9t. 129. A. Zchgavg. L KtilM des Jormärts" Kerlim giilMliiH. Jotinetätas, 6. Zml 1907. „Aus dem KIMchen Lande des Kuhhandels". Suwffe F. I. Ehrhart» Ludwigshafen bittet unL vm Aufnahme folgender Zeilen: In seiner Besprechung der bayerischen Landtagswahlen sagt der.Vorwärts" neben anderem Unzutreffenden folgendes: .. Jetzt waren getreu dem Beschluß des Schweinfurter Parteitages keine Kompromisse geschlossen. Mit einer bedauerns- werten Ausnahme: im klassischen Lande des Kuhhandels, in der Pfalz , scheint in letzter Stunde zwischen Zentrum und Sozial- demokratie für Germersheim und Kaiserslautern — beides zwei- männige Mandate— ein Wahlabkommen getroffen zu sein. Wir warten di« Bestätigung dieser von der bürgerlichen Presse ge- brachten Nachricht ab. Sollte sie zutreffen, so werden die baye- rischcn Genossen dafür zu sorgen haben, daß einstimmig gefaßten Parteitagsbeschlüssen strikteste Rechnung getragen wird." Diese Ausführung ist in allen Teilen unrichtig; sie muß die pfälzischen Genossen, zu denen auch ich mich zähle, aufs schwerste verletzen. Wir glaubten in Anbetracht unserer monatelangen auf- reibenden Tätigkeit eine andere Behandlung erwarten zu dürfen. Wollte man unsere Arbeit nicht anerkennen, so brauchte man uns wenigstens nicht zu prügeln. Da uns nicht gleichgültig ist, wie unsere deutschen Genossen über uns denken, so mag die geehrte Redaktion des„Vorwärts" mir eine Richtigstellung der Dinge in der Pfalz gestatten. Bis heute sind wir noch nicht im Besitze des amtlichen Resul- tatS über die Germersheimer Wahl, bei der ein Kuhhandel zwischen uns und dem Zentrum abgeschlossen gewesen sein soll. Heute noch besteht Zweifel, ob das Zentrum— inzwischen ist ein? der Mandate durch das LoS dem Block und das andere mit 4 Stimmen Mehrheit dem Zentrum zugefallen— oder der Block Besitzer der beiden Mandate ist. Fest steht nur, daß beide Parteien gleich stark sind. Würde der„Vorwärts", statt die Blockmär von einem Kuhhandel sofort unbesehen für bare Münze zu nehmen, die Güte gehabt und die früheren Wahlresultate aus diesem Kreise einer wenn auch nur flüchtigen Prüfung unterzogen haben, so hätte sich für ihn von selbst ergeben, daß er keine Ursache gehabt hätte, seinen bayerischen Siegesgenuß sich selbst zu vergällen. Es hätte ihm die Erkenntnis aufdämmern müssen, daß, wenn die Sozial- demokratie den schweren Disziplinbruch, der ihr unterschoben wird, wirklich begangen, auch die Entscheidung über die Wahl sogleich unzweifelhaft fallen mußte. Mindesten? hätten unserem Zentral- organ Zweifel aufstoßen und es veranlassen müssen� uns zur Recht- fertigung aufzufordern. Es hätte alsdann nicht nötig gehabt, dem Block in seiner Not Hülfsdienste gegen die Pfälzer Genossen zu leisten. Aehnlich liegen die Dinge im Wahlkreis. Kaiserslautern . Dem „Vorwärts" mußte einleuchten, daß, wenn wir auch nur den Ge- danken an ein Kompromiß mit dem Zentrum gehabt, wir uns nicht der Unannehmlichkeit einer Doppelwahl ausgesetzt hätten, die bei einem Kompromiß sicher gewesen wäre. Ich habe nicht den Beruf, im Namen der Provinzpresse zu reden, aber eS dürfte nicht unbescheiden sein, wenn ich das Be- dauern ausspreche, wenn unser Zentralorgan seine Informationen nur auf wenige große Parteiorgane beschränkt und die armen kleinen Provinzorgane, die da auch noch leben und kreuchen, völlig ignoriert. Das macht sich besonders bei Wahlkämpfen unangenehm bemerkbar. So erscheint auch in der Pfalz ein sozialdemokratisches Blatt,„Die Pfälzische Post"; hätte der„Vorwärts" demselben, wenn auch nur zuweilen, einige Beachtung geschenkt, so konnte er aus der ganzen Art des Wahlkampfes, besonders aus dem Gebaren der Blockkanbidaten, leicht ersehen, daß Ueberraschungen, veranlaßt durch diese selbst, in der Pfalz nicht ausgeschlossen waren. Er hätte auch bemerken können, daß der Wahlkampf genau wie im rechts- rheinischen Bayern , dem Schweinfurter Beschlüsse entsprechend, auch von uns geführt worden ist. Wäre der„Vorwärts" nicht allzu sehr textlich belastet, so würde ich gerne den Versuch machen, ihm den Ausfall der Wahlen in der Pfalz in seinen Einzelheiten zu er- läutern. Die Parteileitung der Pfalz hat kein Kam» promiß abgeschlossen. Ich hoffe, daß der„Vorwärts" dieser meiner Angabe auch ohne notarielle Beglaubigung ebensoviel Glauben beimißt, wie der Blockpresse. Es ist sicher, daß, wenn wir die Absicht, einen Kuhhandel abzuschließen gehabt und einen Partner dazu gefunden, wir wahrscheinlich die doppelte Anzahl Mandate erhalten und den Block gründlich gesprengt hätten. Für letzteres bestand in weiten Parteikreisen, die dem Block gerne für sein unerhörtes Treiben bei der letzten Reichstagswahl gegen uns die Quittung ausgestellt hätten, eine starke Neigung. Bei der vorigen Wahl hatten wir in der Pfalz 6 Mandate. Durch die neue Kreiseinteilung konnten wir als sicheren Besitzstand nur die beiden Ludwigshafener Kreise betrachten. Weil wir zu diesen noch den Wahlkreis Kaiserslautern , der als unsicher gehalten wurde, erobert haben, werden nun von unserem Zentralorgan gegen uns die schwersten Anschuldigungen des Disziplinbruches erhoben, die sich auf nichts anderes als auf das Verlegenheitsgeheul des herein- gefallenen Blocks gründen. Das ist ungerecht, ist nicht Partei- genössisch. Als das„klassische Land des Kuhhandels" bezeichnet der„Vor- wärts" die Pfalz . Mir ist unerklärlich, welchem Umstände wir diese Ehre verdanken. Wurden Wahlvereinbarungen getroffen, so geschah das meines Wissens nie in der Pfalz allein. Der„Vorwärts" sagt in dem angezogenen Artikel selbst, daß unter dem jetzt begrabenen„vorsintflutlichen Wahlmannersystem einfach keine Wahl mehr ohne Kompromiß zustande kommen konnte", und er hat damit das richtige getroffen. Nur durch die Kom- promisse haben wir die bürgerlichen Parteien zur Wahlreform ge. zwungen. Wären wir frei von solchen geblieben, so hatten wir heute noch das alte Wahlgesetz, wären aber auch auf emen einzigen Sitz aus eigener Kraft im bayerischen Landtag angewiesen. Glück- licherwcise hat der Kuhhandel in der Pfalz seinen Zweck erreicht; wehe uns, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Der„Vorwärts" denunziert uns arme pfälzische Sünder als Parteistaatsanwalt den bayerischen Genossen zur Aburteilung, hoffend, daß diese uns gnädigere Richter sind als der„Vorwärts", atmen wir erleichtert auf, denn sie werden unS nicht auf Grund der Indizien der Blockpresse richten. Genosse Ehr hart wirft dem„Vorwärts" Ungerechtigkeit gegen die Pfälzer Genossen vor. wird aber selbst in seinen Aus« führungen ungerecht gegen den„Vorwärts". Wir haben die Pfälzer Genossen nicht blindlings auf eine Blockmär hin be- schuldigt. Sondern wir haben lediglich unsere Pflicht, die Partei- genossen zu informieren, erfüllt, als wir von der Behauptung der Blockpresse, die zudem noch gestützt wurde durch Aeußerungen eines ZentrumSblatteS, des„Bayerischen Kuriers". Notiz nahmen. Als erwiesen haben wir die liberale Beschuldigung nicht hingestellt— wir haben ausdrücklich bemerkt, daß abzuwarten sei, ob sie sich bestätigen werde. � Der weitere Vorwurf des Genossen Ehrhart, daß der„Vorwärts" lediglich die größeren Parteiblätter berücksichtige, trifft auch nicht zu— wir könnten zum Gegenbeweis eine Menge von Notizen und Artikeln des„Vorwärts" anführen. die kleineren Parteiblättern entnommen worden sind. Und so hat denn auch gerade in diesem Falle der„Vorwärts" schon die An- schuldigung des Genossen Ehrhart am selben Tage widerlegt, als sie in Ludwigshafen niedergeschrieben wurde. Am 4. Juni hat Genosse Ehrhart seinen Artikel verfaßt, am selben Tage haben wir die in der Mittwochsnuinmer erschienene Notiz„Kaiserslautern— fiBermersbeim" aeschrieben, die die Erklärungen der„Pfälzischen IPost", unseres Ludwigshafener Parteiblattes, zu der Block- beschuldigung bringt. Wenn wir sie nicht schon früher „gebracht haben, so geschah es, weil wir genauere Angaben gewünscht hätten, die die„Pfälzische Post" leider noch immer nicht gebracht hat. Namentlich fehlen— auch heute noch— die Angaben über die Stimmen, die die Sozialdemokratie im Kreise Germersheim erhatten hat und die ja am besten nachweisen müssen, daß eine Zurückziehung der sozialdemokratischen Kandidaturen oder eine Abwanderung sozialdemokratischer Wähler ins Zentrumslager nicht stattgefunden hat. Dieser Nachweis ist auch heute noch nicht überflüssig. Denn so wenig wir Zweifel in die An- gaben des Genossen Ehrhart setzen, schon um der Blockpresse willen ist genaueste Aufklärung nötig, zumal ein Zentrumsblatt, der rische Kurier", schreibt, daß eine Zurückziehung „Bay d er s ozialdemokratischen Kandidatur in Germersheinr erfolgt sei. Uebrigens ist die Beweisführung des Genossen Ehrhart nicht ganz stichfest. Die Doppelkandidatur würde nichts gegen ein Kompromiß beweisen, das erst im letzten Momente zustande gekommen wäre, wo ein Kandidatenwechsel nicht mehr möglich war. Und der Um- stand, daß der eine Zentrumskandidat dieselbe Stimmenzahl wie der Blockmann erhielt, wäre ebenfalls mit einem„Komproniiß" nicht unvereinbar. Anstatt sich über den„Vorwärts" zu beschweren, sollte Genosse Ehrhart lieber dafür sorgen, daß in der ihm nahestehenden Parteipresse klipp und klar der Nachweis geführt würde, daß die Genossen in GermerSheim ihre volle Pflicht getan haben,— am besten durch Gegenüberstellung der bei dieser und der letzten Wahl abgegebenen Stimmen. Wie notwendig das ist, mag Genosse Ehrhart daraus ersehen, daß z. B. in den liberalen„Münch. Neuesten Nachr." im Mittwoch-Vorabendblatt noch ganz unverblümt behauptet wird, die „Sozialdemottaten hätten wie ein Mann in Germersheim für die beiden Zentrumskandidaten und nicht für ihre eigenei» gestimmt." Solche Behauptungen— wie falsch sie immer sein mögen— Wider- legt man am besten und richtigsten durch Zahlen und nicht durch unmotiviertes Entrüstungsgeschrei über das Zentralorgan, das diese Dinge besprechen mußte und immer noch gern sich weiter be- lehren läßt._ Der Kampf im Bäcfccrgcwerbe. Es war ein schöner Traum der Jnnungsführer, daß die Erfolge des Streiks und des Boykotts durch das Vorgehen des Hefeshndikats zunichte gemacht werden würden. Obgleich der Hejeboykott von denen, die er treffen sollte, vollständig überwunden ist, hält man im Jnnungslager immer noch an der Hoffnung fest, die Bäckermeister, welche an der Bewilligung der Gesellenforderungen ftsthalten, durch die Hefesperre zum Wortbruch zwingen zu können. Bürgerliche Blätter berichten über eine Versammlung der Hefehändler, welche am DienStag im Anschluß an eine Versammlung des Arbeitgeber- Schutzverbandes für das Bäckergewerbe statt- fand. Dort haben die Hefehändler beschlossen, die Material- sperre gegen die Bäckermeister, welche bewilligt haben, stritte durchzuführen. Man glaubt, der Bäckerverband werde nicht in der Lage sein, dauernd Hefe liefern zu können. Es ist ja begreiflich, daß Jnnungsmeister und Hefehändler von der Hoffnung, die sie auf die Materialsperre gesetzt hatten, nicht lassen mögen. Aber nur noch ein Weilchen und auch die zuversichtlichsten Schwärmer für die Materialsperre werden zugeben müssen, daß diese Maßregel ein Schlag ins Wasser war. Der Bäckerverband ist in der Lage, Hefe dauernd liefern zu können und zwar mehr, als die Bäckerineister, die bewilligt haben, brauchen können. Die wenigen Bäckermeister, welche sich am Sonn abend durch die drohende Hefesperre schrecken ließen und ihre Be- willigung zurückzogen, haben die Forderungen längst anerkannt. Das ist der beste Beweis, daß selbst ängstliche Gemüter die Hefe- sperre nicht mehr fürchten. Der Schutzverband der Bäckermeister soll beschlossen haben, die vom Boykott der Käufer betroffenen Bäckermeister in weitgehendster Weise Unterstützungen zur Verfügung zu stellen.— Wenn damit gesagt sein soll, daß die von den Käufern boykottierten Bäckermeister für ihre geschäftlichen Verluste schadlos gehalten werden sollen, dann dürfte der Schutzverband, falls er an die Ausführung seines Unterstützungsbeschlusses geht, bald einsehen, daß er sich eine unerfüllbare Aufgabe gestellt hat. Die vom Boykott betroffenen Bäckermeister sehen ihren Warenabsatz zusehends schwinden, während diejenigen, welche bewilligt haben, ihre Betriebe fortgesetzt der- größern. Sie beschäftigen bereits erheblich mehr Gesellen wie vor dem Streik und gestern sind wieder 90 Gesellen bei solchen Meistern, die schon längst bewilligt hatten, neu eingestellt worden. Gestern und vorgestern sind etwa 80 neue Bewilligungen erfolgt, so daß jetzt etwa 860 Bäckermeister die Forderungen anerkannt haben. Gegen 800 Gesellen sind noch als Streikende eingezeichnet. Gestern wurde ihnen die Streikunterstützung im Betrage von 7000 M. ausgezahlt. Die Bäckermeister, welche sich weigern, die Forderungen zu er- füllen, wissen anscheinend immer noch nicht, woher sie arbeitswillige Gesellen nehmen sollen und deshalb greift man zu allen möglichen AuShülfSmitteln. Ein in der Chorinerstraße wohnender, beim Postamt 54 angestellter Briefträger, der gelernter Bäcker ist, hat Urlaub nachgesucht und auch erhalten, um bei einem Bäckermeister als Arbeitswilliger tätig zu sein. Hier ist die Frage am Platze: Wie kommt der Leiter des Postamtes dazu, einen Beamten aus solchen Gründen zu beurlauben? Ueber die Volksversammlungen am DienStag gingen unS noch nachträglich einige Berichte zu. Im Lokale„K ö n i g s h o f" in der Bülowstraße war der Saal überfüllt. Ottilie Baader schilderte in beredten Worten den Kampf im Bäckergewerbe und forderte die Frauen aus, als Konsu- mentinnen, als Käuferinnen den Kampf der Bäckergesellen für Ver- besserung ihrer elenden Lage kräftig zu unterstiitzen. Im„Markgrafensaal' am Markgratendamm tagte eine überwiegend von Frauen besuchte Versammlung. Referent war Genosse Hildebrandt, der seine Aufgabe unter lebhaftem Beifall erledigte. In der regen Diskussion gab ein Redner be- kannt, daß die Bäckerei- Genossenschaft am Freitag, den 7. Juni, Caprivistraße 3 eine Filiale eröffnet und daß Bestellungen auf Back- wäre schon jetzt daselbst sowie in der Verkaufsstelle de? Berliner Konsumvereins entgegengenommen werden. In Baumschulenweg hatten sich 600 Personen, größten- teils Frauen, eingefunden. Der Referent Genosse R e h b e i n be- leuchtete die Situation im Bäckergewerbe. An der Diskussion be- teiligte sich auch ein Bäckermeister, der den ablehnenden Standpunkt der Meister vertrat, von anderen Rednern sowie vom Referenten aber unter lebhaftem Beifall der Versammlung widerlegt wurde. In Reinickendorf , wo etwa 500 Personen an der Ver- sammlung teilnahmen. Genosse Kahl aus Hamburg , der als Vorstandsmitglied des Bäckerverbandes in der Lage war, den Kampf der Säckergesellen mit gründlicher Sachkenntnis zu schildern, erntete reichen Beifall. Ein Bäckermeister, der in der DiSkusfion sprach, meinte, er würde die Forderungen der Gesellen wohl unterschreiben, aber die Innung verbiete eS ihm. Dem Manne wurde geantwortet, er brauche sich diesen TerroriSmuS der Innungen nicht gefallen lassen. In einigen Versammlungen wurde von Diskussionsrednern aus- geführt, daß die Backwarenhändler scharf kontrolliert werden müssen. weil sie oft von mehreren Bäckern zugleich Ware nehmen und deS- halb die Möglichkeit vorliege, daß man beim Händler trotz des Be- willigungsplakates Ware von nicht bewilligt habenden Bäckermeistern bekäme. Hier müßten die Frauen besonders wachsam sein. Berichtigung. Bäckermeister Modrow, Reinickendorf , Grüner Weg 51—52, teilt mit, daß er nicht der Modrow ist, bei dem ein Töpfer als Streikbrecher arbeitet. Dies bezieht sich vielmehr aus einen anderen Modrow. polnischer GelKlmimndsprozel). Vor dem Landgericht in Beuthen (O.-S.) spielte sich wiedet einmal einer der bekannten polnischen Gehelmbundsprozesse ab. Diesmal waren es zur Abwechselung einmal die Mitglieder eines polnischen Turnvereins(Sokol), welche sich gegen die ZZ 110, 129, 130 des Reichsstrafgesetzbuches vergangen haben sollten. Sie sollen an einer Verbindung teilgenommen haben, zu deren Zwecken oder Beschäftigung gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ferner sollen sie in einer den öffentlichen Frieden ge- fährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewalt- tätigkeiten gegeneinander öffentlich airgereizt und öffentlich zum Ungehorsam gegen Gesetze und behördliche Anordnungen aufgereizt haben. Elf Arbeiter und Handwerker im Alter von 22 bis 35 Jahren hatten sich deshalb zwei Tage lang vor dem genannten preußischen Gericht zu ver- antworten. Sie waren kürzere oder längere Zeit Mitglieder Lczw. Vorstandsmitglieder des„GymnastischenVereins Falke" in RoSdzin, einem oberschlesischen Fabrikdorf gewesen. Dieser Verein bestand schon seit 1898 und hatte»ach seinem Statut den Zweck, körperliche Uebungen sowie Gesang und Musik zu pflegen, ebenso Vergnügen und Geselligkeit. Es hieß zunächst im Statut:„Politik ist ganz ausgeschlossen." Wie gefährlich für das Staatswohl dieser Verein war, zeigt u. a. der Umstand, daß die G r ü n d n n g s> Versammlung mit einem begeisterten Hoch auf den deutschen Kaiser und den Pap st geschlossen wurde I Als die polnisch-nationale Bewegung, die Frucht der unheilvollen preußischen Polenpolitik, auch nach Ober- schlesien hinüber griff, erschien der RoZdziner Turnverein der Polizei gefährlich. Seit 1902 behandelte die Polizei den Verein als einen polittschen; das führte zunächst zu allerlei Konflikten, bis sich die Mitglieder fügten und dann auch konsequenterweise den Passus im Statut:„Politik ist ganz ausgeschlossen" strichen. Das wurde in der Anklage nunmehr als besonders belastend für die An« geklagten betrachtet. Im wesentlichen sollten die Angeklagten ihre„schweren Ver- brechen" gegen die Ordnung und Sicherheit des preußischen Staates begangen' haben durch Veranstaltung von Vorträgen, Deklamieren von Gedichten und Singen von Liedern aufreizenden Inhalts. Außerdem sollten sie durch ihre Verbindung mit ausländischen polnischen Turnvereinen noch das preußische Vereinsgesetz verletzt haben. Die Angeklagten bestritten sämtlich ihre Schuld. Zu ihrer Ueberführung wurde von der Anklagebehörde eine Unmenge Belastungsmaterial herangeschleppt. Hohe Stapel von Akten ivaren neben dem Richtertische aufgehäuft, enthaltend die Protokolle der Vereinsversammlungen und die Berichte des über- wachenden Beamten über die Verhandlungen im Verein. Der Hauptzeuge, Polizei>v acht», ei st er Gohla in RoSdzin, muß über mehr wie hundert Vereinsversammlungen, die er seit 1902 überwachte, aussagen. Zu seiner„Jnfor- mation" läßt das Gericht den Zeugen vor der Schilderung jeder einzelnen Versammlung er st genau den erstatteten schriftlichenBeri cht studieren. Der Einspruch der Verteidiger, die in solchem Verhalten eine Verletzung des Grundsatzes deS mündlichen Verfahrens vor Gericht sehen, wird vom Gerichtshof zurückgewiesen. Etwa sechs Stunden lang trägt dann der Polizeibeamte dem Gericht vor, ivas in den Vereinsversamm« klingen nach seinen Aufzeichnungen verhandelt wurde. Er muß von vornherein auf Vorhalt der Verteidigung erklären, nichts Positives dafür anführen zu können, daß die Angeklagten in ihrem Verein den Zweck verfolgten, das polnische Reich lvieder her- stellen zu wollen. Er ist nicht in der Lage, bestimmte Worte aus den Reden anzuführen, sondern kann nur allgemeine Eindrücke auS den Versammlungen wiedergeben, die allerdings zu der Annahme führen mußten, das man solche Zwecke im Auge hatte. Von der Verteidigung wird der Zeuge auf den Unterschied zwischen der Tendenz des Vereins, mit gesetzlichen Mitteln daS polnische Nationalgefühl, die Sprache usw. zu pflegen und der von der Anklage betonten Tendenz, durch un- gesetzliche Mittel die Wiederherstellung des polnischen Reiches zu erlangen, hingewiesen. Der Zeuge gibt zu, daß im Verein lvieder- holt eine solche Absicht bestritten wurde, doch sei das nach seiner Eriimerung erst geschehen, als die Untersuchung eingeleitet wurde. Darüber, weshalb man fünf Jahre lang gewartet habe, ehe man aus den Berichten des Zeugen die nun behaupteten schweren Vergehen heraus- gefunden habe, konnte der Zeuge keine Auskunst geben. Nach den Aussagen des Zeugen wurden in den Vereinsversammlungen. an welchen regelmäßlg auch Gäste teilnahmen, Artikel verlesen und Gedichte vorgetragen, welche die Leiden Polens , seinen früheren Glanz und Ruhm schilderten und zum Kämpfen aufforderten, um Erfolge zu gewinnen, die Ketten des polnischen Volkes zu zerreißen, das Vaterland aufzurichten, Polen zur Freiheit zu führen usw. Bei einem Turnspiel erhob ein Mitglied betend die Hände mit den Worten„Gott erlöse Polen", während andere die Bilder der polnischen Könige küßten. Die Anklage sieht in all dem den Beweis, daß die Angeklagten nicht nur ihre polnische Sprache ukw. pflegen wollten, sondern die LoSreißung preußischen Staatsgebietes zur Meder- Herstellung Polen » wollten. Die Angeklagten bestreiten zum Teil die richtige Wiedergabe der Artikel und Gedichte wie das Singen verbotener Lieder und verneinen entschieden, an die Wiederherstellung deS polnischen Reiches gedacht zu haben. Auf die Frage des Vorsitzenden an einen der An- geklagten, an welchen Gegner er dann dächte, als er in einer Rede von den Waffen sprach, die man gegen den Gegner brauche, erttärt er unter allgemeiner Heiterkeit:„An die Sozial- d e m o k r a t e n." Von der Anklagebehörde werden dann eine Anzahl Polizei- beamte als„Gutachter" über die staatSgefährlichen Sokols vorgeführt. So teilt Polizeirat Mädler seine Ansichten über die Verbindung der oberschlesischen mit den galizischen SokolS mit. ES marschierte auch ein zweistündiges„Gutachten" des P o s e n e r Polizei sekretärS Günther auf, das die verschiedenen Sokolorganisationen als eine Organisation zum Zwecke der Wieder- Herstellung Polens erscheinen lassen will. Der„Sachverständige" unterscheidet vier große Gruppen Sokolorganisationen: die amerikanische mit2000, die russisch -polnische mit 5000, die preußische mit 7000—8000 und die galizische mit 17—18000 Mitgliedern. Die Tendenz aller dieser Sokolorganisationen sei gleich, der Grundgedanke demokratisch, die positische Stellung die der polnischen Nationaldemokratie, deren Hauptsitz in Warschau sei. DaS Endziel sei die Wiederanfrichwng deS polnischen Reiche». Solange dies schwierige Ziel nicht zu er- reichen, habe das Sokolwm schon jetzt die Bildung eine? geistigen Polen » zu erstreben. Die Polen geistig und national zu wecken, zu konsolidieren, mit legalen und unlegalen Mitteln. stach dem polizeilichen„Sachverständigen" wird daS Polentum durch die SokolS so organisiert, daß wenn der ersehnte Moment gekommen, Polen seine Rolle als selbständiger Staat spielen könne. Eine besonders wertvolle Feststellung erschien dem Herrn Pokizeisettetär offenbar die Tatsache, daß die galizischen SokolS bor einigen Jahren den SokolS in Posen zweitausend Mark schenkten, die nicht etwa zur Anschaffung von Waffen, sondern von— Dtudt zittere I— Turn- geraten bestimmt waren. Ebenso mager waren die„Beweise", welche in Gestalt von be- schlagnahmten Briefen usw. dem Gerichte vorlagen. Es handelt
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