Dr. 103. 24. Jahrgang. (ih|( 1(9 JoimW Kerlim PMIitt Sonnabend, 4. Mai IM. Eine moderne Völkerwanderung. Aus dem Zwickauer Steinkohlenrevier wiÄ» uns Geschrieben: Seit bem letzten unglücklichen Streik ber Bergarbeiter des Fwickauer Steinkohlenreviers haben sich die Verhältnisse derselben von Jahr zu Jahr ve r s ch l e ch t e r t. Das gilt besonders von der Verlängerung der Schichtzeit und der Behandlung, Welcher der Bergarbeiter im allgemeinen von feiten der Vorgesetzten und Wertsverwaltungen ausgesetzt ist. Auch die relative Erhöhung des Schichtlohnes, wie sie sich nach den statistischen Unterlagen er- gibt, kann nicht als Beweis für eine Besserstellung gelten; ja in Wirklichkeit ist sie eine Herabsetzung, wenn man die g e- stiegene Arbeitsdauer daneben hält. Seit Jahren nun ist über die hiesige Bergarbeiterbewegung die Kuhe des Friedhofes ausgebreitet. Kein befreiender Atemzug, kein erlösender Aufschrei, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, rang sich aus der Brust dieser unter erdrückender Schwere leidenden Arbeiter- «lassen hervor. Es schien, als hätte der letzte unglückliche Kampf unseren Bergarbeitern auf ewig das Stigma der im Kampfe Unter- legenen, der geistig Gebrochenen aufgedrückt. Energiebegabte Kameraden, welche es wagten, für die verletzte Menschenwürde ihrer Kameraden einzutreten und gegen das starre Regiment der Grubenherren anzukämpfen, flogen erbarmungslos aufs Pflaster, ein Grund mehr für die anderen, sich zu ducken und schweigend, mit dumpfem Groll im Herzen ihre schwere Last weiter zu tragen. Eine geistige Indolenz hatte sich der Bergarbeiterschaft be- mächtigt, die um so tiefer lag, weil sie nicht auf den ersten Blick zu erkennen war.. So ist es viele Fahre gegangen. Durch dieses„Gehenlassen wie es will" und der eisernen Konsequenz, mit welcher die Grubenverwaltungen ihre Herrenknute über die Bergsklaven schwangen, wurden die Verhältnisse immer schlechter; jeder Widerstand der Bergarbeiter als Masse hatte aufgehört und grenzenloser Fatalismus stieg an Stelle eines zielbewußten, gemeinsamen, kräftigen Wollens. Immer länger wurde die S ch i ch t z e i t ausgedehnt. Gegen- wärtig ist eine z w ö l f st ü n d i g e Arbeitszeit fast durchgängig eingeführt. Allerdings, auf dem Papier fahren die Zwickauer Bergarbeiter zehnstündig, aber die famose Dezimalbruch- rechnung gestattet den Bevgherren, bei z. B. zwölfstündiger Ar- beitsdauer von einer zehnstündigen Schicht, zuschläglich einer Zweizehntelschicht zu reden. Auf diese Weise ist es auch möglich, auf dem Papier zu beweisen, daß die Bergarbeiter einen hohen Durchschnittslohn per Schicht, d. h. zehnstündiger, verdienen. Die Zwickauer Bergarbeiter fahren zehnstündig, wer es nicht glaubt, der schlage die Tabellen unserer Bergverwaltungen nach.— Jetzt nun ist der Tiefstand in der Lage der Zwickau « Berg- arbeiter erreicht, tieferhinabgehteönichtmehr. Jetzt wird vor Orten, die 33 bis 34, ja bis 36 Grad Wämn« aufweisen, zehnstündig gearbeitet. Nicht auf allen Schächten; aber daß ein derartig schreiender Mißstand schon auf einzelnen Schächten vorkommen kann, ist ein Beweis, wie schlecht die Zu- stände geworden sind und was sich die Bergarbeiter alles bieten lassen müssen. Wo blieb aber angesichts solcher Zustände die Organisation der Bergarbeiter? wird man fragen. Es ist klar, und es gehört schon eine genaue Kenntnis der Verhältnisse am Orte dazu, um zu begreifen, daß sich unter den gewordenen Verhältnissen die Organisation schwer durchsetzen knonte. Mit welcher Ver- achtung z. B. einzelne Bergbeamte, und bezeichnenderweise waren es die unteren Beamtenkategorien, von den„Organisierten" sprachen, läßt sich schlechterdings nicht in Worte kleiden, das muß erlebt werden. Es konnte auch nicht ausbleiben, daß unter solchen Verhältnissen der Glaube an die Macht der Organi- sation bei der Masse der Bergarbeiter nicht aufkommen konnte; zudem standen die verlorenen Streiks und mit ihnen die große Masse der dauernd Abgelegten wie ein schwarzer Schatten vor den Augen auch der noch Kampfesmutigen. Der Glaube an ein ge- einte? Vorgehen, an ein Besserwerden war geschwunden. Damit ist nun keineswegs gesagt, daß die Organisation der Bergarbeiter hier niemals festen Fuß gefaßt hätte; das Gegenteil ist der Fall; aber sie ist auch nicht vorwärts gegangen und eS -mangelte ihr, da ihr ganzes Bestreben darauf gerichtet sein mußte, Verschlechterungen der Lage der Arbeiter zu verhüten, anstatt, gezwungen durch die Macht der Verhältnisse, angreifend vorzugehen, die äußere Spannkraft. Zudem waren im hiesigen Bezirk niemals mehr als 36 Prozent der Bergarbeiter organisiert. Die Organisation vegetierte, aber sie konnte nicht leben und kämpfen, weil man die einzelnen Kämpfer erbarmungslos auf das Pflaster hieb. Da ist urplötzlich ein neuer HoffnungSstcrn in das düstere, freudlose Dasein unserer Bergarbeiter gestrahlt. NeueS Leben er- wachte in der fossil scheinenden Masse und„Abwanderung I", „Abwanderung!" heißt die neugefundene Zauberformel, die überall da, wo sie hinfällt, alte schlummernde Energien erweckte. „Wir gehen nach dem Ruhrgebiet l" DaS Ruhrrebier. das unseren Arbeitern im Grunde doch auch i-Ichts anderes bieten kann als harte Arbeit und schlechte Entlohnung, ist für sie zu einer Zionsstadt mit goldenen Gassen geworden und hat neues Hoffen und Sehnen erweckt, auch unter den Bergarbeiterfrauen, was das bezeichnendste ist. Daß unsere Bergleute tatsächlich glauben, durch Abwanderung nach dem Nuhrrcvier eine Besserung ihrer Verhältnisse herbei. zuführen, ist ein B e p> e i s, wie t i e f t r a u r i g die Verhältnisie im Zwickauer Revier geworden sind. Denn so rückständig ist lein hiesiger Bergmann mehr, und der letzte große Streik im Ruhr- revier hat es ihm auch gelehrt, daß auch der Ruhrbergmann nicht auf Rosen gebettet ist und im Grunde genommen nicht besser dasteht, wie sein Kamerad im Zwickauer Revier, wenn auch im Ruhrgebiete in bezug auf die Dauer der Schichtzeit geregeltere Verhältnisse herrschen wie hier, dank dem tatkräftigen Walten der Organisation. Diese Abwanderung ist nun tatsächlich eingetreten; erst waren es nur einzelne, aber in den letzten Wochen hat sie sich zu einer Massenbewegung verdichtet. So reiste am Freitag der vergangenen Woche ein Trupp von 2 04 Mann ab, dem diese Woche eine gleiche Anzahl folgen wird und auch weiterhin sind Abmachungen getroffen. Von Verbandswegen ist den Kameraden keinerlei Auf- munterung zur Abwanderung zuteil geworden; im Gegenteil, unsere leistungsfähigsten, besten organisatorischen Kräfte gingen fort, was selbstverständlich keinen Vorwurf für die bisher noch zurückgebliebenen organisierten Kameraden bedeutet. Aber immer- hin war es bedenklich. Nun hat in einer großen, von über 2000 Personen besuchten Versammlung der Bergarbeiter, die agl letzten Sonntag stattfand. Genosse H u e Veranlassung genommen, in großzügiger Weise die Ursachen der Abwanderung nach dem Ruhrgebiet zu be- sprechen. Seine Ausführungen waren durchweg auf den Ton gestimmt. nicht blindlings den Versprechungen der Werber Glauben zu schenken, sondern sich erst nach der Lage der tat- sächlichen Verhältnisse dort zu erkundigen. Ehe die hiesigen Berg- leute infolge ihrer traurigen Lage ihre liebgewordene Heimat ver- lassen, sollen sie lieber zuvor noch einmal einen letzten Kräftigen Versuck wagen. Sie sollen sich der Organisation anschließen, und wenn dieses Wschehev, KLibk/iheMa sißfi VerbpLeows ifycts Lage fordern. Wenn auch dieser letzte Versuch versagt, dann mag geschehen, was da will. Aber, so führte H u e aus, die Zwickauer Bergherren mögen bedenken, daß erst vor wenigen Wochen Herr Stinnes, der größte Zechenbesitzer des Ruhrgebietes gesagt habe, im Ruhrgebiet könnten noch gut 36066 Mann- angelegt werden. Sie haben es jetzt noch in der Hand, zu verhindern, daß ihre besten Arbeitskräfte ab- wandern. Soweit Genosse H u e. Es scheint nun, und verschiedene Anzeichen liegen vor, daß jetzt unsere Bergherren zum Nachgeben, zu einer Verständigung bereit sind. Denn es ist klar, daß, wenn die Arbeiter derartige -Maßregeln ergreifen, sie, die Bergherren, selbst es sind, die in letzter Linie die Zeche zu bezahlen haben. Der ablväkidernde Berg- arbeiter läßt hier nichts weiter wie eine Erinnerung an eine lieb- gewordene Heimat zurück— und die Sklavenkette, die ihm vom Grubenkapital umgelegt war, und die lang und unzerreißbar schien, weiter nichts. Aber der Grubenherr kann seine Maschinen, seine Werkzeuge nur verwerten, wenn sie durch die geschickte lebendige Hand des Arbeiters in Bewegung gesetzt werden. Sie liegen still, wenn der Arbeiter geht. Zwar spricht man bereits von Galiziern, die an Stelle der Abgewanderten treten sollen, aber es steht zu hoffen, daß sich gegen eine derartige Maß- regel auch andere Faktoren als der Bergarbeiter auflehnen werden, so daß es sich die Berghcrren zweimal überlegen. Die allernächste Zeit wird also gegen die hiesigen Berg- arbeiter von entscheidender Bedeutung sein. Beharren die Grubenherren auf ihrem Schein, stoßen sie die dargebotene Hand der Arbeiter zu einer Verständigung über Verbesserung verschiedener Verhältnisse wiederum zurück, dann tritt eine Massenabwanderung ein, die von den schwersten Folgen auch für das gesamte Wirtschaftsleben im Zwickauer Bergrevier ist. Das ist gewiß. Darum haftet auch den jetzigen Vorgängen hier ein so allgemeines Interesse an, das weit über den Rahmen des lokalen Interesses hinaus von Be- deutung ist. Es scheint, als sei für die Bergacheiterschaft im Zwickauer Revier der Satz Thomas Carlyles in seinem Werk „Der Chartismus " zur vollen furchtbaren Wahrheit geworden: „Die große stumme, tiefbegrabene Klasse liegt wie ein Ence- lckdus, der in seinen Schmerzen, wenn er üb« sie klagen will, Erdbeben verursachen muß."— Eine mißglückte Justizaktion. Hamburg , 36. April. (Eig. Ber.) yeute begann vor der Strafkammer IV des Landgerichts Hamburg ein Prozeß, in dem sich sämtliche Tischlergesellen einer Werkstatt, achtzehn an der Zahl, wegen versuchter Erpressung und Vergehens gegen die Gewerbeordnung zu verantworten hatten. Es lpnrdelt sich hier um eine jener gekünstelten Anklagen, wie sie bisher hauptsächlich in Breslau und Sachsen gegen Arbeiter er- hoben worden sind und zum Tett auch zur Verurteilung geführt haben. Außer den Angeklagten, die sämtlich dem Holzarbeiter. verbände angehören, arbeitete in d« Werkstatt von Grimme der Vorsitzende der Zahlstelle Hamburg des„Christlichen Holzarbeiter- Verbandes", Wullen, den feine Kollegen indirekt aufge- fordert haben sollen, ihr«« Verbände beizutreten, weil sonst an ein harmonisches Zusammenarbeiten nicht zu denken sei. Als W. erklärte, er werde weder zu ihnen übertreten noch seine Arbeit aufgeben, fand eine Werkstättenversammlung statt, ,n der der Be- schluß gefaßt wurde, daß dir Arbeit« es ablehnten, mit einem Mt- glied« des christlichen Verbandes zusammen zu arbeiten. Ein aus- drücklicher Beschluß, die Arbeit niederzulegen, falls W. nicht ent- lassen würde, wurde nicht gefaßt. Der erwähnte Beschluß wurde dem Meister mitgeteilt, der sodann W. entließ. Der Fall ist ein gefundenes Fressen gewesen für die Scharfmacherblätter, die ihn weidlich gegen die sozialdemokratischen„Terroristen" ausschlachteten. Nach Annahme der Anklagebehörde sollen die Angeschuldigten in d« Absicht gehandelt haben, dem Holzarbeiterverbande einen rechtswidrigen BermägenSvorteil zu verschaffen, indem sie W. auf- forderten, diesem Verbände beizutreten, mithin einen Erpressungs- veesirch begangen haben. Fern« sollen die Angeklagten durch den genannten Beschluß auch gegen die Gewerbeordnung—§ 153 — verstoßen haben, weil sie durch Drohungen und Verrufs- erkläruna auf W. einzuwirken suchten, an Verabredungen zum Bchufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen teilzunehmen. Nachdem Wullen entlassen war, veröffentlichte der„Wirt- schaftliche Schutzverband" den Fall mit der vielsagenden Heber- schrift:„Die rote Diktatur". Mit großem Behagen wurde die„Leidensgeschichte" des W. als eine Variation des bekannten Themas von der Vergewaltigung aller Arbeiter behandelt, die nicht zur Sozialdemolratie und„ihren" Gewerkschaften gehören. Dann erteilte der edle Schutzverband der bürgerlichen Gesetzgebung und d« Rechtsprechung ein«: Hieb, worauf er den Ausgang feiner Denunziation bei der Staatsanwaltschaft mitteilte: „Auf Ihre Anzeige teile ich Ihnen mit, daß ich nicht in der Lage bin, gegen die von Ihnen bezeichneten Personen vorzu- gehen. In dem Verhalten der Beschuldigten liegt weder eine Erpressung noch eine Nötigung, da dieselben keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil erstreben, und da fernerhin in der von ihnen angedrohten Handlungsweise kein Verbrechen oder Vergehen zu sehen ist. Auch auf Grund von§ 153 der Gewerbeordnung kann gegen die Beschuldigten nicht eingeschritten werden, da man nicht versucht hat, Sie durch die Arbeitsverweigerung zur Teil- nähme an Verabredungen und Vereinigungen zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen zu zwingen. Ich gebe Ihnen anheim, im Wege des ZivitprozesseS die Beschuldigten auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen. Der Staatsanwalt." Der gut informierte„Schutzverband" berichtete ferner, daß Wullen sich an die Oberstaatsanwaltschaft wenden werde. Damit ist also der Schlüssel gegeben, wie die Anklage zustande kam. Die von Dr. Herz- Altona verteidigten Angeklagten erklären. Wullen sei früher selbst Mitglied ihres Verbandes gewesen, sei dann übergetreten und habe ihre Interessen geschädigt, indem er süddeutsche Streikbrecher für eine gesperrte Fabrik in Oldesloe be- schaffte und eine« Kollegen um ein Akkordgeld in Höhe von 15 Mk. brachte. Mit einem so unmoralisch handelnden Kollegen hätten sie nicht zusammenarbeiten wollen. Es habe sich um eine kol- legialische Besprechung gehandelt, wobei extra gesagt wurde, eS solle auf Wullen kein Druck ausgeübt werden, lieber wollten sie gehen, wie eS ihnen ja auch freistehe, dort zu arbeiten, wo es ihnen beliebe. Einige Angeklagten erklären positiv, sie hätten so wie so die Werk- statt verlassen, auch wenn keine Werkstattbesprechung stattgefunden hätte. Alle Angeklagten erklären, eS sei ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, einen Mann wie Wullen, dem Holzarbeiter- verband zuzuführen. D« eine Angeklagte, der in der Zusammen- kunft gesprochen haben soll, sagt aus, er habe extra betont, jeder Kollege solle nach freiem Ermessen handeln. Wenn der den Be- schluß übermittelnde Delegierte anders ausgesagt hätte, so könnten die anderen nicht dafür verantwortlich gemacht werden. ES komme ja vor. daß auch minder intelligente Kollegen zu dem Amte deS Delegierten gewählt würden. Die Delegierten seien dazu da, den Arbeitgebern die Aeschwerden zu übermitteln, damit sie nicht von Hans und Kunz mit untergeordneten Dingen überlaufen würden. M habe auch im vorigen Jahre eine Werkstatt, wo die Kollegen wegen ihrer Beteiligung an der Maifeier ausgesperrt waren, mit Krjstjstbtt» StrHabiti» JjritW, L-je AogAsMl tsgeo WÄ<0&i sie hätten nach Mitteilung an den Arbeitgeber ihre eigene Ent« laffung erwartet. Der Zeuge Wullen verneint zunächst, dem Holzarbeiter» verband angehört zu haben, gibt dies aber auf Vorhalt des Vorsitzenden zu; er habe aber nur vorübergehend, etwa sieben Wochen, diesem Verbände angehört, um seine Arbeit nicht zu verlieren; seinem christlichen Verbände habe er auch während dieser Zeit ange» hört. Vorsitzender: Das eine schließt doch das andere aus; entweder gehören Sie dem christlichen oder dem sogenannten sozial- demokratischen Verbände an.— Z e u g e: Ich konnte nicht anders. Er will seine Handlungsweise in Oldesloe damit rechtfertigen, daß dort die roten Verbändler die christlichen hinauszudrängen versucht hätten. Seit dieser Zeit hätte er unter dem„Terrorismus" der sozialistischen Verbändler zu leiden gehabt. In der Werkstatt von Grimme sei ihm die Frage vorgelegt, wie er sich das Zusammen» arbeiten mit den anderen Kollegen dächte. Er habe erklärt, er bliebe bei seiner Organisation. Darauf sei der Beschluß gefaßt worden, bei seinem Arbeitgeber vorstellig zu werden. Sonst habe man ihn aber in Ruhe gelassen. Die Verhandlung wurde sodann vertagt. Hamburg , 1. Mai.(Eig. Bet.)j Die Fortsetzung der Verhandlung nahm noch den ganze« heutigen Tag in Anspruch. Zwischen dem Gericht, den Ange» klagten und dem Verteidiger kam es zu interessanten sozialpoliti- scheu Auseinandersetzungen über die Bedeutung des 1. Mai. Der Zeuge Wullen gibt auf Befragen des Verteidigers zu, Prodi- zierende Artikel in seinem Organ gegen die„roten Holzgenossen" geschrieben und dann, als zurückgeschossen wurde, gegen die„Holz- arbeiterzeitung" eine Privatklage angestrengt zu haben. Der Meister Grimme erklärt, er habe die Sache so aufgefaßt» als wenn erst die für das Gesamtgewerbe bestehende Schlichtungs» kommission angerufen werden sollte; auch habe er zunächst ge- schwankt, ob er die achtzechi Mann oder den Wullen entlassen sollte. Der eine Angeklagte erklärt noch, er würde überhaupt nicht mit eineui so unmoralisch handelnden Menschen zusammenarbeite«. wie Wullen. Der Staatsanwalt meint, die Angeklagten hätten sich nach beiden Richtungen hin vergangen, indem sie ihrem Verbände durch die Zuführung des Zeugen Wullen einen. widerreckitlichen Ber- mögensvorteil verschaffen und ihn wirtschaftlich stärken wollten. Wenn auch kein positiver Beschlutz auf Entlassung des W. gefaßt wurde, so sei dies aus taktischen Gründen nicht geschehen. Außer- dem involviere die Handlung ein Vergehen gegen 8 153 der Ge- w«beovdnung. Da es sich um sonst ordentliche Leute handelte, so beantrage er nur gegen jeden vierzehn Tage Gefängnis. In einstündiger Rede zerzauste der Verteidiger Dr. Herz- Altona diese Ausführungen. Die Anklage sei für Hamburg neu und weise neue Bahnen. In Konsequenz dieser Anklage müßten alle Arbeiter unter Anklage gestellt werden, die ihren Arbeitgebern aus irgend einer Differenz die Arbeitsniederlegung in Aussicht stellten. Der Staatsanwalt sei sich wohl nicht ganz klar gewesen über die wirtschaftliche Tragweite seiner Anklage. Wenn das Ge- richt sich dieser Anficht anschließen sollte, dann würden die Wirt- schaftlichen Kämpfe ganz aridere Formen annehmen, indem ja ein Verhandeln mrt den Unternehmern unmöglich sein würde. Der Verteidiger geht sodann auf die Erpressungs- und Reichsgerichts- judikatur ein. die selbst der Staatssekretär Nieberding als bedenk. lich bezeichnet habe. Er gäbe zu bedenken, daß dann auch alle Arbeitgeber unter Anklage� gestellt werden müßten, wenn sie unter Androhung der Entlassung Lohnrektionen usw. in Aussicht stellten. Man könne es nun und nimmer den Angeklagten auferlegen, mit einem nach ihrer Ansicht unmorlisch handelnden Kollegen zu- sammenarbeiten zu sollen. Er behandelt sodann die Qualität des Zeugen Wullen, der seinen Kollegen in den Rücken falle und sie noch obendrein in seinem Organ verhöhne. Aus den genannten Gründen müsse die Freisprechung der Angeklagten erfolgen. Nach dreistündiger Beratung verkündet das Gericht das auf Freisprechung sämtlicher Angeklagten lautende Urteil. Es sei wohl nicht zweifelhast, daß die Konsequenz des Handelns der Ange- klagten auf die Entlassung des ihnen unliebsamen politischen(?) Gegners hinauslaufe. Ob in dieser Hinsicht ien Beschluß vorliege oder nicht, komme nicht in Betracht. Die Angeklagten hätten da- mit rechnen müssen, daß Wullen eher entlassen würde als sie. Tat- sächlich sei in dem einen Falle Wullen seinen Kollegen in de» Rücken gefallen, indem er für eine gesperrte Werkstatt süddeutsche Tischler herbeischaffte, was in den Kreisen der Angeklagten als un- moralisch gelte. Sie wollten daher mit einem solchen Mann nicht zusammenarbeiten. Dem einen Angeklagten könne seine Behaup- tung, er würde mit W. überhaupt nicht zusammenarbeiten, nicht widerlegt werden. Damit falle die Anklage wegen Vergehens gegen die Gewerbeordnung und damit auch d« Erpressungsversuch. Auch wenn ein Vergehen gegen die Gewerbeordnung vorläge, würde das Gericht sich hinsichtlich des Erpressungsversuchs nicht der Ansicht des Staatsanwalts anzuschließen vermögen, denn durch Idas Hin- überziehen eines Arbeiters in einen Verband und die dadurch er- zielten Beiträge seien die Tatbestandsmerkmale der versuchten Er- Pressung, woran die Angeklagten sicher nicht gedacht hatten, nicht erfüllt._ Parteikonferenz in Oberschlesien . Eine oberschlesische Parteikonferenz tagte am letzten Sonntag in Kattowitz . Sämtliche sechs zum oberschlesischen Agitations- bezirk gehörende Wahlkreise(Beuthen -Tarnowitz , 5t'attowitz-Zabrze Gleiwitz-Lnblinitz, Pletz-Rybnik , Groß-Strehlitz-Kosel und Ratibor ) hatten Delegierte entsandt, im ganzen 21; außerdem nahmen als Gäste an der Konferenz teil der Vorsitzende der Agitations- kommission für Schlesien . Schütz- Breslau, Redakteur R a d l o f von der Breslauer„Volkswacht" und als Vertreter der Polnisch. Sozialistischen Partei(P. P. S.) Parteisekretär Trabalski und Geschäftsführer BiniSzkiewicz. Den Bericht über den„Stand der Bewegung im Bezirk" er- stattete Parteisekretär Bruhns. Die Partei hat sich trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten im Bezirk erfreulich entwickelt. Als der damals neu antretende Bezirksparteisekretär Bruhns im November 1663 dre erste Parteikonferenz des Bezirks einberief, die mangels eines Lokales im Bezirk in der galizischen Grenzstadt Oswiecim tagen mußte, war von einer Organisation der Partei im Bezirk Oberschlesien überhaupt nicht zu reden, während die Zahl der Abonnenten etwa 136 betrug. Gegenwärtig bestehen für die Wahlkreise Kattowitz -Zabrze , Beuthen -Tarnowitz und Gleiwitz - Lublinitz KreiSorganisationen mit zusammen etwa 566 Mitgliedern. während in den anderen drei Kreisen des Bezirks etwas über 166 Genoffen auf Parteikarte ihren Beitrag zahlen. Die Zahl der Abonnenten auf die„Volkswacht" beträgt im Bezirk gegenwärtig 1466. Gewerkschaftlich organisiert sind rund 6606 Arbeiter im Bezirk Oberschlesien . In fünf der größten Orte des eigentlichen Jndustriebezirks sind auf Kosten der Generalkommission der Ge- werkschaften bezw. des Parteivorstandes Versammlungsräume ge. mietet, die, wenn auch nicht groß, doch den Organisationen in den betreffenden Orten ermöglichen, sich zu versammeln und ihre An- gelegenheiten zu erledigen. Auf Anregung des Parteisekretärs Bruhns ist durch die Opferwilligkeit einer Anzahl Genoffen im übrigen Deutschland die Bildung einer Bibliothek eruröglicht worden, die in Kattowitz verwaltet wird, deren Inhalt aber besser als bisher den anderen Orten und Kreisen zugänglich gemacht werden soll. Der Entivickelung der Parteiverhältnisse entsprechen leider nicht die Ergebnisse der Reichstagswahlen. Die Zahl der sozial- demokratischen Stimmen im Bezirk hat sich von 23397 im Jahre LW«Utj tölLö u» Zahv MZ bsfms&rt Kjö suMige Er-
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