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Keich!tsgZMhIllrei5 nieder Barnim  . Am SonnabenÄ fand zu Rummelsburg   bei Weigelt in der Türrschmidtstraße eine Generalversammlung des Kreiswahlvereins Nieder-Barnim statt. Anwesend waren 12S Vertreter, und zwar /102 Kreisdclegierte. 11 Vorsitzende der Ortswahlvereine, 1 Ver- trete: der Gemeinderatsmitglteder der Partei, 4 Mitglieder des Vorstandes, 3 Revisoren, 2 Vertreter der Prekkommission, ein Vertreter der Agitationskommission und der Abgeordnete des Kreises, Genosse Stadthagen  . Da die Orte im ganzen 1W Delegierte zu entsenden haben, fehlten 23. Von Herzfelde   war überhaupt kein Delegierter erschienen. Zum ersten Punkt der Tagesordnung: Der internationale Kongreß und der deutsche Parteitag, hielt Genosse F r e i w a l d t- Pankow den einleitenden Vortrag. Er wies zunächst darauf hin, daß die Sozialdemokratie von Anfang an international gewesen ist, daß der Kampf der Arbeiterklaffe international sein muß, weil ja der Kapitalismus   auch inter- national sei, und selbst die Monarchen international verbündet wären. Der Redner kam dann auf die Maifeier zu sprechen, erwähnte den Jubel, den der Maifeierbeschluß des Pariser inter  - , nationalen Kongreffes von 188S damals innerhalb der ausgeklärten beiterschaft hervorrief, zeigte wie sich der Gedanke mit dem der Arbeiterbewegung immew mehr Bahn gebrochen hat, und' i.'umtite sich entschieden gegen jede Abschwächung der Feier. Wenn e''"Selne Genossen behaupteten, die Opfer, die die Maifeier kostete, entsprächen nicht dem Vorteil, den sie bringe, so sei zu bedenken, d�b in der Arbeiterbewegung ohne Opfer überhaupt nichts zu erreichen'st. Der Nutzen aber überwiege die Nachteile. Auch mit Rücksicht auf den Ausfall der Reichstagswahlen sei es mindestens notwendig, das Errungene festzuhalten. Es sei gar nicht nötig, zur Maifeier besondere Anträge zu stellen, da ja die Beschlüsse der detitschen Parteitage den Delegierten die Richtschnur gäben Sollten acker auf dem Kongreß Versuche zur Abschwächung der Maifeier gemacht werden, so müsse dem entschieden entgegen- getreten werden......... Bei der Frage des Militarismus habe unbedingt der Grundsatz zu gelten: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen Wiesenthal habe in seiner neuenMetallarbeiter- zcitung" über die Fraktion gehöhnt und gesagt, sie handle im Plenum des Reichstags anders als in den Kommissionen, weil ibre Vertreter z. B. für eine zweckmäßige Farbe der Uniformen eingetreten seien. Das habe mit dem Militarismus aber gar nichts zu tun. Selbstverständlich hätten die Abgeordneten aber die Pflicht, die Brüder im Wafsenrock auch in dieser Hinsicht zu schützen, damit sie nicht durch glänzende Uniformen ein besonders gutes Zielobjekt abgäben. Andererseits sei er. Redner, nicht dafür eingenommen, daß unsererseits, wie jüngst durch den Genossen Noske. im Reichstag immer und immer wwder so stark betont werde, wenn daS Vaterland in Gefahr sei. werde man ohne weiteres die Flinte auf den Buckel nehmen. Man könne doch heute un- Möglich voraussagen, ob es sich, sollten die Regierung und die herrschenden Klassen wieder einmal bon einem»Angriffskrieg reden, wirklich um einen solchen bandele. Als bestes Mittel zur Bekämpfung des Militarismus bezeichnete der Redner die Erziehung der Jugend in sozialdemokratischem Geiste. Den Wehrpflichtigen Flugblätter in die Hand zu geben, oder gar die Agitation in die Koserncn zu tragen, fei ein ganz ungangbarer Weg. der dem Soldaten zu schwerem Schaden gereichen, der Sache selbst keinen Nutzen bringen könne. Zur Frage der Kolonralpolitik bemerkte der Redner, daß er hier wohl nicht nötig habe, näher darauf einzugehen. Es fei ja nun hinreichend bekannt, daß es sich bei der Reichstags- auflösung nicht um kolonialpolitische Fragen, sondern um Sein oder Nichtsein des Reichskanzlers handelte. Wenn man sehe, wie der Kapitalismus   seine FangarMe über die ganze Welt ausbreitet. erkenne man auch, wie gefährlich diese Kolonialpolitik für die Völker wie für die ganze Arbeiterschaft ist. Zut Frage der Ein- und Auswanderung wies der Rodner auf die kürzlich in derNeuen Zeit" erschienenen Artikel hin Bei dem Bestreben der Kapitalisten, aus aller Welt billigere Arbeitskräfte heranzuholen, müsse der Grundsatz gelten, die ein­heimischen Arbeiter vor solcher Verschlechterung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen zu schützen.. m. Das Fraucnwahlrccht betreffend, äußerte der Redner, daß hierin setbstverständlich der Grundsatz des Parteiprogramms� allen ohne Unterschied des�eschlechts gleiche Rechte zu gewähren. maßgebend sein müsse und es demgemäß Ehrensache des inter- Nationalen Proletariats sei. für das Frauenwahlrecht ganz ent- schieden einzutreten.- Der Redner sprach sodann über die Tagesordnung des Parteitages, wobei er zunächst die Frage der gewerkschaft  - lichen Lokal- und Zentralisation berührte. Es sei ganz verkehrt. zu behäupten. die Delegierten Groß-Berlins seien auf dem letzten Parteitage nicht genügend für die Rechte der Lokalorganisierten als Parteigenossen eingetreten. Die lokalorganisierten Genossen sollten aber doch ihre Sondcrvereinigungcn aufgeben und sich schon Darum den Zcntralverbänden anschließen, weil sie dann ja die beste Gelegenheit hätten, dafür zu sorgen, daß die Uebelstande, die sie rügten, beseitigt werden. m ,, Für besonders wichtig erklärte der Redner auch den Punkt: Parteischule uNd BildungsauSschuß. Hier muffe da- für gesorgt werden, daß, was die Partei in der Breite gewonnen hat, auch in der Vertiesung der Erkenntnis ihrer Grundsätze er- reicht und tüchtige Agitatoren herangebildet werden. Hinsichtlich der Maifeier sei es auch auf dem Parteitag Pflicht der politisch organisierten Genossen, dafür zu wirken, daß das bisher Beschlossene mindestens bestehen bleibe. Die letzten R e i ch s t a g s w a h l e n und die politische Lage Würden sicherlich zu starken Debatten Veranlassung geben. Es könne aber konstatiert werden, daß die Genossen bei den Wahlen allerorts ihre Pflicht getan haben. Worauf es ankomme, sei, die Organisationen weiter auszubauen, die Aufklärungsarbeit unter den Massen imm'er eifriger zu betreiben.. Daß die A l k o h o l f r a g e auf die Tagesordnung des Partei­tages gesetzt wurde, sei wohl hauptsächlich aus Generosität den Antialkoholtsten gegenüber geschehen. Wohl lasse es sich nicht be- streiten, daß der Alkoholismus noch immer Verwüstungen unter der Arbeiterklasse anstifte. Aber die Partei könne ja doch nicht dekretieren, daß der Alkohol verboten sei. Die Frage sei vor allem eine soziale. Werde das soziale Elend beseitigt, so verschwinde damit auch dieAlkoholpest". Es tagen der Generalversammlung u. a. zwei Anträge der Ge- «offen aus Lichtenberg   bor  ; der eine besagte, der Parteitag möge beschliehen, den Preis desVorwärts" von 1,10 M. auf 1 M. herab­zusetzen, der andere, derVorwärts" möge im Wochcnabonnement herausgegeben werden. Der Redner wies demgegenüber auf den gewaltigen Ausfall an Einnahmen, sowie die Erhöhung der Aus- gaben für die Spedition hin, die solche Beschlüsse zur Folge haben würden, und ersuchte die Genossen, sich diese Anträge doch noch ein- mal gründlich zu überlegen. In der Diskussion sprach zunächst Genosse N i l s e n- Rei- Kickendorf und äußerte sich über die Maifeier im Sinne der Partei- tagSbeschlüffe gegen jede Abschwächung der Feier. Hinsichtlich des Militarismus hob er besonders hervor, wie wichtig hier eine der- Künftige Jugenderziehung ist, wie töricht und verkehrt es ist, wenn Eltern ihren Kindern buntes Militärspiclzeug, Bleisoldaten und dergleichen in die Hand geben, als sollte ihnen gleichsam der Ge- danke des Massenmordes schon von Kindesbeinen an eingeimpft werden. Wie der Referent, erklärte sich der Redner gegen jede Sönderbündelei in den Gewerkschaften. Ferner sprach er für die Anträge auf Verbilligung und Wochenabonnement desVorwärts". Die geistige Kost Müsse dem Volke so billig wie irgend möglich ge- liefert werden. Man dürfe denVorwärts" nicht als Geschäft be- tteiben. Im selben Sinne sprach Genosse R o b st- Lichtenberg für Ver- billigung deSVorwärts". Der Redner wünschte, einem Antrage der Lichtenberger Genoffen entsprechend, dgß, wenn möglich, für eine noch bessere Durchführung der Maifeier gewirkt werde, und war persönlich dafür, die Genossen, die den Tag nicht feiern können, zur Opferung ihres Tagesverdienstes zu verpflichten. Hiergegen wandte sich Genosse Brühl- Lichtenberg, der aber ebenfalls für eine noch bessere Durchführung der Maiferer sprach. Zu dieser Frage selbst lagen folgende Anträge vor: 1. Der Vorstand sowie der erweiterte Vorstand des Kreis- Wahlvereins Nieder-Barnim empfiehlt der Generalver- sammlung folgende Resolution: Die Delegierten zum internationalen Kongreß in Stuttgart  sind verpflichtet, in bezug auf die Maifeier sich auf den Boden der bisher auf den internationalen und deutschen   Parteitagen gefaßten Beschlüsse zu stellen; sie verpflichten sich, jeder Ver- schlechterung der Maifeier entgegenzutreten. 2. Die Genossen des Bezirks Lichtenberg   beantragen: Die Delegierten zum internationalen Kongreß sowohl wie die zum Parteitag sind zu beauftragen, an der bisherigen Mai- feier festzuhalten, oder aber für noch größere Durchführung der Arbeitsruhe am 1. Mai zu stimmen. 3. Die Genossen von Waidmannslust   erwarten von den Parteitagsdelegierten des Kreises Nieder-Barnim  , daß dieselben auf dem Parteitage jeder Abschwächung der Mai- feier entgegentreten und dafür stimmen, daß der 1. Mai in seiner bisherigen Form weiter gefeiert wird. Genosse Brühl   empfahl nun der Versammlung, den Vor- standsantrag in der Weise mit dem Lichtenberger zu vereinen, daß er mit den Worten schließt:Sie verpflichten sich nicht nur, jeder Verschlechterung der Maifeier entgegenzutreten, sondern eventuell für eine noch größere Durchführung der Arbeitsruhe am 1. Mai zu stimmen." Genosse D e n tz e r- Waidmannslust sagte, daß die Delegierten gegen jede Abschwächung der Maifeier zu stimmen hätten, daß aber die Anträge auf Verschärfung der Maifeierbeschlüsse nicht zweck- mäßig wären, da sie keine Aussicht hätten, internationale Geltung zu erhalten. In der Gewerkschaftsfrage sprach sich der Redner ebenfalls gegen die Sonderbündelei aus und hob hervor, daß die jetzt lokalorganisierten Genossen innerhalb der Zentralverbände besser in ihrem Sinne wirken könnten als außerhalb. Genosse Heises- Tegel meinte, daß in der Maifeierfrage der größte Jehler schon 1890 gemacht worden sei. Daran habe man heute noch zu tragen. Auch dürfte die Parteileitung nicht, wie 1906 und 1907, das eine Mal so, das andere Mal anders auftreten, son- dern sie müßte auf dem einmal eingenommenen Standpunkt be- harren. Der Redner sprach sich auch für Verbilligung desVor- wärts" aus und meinte, man könne ja immer wieder zu dem alten Preis zurückkehren, wenn man sich in seinen Hoffnungen getäuscht sähe. Ebenfalls für Verbilligung desVorwärts" trat Genosse I u d r i a n- Lichtenberg ein. Bei einem Wochenabonnement für 25 Pf. würden die Hausfrauen diese Ausgabe kaum spüren. Genosse Stadthagen   sprach sich entschieden gegen jeden Versuch einer Abschwächung der Maifeier aus. Er schlug der Ver- sammlung vor, zu beschließen: Die Delegierten sind verpflichtet, in bezug auf die Mai- feier im Sinne der Anträge 1, 2 und 3 zu wirken." Es sei ja noch zweifelhaft, ob die Maifeier auf dem inter  - nationalen Kongreß überhaupt zur Verhandlung komme; notwendig sei es aber, die Frage zu entscheiden. Wenn behauptet wird, daß der Parteivorstand bei der letzten Maifeier abflauend eingegriffen habe, so gebe er, Redner, zu, daß dessen Aufruf wohl eine andere Fassung hätte haben können; doch sei der Aufruf lediglich im Sinne der Parteitagsbeschlüsse gemeint gewesen. Was die Frage der Lokalorganisationen betreffe, so sei ja nicht daran zu zweifeln, daß sie früher ihre historische Berechtiguna hatten. Nun aber sei es doppelte und dreifache Pflicht der lokalorganisiertmr Genossen, in die Zentralorganisationen einzutreten und hier im Sinne der Entschiedenheit und der Sozialdemokratie zu wirken. Er müsse sich aber auch entschieden dagegen wenden, sie aus der Partei aus- schließen zu wollen. Anders sei es, wenn sie sich selbst außerhalb der Partei stellten. Zu den Anträgen auf Verbilligung und Wochen- abonnement desVorwärts" bemerkte der Redner, daß diese Frage ja von der Generalversammlung Groß-Berlins   angeschnitten sei und noch der Entscheidung harre. Ganz verkehrt wäre es, sich mit dieser Frage an den Parteitag zu wenden. Es liege ja gar keine Veranlassung vor, die Rechte der Berliner   Genossen auf diese Weise einschränken zu wollen. In der Sache selbst warnte der Redner davor, die Gründe, die vielleicht für die Anträge sprechen, zu über- schätzen, die finanziellen Bedenken aber zu unterschätzen. Er legte dar, welcher Ausfall an Einnahmen, welche Unkosten durch die Verwirklichung der Anträge entstehen würden, und daß man gerade mit Rücksicht auf die Agitation in der Provinz nicht der Henne, die die Eier legt, den Hals umdrehen dürfe. Uebrigens glaube er nicht, daß durch die Herabsetzung des Abonnemcntspreises auf 1 M. auch nur ein einziger Abonnent mehr gewonnen werde. Das Wochen- abonnement sei ja, wie am Kopf desVorwärts" zu lesen ist, schon jetzt möglich zum Preise von 28 Pf. Genosse K u b i g- Pankow  , Vertreter der Preßkommission, empfahl ebenfalls, den Anträgen auf Verbilligung desVorwärts" nicht zuzustimmen. Das sei Sache der Genossen von Grotz-Berlin  . Der Redner erwähnte ferner die auf Wunsch der Pretzkommission veranstaltete Umfrage bei den fünf Parteiblättern, die Wochen- abonncments durchgeführt haben, von denen vier entschieden davon abrieten. Das Material über diese Fragen werde zu einer Denk- schrift verarbeitet, die den Parteigenossen zugehen und als Grund- läge für die weitere Erörterung dienen soll. Zur Frage des Mili- tarismus sprach sich der Redner namentlich dafür aus, daß auch innerhalb der Gewerkschaften für allgemeine Aufklärung gesorgt werden müsse. Hierauf trat Schluß der Debatte ein. Der Antrag Stadt- Hägens über die Maifeier wurde mit allen gegen eine Stimme angenommen. Die Anträge auf Verbilligung desVorwärts" wurden zurückgezogen. Als Delegierte zum internationalen Kongreß wählte die Generalversammlung die Genossen F r ei w a l d t- Pankow und Taub mann-Weißensee, als Ersatzmann L i n k- Karlshorst  ; als Delegierte zum Parteitag die Genossen I o h n- Rummelsburg, Lorenz- Reinickendorf und Brühl  - Lichtenberg  ; als Ersatzmann Link- Karlshorst. Sodann sprach Genosse Jacobsen- Oberschöneweide in kurzen Worten über die Provinzialkonferenz, wies u. a. auf die Wichtigkeit der Frage des Gesinderechts hin und äußerte den Wunsch, daß auch diese Konferenz zu den besten Resultaten führen möge. Als Delegierte züb Provinzialkonferenz wurden die Genossen K u b i g- Pankow  , N o l l st ä d t- Rummclsburg und K o t t e r b e- Borsigwalde, als Ersatzmann L i e s e g a n g- Oberschöneweide gewählt. Unter Kreisangelegenhetten lag eine Resolution der Genossen bon Reinickendorf vor, die eine Verpflichtung der Parteigenossen zur Beteiligung am Genossenschaftswesen zum Ziele hatte. Es wurde nach kurzer Debatte beschlossen, diese Sache auf die Tages- ordnung der nächsten Generalversammlung zu setzen. Mit Hochrufen auf die Sozialdemokratie wurde die Kreis- generalversammlung geschlossen. Sie liiordaffsre l|au vor dem Karls- ruher Schwurgericht. Der Prozeß gegen den im Staate Kolumbia   in Amerika   zu- gelassenen Rechtsauwalt Karl Hau   vor dem Schwurgericht in Karlsruhe   weist in seiner fünftägigen Verhandlung einige da? all- gemeinere Interesse wachrufende Momente auf. lieber den Beginn deS Prozesses haben wir bereits am 18. Juli berichtet. Die Art des Verhaltens des Angeklagten und deS Staatsanwalts sowie einige Zwischenfälle in dem Prozeß und die Beziehungen deS Angeklagten zu größeren amerikamschen Jndustriegesellschaften verleihen dem Prozeß ein besonderes Gepräge. Wir fassen nachstehend vaS wichtigste aus dem bisherigen Gang des Prozesses zusammen. Der 26 jährige amerikanische   ReKtsanwalt auS Groß-Littgen im Rheinland   gebürtig, Sohn eines früheren Zentrumsabgeordneten, steht unter der doppelten Anklage, seine Schwiegermutter, die wohlhabende Witwe des Medizinalrats Molitor in Baden-Baden   am 6. November erschossen und ferner versucht zu haben, eine Wiener Bank um 4000 Mark zu Setrügen. Bezüglich des BetnigSversulhs liegt die Sache einfach. Der Angeklagte hat auf seinen Kreditbrief von der Wiener Bank 400 Pfund erhoben und dann später die Ausstellung eines zweiten Kreditbriefes in derselben Höhe verlangt, da der Kreditbrief ihm gestohlen sei. Nach dieser Richtung gibt der Angeklagte zu, daß er die 400 Pfund bereits erhoben hatte, das will er bergessen haben und ohne betrügerische Absicht einen zweiten Kreditbrief verlangt haben. Die Anklage wegen Morde? steht in enger Beziehung zu dem Vorleben des Angeklagte«. Hau lernte als Igjähriger Student in Ajaccio  . wo er sich zwecks Erholung von einem Blutsturz aufhielt, die um 6 Jahre ältere Lina Molitor. die Tochter der erschossenen Witwe, kennen. Ihre Hand wurde ihm verweigert. Darauf entnahm Fräulein Molitor auf sein Zureden 2000 M. der mütterlichen Kasse. Die beiden Liebenden ergriffen die Flucht. Sie beschlossen gemeinsam in den Tod zu gehen. Hau schoß seiner Braut eine Kugel in die Brust, verwundete sie aber nur leicht, zu dem Schluß auf sich selbst fehlte ihm der Mut. Die Mutter gab dann die Einwilligung zur Heirat. Hau reiste mit seiner Frau zur Vollendung seiner Studien nach Washington  , wurde Rechtsanwalt beim Obergericht in Kolumbia   und las an der dortigen Universität über Recht und deutsche Sprache. Er trat zu mehreren Industrie- gesellschaften in Verbindung und suchte in den letzten Jahren als Geschäftsträger der Standard-Oil-Compagnie in der Türkei   Kon- zesfion zu elektrischen Bahnen und anderen industriellen Unter- nehmungen zu erreichen. Hau stand in enger Beziehung zu hoben Würden- trägern in der Türkei   und zu Redakteuren der bürgerlichen Presse. Er trat als Grandseigneur auf, gab über seine Einnahmen hinaus auS, exzedierte insbesondere nach geschlechtlicher Richtung hin und liebte es zu renommieren. Nach den Bekundungen verschiedener Zeugen hat er insbesondere in der Türkei   für Damen der Halbwelt große Summen aufgewendet. Die Mitgift seiner Iran in Höhe bon 65 000 M. war längst verbraucht, die geschäftlichen Transaktionen, deren Gelingen ihm große Provisionen abgeworfen hätten» miß- langen. Das Familienleben mit seiner Ebeftau wird von den Zeugen als ein sehr glückliches geschildert. Beide Eheleute hingen an ihrem einzigen Kinde mit großer Hingebung. Seit der Geburt des Kindes fand eine geschlechtliche Beziehung zwischen den Ehe- aatten aus hygienischen' Rücksichten auf die Frau nicht mehr statt. Drei Schwestern und ein Bruder der Frau Hau sind noch am Leben. Der Bruder ist Oberleutnant. Am 6. November wurde die verwitwete Mebt- zinalrat Molitor in Baden-Baden   auf einem Gange von ihrer Villa nach dem Postamt durch einen Schuß in den Rücken getötet. Ihr Nachlaß beläuft sich auf 947 202 M. Auf jedes Kind würden also 135 314 M., auf Frau Lina Hau bezw. deren Erben würden mithin nach Abzug der Mitgift noch etwa 70 000 M. entfallen. 'Gegen den Angeklagten sind nun folgende Verdachtsmomente außer seiner Vermögenslage in der Anklage und in der Verhandlung ge'ltend gemacht: Ende Oktober 1906 lebte der Angeklagte mit seiner Frau, seinem Kinde und seiner unverheirateten Schwägerin Olga in Paris  . Plötzlich erhielt die alte Frau Molitor ein Telegramm des Inhalts: Komme sofort nach Pari?, Olga sehr krank. Reise mit nächstem Zuge. Lina." Frau Molitor fuhr sofort nach Paris  . Es stellte sich heraus, daß Olga kerngesund war und daß Frau Han keinerlei Kenntnis von dem Telegramm hatte, das mithin gefälscht sein mußte. Die Anklage nahm an, der Angeklagte habe das Telegramm ab- gesendet. Der Angeklagte, der überhaupt von dem Recht als An- geklagter, Erklärungen nur soweit zu machen, wie eS ihm paßt, in det Verhandlung weitgehenden Gebrauch machte, lehnte in der Verhandlung zunächst eine Er- klärung hierüber ab. Am zweiten Tage der Ver- Handlung gab er jedoch, unmittelbar vor der Ver- nehmung des Schreibsachverständigen, zu, das Telegramm habe er selbst aufgegeben. Weitere Er- klärungen über den Zweck des Telegramms' lehnte er an diesem Tage ab. Kurze Zeit nach dem Pariser Vorfall reisten die Eheleute nach London  , um später nach Amerika   zurückzukehren. In London  erhielt Hau eine Depesche folgenden Inhalts: Kommen Sic unverzüglich nach Berlin  . ThicS. Angekkagter gab in der Verhandlung zu, dies Telegramm an sich selbst veranlaßt zu haben. Wie er zunächst erklärte, wollte er sich dadurch einen Vorwand schaffen, um nach dem Kontinent zu reisen und in Frankfurt   a. M. Geschäfte abzuwickeln. Seine spätere Er- klärung folgt unten. Angeklagter besorgte sich dann in London  einen falschen Bart und eine falssche Perücke. fuhr nicht nach Berlin  , sondern zunächst nach Frankfurt   a..M., berr vollständigte dort die falsche Haartour, die aber auch nach der Be- arbeitung als falsche aufsiel und fuhr dann nach Baden Waden. Am 0. November kam er dort an. Hier telephonierte er unter der falschen Angabe, der Telephonierende sei der PostVorsteher Graf, an seine Schwieger« mutier, sie möge sofort ans Telephonamt kommen, das Aufgabeformula» deS gefälschten Pariser Telegramms habe sich vorgefunden. Frau Molilor machte sich darauf mit ihrer Tochter Olga auf den Weg zum Postamt. Auf diesem Wege, in der Nähe der Lindenstaffel, wurde sie durch eine Revolverkugel in den Rücken, die ihr Herz traf, erschossen: sie fiel lautlos zur Erde. Des Angeklagten Stimme am Telephon ist von einem Dienstmädchen der Erschossenen erkaünt. Er selbst ist in Baden-Baden   von mehreren Leuten gesehen worden. Die Schwägerin Olga bekundet, daß der Täter nur ein Mann habe sein können, den sie dort am Tatort gesehen hatte, und dessen Figur große Aehnlichkeit mit der ihres Schwagers hatte. Angeklagter gab zu, mit falschem Bart und falscher Perücke in Baden-Baden   gewesen und nachdem er seine Schwiegermutter und Schwägerin habe ankommen sehen. schleunigst nach dem Bahnhofe geeilt zu sein. Er lehnte aber ausdrücklich in der Verhandlung zunächst jede weitere Auskunft über die Vorgänge in Baden- Baden   ab. Nach dem Tode seiner Schwiegermutter depeschierte er an seine Frau in London  , daß er zurückkomme. Die ersten Worte, die er seiner Frau gegenüber nach den Mitteilungen, die diese ihren Schwestern gemacht hat, gebrauchte, waren:Denke Dir, es«wird behauptet', ich hätte Mutter er�- mordet." Am 7. November wurde Angeklagter in London   verhaftet. Seine Frau hat erst Zweifel an seiner Schuld laut werden lassen, später aber ihrem Bruder und ihren Schwestern gegenüber Aeußerungen getan, aus denen diese entnahmen, sie gebe die Schuld ihres Mannes zu. Auch in dem Testament der Frau Hau findet sich eine Wendung, die nach dieser Richtung gedeutet werden kann. Frau Hau nahm sich das Leben, weil sie ihren Mann über alles liebte und die furchtbaren Verhältnisse, in die sie durch den Mord gergton wgr, nicht ertragen konnte,