Nr. 125. 24. Jahrgang. 2, ItiliMt des Jorräft" Knlim Jloltelilall. Sonnabend, 1. Inn ! 1907. Hus Induftrlc und RandeL Mißverhältnis zwischen Löhnen und Verkaufspreisen. Dl«.Fortuna", Mtiengesellichaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation, erzielte im letzten Geschäftsjahre einen Ueberschutz von 2027119 M. gegen 1 807 254 M. im Vorjahre; der Rein- gewinn erhöhte sich von 771 Süv M. auf 1 001 558 M. und die Dividende von 7 auf 9 Prozent. Im Geschäftsbericht wird bemerkt. daß der Absatz hauptsächlich infolge Arbcitermangel und verschiedener Betriebsstörungen, die durch Neubauten, welche der Vergrößerung der Leistungsfähigkeit der Brikettsabrik dienen, beeinträchtigt worden sei. Unter Berichtigung dieser Umstände muß das finanzielle Er- gebniS doch als sehr günstig bezeichnet werden. Die Verwaltung ist aber anderer Ansicht. Sie sagt u. a.: »Durch die vermehrte Nachfrage nach Arbeitskräften erfuhren die Löhne eine sehr starke Erhöhung. Bei den für das ganze Ge- schäftsjahr getätigten Abschlüssen in Briketts war eine Preis- erböhung ausgeschlossen, so daß sich besonders in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres ein Mißverhältnis zwischen Löhnen und Berkaufspreisen ergab." Stellt man dieser Auslassung die obigen Angaben gegenüber, dann kann man sich ein Urteil über das Gerede von den übermäßig gestiegenen Löhnen bilden.—_ Viktoria, Allgemeine VerficherungS-Aktien-Gesellschast zu Berlin . Die am 29. Mai d. I. abgehaltene Generalversammlung der Aktionäre genehmigte die Verteilung deS in dem Geschäftsjahr 1906 erzielten UeberschusscS von 26186482,27 M.(gegenüber 24 594020,00 M. im Vorjahre) wie folgt: Die Aktionäre erhalten eine bare Dividende von 315,— M. pro Aktie— 52'/. Prozent und die mit Gewinn- anteil Versicherten zusammen 24 366 296,20 M. Ueber die sonstigen finanziellen und geschäftlichen Ergebnisse der Viktoria entnehmen wir dem Geschäftsbericht der Gesellschaft noch folgende Einzelheiten: Die Gesamtzahl der in allen Abteilungen eingereichten Versicherungsanträge betrug 557 890, daS sind pro Arbeitstag über 1800. Die Gesamteinnahme an Prämien und Zinsen betrug 123 777 086 M. und zeigt gegen das Vorjahr eine Vermehrung von 10 067 688 M. In der Unfall- und HaftpflichWersicherungSbranche betrug die Prämieneinnahme 12 383 273 M. Die Gesamtreserven aus allen Abteilungen betrugen 588 416 437 M. und die gesamten Aktiva erreichten die Höhe von 606 345 507 M. Der Hypolhckenbestand hob sich um 54 772 500 M. auf 521 163 310 M. In der LebenSversicherungsabteiluna belief sich der Gesamtversicherungsbestand Ende 1906 auf 3 076 248 Polizei: über eine Milliarde und 395 089 667 M. Versicherungssumme und eine versicherte JahreSrente von 914,767 M. Die Vermehrung des Lebensversicherungsbestandes gegen das Vorjahr 1905, der reine Zuwachs, betrug 179 072 Polizen über 108 933 753 M. VersicherungS- summe. Das ist der höchste Zuwachs, der bisher je in Deutschland erzielt ist. Diese Summen umfassen auch das Ergebnis der Volks- Versicherung. Der Zuwachs in der größeren Lebensversicherung allein betrug 65,5 Millionen Mark. Die Ergebnisse der Sterblichkeit in der Lebensversicherungsabteilung waren, wie in den Vorjahren, sehr günstig. Aus der Mindersterblichkeit erwuchs ein Gewinn von 3 691 134 M. Zugunsten der mit Gewinnbeteiligung bei der Viktoria Versicherten find als Dwidendenfonds Ende 1906 einschließlich der aus dem JahreSüberschuß entnommenen Zuweisungen 115 030 287,55 M. zurückgestellt und zwar für die Todesfallversicherungen(inkl. KriegsversicherungS-ReservefondS) 41 267 646,60 M., die Erlebensfallversicherungen mit Gewinnanteil 1 680 291,02 M., die Volksversicherungen 63 250 348,30 M., die Unfall- Versicherungen 3 832 101,63 M. Wie wir auS dem Geschäftsbericht weiter entnehme«, stellen sich die Verwaltungskosten auf 19 027 236,91 M., das find 15'/, Prozent der Gesamteinnahmen. Außerdem haben die Versicherten noch die Dividende für die Aktionäre aufzubringen. Bei den Arbeiterorgani sationen ist trotz der vielgestaltigeren Arbeit und trotz des größeren UmfangeS der Versicherten die Verwaltung ganz! erheblich niedriger. Rohstoffversorgung im Textilgewerie. Zeder neue Monat im laufenden Jahre bringt eine weitere erhebliche Zunahme der Rob- stoffversorgung im Textilgewerbe; auch im April hat sie wieder die vorjährige um ein Bedeutendes überholt. Bei sämtlichen Textil- rohstoffen betrug nämlich die Mehreinfuhr während deS Monats April 890 324 DoppelzeMner gegen 697 749 Doppelzentner im April 1906. Um 192 Doppelzentner oder 28 Proz. ist die Rohstoffversor- gung also gewachsen. Bon den verschiedenen Rohstoffsorten hat wie schon in den Vormonaten Baumwolle den größten Anteil an der Steigerung, während bei Wolle ein Rückgang gegenüber 1906 ein- getreten ist. Die übrigen Textilrohstoffe nahmen dagegen an der Steigerung gleichfalls teil; so stark aber wie bei Baumwolle war die Zunahme bei ihnen nicht. Die Mehreinfuhr von Rohbaumwolle betrug im April der letzten drei Jahre 325 621, resp. 281 121, resp. 404 861 Doppelzentner. Nicht allein in den beiden vorangegangenen Jahren, sondern auch bis zuin Jahre 1899 zurück hat kein April eine so hohe Versorgungsziffer gebracht wie der diesjährige. Der Berein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Jnter essen in Rheinland und Westfalen hält in Düffeldorf seine 36. Haupt- Versammlung ab. Abg. Beumer hielt einen Bortrag über daS Wirtschaftsjahr 1906/07 und begründete namens des Ausschusses folgenden Beschlußantrag:»Der Verein ist der Ueberzeugung, daß die Abmessung der für den Rhein- Herne- bezw. Rhein - Dortmundkanal geplanten Schleusen auf 10 Meter Lichl weite eine zu geringe ist und die mit Sicherheit zu erwartende BerkehrSsteigerung bald einen mit großen Kosten ver- bundenen Umbau des genannten Kanals erforderlich machen würde. An die Staatsregierung richtet daher der Verein das dringende Er- suchen, im Interesse des Verkehrs und einer wirksamen Entlastung der Eisenbahnen me Schleusen des Rhein-Herne - bezw. Rhein -Dort- mund-Kanals auf mindestens zwölf Meter lichte Weite abmeffen zu wollen." Der Beschlußantrag wurde einstimmig angenommen. Die Löhne im Papiergcwerbe machten nach den Nachweisungen der Berufsgenossenschaften im Jahre 1906 rund 65,80 Millionen Mark aus gegen 60.38 im Jahre 1905. Diese Summe entfiel 1906 auf 82 536 Vollarbeiter, im Jahre 1905 auf 80 117. Auf einen Arbeiter kamen daher im Jahre 1906 durchschnittlich 797,21 M. Lohn gegen 753,61 M. im Jahre 1905. Wie sich 1906 die Zahl der Betriebearbeiter und Lohne in den einzelnen Zweigen deS Papier- gewerbeS stellten, erhellt aus nachstehender Uebersicht: Gewerbezweig Voll- arbeiter 492 1212 47123 8 714 9 279 12 389 3 323 Lohnsumme in 1000 M. 277,13 1 197,82 37 328,55 5 907,00 6 889,35 11 783,93 2 414,24 Lumpens orsieranstalten Strohstofffabriken. Papierfabriken... Pappensabriken., Holzschleifereien.. Zellulosefabriken., Nebenbetriebe... Die Entfaltung des Großbetriebes im Papiergewerbe geht daraus hervor, daß die Lohnsummen von 27,87 Millionen Mark im Jahre 1887 auf 65,80 im vergangenen Jahre gestiegen sind, während die Zahl der Betriebe sich nur von 1245 auf 1253 erhöhte. Internationaler Baumwollkongreß. Am letzten Tage der Ver- Handlungen referierte Giovani Rippelec-Jtalien über den Transport von Baumwolle. ES wurde allgemein die Forderung aufgestellt: daß die amerikanischen Verkäufer verpflichtet werden, mit den Kon- sumente» Frachtbriefe abzuschließen, welche die vollkommene Ga- rantie der pünktlichen Lieferzeit und der Erfüllung der über- nommencil Verpflichiungen sichern. Ter kaiserliche Rat Bosch führte aus, es köune aus Belegen nachgewiesen werden, daß angeblich im November aufgegebene Baumwolle vier bis fünf Monate lang nicht an den Adressaten gelangt ist. Es komme auch vor, daß mit der Verfrachtung ganz andere Schiffahrtsgeiellschasien betraut sind, als die im Frachtbriefe angegebenen. So haben sich ganz ungesunde Ver- hältnisse im BaumwoNtransporre entwickelt, die' entichieden beseitigt werden müssen. Dem Spinner entstehen durch das bisherige unreelle Ver- fahren bedeutende Verluste, und eS sei daher notwendig, daß auch der Kongreß gegen diese Unzukömmlichkeiten Stellung nehme und eine Reform hinsichtlich der von den Schiffahrtögesellschasten ausgestellten Frachtbriefe lBauniwollkonaissements) herbcigefübrt werde. Seitens eines Redners wurde betont, daß gegen die Schiffahrtsgesellschaften, welche derartige unreelle Verhältnisse unterstützen, mit dem Boykott vorgegangen werden soll, doch wurde dieses Mittel als ungeeignet bezeichnet. Kommerzienrat Kußler hob hervor, daß durch da« jetzige System geradezu der Betrug unterstützt werde. Er pflichte den Forderungen nach Herbeiführung von Reformen bei, damit auch der Wunsch, den die Aincrikaner geäußert, daß die Spinner direkt mit ihnen in Verbindung zu treten haben, in Erfüllung gehen könne. Soziales. Streikende Kinder in der Landwirtschaft. Daß wegen unzureichender Lohnzahlung Schulkinder in einen Streik treten, ist leider eine seltene Er- scheinung. In Menz, einem Dorfe u n>v e i t M a g d e- bürg, hat sich ein solcher Fall ereignet. Von dem dortigen Gutsbesitzer Fr icke waren am Dienstag dieser Woche 20 Schulknaben aus dem benachbarten Orte Biederitz zum Rübenverziehen angenommen worden. Die Knaben hatten etwa eine halbe Stunde gearbeitet, als sie einen unter sich zu dem Gutsbesitzer sandten, um zu erftagen, wie viel Lohn er zahle. 30 Pfennige für den halben Tag— war die Antwort. Das genügte den Kindern nicht, sie legten sofort die Arbeit nieder und ent- fcrnten sich. Andern Tages begaben sie sich zum Rittergut Königsborn, um dort die gleiche Arbeit zu verrichten. Sie hatten darauf hingewiesen, daß sie bei 30 Pf. Lohn in Menz ihre Tätigkeit eingestellt hatten, worauf ihnen in Königsborn 50 Pfennig zugestanden worden waren. Das ist natürlich auch nur eine geringftigige Entlohnung. Aber sie ist immerhin um 66� Proz. besser als der niedrige Lohn von 30 Pf. Das Wort Solidarität haben diese kindlichen Ar- bciter besser begriffen als— leider— mancher erlvachsene Arbeiter.—_ Abgeblitzte Plakatplackerei gegen eine Konsumgenossenschaft. Der Lagerhalter Danziger von der Konsum- genossenschaft für Berlin und Umgegend sollte durch Ausstellung bezw. Anheftung eines Plakats i n der von ihm ge- leiteten Verkaufsstelle des genannten Vereins die§Z 10 und 41 des alten preußischen Preßgesetzes übertreten haben. Das Plakat enthielt die Mitteilung, es würden hier die gerichtlichen Formulare zum Austritt aus der Landeskirche unentgeltlich ab- gegeben. Nach Z 10 des preußischen Preßgesetzes in der Fassung, die er durch den§ 30 Abs. 2 des Reichs-Prcßgcsetzes erhalten hat, darf niemand auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten ohne polizeiliche Erlaubnis Bekanntmachungen, Plakate und Aufrufe anschlagen, an- y e f t e n. ausstellen, sowie unentgeltlich verteilen. Eine Erlaub- nis war hier natürlich nicht eingeholt worden. Da das Plakat so angebracht war, daß es von der Straße nicht gesehen werden konnte, so kam es bei der Entscheidung wesentlich mit darauf an, ob der Verkaufsraum einer Konsumgenossenschaft an sich als »öffentlicher Ort" angesehen werden könne oder nicht. Das Landgericht I verneinte im ersten Rechtszuge dies p r i n z i- p i e l l und sprach deshalb frei. Dann hob das K a m m e r- g e r i ch t dies Urteil auf und verwies die Sache zu nochmaliger Verhandlung an da? Landgericht zurück. Das Kammergericht meinte, es wären auch WirtschaftSgenoffenschaften denkbar, die wegen ihrer Größe und ihrer Organisation keinen geschlossenen Personenkreis darstellten und nicht als geschlossene Gesellschaft gel- ten könnten, was unter Umständen den Verkehr in ihren Verkaufs- stellen als öffentlichen erscheinen lassen könne. Das Landgericht erkannte demnächst aber wieder auf Freisprechung und führte aus: Die Konsum- genossenschaft für Berlin und Umgegend verfolge den Zweck der Hebung der wirtschaftlichen Lage ihrer Mitglieder. Jeder Genosse müsse einen Geschäftsanteil in Höhe von 30 M. erwerben und hafte bis zu 30 M. Die Aufbewahrung und der Verkauf der Waren er- folge in verschiedenen Filialen, von denen der Angeklagte die in der Gartenstraße verwaltete. Der Kundenkreis dieser Verkaufs- stelle bestehe aus etwa 100 Genossenschaftsmitgliedern. Täglich verkehrten 15 bis 20 dieser Kunden(die Genossen oder ihre An- gehörigen) in dem Laden. N i cht m, tg l i e d e r n sei der Zu- tritt verboten. Es sei gerechtfertigt, anzunehmen, daß es sich bei dem Plakat um eine nicht öffentliche Ankündigung handelte. Die Genossenschaft zähle allerdings im ganzen 4600 Mitglieder, und prinzipiell wäre es auch nicht ausgeschlossen, daß ein größerer Teil von ihnen in der Verkaufsstelle in der Gartcnstraße Zutritt erhalte. Tatsächlich aber werde die Verkaufsstelle nur von den in der Gegend wohnenden Mitgliedern benutzt. Der Kundenkreis von 100 Mitgliedern sei also ein räumlich begrenzter und der Zusammenschluß in diesem Kreise sei ein ziemlich enger; jedenfalls ein engerer, als in den zahlreichen Vergnügungsvereinen, die als geschlossene angesehen würden. Auch sei der Verkehr in dem Verkaufsraum als abgeschlossener anzusehen. Das wirtschaftliche Band der Hebung der Lage der Mitglieder müsse auch die Ehe- frau, die Kinder und die Dienstboten mit berühren. Wenn diese ebenfalls den Raum betraten, dann könne ihm daS also auch nicht öffentlichen Charakter verleihen. Die Oeffentlichkeit des Raumes müsse demnach verneint werden. Damit falle die Anklage. Die Staatsanwaltschaft legte wieder Rebi- s i o n ein. Das Kammergericht verwarf aber diesmal die staatsanwaltliche Revision als unbegründet und führte kurz aus, daß das Landgericht jetzt ohne Rcchtsirrtum die Oeffentlich- keit verneint habe.— Ist die Staatsanwaltschaft derselben irrigen, bislang ledig» l i ch Arbeitern gegenüber angewendeten Ansicht wie das Kammer- gcricht, daß ein geschlossener Verein durch seine Größe den Cha- rakter einer geschlossenen Gesellschaft oder eines Vereins verlieren könne, so ist nicht erfindlich, weshalb sie bislang noch nicht gegen die großen wirtschaftlichen Bereinigungen von Offizieren, Beamten, Flottenphantasten und Bauernfängern die strafrechtlichen Konse- quenzen auS ihrem Rcchtsirrtum gezogen hat. Es ist dringend er- forderlich, derartigen Exzessen juristischer falscher Begriffsformu- lierung ausdrücklich durch Rcichsgefetz entgegenzutreten. Klingt ein Rechtssatz:»Ein Verein bleibt ein Verein, auch wenn er groß ist", auch seltsam, so ist dieser kasuistische Weg zur Verhinderung von Belästigungen straffreier Taten durch Gerichte und Anklage- behörden doch dringend geboten. Wo mühsam erkämpfte RechtS- sätze durch Organe ausgelegt werden� deren politische Anschauung der Strömung feind ist. die zur Festsetzung von Rechtssätzen durch das Gesetz geführt haben, ist eben der Weg der Kasuistik unver- meidlich» Ein Miisterlehrer. Der Lehrer U ll d a g aus Käterhagen bei Bützow in Mecklen« bürg stand am DienSlag vor dem Schöffengericht in Bützow unter der Anklage, den Knaben Kagewsky, der von dem Land- arbeitshause dem Händler Haase in Käterhagen in Pflege gegeben ist, an: 29. November v.J. mit einen» Hammer hinten auf den Kopf geschlagen zu haben, so daß eine tiefe Wunde entstanden sei und ärztliche Hülfe in A n s p r u K genommen werden mußte. Den Anlaß dazu hatte der Umstand gegeben, daß die Kinder nach Ansicht des Lehrers nicht schnell genug aus dem Hofe in den Schulraum traten. Der Angeklagte gebrauchte die Ausrede, er habe den Hammer„nur" in den Rücken gesetzt und etwas nachgeschoben. Dabei habe der Knabe sich mit dem Kopf gewendet und sei gegen den Hammer ge- rannt. Diese Ausrede wurde in der Beweisaufnahme als solche gelennzeichnet. Der Pflegevater des verletzten Knaben' bekundete noch über mehrere Mißhandlungen durch den angeklagten Jugenderzieher. Einmal sei dem Knaben der Unterleib einei, halben Finger lang aufgerissen gewesen, so daß sie befürchtet hätten, die Ver- letzung könne tödlich verlanfen. Aus Befragen des Knaben, wie er dazu gekommen sei, habe er gesagt, der Lehrer habe ihn über die scharfe Kante der Schulbank gerissen, dadurch sei die Wunde ent st an den! Ein Erbpächter, der als Zeuge vernoiimicil wurde, sagte auS, er habe seinem Jungen ben Rücken nachgesehen, dieser habe schwarz und blau ausgesehen. Seine Tochter habe vor 1'/, Jahren ein Ohrenleidcn gehabt, die Kinder hatten zu ihm gesagt, der Lehrer habe die Kleine mit dem Kopfe auf den Schultisch ge st an cht. ES wurden noch einige Mütter vernommen, welche ebenfalls Roheiten des Lehrers bezeugten, die von dem Lehrer an ihren Kindern verübt worden seien. So wurde bezeugt, daß vielfach den Kindern das Genick durchgekniffen und gekratzt sei. Der Amtsanwalt betonte, nach dem Attest des Arztes sei die Wunde geschlagen, könne auch durch ein scharfes Gcgenrennen entstanden sein, letzteres sei aber bei dieser Geschichte gänzlich anSgeschlossen. Der Lehrer habe einfach zugeschlagen, er sei schon so oft verwarnt ivorden, er hätte sich also mäßigen können. Er beantrage— sechzig Mark G e l d st r a f e. DaS Gericht erkannte— auf vierzig Mark Geldstrafe. Das Vorkommen derartiger entsetzlicher Roheiten und die außer- ordentlich milde Bestrafung des ManneS, der entweder ins Irren- hauS oder auf lange Zeil ins Zuchthaus oder in daS Gefängnis, aber nicht in die Schule als Lehrer gehört, zeigen, daß daS System der Mißhandlung der Arbeiterkinder in das herrschende System hineinpaßt. Ein Lehrer, der durch Schläge erziehen will, ist zur Erziehung unfähig. Ein Lehrer, der mißhandelt, um zu mißhandeln, gehört ins Zuchthaus, weil er sein Amt zur Mißhandlung wehrloser ihm Anvertrauter mißbraucht. Aber eS wäre unbillig, für das P r ii g e l s y st e m allein den Lehrer verantwortlich zu machen. Die jämmerliche Besoldung, die niedere Stellung, die ihm die Verwaltung zukommen läßt, nicht minder die ungenügende Vorbildung folvie daS Vorbild feiger Mißhandlungen auf Gutshöfen und in Kasernen tragen eine größere Schuld als der einzelne Lehrer. Gerade die niedrige, menschenunwürdige Entlohnung der Volksschullehrer zeigt, daß die herrschende Klasse brutal genug ist, die Schule nicht zur Entwickelung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder des Volkes' anzulvcnden, sondern dazu zu mißbianchen, daß an Geist gebrochene, willige menschliche Arbeitsmaschinen der herrschenden Klasse herangezogen werden. Den Kampf gegen dies Kinder verwüstende, ihre geistigen Fähigkeiten unterdrückende System führt leider allein die Sozialdemokratie. Schaut es etwa in Preußen besser als in Mecklenburg auS? Atmet nicht das preußische Volksichulgesetz denselben Geist der Kulturlvidrigkeit? Ist nicht in zahllosen Fällen das Oberverwaltungsgericht selbst der solche feigen Brntalitäten gegen Kinder milde strafenden preußischen Justiz auf Grund des Kompetenzkonflikts in den Arm gefallen? Hat das preußische Kultusministerium nicht die Schließung von Kinder» gärten verfügt, die der geistigen und körperlichen Pflege von Kindern dienten? Hat der preußische Kultusminister, haben preußische Ver- wallungSbehörden sich nicht gegen»zu hohe" Besoldung von Volks- schullehrern gewendet?_ Agrarische und mittelständlerische llcbcreinstimmung. Erhöhten Schutz für minderjährige Arbeiterinnen fordern fast gleichzeitig die hannoversche L a n d w i r t s ch a f t S k a m m e r und der zwölfte Gast Wirtetag des Nordwest» deutschen WirteverbandeS. Erster« beschloß auf ihrer jüngsten Sitzung, dahin vorstellig zu werden, daß weibliche Personen unter einem Alter von 18 Jahren in der Gesundheit schädlichen Fabrikbetrieben nicht be» s ch ä f t i g t werden dürfen, letzterer forderte aus seiner Tagniig am Dienstag in Minden ein gesetzliches Verbot der Beschäftigung junger Mädchen unter achtzehn Jahren in Fabriken oder ähnlichen Betrieben. Die Gastwirte sind also den Agrariern in bczug auf Arbeiterinnen« schütz noch um mehr als Nasenlänge voraus.— Woher nun dieser plötzliche arbeiterinnenfreundliche Neformeifer, diese Besorgnis um die Gesundheit junger Mädchen und noch dazu in Kreisen, die bislang gegen das Eingreifen des Staates in das wirt» schaftliche Getriebe mit Händen und Füßen sich sträubten? In beiden Fällen war die zum Beschluß erhobene Forderung daS Ergebnis einer Besprechung— über die.Leutenot". Hier wie dort beginnt es nämlich an den billigen und willigen weiblichen Arbeitskräften zu mangeln. Anstatt nun aber bei sich selber Einkehr zu halten und Arbeitsbedingungen zu schaffe», die den jungen Mädchen den.Dienst" bei den Land» bezw. Gastwirten begehrenswerter erscheinen lassen als die Schufterei in den Fabriken, wollen diese sonderbaren Arbeiterinnenfreunde durch ein g e s e tz- liches Verbot der Fabrikarbeit die jungen Mädchen in; das Sklavenverhältnis des Gesindedienstes zwingen. DaS Wohl« ergehen, die Gesundheit junger Arbeiterinnen kümmert die Gastwirte und die Agrarier den Teufel, wenn sie nur billige Gesindesklaven in genügender Anzahl bekommen. Jedermann weiß, welch unverschämt hohe Anforderungen in jenen Kreisen in der Regel an die jugend- lichen weiblichen Arbeitskräfte gestellt werden, wie brutal, weg- werfend ihre Behandlung und wie erbärmlich ihre Bezahlung ist. Daher die.Leutenot". Sie ist das notwendige Produkt der Not der Leute. Gewähre man den jungen Mädchen eine geregelte, nicht überlange Arbeitszeit, behandele man sie wie gleichberechtigte Menschen und zahle man ihnen einen anständigen Lohn— und die .Leutenot" wird der Vergangenheit angehören. Mit Zwangsmitteln erreicht man gar nichts.__ Zum Gesindc-llnrecht. Vor dem Schöffengericht in Lützow in Mecklenburg wurden am Dienstag, wie wir unserem Rostocker Bruderorgan entnehmen, einige Fälle verhandelt, die von der Rechtlosigkeit der ländlichen Arbeiter m Mecklenburg beredtes Zeugnis ablegen. Angeklagt war im ersten Fall der Tagelöhner Renbasch auS Selow loegen.Dienstvergehens". Der Angeklagte wohnte mit seiner Frau zu Kurzen-Trechow. Er erklärte, er habe 1 Marl 20 Pfennige pro Tag verdient, er habe alles kaufen müssen. er hätte zweifellos noch mit seiner Frau und den vier Kindern verhungern und erfrieren müssen. Er sei deshalb zu R. von Plessen gegangen und habe ihn gebeten, er möchte ihm doch den EntlassungS« schein geben. Dieser habe ihn jedoch fortgejagt. Er sei aber» n,als zu R. v. Plessen gegangen und gebeten, er möchte ihn den Schein geben. R. v. Plessen habe ihn gepackt und dreimal
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten