Mti Abgeordnete kommen, gibt eS ländliche Kreise, die mit 16 000 Einwohnern einen Abgeordneten wählen, ganz abgesehen davon, daß die ganz kleinen Städte wie Bingen , Friedberg und Lllsfeld mit 10 000, 8000 bezw. 5000 Einwohnern je einen Ab- geordneten wählen dürfen. Der neue Entwurf schafft die Stichwahl ab. Als Abgeordneter gewählt ist derjenige, der in einem Wahlkreis mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Hat sich eine solche Mehrheit nicht ergeben, so ist ein zweiter Wahlgang notwendig, an dem alle Kandidaten teilnehmen können; im zweiten Wahlgange entscheidet dann die relative Mehrheit. Die Abgeordneten der Zweiten Kammer werden wie bisher auf sechs Jahre gewählt; alle drei Jahre scheidet die Hälfte aus. An Stelle des Wahlmänner-Wahlsystems tritt jetzt die direkte Wahl. Für die Wahlhandlung gelten im wesentlichen dieselben Bestimmungen wie bei der Reichstagswahl(Wahl- kuverts usw.). Wahlberechtigt sind alle Personen mann- lichen Geschlechts, die zur Zeit der Wahl das 2 5. Lebensjahr vollendet haben, wenigstens drei Jahre im Grotzherzog- tum wohnen, seit drei Jahren die hessische Staats- angehörigkeit besitzen und seit dem Beginn des Rechnungsjahres, in dem die Wahl vorgenommen wird, zu einer direkten Staats- und Gemeinde st euer heran- gezogen sind. Die Erste Kammer erfährt nach der Vorlage eine Ver- Mehrung um 0 Mitglieder, und zwar soll ein Vertreter der technischen Hochschule in Darmstadt , zwei Vertreter des Handels und der Industrie, zwei Vertreter der Land- Wirtschaft und ein Vertreter des Handwerks in die Kammer neu eintreten. Auf diese Weise will man der Mumie „Erste Kammer" frisches Blut einflößen. Die Berufung dieser neuen Vertreter erfolgt durch den Grotzherzog, jedoch nur immer für die Dauer eine? Landtags. Handels-, Handwerks- und Land- Wirtschaftskammer haben das Vorschlagsrecht. Arbeiter werden also nach wie vor als ungeeignet für die Erste Kammer gehalten. Um ein Aussterben der Standesherren in der Ersten Kammer zu verhindern, soll dem Grotzherzog daZ Recht gegeben werden, beim Aussterben einer Familie eine andere zu berufen! Die neue Vorlage legt aber den„geborenen" Gesetzgebern «ine neue schwere Verpflichtung auf, nämlich die hessische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Bisher war dies oftmals nicht der Fall. Die Standesherren sind bekannt- lich manchmal geborene Gesetzgeber in diversen Staaten, und da kann es ihnen leicht passieren, daß sie nicht die Staatsangehörig- leiten in sämtlichen Staaten erworben haben. Alles in allem: eine Vorlage, wie sie reaktionärer nicht ge- dacht werden kann! England und Ruhland. London , 1. Mai. (Eig. Bet.)) Die englischen Liberalen machen kein Hehl daraus, daß sie dem Abschluß eines englisch -rnssischen Ausgleichs mit gemischten Ge- fühlen entgegensehen. Sie möchten gerne den Frieden in Mittel- asien befestigen und mit Nutzland in Freundschaft leben, aber sie wifsen auch, welche reaktionären Folgen eine derartige Freundschaft unter ben obwaltenden Umständen für das rustische Voll haben kann. Die russische Freundschaft bedeutet eine russische Anleihe, und eine mit Geldmitteln versehene russische Regierung wird auf die Duma pfeifen und die Reaktion stärken. Daß die russische Regierung auf eine in London aufzunehmende Anleihe rechnet, kann keinem Zweifel unterliegen. Die„Nation" weist diese Woche darauf hin. daß das englische Publikum in auf- fallender Weise von der russischen Regierung ins Vertrauen ge- zogen wird. Professor Martens rechtfertigte im Voraus in seinem bekannten Briefe an die„TimeS" eine etwaige Auflösung der Dumal Finanzminister Kokoffzew ließ seinen Etat inS Englische übersetzen, um der Londoner Finanz einen„Einblick" in die wirtschaftliche Lage Rußlands zu gestatteni— Kommt ein englisch . russischer Ausgleich zustande, so wird die russische Regierung sofort mit dem Londoner Geldmarkt wegen eines PumpS in Unterhand. lungen treten, und die Anleihe würde ihr auch gewährt werden, da die englische Regierung sich in den Gang des(GeldmarlteS nicht einmischen darf. Was sollen die Liberalen, die in dieser Anleihe eine Gefahr für die Duma erblicken, dieser Sachlage gegenüber tun?— Vor einem Jahre rief Sir Henry Campbell-Banuerman„Vivo la Doumai" („ES lebe die Duma!") Jetzt könnte seine Regierung die Duma gefährden. Wie wiederspruchSvoll ist doch selbst die relativ beste kapitalistische Regierung! Die Liberalen helfen sich wie gewöhn. lich mit halben Matzregeln. Sie sagen: Wäre die Duma gesichert und frei, dann stünde einem allgemeinen Ausgleich und einer herz- lichen Entente mit Rußland nichts im Wege. Aber die Duma ist weder gesichert noch freiheitlich ausgestaltet. Deshalb soll der AuS» gleich sich nur auf asiatische Streitpunkte beziehen und eine engere Annäherung, wie sie sich zwischen England und Frank- reich vollzog, soll vorläufig nicht angestrebt werden. Aber wie steht eS mit der Anleihe? Ja, sagen die Liberalen, die Anleihe können wir nicht verhindern! Die Hauptsache sei, daß England mit dem Ausgleich Matz halte und sich offiziell nicht allzu sehr engagiere.— Man ersieht aus dem hier Dargelegten, wie tief die äußere Politik den Gang einer inneren Revolution beeinflußt. Fände der Zarismus nicht immer noch Rückhalt beim Kapitalismus , dann wäre eS um die Sache des russischen Volkes erheblich besser bestellt; die Duma� aber, der Englands Liberale gelegentlich ein paar Krokodilstränen weihen, brauchte um ihre Existenz nicht Tag für Tag zu zittern,—-_ politische Qcbcr ficht. Berlin , den 3. Mai 1907. Blocksubstdien. Eine neue Sfrt von Remunerationen hat der„nationale Block" herite bewilligt, der in namentlicher Abstimmung zum Postetat die Resolution der Polenbezwinger Gamp und Kon- sorten annahm, nach der den in Posen und Westpreutzen be- schäftigten unteren und mittleren Beamten eine sogenannte Ostmarkenzulage gegeben werden soll. Durch diese politische Remuneration will man nicht nur Beamten-.Agitatoren für die verfehlte Bülowsche Polenpolitik schaffen, sondern die Be- amten auch dem Block dankpflichtig machen. Eine saubere Wirtschaft, diese Blockpolitik! Dre anderen zum Postetat gestellten Resolutionen, Sonn- tagsruhe, höhere Bezahlung des Sonntagsdrenstes, Aenderung der Aufrückling, Erleichterung des Telephonverkehrs in den kleinen Ortschaften betreffend, wurden mit wechselnden Majoritäten angenonimen; gegen die Resolution, d« einen billigeren Tarif für Bücher usw. für Blinde verlangt, stimmten tjux die Kpnservatlvea. Junkerliche Kumamtail Nach debatteloser Bewilligung des Etats zum Reichs- Militärgericht folgte die Beratung des Militäretats. Mit aller Deutlichkeit ergab such, daß die Sozialdemokratie die einzige ernsthafte Oppositionspartei gegen die Deutschland so schwer belastende und schädigende Kolonialpolitik ist; denn die heutige Rede des ZentrumsfüHrers Spahn steht in grellem Gegensatz zu der vorjährigen Stellung des Zentrums in Kolonialsachen. Die Rede erweckte den Eindruck eines b e- abstchtigten Annäherungsversuches an die Regierung. Genosse Bebel konstatierte die Unsicherheit der Spahn- schen Ausführungen hinsichtlich der Kolonialarmee, deren An- sänge in den gestellten Forderungen zu erblichen sind. Wozu eine neue militärische Organisation,— ein kleines Krieg s m inisterium nannte sie Bebel— wenn nicht zur Verwaltung einer ständigen Kolonialarmee? Wozu ein Staatssekretär für die Kolonien, wenn nicht die Kolonial- Politik der Weltpolitik dienstbar gemacht werden soll? Besser. meint- Bebel, wäre es, ein StaatSfekretariat für Sozialpolitik zu schaffen. Bebel ironisierte sodann die Schwenkung der regierungstoll gewordenen Freisinnigen und gab der Freude darüber Ausdruck, daß die Kolonialfexe eine sozialdemokratische Forderung, Unentgeltlichkeit der Lehr- mittel zum Schulunterricht(der bereits unentgeltlich ist) für die Kolonien fordern. Hoffentlich würde man, so fol- gerte der Redner, das Gleiche nun auch für ganz Deutschland schaffen. Der stellvertretende Reichskanzler, Graf Posa- d o w s k y, sowie der Kolonialdirektor Dernburg, und nach diesen beiden auch der Abgeordnete Müller-Meiningen, suchten die Bebelschen Ausführungen als ein Moment zur Schürung des englischen Mißtrauens gegen Deutschland hin- zustellen. Aber Ledebour sowohl wie Bebel wiesen diese Deutung zurück und durchkreuzten das Spiel mit dem auswärtigen Mißtrauenspopanz. Drollig wirkte die national-bomlwstische Pauke des Ab- geordneten Müller- Meiningen , der die Schwankungen der Freisinnigen zu verteidigen suchte, damit aber die jämmer- liche, blocksüchtige Regicrungsneigung des bewilligungslustig gewordenen Freisinns bestätigte. Die Blockgenossen auf der Rechten applaudierten ver- gnüglich die Sucht der Freisinnigen, der Regierung alle Unterstützung zu gewähren. Die Generaldebatte wurde durch den obligaten Schluß. antrag deS Blocks beendet. Die Blockmehrheit bewilligte so- dann die Schaffung eines Staatssekretärs für die Kolonien. resp. dessen Gehalt. Darauf wurde die Beratung vertagt.—- �• A«s dem prenhischen Landtage. DaS Herrenhaus ist am Freitag nach langer Pause wieder zusammengetreten. Falls die„Herren" nicht vorher müde werden, wollen sie bi» zum 15. Mai zusammenbleiben und nach Pfingsten auch noch einige Sitzungen abhalten. Der Erledigung harren neben kleineren Vorlagen vor allem der Etat, der vom 6.-8. Mai „beraten" werden soll. In ihrer ersten Sitzung nach der langen Osterpause hatten die hohen Hetren eine umfangreiche Tagesordnung zu erledigen. Von den neun Punkten derselben ist jedoch höchstens das Quellen- schutzgesetz zu erwähnen, das mit unbedeutenden Aenderungen zur Annahme gelangte,— ••* DaS Abgeordnetenhaus hat sich am Freitag mit Initiativ- antragen beschäftigt. Eine Reihe von Anträgen, die eine Aenderung des Einkommensteuergesetzes in bezug auf die Bestimmungen über die Verpflichtung zur LuSkunftSerteilung durch die HauShalwngS- vorstände und Arbeitgeber über die bei ihnen angestellten Per- sonen bezweckten, rief eine längere Debatte hervor. DaS Resultat der Debatte war die Ablehnung eines Antrage? Kirsch(Z.) auf Aufhebung der Verpflichtung der Auskunfterteilung über die Per- sonen mit weniger als 3000 M. Einkommen. Dagegen wurde ein„freisinniger" Antrag angenommen, wonach die Anzeigepflicht der Hausbesitzer noch erweitert wird: Die Hausbesitzer sollen der Behörde auch die N a m e n der Arbeit- geber und die Arbeitsstätte ihrer Mieter angebenl I Ein nationalliberaler Antrag, der im wesentlichen auf dasselbe hin- ausläuft, gelangte gleichfalls zur Annahm«. Der Erhaltung des Deutschtums in den Ostmarken soll ein gemeinsam von Konservativen, Nationalliberalen und Freifinnigen eingebrachter Antrag dienen, der die Regierung ersucht, zur Ein- richtung und Unterhaltung von ländlichen Fortbildungsschulen mit. BesuchSzwang in Posen und Westpreußcn sowie für den Re- gierungSbezirk Oppeln Unterlagen zu schaffen, wie sie für die gewerblichen Fortbildungsschulen PosenS und Westpreußens schon vorhanden sind. Der Antrag wurde nach kurzer Debatte gegen die Stimmen de? Zentrums und der Polen angenommen. Bund vaterländischer Arbeitervereine. So lautet der Name deS neuesten SumpfgewächseS, das fein Erstehen dem Verband zur Verleumdung der Sozialdemokratie ver- dankt. Auf Sonnabend, den 18-, und Sonntag, den 10. Mai, ist nach H a m b u r g ein Kongreß von Arbeitern einberufen, die einen solchen Bund mit gründen wollen. Mit welchem Ernst dort ge- arbeitet werden soll, das ist aus dem Programm ersichtlich. Für den ersten Tag ist vorgesehen: Hafenrundfahrt. Besichtigung der Stadt.— Mittagessen. Nachmittag 3 Uhr Gründung des Ver- bandes mit Ansprachen der Reichsverbändlcr E r m e r t- Walden- bürg und Brummer» Rostock . Abends 8 Uhr Abendessen, Fest- kommerS mit Vorträgen und Ansprachen. Der zweite Tag bringt Besichtigungen, Frühstück. Um 11 Uhr ist wieder eine Versamm» lung, in der E r m e r t über die Stellung zu den nichtsozialdemo- kratischen Arbeitervereinen, ein gewisser S ch a p e r» Hamburg über Gesetzgebung und roten TerrorismuS sprechen werden. Um 3 Uhr Mittagessen, dann folgen Besichtigungen, um 7 Uhr Abend- essen mit anschließendem AbschicdslommerS. Die Vertreter erhalten von einem Hamburger Ehrenausschutz freie Verpflegung und fleie Unterkunft. AuS welchen Taschen mögen die Kosten dieser Gründung wieder bestritten werden? Vielleicht erscheint Herr Ballin in eigener Person auf diesem Kongreß, dessen Teilnehmer ihm gelegentlich in der Beschaffung von Arbeitswilligen bchülf- lich sein können. Denn nur um die Gründung einer solchen Organisation kann eö sich bei der ganzen Mache handeln!— Die vergebliche Mohrenwäsche. Wir haben in unserer gestrigen Nummer von her Mohrenwäsche Notiz genommen, die unter Fichrung des Herrn 23 i ein er in Mühlhausen an Herrn Eickhoff vorgenommen wurde; wir haben auch die Eunuchen-Erklärung wieder- gegeben, nach der nun in betreff des behaupteten Wortbruchs des Biedermannes Eickhoff alles wieder begraben sein sollte. Der Effekt sollte sein, daß Herr Eickhoff auL sehr guten Gründen auch davor bewahrt bleiben sollte, sein zweites ge- gebene Wort zu halten: die„Mühlh. Ztg." zu verklagen. Dieser wohldurchdachte Plan ist nun leider gescheitert. Die»Mühlhäuser Ltg.". kk m ihrer Ar. SS die gestern von Uns wieLergegebene Erklärung sirachte, muffte schon am Tage darauf in ihrer Nr. 100 vom 30. April 1907 die folgende Er- klärun« bringen: JÄn die Redaktion der„Mühlhäuser Zeitung". Da dcr Artikel in Nr. 99 Ihrer Zeitung betresfcnd die Angelegen- heit Eickhoff den Tatsachen nicht entspricht, so ersuchen wir Sie hierdurch auf Grund des§ 11 des Preß. gesetzeS um Aufnahme folgender Erklärung: Die unterzeichneten Mitglieder deS früheren Vorstandes der vereinigten liberalen Parteien sind mit der in der„Mühlhäuser Zeitung" vom 29. April in der Angelegenheit Eickhoff veröffentlichten Erklärung nicht einverstanden. Tatsache ist, daß Herr Professor Eickhofs in der Komiteesitzung vom 22. Dezember 1906 uns versprochen hat, im Fall einer Doppelwahl seinen thüringer Wähler« treu zu bleiben. Mühlhausen i. Th. , den 29. April 1907. C. Binckebank. Ad. Busch, C. Hasenbein jun., W. Kalischer, Albert Koppel, E. Reise, C. Stephan." Danach bleibt also nach wie vor bestehen« daß der Flottenvereins-Stipendiat Eickhoff sein gegebenes Wort nicht gehalten hat, und die Mohrenwäsche, die sa schlau ausgesonnen war, ist eine vergebliche gewesen. Neugierig kann man nun sein,— nicht, wie Herr Eickhoff sich mit dieser zweiten Erklärung abfinden wird, sondern wie seine Fraktion sich mit ihr abfinden wird. Diese hatte bekanntlich den Beschluß gefaßt, sich mit Herrn Eickhoff erst nach der gerichtlichen Entscheidung in Sachen Eickhoff kontra„Mühlh. Ztg." auseinanderzusetzen. Sie wird jetzt ein anderes Verfahren einschlagen müssen, wenn sie nicht vor aller Welt dokumentieren will, daß sie unter sich ein Mitglied duldet, dem seine eigenen Vertrauensmänner öffentlich be- wußten Wortbruch vorwerfen. Vorläufig konstatieren wir schließlich nur noch, daß die „F r e i s i n n i g e Z e i t u n g", die die erste Erklärung ihren Lesern nicht schnell genüg bringen konnte, die z w e i t e heute von uns wiedergegebene bisher einfach unterschlägt.-— Nationalliberalc Geständnisse. Sehr abfällig urteilt die wild-nationalliberale„Rheinisch- Westfälische Zeitung" über die„Komödie im ReichshauS"» womit das Blait die jüngste parlamentarische Debatte über die auswärtige Politik meint. Während zum Beispiel die frei- sinnig-volksparteiliche„BreSlauer Zeitung" BülowS Rede herausstreicht und behauptet» daß auch B o l l m a r S Rede die Wirkung der Bülowschen Offenbarung nicht abzuschwächen vermocht habe, urteilt die„R h e in, ich» W est sali sch e Ztg.": „Sie(die Konservativen) schickten zu der wenig dankbaren Mission indes geschickt genug einen ihrer ckii minores und technisch schlechtesten Redner m dem Abg. Winkler vor. den die als Generaldirektor einer Landfeuersozietät gesammelten Erfahrungen zum Sprecher in der auswärtigen Politik nicht sonderlich geeignet zu machen vermögen. Groß war aber die Enttäuschung, die der Führer der Nationalliberalen, der Abg. Qassermann, bereitete. Wer der herzerfrischende!: Offenheit gedachte, mit der er jüngst erst im Lande, mit der er am 14. November des Vorjahres kritisierte und tadelte, was jeder Patriot an unserer auswärtigen Politik kritisieren und tadeln muh, dem konnte die matt« Limonade seiner heutigen Rede nur wenig munden. Ein Getränk gleicher Qualität verschänktc auch im Namen der ReichSpartti Fürst Hatzfeld, verschänkte auch der Freisinnigen Oberhaupt W i e m e r. Sie alle meinten, die Regierung bei der gegenwärtigen prekären Lage nur so sänftigl ich wie möglich anfassen zu dürfen. So ergab sich das Schauspiel, daß der Genosse v. Volkmar allein aussprach, was vieler Patrioten Herz bekümmert, was den Sozialdemokraten aber nur Agitationsmittel ist: die U n z uff r i e o e n h e i t mit dem persönlichen Regiment, die Unzu- friedenheit mit den Leitern einer Politik, die von Miß- erfolg zu Mißerfolg schreitend, da» Reich in die jetzige Lage gebracht hat.... UnS will scheinen, wenn von den natton.alen Parteien dies geltend gemacht worden wäre, mit der ruhigen Bestimmtheit und mit der Würde, die Ort und Zeit erfordern, so würde das einen weit intensiveren Eindruck auf da» Ausland hervorgerufen haben, als eine langweilige, heruntergespielte Komödie» deren Abgekartet heit doch niemand entgeht." Man sieht, daß selbst von einsichtigeren und unab, hängt g er en Nationalliberalen unumwunden zugegeben wird, daß die Politik des persönlichen Kurses, die Fürst Bülow zu decken den rhinozeroshautgewappneten Mut besitzt,„das Reich in die jetzige Lage gebracht hat"!—_ 640 Millionen für Wüstwest! Einem Wunsch der Budaetkommissidn entsprechend hat der Reichsschatzsekretär dem Vorsitzenden dieser Kommission nunmehr eine Zusammenstellung der gesamten, bisher für unsere Kolonien gemachten Ausgaben zugehen lassen. Hier- nach haben unsere Schutzgebiete bis zum Schlüsse des Rechnungsjahres 1906 in runden Zahlen erkalten: Ost- asrika 91 Millionen, Kamerun 26Vj, Togo nicht ganz 4, Südwcstafrika 94, Neu- Guinea 7, die Jnselgebicte 2'/,.- Samoa 1,4, Kiautschou 102 Millionen. Die Gesamtsumme für alle Kolonien beträgt 227 863 006 M. Hierzu kommen dann aber noch der Betrag, den das Reich seiner- zeit für die Abtretung der Karolinen -, Marianen- und Palau- Inseln an Spanien bezahlt hat. in Höhe von 20 Millionen und sodann die Kosten für die Niederschlagung der Aufstände in Ostafrika mit 3'/, Millionen Mark und in Südwestafrika mit 640 Millionen Mark. Das find im ganzen mehr als 890 Millionen Mark. Für Wüstwest sind also 640 Millionen verpulvert worden! Weit mehr also, als selbst wir bisher angenommen haben. D�e Kolonialrechnung stimmt übrigen« n t ch t I Es fehlen die Kosten für denWaldersee-Kreuz- z u g mit diversen hundert Millionen, die Dampfersubventionen usw. Die Gesamtausgaben für unsere herrliche Kolonial- Politik beziffern sich deshalb auf zirka 1'/, Milliarde» Mark! Der Reichsverband über die Wahl in Glanchan-Meerane . Der Reichsschwindelverband will mit der bürgerlichen Nieder- läge in Glanchau-Meerane nichts zu tun haben. In der Nr. 30 der von ihm herausgegebenen Korrespondenz, die der bürgerlichen Presse das„geistige Rüstzeug" gegen die Sozialdemokratie liefert, befindet sich ein ellenlanger Artikel über den Ausfall der Wahl im 17. sächsischen Wahlkreis, der in der Behauptung gipfelt, daß der Reicheverband mit der Wahl absolut nicht» zu tun ge- habt habe. Die Flugblätter der Gegner, die ganz in Reich». verbandSmanier gehalten waren, strotzten vor Verleumdungen der Sozialdemokratie, alles was der Schwindelvcrband bei den Januar» Wahlen zusammengelogen hat, das kam hier wieder zum Borschein, selbst die numerierten Flugblätter deS ReichSverbandee sind im Wahlkreis verteilt worden, sie tragen das Impressum: Verlag des ReichSverbandeS zur Belämpfung der Sozialdemokratie-- dennoch wird frischweg geleugnet, daß der Verband mit der Wahl irgend etwas zu tun gehabt habe! Richtig ist, die Lügen- apostel deS Verbände» waren ferngeblieben, dafür hatte der„Na. tionalc Ausschutz" in Dresden gleichwertigen Ersatz geliefert. Wie Till t>c.i Lügeilvtrbgod ep erklären, daß seine Flugblätter
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