herrscht werden l Wer ad er von den Weißen in den Kolonien sollsich ihrer annehmen? Da gibt eS nur solche, die da« Regimentführen, und andere, die von ihnen abhängig find. Wir wissen, daßselbst Missionare die Gefahr laufen, ins Loch gesteckt zu werden,wenn fie den Eingeborenen zu ihrem Rechte zu verHelsen suchen.Wer aber sonst geht noch nach den Kolonien? Wenteurer und der»zweifelte Existenzen. Meistens nur wenn diese Leutchen fich unter«einander verzanlen, kommt die Wahrheit anö Licht I Daß dieseWahrheit oft von frechen Lügen begleitet wird, daß gelegentlich auchein anständiger Mensch verleumdet wird, kennzeichnet seinerseits dasMenschenmaterial, das nach den Kolonien geschickt wird, um dieEingeborenen zu einer höheren Kultur zu erziehen.Wir bringen diese Fälle an die Oeffentlichleit, weil dies dieeinzige Möglichkeit ist, die Regierung zu veranlassen, dieWahrheit zu ermitteln. Sonst hört fie nichts und weißvon nichts. Sie bleibt stumm, wenn man sie nicht zum Redenzwingt. Ihr erstes Wort ist aber immer:.nur keine allge-meinen Verdächtigungen. Namen nennen I' Tun wir dasjedoch, so ist man gleich mit dem Strafgesetz hinter un«: ge-fchieht das im Reichstage, so schimpft man über unsere Kampfes«weise, die nicht.nobel" genug sei. Lleh, geht doch', ihr mit eurernoblen Kampfesweisel Ihr habt die Gesetze für euch und nochmehr die Rechtsprechung, die wohl höchst peinlich zu Werke zu gehenund sogar einen dolus eventualis zu konstruieren versteht, aber nurwenn es sich um sozialdemokratische Redakteure oder streikendeArbeiter handelt, ihr haltet zusammen, treibt Verschwiegenheitspolitikund führt ein VertuschungSshstem durch, daS vom Reichskanzler bis zum letzten Polizeisoldaten in den Kolonien reicht!Wir führen einen schweren Kampf gegen dieses System, und daglaubt ihr, wir werden uns dadurch abschrecken lassen, daß euereLeute, die uns bedienen, keine»reine Weste" anhaben?!Im Fall Dominik konnte nicht festgestellt werden, daß erkleine Kinder hat ersäufen lassen. Wir nehmen an, er hat es nichtgetan. Darob nun großer Jubel der Kolonialpatrioten. Seht nurdiesen großen Menschenfreund, den Dommik, der die Kinder nichthat ersäufen lassen I Gebt ihm den Tugendpreis lDieser Jubel ist am meisten kennzeichnend. Ist doch, auchabgesehen vom Fall Dominik, bereits, und zwar nicht zum geringstendurch die sozialdemokratische Kritik, soviel festgestellt worden, daßman sagen darf: die ganze deutsche Kolonialpolitik ist nichts alsGewalttat und Rechtsbruch I Aber was tuts I Man hat sich für dieVorgänge in den Kolonien ein besonderes seelisches Empfinden, einebesondere Moral anzugewöhnen IWenn sie nur keine kleinen Kinder fressen! Alles andere findhöchstens kleine Verfehlungen, eventuell gerechtfertigt durch denTropenkoller und noch mehr durch die Interessen des ausbeutendenKapitals IDer angeblich gereinigteReichslügenverbands-General.Leipzig, S. Mai.Vor dem hiesigen Schöffengericht gelangte heute der Be-leidigungsprozeß des Reichstagsabgeordneten und Borsitzenden desReichsverbandes zur Verleumdung der Sozialdemokratie, General-leutnant v. L i e b e r t, gegen den Genossen S ch ö p f l i n zur Ver-Handlung.V. Liebert hat bekanntlich in einer ReichStagSsitzung den Ge-nassen Schöpflin beschuldigt, daß er die Reichsfahne einenSchmutzlappen genannt, sie schwer beschimpft habe. Diefalsche Bezichtigung wollte er unglaublicherweise auch aus einerNotiz der„Muldentaler Volkszeilung" herleiten, deren RedakteurGenosse Schöpflin war. Die„Volkszeitung" hatte nach der Stich-Wahl im 14. sächsischen Wahlkreis(Borna), in der v. Liebert überSchöpflin, den bisherigen Vertreter, mit 14 371 gegen 10 922 Stimmensiegte, geschrieben, daß jetzt leider nicht mehr die rote Fahneder Sozialdemokratie, sondern der Schmutzlappen desHottentottenblocks über dem Wahlkreis wehe. Ganz un-berechtigterweise wurde also der Schmutzlappen deS Hottentottenolocksder Reichsfahne gleichgesetzt. Schöpflin iegte das in der„Volks-zeitung f. d. Mnldenthal" dar und nannte den General v. Liebertdabei einen Lügner.Daraufhin swengte v. Liebert gegen Schöpflin die Beleidigungs«klage an.In Iber Verhandlung waren sowohl der Privatkläger wie derPrivatbeklagte erschienen. Zunächst gelangte die Notiz der„Muldenthaler Vollszeitung" zur Verlesung.— Vors.: Wiekamen Sie dazu. dies zu schreiben?— A n g e k l.:Ich wurde durch ein Telegramm des Abg. Dr. Davidbenachrichtigt, daß der Abg. Liebert im Reichstage gesagt hatte, ichhätte die Reichsfahne beleidigt. Aus dem amtlichen Stenogrammrsah ich denn auch, daß der Abg. Liebert es tatsächlich getan hatte.kiir ist es unbegreiflich, wie der Privatkläger dazu kommt, denSchmutzlappen des Hottentottenblocks" mit der Reichsfahne zuidentifizieren. DaS Reich spielt doch im Wahlkampf gar keineRolle, sondern es kämpfen Parteien gegen Parteien und?S kann nur eine böse Absicht deS Privatklägers sein,-enn er sagt, ich hätte die Reichsfahne beleidigt.Oie Rotiz in der.Muldentaler Volkszeitung" entstammt der„Leipziger VolkSzeitung" und kein einziges bürgerliches Blatt hat aufdie Notiz reagiert. Einzig und allein das„Leipziger Tageblatt" unddaS.Bornacr Tageblatt" haben es getan. DaS„Bornaer Tageblatt"hat aber den Wahkkampf deS Klägers geleitet und die Mitteilungdes„Leipziger Tageblatts" beruht auf einer Korrespondenz ausBorna. Wenn ein Privatkläger in der hohen Stellung des Ab-geordneten Liebert öffentlich behauptet, ich hätte die Reichsfahne inSchmutz gezogen, nachdem er selbst sechs Wochen lang mich imWahlkampf mit Schmutz beworfen hat, so muß mich das aufdas schwerste kompronnttteren. Hätte ich nicht sofort sehrscharf erwidert, so hätte ich nicht nur polittsch, sondernauch moralisch tot fem müssen. Dem Privatkläger war eSmit semer Aeußerung im Reichstag lediglich darum zu tun,mich persönlich hrradzusetze». Er hat einfach die Kauipfesweise fort-gesetzt, die er schon im Wahlkampf selbst beobachtet hatte. Ja dergehässigsten Weise hat er meine Person zu diskreditieren gesucht.„Was hat der Schöpflin im Reichstag geleistet," so hat er in einerVersammlung erklärt. Ich habe drei Jahre in der Budgetkommisfiongesessen und wer die Verhältnisse kennr, weiß, was daS für eineArbeit ist.' Es ist überhaupt eine Spezialität deS Privatklägers.die sozialdemokratischen Führer persönlich anzugreifen. DaS hat ermit Bebel, Singer und v. Wollmar getan, v. Bollmar ist gleich ihmKriegsveteran von 1870 und wenn er auch diesen angreist, so beweist daseben, daß er die Abficht verfolgt, die Führer der Sozialdemokrattepersönlich zu bekämpfen.—- Vors.: Was ist denn mit dem Schmutz-läppen gemeint?— Angekl.: Damit ist überhaupt keine Fahnegemeint, sondern der Ausdruck ist nur bildlich abgefaßt.— Verleidiger Rechtsanwalt Dr. Liebknecht: Ich möchte darauf auf«merksam machen, daß die»Leipziger BolkSzeittmg" schon am7. Februar 1907 erklärt hat. daß der Schmutz läppen des Hotten«tottenblocks m die Reichsfahne umgelogen sei.— AngeklagterSchöpflin erklärt noch, daß er die Nottz nicht verfaßt habe.—Abg. v. Liebert: Ich habe der Klage nichts hinzu-zufügen und kann nur sagen, daß die ganze Sachesich in der Erregung deS Wahlkampfes abgespielt hat.Ich habe allerdings die Person deS Herrn Schöpflin mit der»Muldentaler Volkszeitung" identtfiziert. Räch allem, was fich imWahlkampfe abgespielt hat. konnte als Gegensatz zur roten Fahneder Sozialdemokratte nur die Reichsfahne gemeint sein, die die«Muldentaler Volkszeitimg" eben als Schmutzlappen des Hottentotten-blocks bezeichnete. Im übrigen habe nicht ich ihn. sondern HerrSchöpflin mich persönlich gehässig bekämpft.— blnge IL: Mir istüt Buk» dtzS Herrn Siebert herzp-h glochgüllig. Ichbekämpfe in ihm pur den Konservatiben ,' den Reaktionär.Ich habe nie über ihn Unwahrheiten verbreitet. Aber erhatte nicht den Mut, mich, seinen polittschen Gegner,in seinen Versammlungen auch nur eine halbe Stunde redenzu lassen. Reben der politischen Lüge ist mir nichts so verhaßt, wiedie politische Feigheit. Wir Sozialdemolraten sind keine Reichsfeinde.Wir werden deshalb auch das Reich und die Reichsfahne nicht an-greifen. Wir kämpfen nach unserer besten Ueberzeugung vielmehrfür das Wohl des Reiches.— Vors.: Herr Schöpflin, ist eS nichtTatsache, daß die nattonalen Parteien im Wahlkanipf im Gegensatzzur Sozialdemokratte, die unter der roten Fahne kämpfte, unter derReichsfahne kämpften?— Vert.: Diese Ansicht machen wir unsdurchaus nicht zu eigen.Damit sind die Vernehmungen beendet, Verteidiger RechtsanwaltDr. Liebknecht stellt den Anttag, darüber Beweis zu erheben,daß der Privatkläger in Bezug auf de« Abgeordneten Singer gesagthat, er hätte fich sittliche Verfehlungen an Kmdern unter 14 Jahrenzuschulden kommen lassen. Der Verteidiger will daraus den Schlußziehen, daß der Privatlläger die sozialdemokrattfchen Führer persönlichbekämpft hat.— Dieser Beweisantrag wird vom Gerichtshofe ab-gelehnt, ebenso ein Beweisantrag, eine Schrift des Herrn v. Liebert:„Die Sozialdemokratte und das stehende Heer" zu verlesen, ausder die gehässige Kampfesweise des Reichsverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie gegenüber den Sozialdemokratenhervorgehen soll.Hierauf beginnen die PlaidoyerS. Der Vertreter desPrivatklägers, Rechtsanwalt Martin-Leipzig, führt auS, daß derBeklagte wissentlich den Privatkläger verleumderisch beleidigt habe.Sofort nach Erscheinen deS inkriminierten Artikels m der„Mulden-thaler VolkSzeitung" seien Gegenstimmen in der konservattvenPresie laut geworden, die auch den Eindruck hatten, daßmit dem Ausdruck.Schmutzkappen des Hottentottenblocks" dieReichsfahne gemeint fei. Das hätte der Angeklagte wissen und sichdanach bei feinen Aeußerungen richten müssen. Der Verteidigerbeanttagt eine Frecheitsstrafc auf Grund des§ 187 wegen ver-leumderischer Beleidigung.— Der Verteidiger des Privatbeklaaten,Rechtsanwalt Liebknecht- Berlin plädiert auf Freisprechung. SeinKlient sei durchaus berechtigt gewesen, die Angriffe, die Herr v. Liebertvon derReichstagSttibüne herab gegen ihn richtete, zurückzuweisen, umso-mehr, da er sich nicht von der ReichStagstribüne dagegen wehrenkonnte. Schöpflin sei der Unterlegene im Wahlkampfe gewesen, undeS war nicht edelmütig vom Privatkläger, ihm noch von derRcichötagStribüne ans einen Fußtritt zu versetzen. Diesen Angriffenmußte der Privatbellagte energisch entgegentrete».Nach kurzer Beratung verkündete der Borsitzende_ AmtsrichterKöst folgendes Urteil: Der Privatbcklagte Schöpflin wird zuvierhundert Mark Geldstrafe, event. 40 Tagen Gefängnis verurteilt.Die Kosten des Verfahrens werden dem Privatbeflagten auferlegt.In der Urteilsbegründung wird ausgeführt: Es ist nicht erwiesen,daß der Privatkläger, wie behauptet wird, wiffentlich die Unwahrheitgesprochen hat. Die Behauptung, daß der Privatlläger ein frivolerLügner sei, sei daher nicht mehr unter den Schutz desß 193 zu stellen. Der Privatbeklagte hätte sich mit einer ein-fachen Berichttgung begnügen müssen. Strasinildcrud komme diegroße Erregung des Privatbeflagten in Betracht, strafverschärfenddagegen die schwere der Beleidigung und die Vorstrafen, die derPrivatbellagte schon wegen Beleidigung erlitten hat.***Herr v. Liebert hat also die Genugtuung, den GenossenSchöpflin, den er in mindesten? außerordentlich leichtfertiger Weisefälschlich beschuldigt hat. wegen seiner durchaus berechttgten Abwehrder v. Liebcrtschen Verdächtigung zu einer Geldstrafe verurteilt zusehen. Und der Leiter des ReichSlügenvcrbandes hat dazu diegerichtliche Bescheinigung, es sei n i ch t erwiesen, daß er wiffent-lich gelogen habe. Dergleichen ist allerdings schwer zu erweisen.Erwiesen aber ist. daß Herr v. Liebert in leichtfertigerWeise eine Unwahrheit verbreitet hat. Denn das Ge-richt hat stillschweigend im Urteil anerkannt— indem eS dieVerurteilung allein auf den Vorwurf de« wissentlichenLügens stützte— daß die Beschuldigung deS Generals v. Liebertgegen den Genossen Schöpflin eine Unwahrheit ist. DaßeS ihm bei dem ganz llar liegenden Tatbestand den gutenGlauben zubilligte. daß es nicht gleich uns annahm,nur böswillige Fälschungsabsicht könne aus der Nottz der„Muldenthaler VolkSzeitung" das herauslesen, was v. Liebertherausgelesen hat. nur böswillige Fälschungsabsicht könne dieSchmutzlappen des Hottentottenblocks mtt der Reichsfahne identi-fizieren, das gehört zu den Differenzen, wie sie zwischen der Auf-fassung von Richtern des KlasseiistaateS und von Sozialdemokratenstets eristicren werden. Nach unserer Ansicht ist Genosse Schöpflinzu Unrecht verurteilt worden. Aber unsere Ansicht entscheidet nicht.sondern die der Richter.Immerhin können wir mit der indirekten Feststellung de?Gerichts. daß der Schmutzlappen des Hottcntottenblocks nichtdie Reichsfahne ist. zufrieden fein. Ob aber der ReichSlügen-verband. ob die von ihm auSgehaltene Presse nun derWahrheit die Ehre geben werden? Es sollte unS nicht wundern.wenn sie im Gegenteil das Urteil dahin fälschten, daß eS die Be-rechtigung der Liebertschen Auslegung der Notiz der„MuldentalerBollszeitung" ergebe. Wir werden zusehen, wie weit die Ehrlichkeitunserer Gegner geht l_politifcbc Qcbcrlicbt.Berlin, den 6, Mai 1907.Dnrchpeitschung des Etats.Die brutale Mißhandlung der parlamentarischen Rede-freiheit im Reichstage seitens des freisinnigen VizepräsidentenK a e m P f hat durch seine Amtsniederlegung ihre Sühne ge-funden. Bei Beginn der heutigen Sitzung des Reichstagsverkündete der Präsident Graf Stolberg-Wernigerode, daßinfolge der Demission Kaempfs morgen die„Neuwahl eines2. Vizepräsidenten stattfinden wird". t Daß diese Komödiemit der Wiederwahl Kaempfs endigen dürfte, läßt sich unschwervoraussagen. Einen s o„schneidigen" Vize bekäme der Blockja nicht so leicht wieder.Zwei neu eingebrachte Nachtragsetats beschäftigten heutezuerst das Haus. Der eine fordert zu einer Teuerungszulagefür die mittleren und unteren Beamten 23 Millionen Mmrk.Der andere enthält eine Neuaufrechnung der Kostenzuschüssefür Südwestafrika, wonach infolge der Verminderung derTruppenzahl die einmaligen Ausgaben sich für diesesJahr verringern, aber die o r d e n t l i che n, laufenden Aus-gaben für die Verwaltung sich erhöhen, und zwar er-fordert Südwestafrika einen Reichszuschuß von rund 13 Millionen Mark.— Die beiden Etats wurden ohne wewntlichejEinwände an die Budgetkommission verwiesen.Dann ward die Beratung des Kamerunetats fortgesetzt.Die Abgeordneten K o p s ch und Bebel nahmen Bezug aufdie in.der Presse erfolgten Enthüllungen der Frau vonG e r m a r, der Pseudocousine des Gouverneurs von Kamerun.Jesko v. Puttkamer. Die Redner verlangten eineneue Untersuchung des Falles, und Bebel rügte, daß dieseHauptzeugin gegen Puttkamer nicht vernommen worden sei.— Der Kolonialdirektor Dernburg sagte sehr kleinlaut eineneue Untersuchung seitens der Kolonialverwaltung zu.Abgeordneter Erzberger wünschte, um der De-generation der Eingeborenen vorzubeugen, ein Verbot desBranntweinverkaufs an Eingeborene. Bekanntlich hat derSchnaps bei der Beraubung der Eingeborenen, denen man füreinen Pfifferling ungeheure Landstrecken abschwindelte, diegespielt, ganz abgesehen havoq. daß die weißen&cin5Ief Sekt Fusel im SlS EWaHSN p MWchSllMtSchwindelpreisen verkauft haben. Der KolonialdirÄtovwünscht, wie er sagt, wohl eine Einschränkung des Branni-Weingenusses, aber ein V e r b o t im Sinne j�rzbergers lehnter ab!Bei der Beratung des Etats für die Verwaltung devReichseisenbahnen wiesen unsere Genossen Bohle-Straß-bürg und E m m e l- Mülhausen nach, daß die Verhältnisseder Eisenbahner an den Reichseisenbahnen viel zu wünschenübrig lassen. Die Löhne sind gering, die Arbeitszeit ist zu>lang, die Behandlung der Arbeiter keine würdige, und dieArbeiterausschüsse sind wertlos: denn jedes freie Wort, daSein Arbeiter in diesen Ausschüssen äußert, kostet ihm dieExistenz. Auch das Koalitionsrecht der Arbeiter wird durchdrakonische Maßnahmen und Verfügungen illusorisch gemocht.Der preußische Eisenbahnminister Breitenbach suchtedie Eisenbahnverwaltung gegen die Vorwürfe zu decken: seineArgumentation war von der bekannten preußischen Schneidig-keit getragen, die alle Drangsalierungen mit der sozialdemo-kratischen Gesinnung der Arbeiter rechtfertigt. Die Vor-lesungen des Ministers aus Aufrufen zur Wahl und die un-kontrollierbaren Zitate von Rednern, welche die Arbeiteraufgefordert haben sollen, r o t zu wählen, entlasten die Ver-waltung nicht, sind vielmehr der drastische Beweis für dieparteiische Behandlung der Arbeiter. Und der Eisenbahn-minister selbst erhöhte mit dieser Behandlung der für dieArbeiter wichtigen Angelegenheit weder das eigene Ansehennoch das der Verwaltung.Nach debatteloser Erledigung einer Reihe von Kapitelnzum Marine-Etat stellte Bebel den Antrag auf Ver-tagung, der hauptsächlich von den Freifinnigen perhorresziertwurde, die als Blockrekruten die Durchpeitschung der Geschäfteso unwürdig betreiben, wie ihr Präsident Kaempf die Rede-freiheit schikaniert.Nach Ablehnung der Vertaguna ergriff Genosse 9 u ö e i ldas Wort und bemängelte die Zustände auf der kmserlicheuWerft in Tonzig. Das Berechnungssystem für die Arbeiterist auf ungenügende Löhne zugeschnitten. Verfügungen derkaiserlichen Werftdirektion wenden sich gegen die Organi-fationen der Arbeiter. Selbst die Organisation der Christlich-sozialen wird bekämpft. Eine Reihe weiterer Uebelständekritisierte Zubeil scharf, und dem Negierungskommissar wurdees sehr schwer, gegen die vorgeführten Tatsachen zu kämpfen.Die AbleugnUng der Gesinnungsschnüffelei schafft diese nichtaus der Welt. Zugestehen mußte der Kommissar die Ueber-schreitung der Arbeitszeit, wenn er sie auch zu entschuldigensuchte mit der geringen Zahl der Ueberstunden. Weiterpries der Kommissar, Admiralitätsrat Harm, die Er-höhung der Löhne, mußte aber auch vom AbgeordnetenM o in m f e n. der einige Monita Zubeils unterstützte.hören, daß die Erhöhungen den erhöhren Ansprüchen desLebens nicht genügen. Auch der Abgeordnete Spahn be-mangelte die Löhne und empfahl eine Teuerungszulage, diejedoch der Staatssekretär der Marine, v. Tirpitz, als„undurchführbar" ablehnte!Durch Feststellung der Beschlußunfähigkeit des HauseSseitens unserer Genossen wurde die Beratung dann zur Ber-tagung gebracht.—____Die Etatsberatung im Herrenhause.Am Montag begann im Herrenhause die Beratung des EtatS,wenn anders man da» Durchpeitschen einer so umfangreichen Bor-läge als Beratung bezeichnen kann. Allerdings liegt die Schulddaran, daß die Etatsdebatten der»ersten Kammer" nur eine Fareesind, nicht an den Mitgliedern des HauseS, sondern an der preu-ßischen Verfassung, die dem Herrenhause jede Aendcrung am Etatverbietet. Es hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder eS lehnt denEtat ab. oder es nimmt ihn unverändert an. Von einer Ab-l e h n u n g. die einem Mißtrauen gegen die Regierung gleichkäme.ist natürlich bei so regierungsfreundlichen und so sorgsam aus-gesiebten Männern nicht die Rede. Um nun aber nicht den Etatohne jede Erörterung einfach en bloc anzunehmen, sondernwenigstens den Schein zu wahren, unterhalten sich die Herrenalljährlich einige Tage lang über allerhand Fragen, die mit demEtat gar nichts zu tun haben.Schon seit Jahren leitet Graf Mirbach die Etatsdebattc durchein und dieselbe Rede ein. Seit Jahren wütet er gegen dieSozialdemokratie und gegen das Reichstagswahlrecht, seit Jahrenfühlt er sich berufen, den Fürsten Bismarck als leuchtendes Beispielund als Muster aller Staatsweisheit hinzustellen. Diesmal warseine Rede auf einen etwas anderen Ton gestimmt. In dasfreudenlose Leben des edlen Grafen, den die hohe steuerpolitischeBelastung der Landgemeinden und Gutsbezirke Ostelbiens nichtschlafen läßt, den die Sorge um die Leutenot Tag und Nachtquält, ist endlich ein Sonnenstrahl gefahren: Er. der nach der Eni-lassung Bismarcks den Staat in seinen Grundpfeilern wanken sah,kann sich wieder seines Lebens freuen; denn Deutschland hat einenReichskanzler, Preußen hat einen Ministerpräsidenten, der ebensostaatsmännisch und weise ist wie Bismarck.— Fürst Bülow hatnach Ansicht des Grafen Mirbach seine ftaatsmännische Begabungund seinen weiten Blick bei der Reichstagsauflösung aufsglänzendste bewiesen. Trotzdem scheint der Graf, der sich selbstbekanntlich für den größten Staatsmann aller Zeiten hält, mitdem Fürsten Bülow noch nicht ganz zufrieden zu sein. DieBewilligung von Diäten an die Reichstagsabgeordneten hält erfür einen Fehler, weil sich dadurch Leute in den Vordergrunddrängen, die durchaus ungeeignet sind, einen Wahlkreis im Reichs-tage zu vertreten.— Daß auch im preußischen Landtag Diätengezahlt werden, scheint der große Staatsmann zu übersehenNatürlich ließ eS Graf Mirbach nicht an Angriffen gegen da»ReichStagSwahlrecht fehlen. Das gehört nun einmal zu seine»Programm; nur daß er heuer infolge des Ausfalls der Rsichs»tagSwahlen etwas gnädiger gesonnen ist und sich gütigst mit derBeseitigung der geheime» Stimmabgabe begnügen will. Er ließ.aber leinen Zweifel darüber, daß ihm als Ideal das Wahlrechtzum preußischen Landtage vorschwebt, als dessen besonderen Vorzuger die Jndirektheit rühmt.DaS weitere Programm des konservativen Führers ist: Schuhder Arbeitswilligen, keine einseitige Sozialpolitik im Interesse derArbeiter. Bekämpfung der Sozialdemokratie— also nicht Arbeiter«schütz, sondern Arbeitertrutz!Leider knüpfte sich an die Scharfmacherrede de? Junker»Mirbach keine Debatte; das HauS folgte vielmehr dem Rate de»Finanzministers Freiherrn v. Rheinbaben: Angelegenheitendes Reiches nicht zu erörtern, sondern sich auf Fragen der inner-preußischen Politik zu beschränken. Die Folge davon war nichtnur. daß manch einer der edlen und erlauchten Herren sich einewohl vorbereitete Rede verkniff, sondern auch, daß die weitereDebatte höchst langweilig verlief. Man klagte darüber, daß derEtat wieder nicht rechtzeitig verabschiedet ist. einer der Herrenverlangte sogar, daß das Abgeordnetenhaus bis zur ErledigungdeS Etats in Zukunft keine politischen Fragen mehr behandeln,keine Jnitigtipgntxöge beraten und'eine LnierpellatidüM be»