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unb würdige Politik Frankreich wie allen anderen Mächten gegenüber, eine Politik, welche die Gefühle anderer schont, wie wir auch ver- langen, datz unsere eigenen nationalen Gefühle von anderen geschont werden. Wir verlangen eine Politik der aufrichtige» Annäherung, die zur Vereinbarung führen mutz und zur Verwirklichung der Idee des Friedens, der das leidenschaftliche Verlangen der Völker ist und ihrer kulturellen Entwickelung ungeahnte Anstötze geben wird. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Liebermnnn von Sonncnberg(wirtsch. Vg.f: Die Sozial- demokratie_ hat sich in nationaler Beziehung nach den Wahlen ge- bessert; hoffentlich hält diese Besserung an. Ohne persönliches Wirken geht es in der äutzeren Politik nicht. Gott bewahre uns davor, datz wir ein für die auswärtige Politik verantwortliches Parlament bekommen!(Sehr wahr! rechts.) Wir können jetzt, da wir für dir Ernährung des Volkes selbst genügend sorgen kSnnen, einem etwaigen Weltkriege in Ruhr entgegensehen.(Beifall rechts.)-- Abg. Schräder(frs. Vg.): Die Völker wollen alle den Frieden, es find immer nur einzelne und ein Teil der Presse, die gegen andere Nationen Drohungen ausstotzen. Diese Drohungen werden im Auslande verbreitet und erregen inimer aufs neue Mitzstimnmng. Es kommt nur darauf an,' datz sich die vernünftigen Leute in allen Ländern durch solche Drohungen nicht beeinflussen lassen. Ich hoffe, datz auf der Haager Konferenz auch von deutscher Seite mit aller Energie auf den Ausbau der Schiedsgerichte hingewirkt wird. Dem Antrage Hompesch stimmen wir zu..Auf jeden Fall sollte uns in Zukunft mehr Auskunft über die Lage der auswärtigen Politik gegeben werden. Abg. Zimmermann(Ant.): Von der ruhigen, stetigen Politik, von der der Herr Reichskanzler sprach, haben wir leider in den letzten Jahren wenig gemerkt. Man sollte weniger auf Reden als auf Taten sehen.(Bravo ! bei den Antisemiten.) Abg. Dr. Scmlcr(natl.): Herr v. Bollmar hat mich angegriffen wegen meiner Ausführungen zu einem französischen Journalisten. In seiner nervösen Angst vor dem Aussprechen einer offenen Meinung begegnet er sich mit der ganzen offfziösen Presse. Ich sah die politische Situation keineswegs so kritisch an. datz man nicht ein offenes Wort hätte sagen können, wenn man sich überhaupt entschlotz, zu antworten. Ich hätte mich ja auch cntschliehen können, gar nicht zu antworten.(Lebhaftes Sehr richtig!«nd Heiterkeit auf allen Seiten.) Aber andere Herren haben ja auch geantwortet. Die llebersetzung imBerliner Tageblatt", nach der Herr v. Vollmar zitierte, ist nicht völlig genau. Abg. v. Bollmar(Soz.): Ich habe nicht davon gesprochen, datz Herr Semler die Tendenz gehabt habe, aufreizend zu reden, sondern ich habe nur die Tatsache festgestellt, datz solche Worte in Frankreich als aufreizend empfunden werden mutzten. Wenn man in der gegenwärtigen Situation sagt:Falls es zu einem Kriege zwischen Deutschland und England käme,-nützte Frankreich unter allen Umständen binnen 24 Stunden Partei ergreifen", so muhten solche Worte allerdings in Frankreich als aufreizend empfunden werden.(Sehr wahr I) Damit schlicht die Besprechung über die auswärtige Politik. Das Haus vertagt die Weiterberatung des Etats des Reichs» kanzlers und des Auswärtigen Amts auf Mittwoch 1 Uhr. Schlutz 6-/« Uhr. _ parlamentarisches. Aus der Budgetkommissiom (Sitzung vom 30. April.) Die Beratung des Kolonialetats wird mit dem Etat für Kiautschou fortgesetzt. Die eigenen Einnahmen bettagen llk Millionen Mark, die Ausgaben 13'/« Millionen, sodatz der Reichszuschuß 11� Millionen Mark Beträgt! Bei der Anforderung für die B a u v e r w a l t u n g, V7 700 M., wird von Erzberger und Leonhart die zu üppige und teure Bauweise kritisiert. Ein Regierungsvertreter sucht diese Vorwürfe ju entkräften. Demgegenüber erzählt Paaschs, datz viel zu viel Baubeamte dort untergebracht seien. Der Marine- minister verspricht, datz nach Fertigstellung der Hafenbauten eine Anzahl Baubeamte in Wegfall kommen sollen. Die Ausgaben der Zivilverwaltung werden im übrigen ohne erhebliche Debatte ge- nehmigt. Ebenso die Ausgaben der Militärverwaltung von 3'/, Millionen Mark und die gemeinsamen Ausgaben von 2'/x Mllionen Mark. An einmaligen Ausgaben werden größere Summen gefordert für Kasernenbauten. Hier- bei entspinnt sich eine lebhafte Debatte über die Frage, ob die militärische Macht in Kiautschou gehalten oder gar noch vermehrt werden soll. Der Referent Paaschs ist der Meinung, man solle die Truppen nach und nach zurück- ziehen; denselben Gedanken äußert, nur wesentlich schärfer. Erzberger, der Kiautschou für völlig wertlos als militärischen Stützpunkt und ebenso wertlos als Handelsplatz erklärt. Freiherr v. Richthofen will an Kiautschou unter allen Umständen fest- halten. Genosse Bebel konstattert mit Freuden, datz die mahgebenden Parteien die Wertlosigkeit der Kolonie Kiautschou einzusehen be« ginneu. Er habe vor Jahren, als er sich zum ersten Male über Kiautschou äußerte, dieselben Gedanken ausgesprochen; damals aber habe er allein gestanden. Bebel bespricht dann eingehender den militärischen und Handelswert von Kiautschou und kommt zu dem Ergebnis, datz dir Hoffnungen iu allen Punkten getäuscht worden sind. Wir haben jetzt schon über 100 Millionen Mark für diese Kolonie ausgegeben, das dürfe so nicht weiter gehen. Abg. Starz spricht auch gegen die Verwendung großer Geldsummen auf Kiautschou : wir seien dort mit unseren Einrichtungen nur die Lehr- meister der Chinesen, auf deren Dankbarkeit nicht zu rechnen sei. Semler will die Kolonie zu einerKulturstatton" ersten Ranges aus- bauen und der Marincminister warnt vor Pessimismus und behauptet, das Marineministerium habe vom ersten Augenblick an nur den Gedanken gehabt. Kiautschou zu einem Zivilisationspunkt zu gestalten. Dazu gehöre aber auch militärische Macht. Es wird von freisinniger Seite der Anttag gestellt, von den Armierungskosten einen Teil zu stteichen, der Antrag wird jedoch zurückgezogen, aber von Ledebour wieder auf- g e n o n, m e n. Schließlich wird die Anforderung gegen die sozial- demokrattschen Stimmen bewilligt. Auch die Freisinnigen sti-nn-en dafür. Der Rest des Etats für Kiautschou wird debattelos genehmigt. Die Kommission geht über zur Berawng des Mariur-Etats. Die unbedeutenden Einnahmen werden ohne Debatte genehmigt. Bei den Personalausgaben spricht S e m l e r für Gehaltsaufbesserung der Beamten. Andere Redner behalten sich ähnliche Wünsche für daS Kapitel Werften vor. Auch größere Berücksichtigung der technischen Kräfte wird gewünscht. Der Staatssekretär sagt Be- rückfichttgung der Wünsche zu. Die umfangreiche Diskussion verbreitet sich dann über allerlei Beschwerden und Wünsche. Da wird mit- geteilt, datz ein Dock viel zu schmal gebaut wurde, so daß, als eS fertig war, sofort der Umbau beginnen mußte! Datz ein neues Kanonen- boot seit vier Jahren unbenutzt im Kieler Hasen liegt; datz zu wenig neue Schiffe auf den eigenenWerften gebaut werden usw. Hinsichtlich des letzteren Punkte« wird zugegeben, datz ein unwirtschaftlicher Be- trieb besteht, aber das sei nicht zu ändern, da zu viel Reparatur- bauten keine Zeit für Neubauten lassen. Die Reparaturen könne man derApothekerrechnungen" halber nicht auf Privatwerften machen lasien! Bei unwesentlicher Debatte werden die Ausgaben für Marine- amt, Admiralstab. Seewarte, Intendanturen, Rechtspflege, Seelsorge, Garnisonschulen und Geldverpflcgung bewilligt. Bei den Ausgaben für Bekleidung liegt eine Petttion pommerscher Tuchfabriken vor, die sich nicht genug berücksichtigt fühlen. Die Mariiieverwaltnng will von der allgemeinen Submission nicht abgehen. Es werden weiter genehmigt die Ausgaben für Garnisonverwaltung, Garnisonbau- Wesen, WohnungSgeldzuschntz, SanitätSwesen, Reise-, Marsch- und Lrachtlostm und Bildungswesen. Zu längerer Debatte führt das KapttelInstandhaltung der Flotte und der Werften". Die Besprechung der Arbeiterverhältniffe wird bis zur Behandlung der Petitionen aufgeschoben. Zu der Forderung von 23 223 000Allgemeiner Werstbetrieb" wird eine Resolution angenommen: Diese Forderung künftig zu spezialisieren. Der Rest der fortdauernden Ausgaben beim Marincetat wird bewilligt; die gesamten dauernden Ausgaben be- laufen sich auf 120 843 000 M. Die russische Revolution. Der Fall Surabow. Die Reaktton macht aus der Rede, die Surabow am Montag in der Reichsduma hielt und über die wir gestern bereits kurz unter Letzte Depeschen" berichteten, eine Haupt- und Staatsaktton. Wir geben daher nach dem selbstverständlich reaktionär gefärbten Bericht derNowoje Wrcmja" einen längeren Auszug auS der Rede EurabowS.Nowoje Wremja" schreibt: ... Surabow begann seine Rede mit einer Reihe Paria- mentarisch unzulässiger Ausfälle gegen die Armee und die Regierung. Trotz Unterbrechungen seitens des Präsidenten Golowin fuhr Redner fort und sprach offen schwere Beleidigungen aus. Auf der Rechten herrschte große Erregung. Der Kriegsminister und seine Räte erhoben sich empört von den Plätzen und forderten die Eni- fernung Surabows aus dem Saal. Iu dem allgemeinen Lärm wurde die Stimme Golowins nicht gehört. Endlich erklärte dieser, Surabow werde sich wohl nicht weigern zu erklären, datz er leine Beleidigungen beabsichtigt habe. Surabow bestätigte dies, fuhr jedoch mit Beleidigungen, und zwar in noch verschärfter Form. fort. Hierauf entstand ein geivaltiger Lärm. Die Mitglieder der Rechten und des Zentrums gäben ihrer Entrüstung lebhaftesten Ausdruck; die gemäßigten Bauernabgeordneten stürmten zur Präsidententribüne und forderten die sofortige Verweisung Surabows aus dem Saale . Unter fortwährendem wüstem Lärm erklärt der Präsident Golowin den Zwischenfall für erledigt. Sofort erheben sich die Abgeordneten der Rechten, der Gemäßigten, der Oktobristen sowie die Parteilosen und verlassen unter Protestrufen den Saal. Auf einen Antrag der Kadetten hin ordnet der Präsident Golowin eine Pause von 20 Mi- nuten Dauer an, die sich aber auf l'/z Stunden ausdehnt. Die Fraktionen versammeln sich in ihren Zimmern zur Beratung. Ueberall laufen Gerüchte um über eine Auflösung der Duma. Die Kadetten beginnen mit der Rechten zu unterhandeln und- erklären, Golowin habe jetzt die Beleidigungen Surabows nach Einsicht in die Stenogramme richttg aufgefaßt; er wolle ihn aus dem Saal entfernen lassen und werde, falls der Anttag auf seine Entfernung abgelehnt würde, die Präsidentschaft niederlegen. Diese Er­klärung befriedigt die Rechte und die bäuerlichen Abgeordneten; die Sitzung wird darauf um 7 Uhr abends wieder auf- genommen. Das polnische Kalo kehrt nach der Pause nicht wieder in den Saal zurück. Präsident Golowin erfüllt nicht ganz die Versprechungen der Kadettenpartei, sondern erteilt dem Abgeord- neten Subarow nur eine Rüge, entzieht ihm das Wort und fordert gleichzeittg für sich das Vertrauensvotum des HauseS. fiieraus erheben die Abgeordneten der Linken einen furchtbaren ärm und toben. Der Sozialdemokrat Zeretelt springt auf das Podium und protestiert gegen die Matzregelung Subarows. Präfi- dent Golowin entzieht ihm das Wort. Zeretelt fährt ttotzdem fort zu reden; der Lärm nimmt immer größere Dimensionen an. Zereteli stürzt nunmehr in den Gang zwischen den Sitzen, ihm folgen alle Abgeordneten der Linken, die beim Verlaffen furchtbare Bedrohungen und Beschimpfungen ausstotzen und mit Fäusten drohen. Nur zehn Mitglieder der Arbeitsgruppe bleiben allein von den linksstehenden Parteien im Saal. Von den im Saale gebliebenen wird die Matzregelung Surabows durch Golowin gut geheitzen. Die Minister hatten während des Lärmes empört den Sitzungssaal verlassen. Die Sitzung wird nach 8 Uhr abends geschlossen" Datz Surabow auch zu seiner Schärfe in der F o rm ein gutes Recht hatte wegen des prodokawrischen Auftretens, das der Kriegs- minister zu Anfang der MontagSsitzmiig an den Tag legte, das brauchen natürlich die Blätter und die Politiker der Reaktion nicht zu berücksichtigen. Rufs. Kur." schreibt allerdings: Der stürmische Verlauf der Reichsdumasitzung am Montag, den 29. April, hat m den beteiligten russischen Kreisen und vor allem in den russischen Regierungskreisen, den denkbar peinlichsten Ein- druck hervorgerufen, und man verurteilt allgemein(?) das Auf- tteten des russischen Kriegen in isters, General Rödiger, der, obwohl nach diesbezüglichen Konferenzen der letzten Tage in Zarskoje Selo das Schicksal der Rekrutenvorlage bereits im Prinzip entschieden war, in unnötig provozierender Weise auftrat und so die außer- ordentliche Erregung der extremen Linken hervorrief, die sich mit Blitzesschnelle auch auf die in PeteSbuvg noch verbliebenen Reichs- dumamitglieder übertragen hat und worüber sofort Nach allen Richtungen Rußlands Berichte erstattet wurden. Dumaauflösung? Petersburg, 30. April. Am Laufe der Nacht fand eine außerordentliche Sitzung des Ministerrats statt, in welcher eZ wegen eventueller Auflösung der Duma zu MeinungS- Verschiedenheiten zwischen SiolyPin und Schwanebach ge­kommen sein soll. Der Kriegsminister soll erklärt haben, der Kaiser werde, wenn die Duma die Rekrutenvorlage nicht annehmen und wenn der armenische Abgeordnete Surabow nicht aus derselben entfernt würde, oder aber seine Be- leidigungen und Beschimpfungen nicht zurückzöge, die Duma auflösen, da er nie zulassen würde, daß seine Armee derartig beschimpft werde. Die Polen haben sich bei ihrem Eintreten für die Rekruten- Vorlage von dem Gesichtspunkte leiten lassen, daß die Aittonomie Polens im Rahmen des großen russischen Reiches wünschenswert sei. Deshalb müsse die russische Armee stark erhalten werden. Allerdings mißbilligten auch sie vieles, was die Heeresverwaltung angeordnet habe. Angenommen! Petersburg. 30. April. Die Duma hat die Regierungsvorlage betreffend die Festsetzung des Nskrutenkontingents mit 192 gegen 123 Stimmen angenommen. Damit ist der Duma die Fortsetz, mg ihrer Existenz wohl bis auf weiteres gesichert. Aber auf wie lange?, In den Händen der Menfchenhändler. Unermüdlich ziehen gewissenlose Agenten, Menschenhändler, durch die Lande, um Arbeiter, die Sehnsucht nach Verbesserung ihrer Lebenslage haben, ins Ruhrrevier zu locken. Und meistens haben diese Gesellen mit ihrem verbrecherischen Treiben noch immer Erfolg, trotz aller Warnungen der Arbeiterpresse. Täglich langen auf den Bahnhöfen des RuhrrevierS größere Massen fremder Arbeiter an, in geschlossenen Kolonnen, wie Sklaventransporte, von verdächtig aussehenden Menschen kam- mandiert. Ein äußerst trauriger Anblick! Für den Kenner der Verhältnisse um so trauriger, als er sicher weitz, daß die meisten der Armen inS sichere Elend wandern. Schon oft geben sogar gelernte, gut bezahlte Arbeiter ihre Stellungen in der Heimat auf und folgen den Lockungen der mo- dernen Sklavenhändler. Hatte z. B. so ein junger, kräftiger, ge- lernter Arbeiter in der Heimat 2 M. Lohn pro Tag(solche Fälle sind sehr oft vorgekommen, kürzlich noch einem Schlosser aus Wien ), dann versprach der Agent 3 8 M. Lohn. Freudig nahm der Ar- beitrr an und war natürlich der Betrogene. Wie sind die Arbeiter enttäuscht, wenn sie am Lohntage statt der vom Agenten versprochenen 68 M. nur 3,50 3,80 M. in die Hand gedrückt bekommen! Und dann stürzen sich noch oft die Be- trvaenen in? Unglück dadurch, daß sie sich in ihrer begreiflichen Erregung an den Beamten bergreifen, dafür btfmi«ruf fertige Seil ins Gefängnis wandern. Sind die Betrogenen gar noch Ausländer, dann dürfen sie sich nicht mal über widerfahrenes Unrecht beschweren, bei Gefahr, als lästig" auf den Schub gebracht zu werden. Klagen der Betrogenen beim Berggewerbegericht sind fast immer erfolglos, denn man läßt den Einwand der Zechenvertreter gelten, sie hätten den Agenten keinen Auftrag gegeben, den Anzu- werbenden 3 8 M. Lohn zu versprechen. Wird dieser Einwand erhoben, dann können die Kläger keinen Gegenbeweis erbringen und ihre Klage wird abgewiesen.... So sind diese armen betrogenen fremden Arbeiter fast immer den Ausbeutern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Der Unter» nehmer kaserniert die Leute ein, schließt sie von der Außenwelt ab. benutzt sie als Lohndrücker und hat vor allen Dingen ein Heer v»n Streikbrechern in Reserve. Im übrigen sollte der Einwanld der Unternehmer, sie hatte» den Agenten keinen Auftrag gegeben, den Anzuwerbenden 3 8 M. Lohn zu versprechen, gar keine Geltung haben So unschuldig sind die Unternehmer keineswegs! Verwies doch noch kürzlich die Ver- waltung einer Ruhrkohlcnzeche in einem Inserat in einer TUfittr Zeitung, durch welches sie mehrere hundert Arbeiter suchte, u. a. aus ihre Hauerlöhne, die mehr als 3 M. betrage« hätten. Selbst wenn die Angabe der Zechenverwaltung stimmt, daß sie solch hohe Hauerlöhne gezahlt hat, ist ihre Angabe dennoch auf Jrrcführuug berechnet, weit der Anzuwerbende glauben muß, er könne als Hauer beschäftigt werden und ebenfalls 6 M. pro Schicht verdienen. Und doch müssen fremde, des Bergbaues unkundige Arbeiter erst jahrelaug allerlei andere, minderbezahlte Arbeiten verrichten, ehe sie als.Ha«er zugelasien werden dürfen..... Nun hat sich in den letzten Tagen ein recht drastischer Fall so eignet, der Magdeburger Arbeiter betrifft, die ebenfalls einem Menschenhändler in die Hände gefallen waren. Infolge der Aus- sperrung der Hamburger Schauerleute war es auch mit der Elb- schisfahrt skm bestellt und die Hafenarbeiter in den Elbstädten hatten recht wenig zu tun. Flugs machten sich Agenten die Gelegenheit zunutze, um diese Leute ins Ruhrrevier zu locken, wo wieder andere Agenten tätig waren, Arbeitswillige für den Hamburger Hafen zu werben. Einem Menschcnhändler, der in Magdeburg eintraf, ginge« wirklich etwa 130 Arbeiter meist im Hafenarbeiterverbaud. einige auch im Metallarbeiterverband organisiert auf den Leim. Sie wurden für die große ZecheDeutscher Kaiser" des bekannten Jndustriekönigs Thyssen«mgeworben, wo sie 6 M. pro Schicht ver­dienen sollten. An Ort und Stelle angekommen, wurden die Leute sofort in Kasernen untergebracht. Und als sie sich dann nochmals um ihren Lohn befragten, mußten sie erfahren, datz sie die Be- trogenen waren; anstatt der vom Agenten versprochenen 3 M. sollten sie 3,50 bis 3,80 M. pro Schicht verdienen; waS der Agent versprochen, gehe der Zechenverwaltung gar nichts an, hieß eS. Wie immer! Darauf ließen sich die Magdeburger Arbeiter, die den rück- ständigen Elementen nicht beizuzählen find, aber nicht ein, sondern sie verweigerten die Arbeit. Und sie beschlossen weiter: Rückkehr in die Heimat! Wie das aber bewerkstelligen, da doch die geringsten Mittel fehlten? Sie beschlossen also, den Weg von Ruhrort nach Magdeburg über Hannover zu Fuß zurückzulegen! Sobald der Beschlutz gefaßt war, begaben sie sich auf den Weg. Sonnabend früh langten die vier ersten Heimwanderer in Dortmund an; sie kamen dort zur Redaktion der Dortmunder Arbeiterzeitung" und schilderten ihr Elend. Die Aermste» waren völlig erschöpft und fast dem Hungcrtode nahe; sie hatten wede'r Mittel zur Bahnfahrt noch sonstiges Zehrgeld! Sie hatten kein Geld, um nachts ein Unterkommen zu finde», und hatten auch kein Geld, ihren Hunger zu stillen! Sie erzählten, daß sie wie die Zigeuner aufzögen und nachts in den Wäldern lagerten. Bis Mitt- woch würden sie wohl ihre Heimat Magdeburg wieder erreichen... Fürwahr, diese Aermsten haben ihre Sehnsucht nach den ..Goldbergen" des Ruhrreviers bitter büßen müssen! Und doch sind sie glücklich zu preisen, daß sie sich aufrafften und wieder heimzogen. Tausende unglückliche Familien müssen, durch die Verhältnisse ge» zwungen, ausharren und gehen im Elend zugrunde. Freilich ist es auch schon vorgekommen, daß ganze Familien, 3 und 8 Köpfe stark, mit Sack und Pack, die kleinsten Kinder in einer Handkarre, die von den größeren Kindern gezogen wurde, zu Fuß wieder nach der Zwickauer Gegend wanderten, wo ihre Heimat war. DaS find entsetzliche Zustände! UniH keine Behörde des preußischen Klassenstaats denkt daran, dem verbrecherischen Treiben der Menschenhändler Einhalt zu gebieten. Wie sollten sie auch da- zu kommen, da doch das Treiben dieser Agenten den Grubenprotzen und sonstigen Ausbeutern nur zum Segen gereicht!? Um so mehr müssen die Arbeiter auf Selbstschutz bedacht fem. Ueberall müssen die Agenten und ihr verbrecherisches Treiben ge» brandmarkt werden. In den Organisationen mutz darauf hin- gewiesen werden, datz die fremden Arbeiter im Ruhrrevier de» Ausbeutern macht- und rechtlos gegenüberstehen und daß sie ge- gebcnenfallS den ansässigen Arbeitern als Streikbrecherkolonnen in den Rücken fallen sollen. Es muß ihnen gesagt werden, datz die Agenten schwindeln und lügen und ihnen, den Arbeitern, im Ruhr. revier nur Elend bevorsteht, daß sie bei bedeutend teuren LebeuS» Verhältnissen einen viel geringeren Lohn als in der Heimat er»' halten und noch obendrein bedeutend schwerer schuften müssen.. Noch deutlicher als diese Schilderung spricht für das tieftraurige Elend der durch Werbeagenten nach dem Westen gelockten Arbeiter der nachstehende Brief eines masurischen Arbeiters, der in seiner f eimat 2 M. Lohn in der Fabrik erhielt. Er schreibt über seine rlebnisse im Westen: Auch ich bin, weil ich bei den furchtbar niedrigen Löhnen. die hier gezahlt wurden, mit meiner Famflie nicht länger hungern wollte, einem der hier herumlungernden Agenten ins Garn ge- gangen und nahm Arbeit nach dem Rheinland an, wohin ich mit einem Trupp angeworbener Landsleute am 5. Januar dieses JahreS abfuhr. Vor meiner Abreise fragte ich den uns be« aleitenden Transporteur, ob wir nicht im Rheinland gar schlechter behandelt werden würden als hier, denn in sozialdemokratischen Zeitungen warne man vor den industriellen Ausbeutern des Westens. Der Transporteur erklärte aber, dies wären nur Er- findungen der Sozialdemokraten, die die Arbeiter unzufrieden machen und gegen die Arbeitgeber aufhetzen. Nachdem wir unter- Wegs noch auf einigen Stationen, besonders in Berlin , gewarnt worden waren, kamen Wir in Meiderich an. Hier merkten wir schon, daß wir betrogen waren. Denn während man uns in unserer Heimat als Platzarbeiter angeworben hatte, wurden wir im Kontrollbureau als Erzablader eingestellt. Dann erhielten wir in einer Wirtschaft Mittagessen, vor dem wir, die wir wahr- lich nicht verwöhnt sind, uns tatsächlich grauten. Dann ging eS zum Arzt zur Untersuchung.Ach! Ach! von wo hat Euch der Teufel alle hierher gebracht?", das waren die ersten BcgrüßungS- Worte, die wir hier zu hören bekamen. Dann wurde fast jeder derb angeschnauzt und hin und her gestoßen. Am anderen Morgen ging es zur Arbeit. Kaffee oder Frühstück erhielten wir nicht. Geld hatte keiner, denn die paar Mann, die noch Geld hatten, mutzten es hergeben zur Anschaffung von Töpfen, Löffel und sonstigen notwendigen Dingen. Auch Schlösser mutzten zu den Spinden gekauft werden. Die meisten auch ich mutzten mit nüchternem Magen zur Arbeit gehen. Und WaS für eine Arbeit. Solch eine Arbeit kannte ich noch nicht. Vorschutz gab es nicht, nur Mittagessen auf Pump. Dieser schweren Arbeit mit meinem schon in der Heimat ausgemergelten Körper und jetzt noch mit knurrendem Magen war ich nicht gewachsen. Schon nach drei Tagen klappte ich zusammen. Es stellte sich Lungen- entzündung ein, an der ich vom 11. Januar bis zum 15. April im Krankenhause lag. Vor Gram und Entbehrung erkrankte nun auch meine Frau in der Heimat und hat dort 7 Wochen schwer krank gelegen. Die Folge war schreckliche Not in der Familie. Die Kinder hungerten und waren halb nackend, �ch lag fern von ihnen krank und konnte nicht helfen. Jetzt bin lch kaum ge- nelen und wieder nach O. zurückgekehrt ins alte Elend. Wie wird