Das politische Bestreben dieser libcral-monarchistischen Parteien ist eine konstitutionelle Mmiarcbic,„durch das Zweikamniersystem, Polizei und stehendes Heer vor den Ansprüchen des Proletariats geschützt". Daher ist es Aufgabe der Sozialdemokratie,„der heuchlerisch°- demokratischen Phraseologie dieser Parteien die konsequente Demokratie des Proletariats entgegenzustellen, den von ihnen verorciteten konstitutionellen Illusionen entgegenzutreten und energisch gegen ihre Hegemonie über die kleinbürgerlichen Schichten zu kämpfen". In bezug auf die Parteien der„Narodniki" i Sozialrevolutionäre, Bolkssozialisten, Arbeitsgruppe) konstatiert die Resolution, daß sie„mehr oder weniger richtig die Interessen und den Standpunkt des städtischen und länolia,en Kleinbürgertums wiedergeben": da sie aber zu einer unklaren sozialistischen Phrase- ologie Zuflucht nehmen, muß die Sozialdemokratie„ihren Pscudo- soziakismus entlarven, gegen ihr Bestreben- Vertuschung der Klasseng.egensätze" zwischen Proletarier und Kleinbürger kämpfen. gleichzeitig aber, durch Bekämpfung des Einflusses der Liberalen, „sie zur Wahl zwischen der kadettischen Politik und derjenigen des revolutionären Proletariats zu stellen".„Die hieraus ent- springenden gemeinsamen Aktionen müssen jede Möglichkeit von Abweichungen vom Pro- gramm und von der Taktik der Sozialdemo. kratie ausschließen und können nur einem ge- meinsamen Angriff gegen die Regierung oder gegen die verräterische Taktik der liberal- monarchistischen Bourgeoisie dienen." Diese Resolution spiegelt im wesentlichen den Gedankengang der Bolschewiki wider. 2. Heber neutrale Arbeiterorganisationen und den neutralen Arbeiterkongreß. Vom Stand- Punkt ausgehend, daß die Sozialdemokratie die einzige Organi- sation ist, welche die für den Sozialismus kämpfende Vorhut des Proletariats vereinigt; daß neben der Sozialdemokratie auch„Ge. werkschaften und andere Arbeiterorganisationen den ökonomischen Jnteresien der Arbeitermassen dienen"... erkennt der Parteitag als notwendig für die Erweiterung und Vertiefung des Einflusses der Sozialdemokratie an: 1. Intensivere gewerkschaftliche Arbeit, d. i. Propaganda und Agitation für die Gewerkschaften selbst und Heranziehung breiterer Massen in die Parteiorganisationen; 2.„die Beteiligung der Sozialdemokratie an eventuellen unparteiischen Arbeiterdeputierten-, Arbeiterbevollmächtigtcnrätcn" usw. zum gleichen Zweck wie unter 1; 3. die Mißbilligung der Agitation für einen neutralen Arbeiterkongreß, da sie„für die Klassenentwickelung deS Proletariats schädlich" ist. 3. Dumafraktion und nationale Frage.„Durch ihre Vernachlässigung der nationalen Frage hat die Dumafraktion sich eine gute Gelegenheit entgehen lassen, mit breiten Massen der unterdrückten Nationen Fühlung zu gewinnen." Jedoch gibt der Parteitag der Ueberzeugung Ausdruck, daß„die Fraktion bemüht sein wird, sich auch auf diesem Gebiete auf die gebührende Höhe zu erheben als die Vertreterin der Interessen der Arbeiterklassen von ganz Rußland ". vom neue» Hecht cker„0r<iniingz"leiite zur Verleumdung. Zu den vielen Fällen, in denen hahnebüchene Verleumdungen gegen Sozialdemokraten für straffrei erklärt und die Lasten den Klägern auferlegt sind, hat sich zu Nutz und Frommen derer ein neuer Fall gesellt, die noch einen Rest von Zutrauen zu unserer Klassenjustiz hatten, und deshalb annahmen, daß offenbare, freche Verleumdungen als Verleumdungen auch ohne Rücksicht auf die Person des Verleumders oder des Verleumdeten bestraft werden würden. Der Fall wurde auf dem vor kurzem in Pirna abge- haltenen Verbandstage sächsischer Konsumvereine erörtert. Der Konsumverein für Pulsnitz und Umgegend hat zurzeit einen schweren Kampf mit den dortigen Militärvereinen nach bc- kannten Mustern zu bestehen. Im Drauflosbehaupten und Ver- leumden wird dabei auf der Seite von Anhängern der Militär- vereine ganz Erkleckliches geleistet. Das Milieu, in dem dieser Kampf sich abspielt, und die Umstände, unter denen er ausgefochten wird, ist grell durch einen Prozeß beleuchtet, der vor dem Schöffen- gericht in Pulsnitz spielte.— In einer Versammlung des Militär- Vereins zu Bretnig hatte der Kassierer dieses Vereins, der Wirt- schaftsbesitzer Jörke behauptet, der Konsumverein in Pulsnitz unter- stütze die sozialdemokratische Parteikasse. Auf den Einwand, das sei unwahr, der Konsumverein könne und dürfe das gar nicht, er- widerte I., da? würden die Mitglieder gar nicht gewahr. Der Borstand des Konsumvereins» dem hier eine grobe Gesetzes- Verletzung nachgesagt wurde, gab durch eine Beleidigungsklage dem I. Gelegenheit, vor Gericht seine Behauptungen zu beweisen. Der Beklagte war dazu völlig außerstande? er machte nicht einmal den Versuch, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Das Gericht stellte fest, daß ganz zweifellos eine Beleidigung vorliege. Das Urteil sagt:„Denn diese Aeußerung enthält den Vorwurf, daß die Privatkläger als Vertreter des Vereins durch Unterstützung der sozialdemokratischen Parteikasse andere Zwecke verfolgten, als in der Satzung und im Gesetz vorgesehen sind, die insbesondere nach§ 81 des Genoffenschaftsgesetzes die Auflösung der Genossenschaft zur Folge haben können. Wenn somit den Privatklägern Verletzung ihrer Pflichten angesonnen wird, so ist dies nicht minder die Behauptung einer Tatsache, die sie verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen ge- eignet ist, als der ihnen im weiteren gemachte Vorwurf der Bilanz- verschlelerung." Trotz dieser Feststellungen wurde ober der Beklagte freige- sprochen. Er habe, so sagt das Gericht, nach§ 183 des Strafgesetz- buchs in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt. Wie kam nun das Gericht zu einer derartigen Annahme? Folgendermaßen: Nach den Satzungen des Militärvereins muß ausgeschlossen werden, wer sozialdemokratische Gesinnungen hegt oder sie irgendwie unterstützt. Die Vorstandsmitglieder haben auf genaue Befolgung der Satzungen zu achten. Der Beklagte ist Vor- standsmitglie'o. Wie„gerichtörundig" ist, schließt die Leitung der sächsischen Militärvereine„schon seit geraumer Zeit" Konsum- Vereinsmitglieder aus den Militärvereinen aus.„Sie geht dabei' von der„Meinung" auS, daß die Konsumvereine sozialdemokra- tische Bestrebungen unterstützen." Der Beklagte habe es unter solchen Umständen„mit Recht" für seine Pflicht gehalten, die Militärvereinsmitglieder darüber aufzuklären.„Er war von der Richtigkeit seiner Behauptung überzeugt. Diese Aeußerung hat sonach der Angeklagte in Wahrnehmung berechtigter Interessen getan." Auch in bezug auf die zweite Behauptung treffe das zu, denn da die Unterstützung der sozialdemokratischen Partei durch den Konsumverein ungesetzlich ist,„mußte sich der Angeklagte also die Geschäftspraxis so denken und erklären, daß der Konsumverein derartige Zahlungen in seinen Bilanzen verschleiere." Endlich sagt das Gericht noch, dast dem Beklagten auch dann der A 193 zugebilligt werden mußte,„wenn cr diese Aeußerung wider besseres Wisse» getan hätte." Ter Prozeß schwebt zurzeit beim Landgericht Bautzen in der Berufungsinstanz. War das Schöffengericht der Ansicht, Angeklagter habe sich durch die unrichtige«Meinung' der Leitung der sächsischen Militär- vereine zu seiner Verleumdung verleiten lassen, so hätte es diesen Umstand als strafschärfend oder als strafmildernd in Betracht ziehen können: als strafschärfend, wenn es berücksichtigte, daß der Angeklagte solcher leichtfertigen„Meinungest" ohne eigene Prüfung sich anschloß, als strafmildernd» wenn es zugunsten des Angeklagten in die Wagschale warf, daß demnach die Leitung der Militärvereine die intellektuelle Anstifterin zur Verleumdung war und Autorität»- duselei dem Angeklagten die Unterscheidung zwischen gut und böse erschwerte. Es hat aber auch für den Fall, daß Angeklagter bewußt gelogen, wissentlich verleumdet hat, freigesprochen, weil— den juristischen Krimskrams des Urteils auf seinen psychologisch- politischen Kern zurückgeführt— der Kläger , der Verleumdete. Sozialdemokrat ist. Kann diese Blüte aus dem großen Bukett deutscher Klassenjustiz wundernehmen? Hat sich denn der „Ordnungsbrei" schon auch nur darüber entrüstet, daß sein höchster Beamter die Tribüne des Reichstages benutzte, um die Hallunken- moral-Verdächtigung gegen den Genossen Dittmann weiter zu verbreiten, ohne sofort nach Kenntnis der wahren Sachlage im Reichstag die von ihm verbreitete Unwahrheit zurückzunehmen? politische(Übersicht. Berlin , den 12. Juni 1907. Studts Rücktritt. Wie von Blättern der verschiedenen Richtungen übereinstimmend gemeldet wird, muß endlich Preußens gemaler Kultusminister v. Studt seinen Ministersessel räumen. Mitte Juni wird er auS den bekannten Gesnndheitsrncksichten seinen Abschied einreichen. An seine Stelle wird jedoch nicht, wie von liberaler Seite gewünscht wird, Professor Adolf Harnack treten— soweit reicht das Zugeständnis an den liberalen Flügel des Blocks nicht—, sondern ein Verwaltungs- beamter, nämlich der Geheimrat v. Sydow. Mit Kultusangelegen- heiten hat dieser sich, wenn er auch der Sohn des verstorbenen Unterstaatssekretärs im Kultusministerium ist, bisher nicht be- schäftigt. Er war im Justiz- und Postdicnst tätig. Um so mehr eignet er sich nach preußischen Regierungsprinzipien zum Kultus- minister, zumal er in_ kirchlichen Fragen der„positiven" Richtung folgen soll. Er wird also die Aera Studt fortsetzen— nur vielleicht in etwas konzilianterer Form.— Ein hochanständiges Blatt. Am Schlüsse seines Romans„Der Bauch von Paris" zieht Zola auS seiner Schilderung des kleinbürgerlichen Pariser Lebens die Folgerung:„Welch Lumpenpack sind doch die ehr- baren Leute!" An diesen treffenden Ausspruch Zolas wurden wir erinnert, als wir gestern Abend in der ehrsamen„Deutschen Tageszeitung" die Notiz„Nochmals die Automobilfrage" lasen. Unter den verschiedenen Berliner Blättern, die sich am lautesten ihrer Anständigkeit rühmen, steht das landbündlerische Organ für„deutsche Art", Lebensmittelwucher und Preistreiberei an erster Stelle. Erst am Sonnabend eiferte es in den höchsten Fisteltönen sittlicher Entrüstung gegen die„Denunziantenpartei", weil der von seinem Schützling, dem bekannten, gleichfalls hoch- moralischen Herrn Karl Peters verklagte verantwortliche Redakteur unseres Münchener Parteiorgans zur Mitteilung von Material über das Treiben des ehrenwerten Herrn Peters in Afrika und im Berliner Tiergartenviertel aufgefordert hatte. Auf unsere Er- widerung, daß dieses Material zum Nachweis der Qualität des großen„Kolonialheros" und des Wertes seiner Angaben nun ein- mal durchaus nötig sei und gerade die„Deutsche Tageszeitung" am wenigsten Veranlassung habe, in sittlicher Entrüstung zu machen, da sie den Kampf gegen die Sozialdemokratie vorzugsweise mit Verdächtigungen und Verleumdungen gegen die sozialdemokra- tischen Führer führe, erklärte am Montag das Blatt mit der ihm so wohlanstehenden jungfräulichen Züchtigkeit: Verdächtigungen veröffentliche es überhaupt nicht, sondern nur„Verfehlungen" sozialdemokratischer Führer und diese auch nur zur Abwehr der Verleumdungsmethode der Sozialdemokratie und ihrer ständigen Phrasen von„höherer sozialdemokratischer Moral"— also aus sittlicher Wahrheitsliebe. Daß dabei jede irgendwo in der Presse ausgesprochene Verleumdung sozialdemokratischer Führer, selbst wenn sie sofort als schamlose Erfindung zu erkennen ist, der sitt- lichen Strenge des Bündlerblattes als unbezweifelbare„Verfeh- lung", jede offenkundige Unmorqlität und Gemeinheit ihrer poli- tischen Gesinnungsgenossen hingegen als leerer Klatsch erscheint, ist natürlich nur Zufall. Nur im Interesse der Volksmoral nimmt also die„Deutsche Tageszeitung" die Verleumdungen der Sozialdemokratie auf— ja, sie geht in ihrer Anständigkeit sogar noch einen Schritt weiter: wenn sie in anderen Blättern oder der Neichsverbandskorrespon- denz keine für ihre sittlichen Zwecke geeigneten Verleumdungen findet, erfindet sie selüst welche. In ihrer schon erwähnten gestrigen Notiz„Nochmals die Automobilfrage" heißt es z. B. am Schluß: Für die Freiheit der He r k o m e r f a h r t tritt der—„Vorwärts" ein. Er hatte zunächst in der bei ihm üblichen direkt hetzerischen Weise gegen diesen„Sport der Reichen" geschrieben, gibt jetzt aber kritiklos eine Zuschrift aus Württem. berg wieder, die die Anordnungen der Herkomerfahrt wenigstens für Württemberg und ebenso natürlich das Eintreten der Sozialdemokratie in der Stuttgarter Kammerfür das Herkam er-Reunen warm verteidigt. Wir können wohl sicher annehmen, daß der Herr Minister des Innern durch diesen freiwilligen Sekudanten in seiner legeren Auffassung dieser Frage nicht bestärkt wird. Die Notiz ist von Anfang bis zu Ende eine perfide Sudelei. Erstens sind wir nirgends für die Freiheit der Herkomerfahrt ein- getreten, sondern haben lediglich eine Zuschrift aus Stuttgart auf- genommen, in der auseinandergesetzt wurde, aus welchen Gründen unsere württembergische Landtagsfraktion gegen den Zentrums- antrag gestimmt hat, und zweitens sind unsere Genossen in der württcinbergischcn Kammer nicht für das Herkomcr-Rennen eingetreten, sondern sie haben vielmehr erklärt, daß sie jederzeit zu einem Verbot der Schnelligkeitsrennen bereit seien. Doch das macht für das Bündlerblatt nichts aus, im Jntersse seiner höheren Moral kommt es ihm auf ein Bissel Fälschung nicht an. Der hehre Zweck heiligt die unsauberen Mittel. Die„Deutsche Tageszeitung" wird sich natürlich weiter als „hochanständig" aufspielen, und seine Gesinnungsgenossen werden weiter seine sittlichen Qualitäten bewundern. Wir finden das ganz selbstverständlich. Wie sagt doch Hebbel : Lumpen gibt eS beständig, doch scheiden sich danach die Zeiten, Ob man sie rühmt und beklatscht, oder sie nötigt zur Scham! Christliche Arbeiter gegen eine christliche Stadtverwaltnng. Der„Vorwärts" hat vor kurzem mitgeteilt, daß die Verwaltung der stammen Stadt Aachen von den Bauunternehmern schwarze Listen angenommen hat und ausständige Bauarbeiter, die sich um Arbeit beim städtischen Bauamt bewerben, znriicklveist, wenn sie auf der schwarzen Liste stehen. Gegen dieses Verhalten der städtischen Behörden haben Ende voriger jffipche die christlichen Arbeiter Aachens ic Piac öistntlichen Veriammluno Stelluw» o�nommen. Der chrift- liche Gewerkschaftssestetär Bücher schilderte zunächst die Sachlage und sagte dann: „Daß eine Stadtverwaltung als solche sich in die Wirtschaft- lichen Kämpfe der Arbeiterschaft eingemischt hat, ist bisheran noch nicht dagewesen; es geschieht hier in Aachen zum ersten Male s Entrüstungsrufe). Von einer paritätischen Verwaltung müssen die Arbeiter, die doch auch Steuerzahler sind, erwarten, daß sie nicht einseitig in deren Bestrebungen zur Hebung ihrer wirtschaftlichen Lage eingreife. Gegen die einseitig e�P artein ah nie der Sradtverwaltung zugunsten des Standpunktes der Arbeit- geber wollen wir heute entschieden vor aller Oeffentlichkeit Ler- Wahrung einlegen." GewerkschaftSbeamter Weber schriftlich) wie» darauf hin, daß es Städte gebe, die auf sozialem Gebiete schwer sündigten, und andere, wo die Arbeiterschaft auf dem Ge- biete der Kommunalpolitik es an sich fehlen lasse. In Aachen habe die Arbeiterschaft es noch viel zu wenig verstanden, auf kommunalem Gebiete Einfluß zu gewinnen. Die Abwesen- heit sämtlicher Stadtverordneter bei einer so wichtigen An- gelegenheit beweise, daß man die Arbeiter ignorieren wolle und es für überflüssig halte, ihre Ansichten kennen zu lernen. Ein anderer christlicher Gewerkschaftsbeamter erinnert an das Vorgehen der städtischen Armenverwaltung vor einigen Jahren, die bei einem Streik die von ihr unterstützten Weber in die vom Ausstand betroffene Fabrik sandte. Ein weiterer Redner — es wurden nur christliche Arbeiter zu Wort gelassen— meinte, die Arbeiterschaft müsse sich auf die Hinterbeine stellen, wenn sie etwas erreichen wolle. Zum Schluß nahm die Versammlung einen Beschluß an. worin entschiedene Verwahrung eingelegt wurde gegen das Vorgehen der Stadtverwaltung, die statt bei dem wirtschaftlichen Kampfe vermittelnd einzugreifen, dazu beitrage, die Klassen- gegensätze zu verschärfen und einen Teil der Einwohner als Bürger zweiter Klasse behandele: Die Versammlung beschloß ferner eine Eingabe an die Stadtverordneten, worin diese ersucht werden, die Verwaltung über ihr Verhalten zur Rede zu stellen und darauf hinzuwirken, daß die Behörden bei wirtschaftlichen Kämpfen zwischen Unternehmern und Arbeitern völlige Neutralität wahren. Der Aachener«Volksfreund" versucht das Zentrum reinzuwaschen. indem er erklärt, daß in Aachen der Oberbürgermeister und die liberale Minderheit herrsche, zu der sich dann einige Stadtverordnete schlügen, die wohl als Zentrumslcnte gewählt wären, aber stets gegen die Parteigrundsätze handelten und infolgedessen nicht als zur Partei gehörig betrachtet werden könnten. Das ist eine faule Aus- rede. Tatsächlich besteht die Stadtverordnetenmehrheit in Aachen aus Zentrumsleuten, offiziell von der Partei aufgestellt und gewählt. Wenn ein Teil von ihnen allen rückschrittlichen und arbeiterfeind- lichen Maßnahmen der liberalen Minderheft zustimmt und mit dieser eine Mehrheit bildet, so bleibt die Schuld daran so lange am Zentrum haften, als es diese Sorte von Stadtverordneten nicht auf htm kürzesten Wege aus dem Rathause hinausspediert. Die„Westdeutsche Arbeiter-Zeitung" bemerkt z» der Aachener Angelegenheit:„Tie Städte können zwar heute schon eine für den Staat vorbildliche Arbeiterpolitik treiben. Sie werden aber es t» ihrer Gesamtheit nur tun, wenn die Herrschast der Besitzenden ge» brachen und sie als Stadtverordnetenkandidaten dem Druck ausgefegt sind, der in einem freien Wahlrecht liegt." Es wäre gut, wenn die christlichen Arbeiter diefe MernUniS der Partei gegenüber geltend machten, zu der sie politisch gehör», nämlich dem Zentrum. Wenn sie es mit ihrer Abficht, die Macht der Besitzenden zu brechen, ehrlich meinen, werden sie aller» ding» die Macht des Zentrums mitbrechen müssen, denn auch diese Partei wird von den Interessen der Besitzenden beherrscht.— Tic Polonisierung als �-olge der könMche» Germanisicrung. Trotz der eifrigen von oben herab betriebenen Ostmarknpokvft pfeifen die meisten deutschen Landwirte der Ostmark auf Patriotismus und Vaterlandsliebe, wenn nichts dabei zu verdienen ist. Sowohl in Posen als auch in Westpreußen verlaufen deutsche Landwirte recht gerne ihre Besitzungen an Polen , wenn diese besser zahlen als die zur Erhaltung des Deutschtums mit dem Gelde der deutschen Steuerzahler ausgerüsteten Kommissionäre. Auch im Dorfe Klammer in der Kulmer Niederung macht sich trotz der kostspieligen Germanisierungspolitik fest Jahren ein Anwachien der polnischen Bevölkerung bemerkbar. Anfangs suchte man der sogen. Polengefahr dadurch entgegenzuwirken, daß man polnische Besitzungen zu hohen Preisen ankaufte und zu niedrigeren an deutsche Besitzer überließ. Ferner wurde ver« schuldeten deutschen Agrariern mit reichlichen Unterstützungen unter die Arnie gegriffen. Das führte jedoch dazu, daß der Bodenwert in dieser Gegend gewaltig stieg, und dieser Erfolg wieder veranlaßte viele deutsche Besitzer dazu. ihre kleineren Grundstücke zu hohen Preisen an polnische Besitzer zu verkaufen. um in anderen Gegenden größere Befitzungen vorteil- Haft zu erwerben. Während früher das Dorf Klammer fast rein deutsch war, befinden sich gegenwärtig bereits neben 80 deutschen, 84 polnische Haushai tiltt gen in dem Ort. Ebenso wie bei der Beschaffung von billigen Arbeitskräften pfeifen die teutschen Agrarier auf Nationalität und Vaterland, wenn dabei ein schöner Profit herauSspringt.— Nationalliberale Wahlschmerze«. Einen charakteristischen Beweis für die„Opferfreudigkeit" der Hurrapatrioten liefert ein Schriftstück, das kurz�nach der Hurrawahl der Wahlmacher in dein niederrheinischen Städtchen O b e r h a u s e u an das Direktorium der„Gute- hoffnungs Hütte" sandte, einem jener Riesenbetriebe, die den Verhältnissen am Niederrhein ihren Stempel auf- drücken. Das Schriftstück hat folgenden Wortlaut: Oberhausen , den 19. Februar 1907. An die Direktion der„GutehoffnuiigShütte" I Ich bestätige Höst, den Empfang des gefälligen Schreibens vom 15. er. und berichte darauf zunächst, daß von hiesigen Werken folgende Summen gezeichnet worden find: Bergwerls-Akt.-Gef.„Konkordia"... 1<XX) M. Akl.-Gcs. für Zinkindustrie jGrillo)... 250, � Wilhelm Kempchen seil........ 100, Oberrh. Stahl- und Eisengießerei... 100. ThoinaSi'chlacken-Mehlwerke..... 100, Hermann Tigler......... 50„ Vinille Monlagne......... 100. ferner sind in der Bürgerschaft zirka 500 Mark ge» sammelft. Meine Ausgaben betragen 400 M. Nach der ersten Zusammenkunft des Zentralwahlkomitees fragte mich Herr Dr. Lneg, ob ich bereit sei, nochmals den Vorsitz zu übernehmen, wozu ich mich nach Lage der gegebenen örtlichen Verhältnisse bereit erklärte unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich behnf» Aufbringung der Mittel, für den Wahlfeldzug keinerlei Schwierigkeiten haben dürfe und die hiesigen größeren Werke für ein Defizit unbedingt aufkommen müßten, worauf Herr Dr. Lueg erwiderte, daß er mit dem dortigen Direktorium Rück- spräche nehmen wolle und dürfe ich jedenfalls auf eine unbedingte Unterstützung der G u t e h o f f n u n g S h ü tt e rechnen. Als mir Herr Dr. Lueg dann nach einigen Tagen 2000 M. überreichte, erklärte ich ausdrücklich, daß, falls noch nachträglich Aufwendnngen erforderlich seien, ich auf Uillerstützung auch der Hütte rechnen müsse.
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