgerollten AbrüstimgSftage kann ich mich kurz fassen: An eine Abrüstung im vollen Maße denkt niemand. Kommt vaS aber nicht in Frage, so handelt es sich nur um eine akademische Doktorfragr! Dem Frieden wird gedient sein, wenn Deutschland an der DiS kusfion darüber sich gar nicht beteiligt!(Sehr richtig I rechts, beim Sentrum und den Nationalliberalen.) Mögen die übrigen ationen die Frage diskutieren, sie werden sich bald von der Um fruchtbarkeit dieser Diskussion überzeugen. Jedenfalls sind wohl alle in diesem Hause einig darin, daß wir eine ruhige, konsequente, friedliche Politik wünschen, daß wir aber den Schein vermeiden wollen, als wünschen wir das aus einem Gefühl der Schwäche. (Lebhafter Beifall.) Das haben wir nicht nötig.(Lebhafter Beifall rechts, im Zentrum und bei den Nationalliberalcn und Freisinnigen.) Abg. Winckler(k.): Die Rede des Herrn Vorredners bestärkt mich in der Auffassung, daß die heutige Verhandlung eine möglichst große Einmütigkeit des Reichstags in den Fragen der auswärtigen Politik ergeben wird. Ich hoffe, daß die Austlänmgen des Herrn Reichskanzlers, wenn er sie uns geben kann, von demselben optimistischen Geiste getragen sein werden wie die Auffassungen des Herrn Vorredners. Wir wünschen durchaus den Frieden, solange man uns in Frieden läßt. Unser bestes Rüstzeug ist unser gutes Gewisse» in Verbindung mit unserer schlagfertigen Armee.(Bravo I rechts.) Der sonderbaren Auffassung des Herrn Carnegie, als ob Deutschland mit seiner starken Armee der Friedensstörer sei, istHerr Prof. Münsterberg mit Recht entgegengetreten. Wir danken Herrn Münster- berg, daß er deutlich da drüben in Amerika zu sprechen verstanden hat.(Bravo t rechts.) Wir danken auch dem Herrn Kriegsminister für seine Worte vor acht Tagen; es waren schlichte Worte ohne Ruhmredigkeit, wie wir sie von ihm gewohnt sind. Er hat uns be­stätigt, daß unsere Armee schlagfertig ist und daß die Kriegs- verwalwng die Armee als ein Friedensinstrument betrachtet. Und wem, er weiter feststellen konnte, daß der Reichstag bereitwillig die notwendigen Mittel für die Heeresverwaltung bewilligt hat. so werden wir dafür sorgen, daß das die Kriegsminister auch in Zukunft werden sagen können.(Bravo l rechts.) Was die Abrüstungssrage anlangt. so rst ,hre Behandlung ja erst nachträglich von anderer Seite für die Haager Konferenz an» geregt worden. Die Hauptaufgabe der Konferenz soll sein, den Seekrieg humaner zu machen I Wir hoffen, daß in dieser Be- ziehung die Konferenz zu einem günstigen Resultat kommt, das dazu dient, den Krieg zu humanisieren. Die Zeiten Kaiser Wilhelms und Bismarcks haben uns ein feines Gefühl für nationale Ehre und Würde gegeben. Wir erwarten, daß unsere Vertreter im Haag alles ablehnen, was die freie Entschließung unseres BolteS über das Maß der Rüstungen einschränken könnte, die wir für richtig halten im Interesse unserer nationalen Machtstellung.(Bravo I rechts.) Abg. Baffcrmanu(natl.): Der Resolution des Zentrums:dem Reichstag periodisch amtliches Material über die auswärtigen Be- ziehungen zugehen zu lassen, werden wir zustimmen. Auf die'Marollofrage will ich nicht näher eingehen, nur der Freude darüber Ausdruck geben, daß Deutschland dort für Wirtschaft- liche Unternehmungen eine offene Tür findet. Bezüglich Amerikas wünschen wir, daß die freundschaftlichen Be« ziehungen auch zu einem Handelsvertrag führen möchten. (Sehr richtig l bei den Nationalliberalen.) Mein Vorredner hat von den Aufgaben des Haager Kongresses gesprochen. Bei der Entwickclung des Seekrieges müssen die humani- tären und privatrcchtlichen Fragen vor den nationalen und staats- rechtlichen zurücktreten. Das gilt z. B. für die Frage der See- minen, welche die Waffe des Schwächeren ist; wir müssen sie vom Standpunkt des Schutzes unserer Küsten betrachten.(Sehr wahr I bei den Nvtionalliberalen.) Seit einem Jahre hat die Spannung der Gemüter bei uns zu- genommen. Sympathisch hat uns deswegen in der neulichen Rede des Kriegsministers berührt, daß die Armee kriegsfertig ist. Das wird im Auslande beachtet werden. Aber auch die Versicherung des Abg. Noske, daß die Sozialdemokraten in der Beurteilung von Angriffskriegen gegen Deutschland mit uns einig sind, wird im Auslande Beachtung finden und dort die Illusion zerstören, als ob im Falle eines Krieges bei uns innere Unruhen entstehen würden. Die Bedeutung von Friedenskonferenzen kann keine erhebliche sein. Daß von England die Abrüstungsfrage auf die Tagesordnung der Haager Konferenz gesetzt ist, entspringt Rücksichten auf die innere Politik Englands, die für uns nicht maßgebend sein kann; ihre Unmöglichkeit wird in der Presse aller Länder anerkannt! Wir haben mit den Erfahrungen von Algeciras zu rechnen und mit der dort zutage getretenen Isolierung Deutschlands , abgesehen von Oesterreich , das uns treu zur Seite gestanden hat. Englands Rüstungen, seine fortgesetzten Schiffsbauten sehen auch nicht nach Abrüstung aus, so wenig wie die Verstärkung seines Landheeres. Gleich Herrn v. Hertling halten auch wir das französische Volk für stiedlich; aber andererseits liegen dochzGründe des Mißtrauens vor. Gerade die sozialdemokratische Presse, derVorwärts" sowohl wie dieSozialistischen Monatshefte", haben zuerst von dem Miß- trauen gegen das Ministerium Clemenceau gesprochen. Auch mit Italien sind unsere Beziehungen nicht bessere ge- worden. Im November hat der Reichskanzler gesagt, daß eine Ein- kreisung Deutschlands bedenklich sein würde. DieGermania " hat sich vor kurzem nicht so ausgesprochen, wie heute Freiherrr v. Hertling. Auch in fteisinnigen Kreisen ist die Anschauung von einer Einkreisung Deutschlands vorhanden, und selbst derVorwärts" schreibt, daß die Sozialdemo- traten Englands dort ein ernstes Wort reden müßten; auch der Vorwärts" hat die Anschauung von der Einkreisung Deutschlands . Die Gründe für diese Tatsache findet die Sozialdemokratie einfach in den Fehlern unserer internationalen Politik. Gewiß leugnen wir mcht, daß Fehler gemacht sind. Aber der eigentliche Grund liegt tiefer. Daß wir unbeliebt sind, hängt mit dem Wachstum unserer Macht zusammen. Unsere Flotte ist keine Drohung gegen England, sondern notwendig zum Schutz unserer Kolonien und Küsten. Auch meine politischen Freunde begrüßen jede Annäherung zwischen den Völkern. Wir wünschen die Politik frei von unver- antwortlichen Einflüssen. Wir empfehlen eine Politik der Ruhe, nicht der großen Worte, der Telegramme. Es sind durch eine Reihe von Reden, deren Tragweite überschätzt worden ist, Mißverständnisse hervorgerufen worden/ Wenn eine Isolierung Deutschlands Platz greift, so wollen wir sie mit einem Gefühl des Stolzes tragen. Wir wünschen ferner eine gute Diplomatie. Der Reichskanzler möge erwägen, ob nicht der Kreis, aus welchem die Personen für unsere Diplomatie genommen werden, zu eng gezogen ist. Vor allem aber muß unser Heer tüchliq sein. Das Pulver trocken halten und das Schwert scharf, das ist die beste Friedens- Politik I(Bravo I bei den Nationalliberalen.) Abg. Fürst v. Hatzfeld (Rp.): Die Leitung unserer auswärtigen Politik liegt nach unserer Ueberzeugung in bewährten Händen. (Bravo ! rechts.) Die Angriffe gegen den Leiter unserer jetzigen Politik gehen wohl nur von Hintertrepvenleuten aus, die Boyen seinerzeitMaulwürfe" nannte. Im übrigen würden auch wir eine Hinzuziehung weiterer Elemente zum staatsmännischen Dienst begrüßen.(Sehr richtig! links.) Vor allem wäre eine bessere wirtschaftliche Ausbildung der Diplomaten nötwendig.(Sehr wahr! links.) Unsere sogenannteIsoliertheit" ist wohl vor allem darauf zurückzuführen, daß wir Neulinge, Emporkömmlinge sind, die bekanntlich immer den Neid ihrer Konkurrenten erregen. Aber unsere Konkurrenten sollten bedenken, daß wir noch immer um das Vierfache an wirtschaftlicher EntWickelung hinter England zurück sind. Wir denken aber nicht daran, jemand zu bedrohen, wir Deutschen sind das friedfertigste Volk. Nur Narren können behaupten, daß wir an Landerwerb denken, dabei würden wir uns nur den Magen verderben. Den schlüpfrigen Boden der Ab- rüstungsfrage, die nur zu neuen Verwickelungen führen könnte, wollen wir nicht beschreiten. Leider ist in letzter Zeit eine gewisse Nervosität bemerkbar gewesen.(Sehr wahr! rechts.) Das Land würde dem Reichskanzler danken, wenn er dafür sorgen würde, daß dieses Unbehagen und diese Nervosität verschwindet.(Bravo ! rechts.) Abg. Dr. Wiemer(frs. Vp.): Auch wir würden es begrüßen, wenn der Reichskanzler uns authentisches Material über die aus- wältigen Beziehungen zugehen ließe. Tatsächlich herrscht bei unS eine gewisse Spannung und Nervosität; das Parlament ist davon frei und wird um so besser wirken können, je mehr es zur Mit- Wirkung auch bei der auswärtigen Politik berufen wird.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Bei allem Vertrauen zur verant- wortlichen Leitung sind wir uns klar, daß manche Plötzlichkeit ver- wirrend gewirkt hat. Die Isolierung und Einkreisung Deutschlands haben Zweifel- los Fortschritte gemacht; doch dürfen wir das nicht überschätzen. In letzter Instanz entscheiden die Geschicke der Völker nicht dynastische Neigungen, sondern die realen wirtschaftlichen Jnter- essen.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Gewiß sind wir Englands Konkurrent, aber auch sein sehr guter Kunde. In Eng - lands Abrüstungsvorschlag sehen wir keinen gegen Deutschland gerichteten Akt, die Befugnis freilich, die Höchstgrenze unserer Kriegsrüstungen festzusetzen, können wir nicht einer internationalen Konferenz einräumen.(Bravo ! bei den Freisinnigen.) Reichskanzler Fürst Bülo«: Alle Redner, die bisher das Wort ergriffen haben, haben auch die im Juni dieses Jahres bevorstehende Haager Konferenz berührt. Ich will über diesen Gegenstand zunächst das Nach stehende sagen: Ende des Jahres 1904 hat der Herr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Einladungen zu einer neuen Haager Konferenz ergehen lassen. Sie sollte sich angesichts mancher schwerer, während des russisch -japanischen Krieges akut gewordener Neutralitätsfragen hauptsächlich mit der Weiterbildung des See- kriegsrechts beschäftigen. Diese Anregung ist dann im Jahre 1905 von der russischen Regierung aufgenommen worden. Die Vor- arbeiten für die Konferenz haben sich zu einem eingehenden Pro- gramm verdichtet, das auf den russischen Vorschlag hin die Zu- stimmung der Mächte gefunden hat. Nach diesem Programm soll sich die zweite Haager Konferenz mit der Verbesserung oder Er- gänzung der Bestimmungen der drei Haager Abkommen über die Schiedssprechung, über den Landkrieg und über die Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg sowie mit der Ausarbeitung eines Seekriegsrechts beschäftigen. Aus der Thronrede ist Ihnen bekannt, daß die deutsche Politik diese russischen Vorschläge Ympathisch begrüßt hat und daß sie bereitwillig mitwirken wird, .im ein praktisches Ergebnis der zweiten Haager Konferenz zu ichern. Das Programm der Konferenz scheint sehr zweckmäßig ausgewählt zu sein. Es umschließt solche Fragen, für welche Fort- chritte des geltenden Völkerrechts besonders erwünscht sind. Wir haben deshalb die Einladung der russischen Regierung gerne an- genommen. Außerhalb des von Rußland aufgestellten Programms haben sich die Mächte auch mit der Frage beschäftigt, ob eS zweck­mäßig sei, auf der Haager Konferenz Gedanken zu erörtern, die Bezug haben auf einen Stillstand oder eine Verminderung der Rüstungen. Diese Gedanken, diese Erörterungen sind bisher noch nicht bis zur Formulierung eines bestimmten Vorschlages ge» diehen. Die englische und die spanische Regierung und ähnlich auch die russische haben sich nur das Recht vorbehalten, diese Frage auf der Haager Konferenz zur Diskussion zu stellen. Die Ver- fechter der Abrüstungsidee ich gebrauche, wie die Herren Vor- redner, der Kürze halber diesen Ausdruck wollen mit der Ver« wirklichung dieses Gedankens eine bessere Bürgschaft für den Frieden schaffen. Wer wollte solche Motive nicht durchaus billigen? Es fragt sich nur, ob die Erörterung dieser Frage auf einer Kon» ferenz ein geeignetes Mittel ist, um der Verwirklichung dieses Ge» dankens näher zu kommen. Die Erörterung auf der ersten Haager Konferenz hatte nur das Ergebnis, daß die Mächte auf» gefordert wurden, das Problem näher zu prüfen. Die deutsche Regierung ist dieser Aufforderung nachgekommen, hat aber keine Formel gefunden, die der großen Verschiedenheit der geographischen, wirtschaftlichen, militärischen und politischen Lage der verschiedenen Staaten gerecht würde und geeignet wäre, diese Verschiedenheiten zu beseitigen sowie als Grundlage für ein Abkommen zu dienen. Mir ist auch nicht bekannt, daß andere Regierungen glücklicher ge» Wesen wären und eine solche Formel gefunden hätten. Solange aber nicht einmal sichere Hoffnung auf eine befriedigende Lösung dieser Frage und auf die Möglichkeit ihrer praktischen Durch- führung besteht, vermag ich mir auch von ihrer Erörterung auf dieser Konferenz nichts zu versprechen.(Sehr richtig!) Es liegt im Gegenteil die Gefahr vor, daß durch die Be» rührung der widerstreitenden Interessen eine zweckwidrige Wirkung eintritt.(Sehr richtig! rechts und bei den Liberalen.) Es ist nicht zu bestreiten, daß schon die Aussicht auf eine Behandlung dieser Frage auf der Konferenz keine beruhigende Wirkung auf die inter - nationale Lage ausüben kann.(Sehr richtig!) Als es sich im Jahre 1873 darum handelte, auf einer Brüsseler Konferenz das Kriegsvölkerrecht zu beraten, erklärte der englische Lord Davis im Namen der englischen Regierung:Die englische Regierung kann sich an der Konferenz nicht beteiligen, wenn die Frage des Völker- rechts überhaupt berührt wird."(Hört! hört!) Das gleiche hätten wir jetzt auch tun können, und unsere Beteiligung an der Haager Konferenz davon abhängig machen können, daß die Abrüstungsfrage nicht diskutiert würde. Mit Rücksicht auf das russische Programm haben wir das nicht getan, sondern wir beschränken uns darauf, diejenigen Mächte, die sich einen Erfolg von der Diskussion ver- sprechen, diese Diskussion allein führen zu lassen.(Lebhafte Zu- stimmung rechts und bei den Liberalen.) Es ist nun die Befürchtung ausgesprochen worden, daß unsere Zurückhaltung in dieser Spezial- frage uns in den Ruf bringen könnte, aus eitler Kriegslust oder militärischem Ehrgeiz oder aus sonsiigeu selbstsüchtigen Motiven ein edles Friedenswerk zu stören. Ich habe Grund zu der Annahme, daß auch andere Mächte eine der unsrigen ähnliche Haltung ein- nehmen werden.(Hört! hört!) Es gibt in Eiuzland, in Frankreich , in Italien und in Amerika Freunde des Friedens und der Zivili- sation genug, die dem Frieden am besten zu dienen glauben, wenn sie keine Illusionen aufkommen lassen und bei der Verfolgung idealer Zwecke die Realität nicht aus den Augen verlieren.(Sehr wahr!) Zu meiner Befriedigung habe ich neuerdings eine Aus- lassung in diesem Sinne auch in einem sozialdemokratischen Blatte gefunden.Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!"(Heiterkeit.)! Hoffentlich bleibt es nicht bei diesem ersten Schritt. Trotzdem in der Welt Uebclwollen gegen Deutschland reichlich Vorhemden ist, ist Deutschland von keiner Seite angegriffen worden und ich füge noch hinzu hak eS auch niemanden angegriffen. Wir haben unsere militärische Stärke niemals mißbraucht und werden das auch in Zukunft nicht tun.(Bravo !) Nicht nur technisch, sondern auch moralisch hat sich unsere Rüstung als ein gutes Friedenswerkzeug bewährt. Wir wünschen nicht wieder in einen Zustand zu gerchen, wo man sang:Was ist des Deutschen Vaterland?" Mir ist von manchen Seiten übelgenommen worden» daß wir uns an der Diskussion über die Abrüstungsfrage nicht beteiligten. Wir könnten dies ja gefahrlos tun, da dabei doch nichts heraus» kommen würde, als allgemeine Betrachtungen und Redensarten. Es erschien mir aber richtiger und auch würdiger, offen zu sagen, daß wir uns an dieser, nach unserer Ueberzeugung, wenn nicht be» denklichcn, so doch unpraktischen Diskussion nicht beteiligen können. Wir denken aber nicht daran, unsere Auffassung er» zwingen zu i vollen, und wenn bei der Erörterung der Ab- rüstungsfrage etwas Praktisches herauskommt, werden wir ge» wisicnhast prüfen, ob es dem Schutze unseres Frieden?, ob es unseren nationalen Interessen, ob es unserer besonderen Lage ent- spricht.(Lebhaste Zustimmung.) Ich stelle mit Genugtuung und Dankbarkeit fest, daß die Gesichtspunkte, die ich soeben entwickelt habe, sich im wesentlichen decken mit den, Ausführungen der Ver- treter aller bürgerlichen Parteien. Gestützt auf diese Einmütigkeit, wird Deutschland auf der Haager Konferenz durch sein tatsächliches Verhalten beweisen, daß wir alle Bestrebungen, die geeignet sind, den Frieden, die Zivilisation und Menschlichkeit praktisch zu fördern» aufrichtig unterstützen.(Lebhafter Beifall.) Ich möchte jetzt eingehen auf den von mehreren Seiten be, rührten Antrag Hompesch und Genossen. Ich halte den von mehreren Vorrednern ausgesprochenen Wunsch des Reichstages, über Gang und Stand unserer auswärtigen Politik unterrichtet zu fein, für durchaus berechtigt. Seitdem ich an dieser Stelle stehe, bin ich bemüht gewesen, diesem Wunsche Rechnung zu tragen.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Hat es je im JnlaNde oder im Auslande einen Minister gegeben, der sich über Fragen der Auslandspolitik so oft, so ausführlich, so frei- mütig ausgesprochen hätte wie ich? Diese Anerkennung haben mir selbst feindliche Blätter oft gezollt. Wenn der Antrag Hompesch sich auf diese Forderung beschränkt hätte, würde ich gern eine ent» gegenkommende Erklärung abgeben. Der Antrag fordert aber mehr: er fordert, daß dem Reichstage über die internationalen Beziehungen deS Deutschen Reiches periodisch urkundliches Material zugehen solle. Dieser Forderung widersprechen schwerwiegende Gründe. Der Antrag enthält ein Verlangen, das auch in anderen Ländern, auch in rein demokratischen oder ganz parlamentarischen Staaten nicht aufgestellt, geschweige denn erfüllt werden könnte; denn seine Erfüllung würde die oalus publica(öffentliche Wohl­fahrt) gefährden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an einen Vorgang aus jüngster Zeit erinnern: In der französischen Deputiertenkammer fragte ein Abgeordneter an, ob zwischen Frank. reich und England eine Militärkonvention bestünde. Gewiß eine schwerwiegende Frage von großer Bedeutung für das französische Volk! Der Herr Ministerpräsident aber antwortete schlankweg: Ich weiß es nicht, aber ich glaube es nicht."(Heiterkeit.) Der Fragesteller nannte die Antwort zwar ungeheuerlich, in der Kammer aber wurde sie nicht ernstlich getadelt. Die Mehrheit verstand diese Antwort der Regierung vollständig. Im englischen Parlament ist eS häufig borgekommen, daß Minister dringende. eingehende Fragen über Probleme der auswärtigen Politik ent- weder gar nicht oder nur mitJa" oderNein" beantwortet haben.- Die Verantwortung für die auswärtige Politik kann eben sehr schwer geteilt werden. Der entscheidende Stoß muß derjenigen Stelle vorbehalten sein, die über alle Einzelheiten orientiert ist, der das ganze Material zur Verfügung steht, die in der Lage ist, sich über jedeS einzelne Detail zu orientieren. Ich werde bestrebt sein, dem berechtigten Wunsche der Volksvertreter nach Klarheit auf dem Gebiete der auswärtigen Politik auch fernerhin zu ent» sprechen, kann aber nicht eine Verpflichtung auf mich nehmen, deren Erfüllung Unzuträglichkeiten für das Land mit sich bringen würde.(Bravo ! rechts.) Gewiß, cS gibt Zeiten und Umstände, wo die Flucht in die Oeffentlichkeit notwendig oder doch angezeigt ist. Es gibt aber auch Zeiten, Lagen und Umstände, wo aus jedem unbedachten Worte Nachteil entstehen kann, Ich will mich nunmehr äußern über