Revolverschietzerei an Bord einesStreikbrecherlogierschiffes.Nm 13. April d. I. zeigte der als schwimmendes Streikbrecherhotelschiff dienende Dampfer„Askan Woermann" zweimal die Not-flagge, infolgedessen die Hafenpolizei an Bord dcS Dampfers ging,wo ihr der gefesselte und eine Schußwunde an der Hand auf-weisende Arbeitswillige Neike aus Königsberg übergeben wurde. R.hatte sich ans angeblicher Furcht vor den Hamburger Schauer-leuten, die die Arbeit wieder aufgenommen hatten, das Schießeisengekauft, und da seine„Furcht* sich trotzdem nicht gelegt hatte, griffer zur Schnapsflasche, um sich Mut einzuflößen. Die Angstwar ihm aber derart in die Knochen gefahren, daß er seinePapiere und seine Freigabe verlangte. Als ihm beides verweigertwurde, soll er, seinen Revolver in der Hand haltend, zu den anderenArbeitswilligen gesagt haben:„Ich bin Euer Anführer, folgt mir.*Jetzt kamen zwei Aufseher hinzu, die ihm den Revolver zu entreißensuchten, wobei ein Schuß losging. Die Kugel war ihm durch dielinke Hand gedrungen. Zweimal wollte R. über Bord springen,wurde aber an seinem Vorhaben gehindert. Zunächst wußte mannicht, wie man die Anklage gegen N. formulieren sollte. Hat er gar dieandern Arbeitswilligen ausreizen wollen zumAngriff auf die Vorgesetzten,oder hat er sie gewaltsam zur Arbeitsniederlegung bestimmen wollen?Da er aber der ausgesprochene Typ eines ganz gelvöhnlichenStreikbrechers ist, der seine Arbeitsstelle in Essen verlassen hat, umin Hamburg mehr Geld zu verdienen, entschied die Anklagebehördefich für eine Anklage wegen Nötigung und Bedrohungaus den ZZ 240 und 241 des Strafgesetzbuches.Der Angeklagte, der ani Mittwoch vor Gericht stand, willnur aus„Bangigkeit" seine Papiere verlangt haben, dieihm verweigert worden seien, wie auch andere Arbeits-willige zurückbehalten wurden. sAIso eine Gefangen-Haltung in aller Form. Als die während der Aussperrungbeliebten Freiheitsberaubungen öffentlich kritisiert wurden, hat»tandies von interessierter Seite„dementiert*. Der Vorsitzende meinteallerdings, der Angeklagte sei zu einer vierwöchigen Arbeitsdauerverpflichtet worden: das berechtigt aber keineswegs eine FreiheitS-beraubung.) Ein Hafenpolizist erklärte, an Bord der Quartier-schiffe sei allerlei passiert, während ein anderer Arbeits-williger, der ebenfalls daS Schiff verlassen wollte, die Zuständeauf diesen Schiffen als„ S ch w ein er ei* bezeichnete. Da dieHanptzeugen, die angeblich Bedrohten und Genötigten, in alle Windezerstreut sind, mußte die Verhandlung ausgesetzt werden. Der An-geklagte wurde auf freien Fuß gesetzt. Der Mann scheint einesonderbare Vorstellung von Hamburg zu haben, denn er bat denVorsitzenden um Schutz, weil er sich nicht allein über die Straßegetraue._Politische Ücbcrlicht.Berlin, den 16. Mai 1907.Friedensschalmeien und Konfliktspolitik.Italienische und englische Minister haben fich inden letzten Tagen wiederum über die internationale Lagegeäußert. Der italienische Minister T i t t o n i legt in einer großenRede die Grundzüge der internationalen italienischen Politik dar.Er verbreitete sich über Italiens Verhältnis zu dem Dreibunde undden übrigen Mächten. Er erörterte auch die Frage der HaagerKonferenz, die Abrüstungsfrage und das ablehnende VerhaltenDeutschlands und Oesterreich-UngarnS dazu. Tittoni erklärte, daßItalien von den Geftihlen aufrichtiger Freundschaft für Englandund Frankreich beseelt sei, daß es herzliche Beziehungen zuallen Mächten unterhalte, dabei aber in unerschütterlicherTreue zum Dreibund st ehe. Boll freudiger Genugtuunghabe Italien den Fürsten Bülow als Gast in Rapallobegrüßt; mit nicht minderer Freude habe esEduard>VII. in Gaeta empfangen. Nun werde allerBoraussicht nach auch Freiherr v. Aehrental als Ver-treter Oesterreich-Ungarns Italien besuchen, um die Beziehungenseines Landes zu Italien zu bekräftigen. So unterhalte Italien zuallen Nationen die besten Beziehungen.Die Erörterung der A b r ü st u n g s f r a g e auf der HaagerKonferenz solle nach den Absichten der englischen Regierung alleReibungen ausschließen. Diese Abrüstungsdebatte sei nureine von England aufgenommene AvrüstungStendenz der russischenRegierung. Sei es möglich, irgend eine befriedigende Formel inder Abrüstungsfrage zu finden, so werde Italien ihr seine Zu-stimmung nicht versagen. Deutschland und Oesterreich hielten eineersprießliche Abrüstungsdebatte heute nicht für möglich, sie zögeneö deshalb vor, sich daran nichtzubeteiligen. Italien seiner-seits halte es für besser, fich von der Diskussion nicht aus-zuschließen.Nach alledem ist es nur unverständlich, wie es möglich war.daß die deutsche offiziöse Presse die Zusammenkunft Bülows undTittonis in Rapallo als einen Erfolg der deutschen PolitikEngland gegenüber ausposaunen konnte! Zweifellos hatauch Tittoni in Rapallo aus den italienischen Absichten, sich an derAbrüstungsdebatte zu beteiligen, kein Hehl gemacht.Die deutsche offiziöse Presse aber stellt es so dar, alsob Fürst Bülow in Rapallo Italien zu der AuffassungDeutschlands und Oesterreich-Ungarns bekehrthabe. Einzig diese erstaunlich irrtümliche Berichterstattung deroffiziösen deutschen Presse verschuldete eS. daß wenige Tage später,bei dem Besuche des englischen Königs in Italien, die deutsche Re-gierungspresse Eduard VII. einer Durchkreuzung derBülowschen Absichten zeihen und eine geradezu tobsüchtige Hetzegegen England, in zweiterLinie aber auch gegenFrank-reich und Italien inszenieren konnte! Fürst Bülowhätte durch eine rechtzeitige Information über den wirklichenStand der Dinge diesen ganzen chauvinistischen Tobsuchtsanfallverhüten können. Er tat es nicht. Die einzige Erklärung dafürbietet nur die Annahme, daß der Regierung selbst die chauvinistischeErhitzung äußerst angenehm war. um im Reichstag dir ihrgenehme Hurrastimmung zu erzeugen. Jedenfalls eine ganz eigen-artige Haltung der deutschen� Regierung IAuch der englische Minister H a l d a n e hielt in einer liberalenVersammlung eine überaus beschwichtigende Rede. Er glaubte mitBefriedigung feststellen zu können, daß nicht nur die freund-schaftlichen Beziehungen Großbritanniens zu Frankreichund Rußland im Wachsen begriffen seien, sondern erstellte auch eine Besserung der B e z i e h u n g en zwischenEngland und Deutschland in Aussicht. Er glaube,daß diese Beziehungen schon heute gute seien, bestehedoch kein Gegensatz zwischen beiden Ländern außer demrechtmäßigen Gegensatz der Handelskonkurrenz. Es gäbe aber eineK l a s s e v o n I o u r n a l i st e n, die es für a n g e z e i g t halte.jeden kleinen Zwischenfall aufzubausch en und es gäbe vielenervöse Leute in Großbritannien und Deutschland, die glaubten, daßdie beiden Völker übereinander herfallen wollten. Dieselben Journalisten,die heute England gegen Deutschland aufhetzten, hätten während derDrehfusaffäre Großbritannien zur Hetze gegen Frankreich getrieben.Er jedoch hoffe, daß die Politik der Verständigung fortschreiten werde.Man sieht, ein englischer Minister scheut sich nicht, einen kräftigenKaltwasserstrahl gegen die Chauvinistcnprcsse seines Landes zu ent-senden. Fürst Bülow jedoch beloahrte auch seine„historische*Haltung, die Hände pomadig in die Hoschentaschenzustecken, als die gesamte deutsche Ordnungsprcsse von, einemwahren Taumel der chauvinistischen Hetze befallen wurde!So beruhigend diese Ministererklärungen find, so ist doch zuberücksichtigen, daß solche Friedensschalmeien so lange wirkungs-los sind, als die Nationen mit ihren Rüstungen, namentlich demFlottcnwcttrnstcn und einer forcierten Kolonialpolitik fortfahren.Gerade Deutschland hätte die Möglichkeit, durch eine ver-nünftigeHandelspolitik dem von unserer Kolonialpresse alsSchreckgespenst an die Wand gemalten englischen Imperialismusden Wind aus den Segeln zu nehmen. Durch ein Auf-geben seiner Hochschntzzollpolitik könnte es das beste Ein-vernehmen mit England herbeiführen. Statt dessen treibtman das freihändlerische England durch diese Schutzzollpolitikdem Imperialismus gewaltsam immer mehr in dieArme. Die uferlosen Flottenriistungen und die phantastischeKolonialpolitik tun dann das ihre, um die Gegensätzekünstlich zu verschärfen. Eine solch finnlose Politik mußmit Naturnotwendigkeit eine Lage schaffen, die nicht nur durchmarinistische und kolonialpolitische Riesenausgaben zum Bankrottder deutschen Finanzpolitik führt, sondern darüberhinaus auch zu iutcruationalcn Konfiiktcn der vcrhänguisvollstrnArt!—_Englische und deutsche Keim- und Tcimlinge.Die englische Zwillingsschwester„unseres* Flottenvereins—- diebritische Flottenliga— hatte sich am Mittwoch mit folgendem Anttagihres Komiteemitgliedes Mr. Wyatt zu beschäftigen:Die Versammlung bereut tief die Verringerung in derFlottenstärke, welche veranlaßt ist durch die Reduzierung desFlotten-Etats von 36 800 000 Pfund für das Jahr 1904 bis 1902auf 30 400 000 Pfund für das Jahr 1907 auf 1908, und die Ver-sammlung bereut auch, daß nicht sofort mit der Anlegung einerFlottenbasis an der Ostküste fortgefahren wird.Der Antrag fiel nach stürmischer Debatte mit 44 gegen 27Stimmen glatt durch. Dieses Resultat ist um so charakteristischer,als der Präsident �der Liga, Mr. Derburgh, flir den Autrag Wyattaufs lebhafteste eingetreten war und von ihm gesagt hatte: erwerde„die Luft reinigen*!Wollte ein mit Dernburgscher Phantasie Begabter die Möglich-keit ausdenken: die deutsche Regierung setze einmal in, Zeitraumvon vier Jahren den Flottenetat um 128 Millionen Mark herab, sowürde ihm sofort einleuchten, daß„unser* Flottenverein einenAnttag k la Wyatt— mit entsprechender Verschärfung— ein-stimmig annähme und zum Protest den bekannten„donnerndenAppell ans Volk" widerspruchslos beschlösse.Ja, über Deutschlands„Wohl und Wehe* wacht auch die FirmaKeim u. Cie. I—-Ein Nachtrag zum Fall Kaempf.Wir erhalten folgende Zuschrift:Daß das Attentat des Vizepräsidenten Kaempf auf die Rede-fteiheit im Reichstag am 4. Mai in einen schlimmen Mßerfolg auslief, liegt den näheren Freunden dieses eigenarttgen Blockpolitikersoffenbar schwer in den Gliedern, denn sie haben sich eiftig bemüht,Herrn Kaempfs Verhalten nachttäglich zu rechtferttgen und die Be-deutung der gegen ihn ausgefallenen Abstimmung hinwegzudenteln.Dabei haben die Leute mich mit einer Fülle persönlicher Angriffe bedacht.wie das von Bundesgenossen des Reichslügenverbandes nicht anderszu erwarten ist. Man kann ja meist mit dem Schweigen der Ver-achtung darüber hinweggehen. Die„Freisinige Zeitung*hat aber in ihrer Nummer vom 12. Mai zu einer so schmählichenVerleumdung gegriffen, daß ich zur Abwehr genötigt bin.In einer Polemik gegen den Berliner Korrespondenten derMannheimer„Volksstimme*, der den Vorgang im Reichstage ge-schildert hatte, schreibt nämlich das offizielle Organ der freisinnigenVolkspartei wörtlich:„Was sodann den Ton betrifft, mit dem Ledebour dieSchwierigkeit der Ansiedelung weißer Frauen und Besonderheitendes weiblichen Geschlechtslebens besprochen hat, so waren dieAusführungen des Redners in dieser Beziehung so„sachlich* undso„vornehm", daß Abgeordneter Ledebour sich sogar nach-träglich geschämt hat, seine Auslassungen demstenographischen Bericht einzuverleiben, vielmehrden betreffenden Satz unvollendet gelassen und die Wortedurch Gedanken st riche ersetzt hat. Gleich! hinterherverzeichnet der Bericht denn auch nur die Bemerkung„StürmischeHeiterkeit*.*Die vorstehende Behauptung, ich hätte mich nachttäglich geschämt,meine Auslassungen dem stenographischen Berichte einzuverleibenund hätte irgend welche Worte, deren ich mich zu schämenhätte, im Berichte durch Gedankenstriche ersetzt, ist eine bös-willigeErfindung der„Freisinnige»Zeitung*. Diefragliche Stelle im stenographischen Berichte ist vonmir völlig unverändert gelassen worden. Ich habesofort, als mir am Dienstag. 14. Mai. der lügenhafte Angriff der„Freisinnigen Ztg.* zu Gesicht kam, in Gegenwart des Vorstehersdes Stenographischen Bureaus mir das Manuskript, das zur Korrekturden Rednern unterbreitet wird, wieder vorlegen lassen und fest-gestellt, daß ich im Manuskript keine Aenderung vorgenommen hatte.Die Stenographen haben ganz korrekt bei der Niederschrift es wieder-gegeben, daß, ehe ich den Satz völlig ausgesprochen hatte, die Herrenvon den Blockparteien, und zwar sowohl Liberale wie die Konser-vativen, inich durch„stürmische Heiterkeit* unterbrochen haben. Daßder Satz unvollendet geblieben ist, haben die Stenographen selbstdurch Gedankenstriche angedeutet. Der Satz lautet im Stenogramm:Die Möglichkeit aber, weiße Frauen in größerer Menge hin-auszuschicken, scheitert daran, daß Frauen unter dem Tropenklimaunendlich viel mehr leiden als Männer, besonders wenn sie irgend-wie---(Stürmische Heiterkeit.)Also nicht weil ich irgend welche anstößige Worte gebrauchthabe, sondern weil ich in Erörterung der Frage, � weshalb weißeFrauen das Tropenklima schlechter crttagen als Männer, im Be-g r i f f st a n d, den Zustand der Mutterschaft zu erwähnen, brachendiese christlichen Blockpatrioten der konservattven wie der liberalenObservanz in jenes wiehernde Gelächter aus, das mich veranlaßte,die doppelte Moral der Herren in kräftigen, aber, wie selbst ein freisinniges Blatt, die„Bert. Volksztg.*, zugibt, durchaus zutreffendenWorten zu kennzeichnen. Herr Kaempf aber, dem offenbar daS Verständnis für die Würdelosigkeit des Verhaltens der Blockpatriotenebenso abgeht, wie das Verständnis für die Aufgabe eine? Präsidenten,die Redefteiheit zu schützen, ergriff mit Gier diese ungeeignete Ge-legenheit. seine Amtsbefugnisse einmal wieder gegen die Sozial-deniokratte auszunutzen.Keinen schlagenderen Beweis gibt es aber dafür, wie kläglichin dieser Sache sowohl die johlenden Blockpatrioten wie der Vize-Präsident Kaempf abgeschnitten haben, als daß die„Freisinnige Ztg.*die Verteidigung ihrer kompronnttierten Gesinnungsgenossen nichtanders zu führen weiß, als indem sie zu der Waffe schamlosesterVerleumdung greift. G. Ledebour.Undank ist der Welt Lohn.So sehr der Freisinn auch während der letzten Tagung seineGrundsätze und Traditionen der lieben Blockbrüderschaft wegen ver-leugnet hat: er erntet noch den Undank seiner Verbündeten. Soschrieb die„Tägl. Rundschau":„Die liberale Aera ist im Anzüge, eine freisinnigeist nirgends und zu keiner Zeit verheißen worden. ES darf durch-auS als ein unverkennbarer Uebergang zu liberaleren RegierungS«maximen angesehen werden, wenn die verbündeten Regierungendem unhaltbaren MajestätSbeleidigungs- Strafrecht zuLeibe gehen, sowie Börsenreform und Reichs-Vereinsgesetz an den Reichstag bringen. Will der Freisinnfür seine nationale Augenblicksstimmung durchaus in bar bezahltsein, so ist er damit reichlich belohnt. Will er noch größereWechsel präsentieren, so hat er»ich eine ganze Reihe von Boraus-setzungcu vorher zu erfüllen. Man macht auch polittsche Geschäftenur mit leistungsfähigen Lieferanten. Der Freisinn hatsich in diesem Winter aber so sonderbare Bocksprüngegeleistet, daß mindestens noch eine Session abgewartet werdenmuß, ehe er etwa dauernd die Oualifikatton als nationalePartei erhalten kann."Der Freisinn soll sich noch mehr entwürdigen— obgleich eSden Gegenstand eines Preisrätsels bilden würde, wie das über-Haupt noch möglich wäre. Und als Preis dafür soll ihm denneine„liberale* Aera— keine steisinnige— winken, also bestenfallseine freikonservativ-nationalliberale Aera, Nichts»destoweniger wird der Freisinn bis auf weiteres seiner Politik derEntsagung treu bleiben l—Das Koalitionsrecht der Hamburger Staatsarbeiter.In der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft vom Mittwoch»abend interpellierte Genosse E. Fischer die Deputation fürHandel und Schiffahrt über die Maßregelung von drei Lohn»kommissionsmitgliedern der Staatskaiarbeiter durch den sich zumAntisemitismus bekennenden Kaidirektor Winter. Dieser all-mächtige Herr, der bei jeder Gelegenheit beteuert, ein sehr warmesHerz für die Arbeiter zu haben, hat nämlich die drei Arbeiter, dieihm die äußerst bescheidenen Lohnforderungen der Kaiarbeiterunterbreiteten, angeblich deshalb entlassen, weil die Eingabe gegendie Dienstordnung verstoßen soll. Diese Dienstordnung schreibtvor, daß der Korpsvorstand, eine nicht freigewählte Institution, zuder die Kaiarbeitcr in ihrer großen Mehrheit kein Vertrauen haben,die Wünsche der Arbeiter devotest zu unterbreiten hat. Gegeneinen so furchtbaren Verstoß fuhr der Kaidirektor, der durch dieneueste Gchaltsregulierung eine größere Zulage erhält als dergesamte Jahresverdicnst eines Staatskaiarbeiters beträgt, gleichdas schwerste Geschütz der Entlassung auf. Genosse Fischer nahmdiesen staatlichen Musterbetrieb und dessen„Spitze" beim Schopfund verlangte zu wissen, was die Deputation zu tun gedenke, umdas Petitionsrecht der Arbeiter sicherzustellen. Die Antwort derDeputation wurde ihm sofort durch den Mund des dieser illustrenKörperschaft angehörenden Großkaufmanns Eiffe zuteil: EinenVerstoß gegen die Dienstordnung können„wir" nicht dulden, ebensonicht die Einmischung„anderer* Leute. Die verlangte Lohn-erhöhung würde eine halbe Million Mark pro Jahr betragen, die„wir" nicht bewilligen können, weil erst im vorigen Herbst Lohn-eröhungen stattgefunden haben. Das Koalitionsrecht der Arbeitersoll nicht angetastet werden, der Betriebsleiter muß abervor einem Verbände warnen, der zum Kontrakt-bruch auffordert. Der Kaidirektor hat ebenso wie die Be-Hörde ein warmes Herz für die Arbeiter. Wir billigen dasVorgehen der Behörde. Nur ein einziger bürgerlicherAbgeordneter beteiligte sich an der Debatte, der' LinksliberaleDr. B r a b a n d, der die Maßregelung als einen sehr unglücklichenGriff bezeichnete.„U c b e r a l l darf der Untergebene direkt anden Vorgesetzten mit Wünschen herantreten. Ich verstehe das Ver-fahren der Behörde gegenüber dem taktvollen Vorgehen derArbeiter nicht. Die drei Leute handelten unter dem Druck desVertrauens ihrer Kollegen. Diese Maßregelung kann nur denRest der noch nicht sozialdemokratischen Arbeiter der Sozialdemo-kratie in die Arme treiben." Genosse Fischer wies noch nach, daßder Kaidirektor doch nicht ganz koalitionsfeindlich ist, denn gegendie antisemitischen Verbände wende er nichts ein.(Heiter-keit.) Billige die Behörde den russischen Standpunkt des Kai-direktors, so stehe sie auf derselben Stufe.— Das tut sie, fügenwir hinzu. Hinsichtlich ihrer Verfassungszuständc und der sozial-polittschen Anschauungen der maßgebenden Kreise rangiert diePlutokratenrepublik an der Elbe hinter Rußland.Preustische Germanisierungspolitik.Die„Posener Korrespondenz* gibt folgende Uebersicht über dieOpfer deS Schul st reikS:Als erste Opfer fielen im Wege von Verordnungen im Dienst-auffichtswege 220 Gemeindevorsteher und Schöffen, die ihres Amtesentsetzt wurden. Unter diesen befinden fich 62 Geistliche.In den Provinzen Posen und We st preußen sind wegendes Schulstteiks insgesamt 82 Geistliche zu 20 Monaten Gefängnisund Festungshaft verurteilt worden. Die verhängten Geldstrafengegen dieselben betragen 3320 M. Gegen 20 Geistliche schwebennoch Versahren. Die gegen die polnischen Redakteure wegen desSchulstreiks erkannten Geldstrafen beziffern sich auf nicht wenigerals 13 240 M., sowie auf 42 Monate Gefängnis.Außerdem wurden gegen 1420 Personen wegen SchulversäumniSihrer Kinder Strafmandate in Höhe von annähernd 18 000 M. er-lassen. Privatpersonen wurden wegen der mit dem Schulstteik inVerbindung stehender Delitte zu insgesamt 6 Jahren und 6 MonatenGefängnis verurteilt.Abgesehen von den erheblichen Gerichtskostenhat der Schulstreik den daran beteiligten Personen etwa 31 000 M.Geldstrafen und 12 Jahre Freiheitsstrafen eingebracht.Daß dadurch die widerspenstigen polnischen Elemente dem Deutsch-tum gewonnen worden seien, werden fich selbst unsere wütendstenHakatisten nicht einbilden!_Tie Zeugnisfolter von Kulmbach.Genosse Paul Schlegel in Nürnberg ist, nachdem der ihmzur Wahrnehmung eines Termins gewährte und um acht Tage ver-längerte Urlaub abgelaufen war, am Dienstagabend wieder indie Zeugniszwangshaft zurückgekehrt, um Herrn AmtsrichterFrohnauer und Herrn Spinnereidirettor Hornschuh, die absolutsehen wollen, ob die Charakterstärke eines sozialdemokratischen Re-dakteurs wirklich„bis zur völligen Erschöpfung des Zwangsmittels"aushält, weiterhin als Versuchsobjekt zu dienen. Die Haft wirdnicht in Kulmbach, sondern im Amtsgerichtsgefängnis zu Nürnbergfortgesetzt.—_Keine Amnestie.Zu dem im elfaß-lothringischen Landesausschußangenommenen Anttag auf Amnestierung der bis 1890 wegenFahnenflucht oder Verletzung der Wehrpflichtbestraften Elsaß-Lothringer teilt der„TempS" mit.daß Staatssekretär v. Köller den Abgeordneten Wetterls überredethabe, den Anttag vor dem Kaiserbesuch in Sttaßburg zurück«zuziehen, da der Zeitpunkt, einen so heiklen Antrag einzubringen,am Borabend des Kaiserbesuchcs schlecht gewählt sei. v. Köllerhabe versprochen, sich mit dem Kaiser persönlich in der Sache zuunterhalten. Der Staatssekretär scheine in der Tat seine Missionerfüllt zu haben, wenn auch ohne großen Eifer, in der Voraussichteines Mißerfolgs. Der Kaiser habe seinen Vortrag barsch mit denWorten unterbrochen:„Das gibt'S nicht*. Damit sei dieSache erledigt gewesen. Nach einer anderen LeSart sei die An-gelegenheit. wie der„Elsässer* mitteilt, überhaupt nicht vorgetragenworden. Der Staatssekretär soll den Gouverneur mit der Sachebettaut, dieser es aber nicht gewagt haben, davon zu reden. Bei derganzen Sache wird nach dem bisherigen Verlaufe nicht viel heraus-kommen. Die neugewonnenen Brüder werden eben nicht mit der