gering einzuschätzen. Wir erinnern an Bramels Reden im Landtag und Dr. Barths und Dr. Breitscheids Versammlungen in vielen Städten. Eine Straße ndemon st ration ist vom Liberalismus nicht zu verlangen, was aber im Landtag getan werden konnte, das hat er getan. Der„Vor- ivärts" verschiebt die Sachlage, wenn er Zentrum und Freisinn als eine einheitliche Größe behandelt. Mr haben in Wahlrechtsfragen gar nichts mit dem Zentrum zu tun." Daß Herr Naumann nichts Gescheiteres zu sagen weiß, stellt seinen politischen Fähigkeiten gerade kein glänzendes Zeugnis aus; daß er aber diese Ratlosigkeit hinter allerhand unehrlichen Klopffechtereien zu verbergen sucht, wirft auf den politischen Charakter Naumanns ein höchst ungünstiges Licht. Als bloße Ungeschicklichkeit wollen lvir eS gelten lasten, daß Naumann einmal behauptet, der Freisinn habe seine Schuldig- keit getan, und gleichzeitig zugibt, der Freisinn habe sich in Zeitungen und Versammlungen nicht immer mit ganzer Wucht für die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts eingelegr. Als eine, freilich erstaunliche, des humoristischen Beigeschmacks nicht entbehrende Ungeschicklichkeit wollen wir es weiter gelten lassen, daß Naumann die heftigen Angriffe der Sozialdemokratie au die Untätigkeit des Freisinns als Entschuldigung für diese Untätigkeit anführt. Das heiße denn doch die Ursache mit der Wirkung verwechseln. Die Sozialdemokratie geißelt die unverant- wortliche Lässigkeit deS Freisinns in der Vertretung seiner demo- kratischen Prinzipien— und Herr Naumann behauptet, daß der Freisinn seine„grundsätzlichen" Forderungen der- leugne, weil ihn die Sozialdemokratie zur Rechenschaft zieht! Soll etwa die Sozialdemokratie den Freisinn wegen seiner Prinzip- widrigen Untäsigkeit loben? Eine befremdende Ungeschicklichkeit ist es ferner, daß Herr Nan- mann eS so darstellt, als müsse die Sozialdemokratie den Freisinn submiss« st bitten, ihr zur Vertretung im preußischen Land- tage zu verhelfen! Wir glaubten bisher, der Freisinn trete grund- s ä tz l i ch für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht ein, nicht aber um der Sozialdemokratie gnädigst einen Gefallen zu erweisen I Wir wären niemals so naiv, dem Freisinn zuzumuten, für eine demokratische Wahlreform auch nur einen Finger zu rühren, wenn nicht der Freisinn und auch Herr Naumann inimer behaupteten, diese demokratische Wahlreform bilde einen wesentlichen Bestandteil des freisinnigen Programms! Die Stellung der Sozial- demokratie gegenüber dem Freisinn kann doch aber auf die Ver- tretung freisinniger Forderungen von nicht dem geringsten Einfluß sein! Unwahr ist eS aber, wenn Herr Naumann den Anschein erweckt, als hätten wir vom Freisinn eine Straßen- demonstration gefordert. DaS wäre ja an und für sich gar keine unbillige Forderung, aber wir kennen ja den Heldenmut unseres Liberalismus zur Genüge, um ihm nicht Tapferkeitsproben zuzumuten, denen er doch nicht gewachsen wäre. Wir verlangten von ihm nur einen Proteststurni durch Presse und Versamm- l u n g e n. U n w a h r ist es ferner, daß wir„Zentrum und Freisinn als eine einheitliche Größe behandelt' hätten. Wir hatten lediglich dargelegt, daß auch das Zentrum, das ja ebenfalls einen Antrag auf Einführung des ReichStagSwahlrechtS für Preußen eingebracht hat, dieselben agitatorischen Verpflichtungen gehabt hätte und noch hätte wie der Freisinn. Auch hatten wir ja die Auf- peitschung des Zentrums gerade als ein Mittel bezeichnet, die Position deS Freisinns im Block derart zu stärken, daß die Wahlrcforin nicht am Widerstand der Junker scheitern könnte! Herrn Naumanns VerlegenheitSauSflüchte verraten jedenfalls soviel, daß selbst die„entschiedensten" Vertreter des Freisinns nicht daran denken, zur Verstärkung des Wahlrechts- vorstoße» eine Volksbewegung zu inszenieren, ja ajuch nur zu unterstützen! Sie beweisen ferner, daß die nationalsoziale„Verjüngung" des Freisinus die Aktionskraft deS Liberalismus nicht im geringsten gestärkt hat. Dabei war eS Herr Naumann, der in einem programmatischen Arttkel in der „Zeit" im Jahre 1836 schrieb: „Der erste Schritt einer Partei deS nationalen Sozialismus muß die Fortsetzung des in seinem Frühling erfrorenen Liberalismus sein durch Vertretung freiheitlicher Forderungen auf dem Gebiete des Vereins- und Koalitionsrechts sowie deS Wahlrechts." DaS erste Programm der Naumann-Partei enthielt denn auch die Forderung der Ausdehnung des RcichstagswahlrechtS auf Landtage und Kommunalvertretungen. Und jetzt, wo Herr Naumann Gelegenheit hätte, den F r e i s i n n vorwärts zu drängen im Kampfe für die nattonalsozialen und freisinnigen Wahlrechtsforderungen, entpuppt er sich als Hemmschuh jeder energischen Aktion! Auch der Polittker Nau- mann ist„in seinem Frühling erfroren." Herr Naumann, der Abtrünnige, sollte sich aber vor allen Dingen auch hüten. Herrn Theodor Barth als Zeugen für sich und den Freisinn anzurufen. Herr Barth ist ja doch gerade deshalb überS Meer gezogen, weil ihn seine Partei einschließlich seines ehe» maligen Busenfreundes Naumann schmählich im Stiche ge- lasten hat! Es ist richttg, auch Herr Barth hat sich früher, wie heute Herr Naumann, über die sozialdemokratische Kritik des Frei- sinnS beklagt. Dadurch aber, daß er später selbst die Geißel ätzendsten SpotteS womöglich noch rücksichtsloser über dem Freisinn schwang, hat er die Berechtigung der sozialdemokratischen Kritik glänzend bestättgt. Wie wenig Ursache Naumann hat, die Tätigkeit Barths für sich und seinesgleichen zu reklamieren, beweist folgende Aeußecung Barths vom 6. September 1963: „Für die Freisinnigen handelt eS sich bei den bevor- stehenden preußischen Landtagsivahlen darum, ob sie es wirklich ernst meinen mit der Bekämpfung der Reaktion. Bloße Redensarten, daß man die Reaktion bekämpfen will, genügen nicht; man muß zeigen, daß man auch entschlossen ist, die bereiten Mittel im Kampfe gegen die Reaktion zu ergreifen. Das einzige wirksame Mittel im Augenblick ist ein resolutes Zusammen- wirken mit der Sozialdemokratie." viel csrm um liichtz. lleber die Verhandlungen der Haager Konferenz haben wir bisher nur sehr selten berichtet, denn wenn schon die Endbeschlüsse der Konferenz nur einen sehr bedingten Wert für das Verhältnis der Nationen zu einander haben und die Befürchtung nicht abzu- weisen ist, daß beim ersten Kanonenschuß all die schönen Resolutionen und Zusagen über den Haufen purzeln, so haben die langen, in den vielen Kommissionen, Unterkommissionen und Subkonimissionen der Unterkommissionen abgegebenen Erklärungen, mit denen die Dele- gierten der verschiedenen Staaten ihre Zeit im Haag ver- bringen, einen noch ungleich geringeren Wert. Hin und wieder ereignen sich jedoch Vorfälle, die eine gewisse Bedentung beanspruchen können— wenn auch nur eine negative Bedeutung, nämlich insofern, als sie beweisen, wie wenig sich die zwischen den Staaten bestehenden Gegensätze durch Beschlüsse und Paragraphen regeln lassen und wie die ganze Geschäftigkeit der Delegierten nur darauf hinausläuft, für die durch die EntWickelung längst geschaffenen Ver- bältniste nachträglich noch schöne schematische Formeln zu sinden. Zu diesen Vorfällen zählt auch des Baron v. Marschalls Rede in der ersten Kommission über die Stellung Deutschlands zur obligatorischen Schiedssprechung. Er erklärte, daß Deutschland , richtiger die deutsche Regierung, seit der letzten Friedenskonferenz dem Gedanken obligatorischer Schiedssprüche ge- Wonnen worden sei. Es habe sogar mit England und den Ver- einigten Staaten von Amerika Schiedsverträge für das gesamte Gebiet juristischer Streitigkeiten abgeschlosten und außerdem in seine neuen Handelsverträgen die Schiedsklausel aufgenommen. Im ge- wissen Sinne sei Deutschland sogar für einen obligatorischen WeltschiedSvertrag,— nur fehlten bei solchem Vertrag die konkreten Faktoren und man müsse mit der Möglichkeit von Streitigkeiten rechnen, deren Tragweite nicht zu übersehen sei. DeS- halb sei es verfehlt, eine Schiedsformel, die sich bei Einzelverträgen bewährt hat, ohne weiteres für einen Weltvertrag zu verwerten. Sie könne dort nur vage und u n b e st i m m t s esi n. Aber auch bei den besonderen Verträgen zwischen den einzelnen Staaten eigneten sich nicht alle Streitfragen zur Schlichtung durch Schiedsgerichte und zwar müßten folgende Streitigleiten aus- scheiden: Erstens Konflikte rein politischer Natur; denn so erklärte Herr v. Marschall nach dem Bericht der„Fraukf. Ztg.", das Wesen der Schiedssprechung bestehe in der Lösung von Konflikten durch Anwendung von Rechtsprinzipien, nach denen sich der Wider- streit politischer Interessen nicht schlichten läßt. Politische Konflikte aber gehörten in das Gebiet der Mediation. Es blieben also nur Streitigkeiten übrig, denen Rechtsfragen zu gründe lägen. Zweitens, kleinere im Grenzverkehr täglich sich ergebende Konflikte, welche jetzt auf dem Wege freund- nachbarlicher Verhandlungen erledigt würden. Es wäre durchaus unerwünscht, diese Streitigkeiten zum Gegenstand langwieriger und kostspieliger Schiedsverhandlungen heranzuziehen. Drittens, alle Konflikte, die im Leben der Völker eine,fo große Bedeutung hätten, daß es nicht angebracht erscheine, ein Schiedsgericht darüber befinden zu lasten, das heißt alle Streitigkeiten, welche die Ehre, die Unabhängigkeit oder wichtige Lebensinteressen der Staaten be- träfen, und zwar hätte natürlich jeder Staat für sich endgültig allein zu entscheiden, ob er seine Ehre und vitalen Lebensiuteressen engagiert fände, denn„man kann wohl ebensowenig einem Staate zumuten, einen Dritten die Vorfrage entscheiden zu lassen, ob eine Streitigkeit seine Ehre und seine vitalen Jnter« esten berührt, wie über eine solcheStreitigkeit selb st." Ausgeschlossen von der Schlichtung durch Schiedsgerichte sollen demnach sein: rein politische Konflikte, ganz unwichtige und ganz wichtige Streitigkeiten, welche die Ehre und Lebens- interessen der streitenden Mächte angehen. Welche Fälle sollen aber den Schiedsgerichten unterbreitet werden? Herr v. Marschall nannte als solche: „Rechtliche Streitigkeiten, die durch Auslegung und An- Wendung von Staatsverträgen entstehen. ES gäbe unzweifelhaft eine Reihe von Gebieten, welche in keiner Weise die Ehre und die vitalen Interessen berühren und wo daher daS Prinzip der obligatorischen Schiedssprechung ohne Einschränkung angewandt werden kann." Mit anderen Worten: Konflikte, die zu Kriegen Anlaß geben können, sollen nicht vor das Schiedsgericht gebracht werden, sondern nur solche, die auch bisher schon auf die eine oder andere Weise friedlich geregelt wurden. Und um dieses glänzende Resultat zu erreichen, müsten endlose Sitzungen und Reden gehalten werden? Besser als durch ein derartiges Tamtam um Winzigkeiten kann das Possenspiel im Haag nicht gekennzeichnet werden. politifcbc Qcberlicbt. Berlin , den 25. Juli 1907. Sozialdemokraten und Richter dürfen ungestraft beleidigt werden. Die„Nordd. Allg. Ztg." meldet hochoffiziös an der Spitze des Blattes: „In dem vor dem Münchener Schöffengericht verhandelten Peter s-prozeß hatte der Rcichstagsabgeordnete General- leutnant z. D. v. L i e b e r t geäußert, die Art der Urteils- findung bei den Disziplinargerichten, von denen Dr. Peters abgeurteilt worden sei, erscheine ihm nicht nur als ein Justizmord, sondern als ein Schandfleck des deutschen Volkes und der Justiz. Wegen dieses Ausspruchs ist auf Veranlassung des Reichs- k a n z l e r S Herr Generalleutnant v. Liebert um eine Aeußerung ersucht worden. Sein Antwortschreiben liegt nunmehr vor. Herr v. Liebert erklärt darin, daß er den Vor- Wurf, der in seiner Aeußerung vor dem Münchener Schöffen- gericht vom 28. Juni d. I. gegen die Disziplinargerichte und die beteiligten Richter gefunden werden könne, zurücknehme. Das Schreiben schließt:„Ich bedauere lebhaft die von mir ini Eifer der Rede gebrauchten scharfen Worte und versichere, daß mir eine Herabsetzung der erkennenden Gerichte und eine Ver- lctzung der AmtSehre der beteiligten Richter ferngelegen hat." Die Antwort des Generalleutnants v. Liebert ist samt- lichen noch lebenden Mitgliedern der beiden damaligen erkennend en Gerich te mitgeteilt Wörde n." Fürst B ü l o w hat sich also in höchsteigencrPer- s o n bemüht, Herrn Liebert die Beleidigungsklage zu er- sparen! Er selbst hat dem Reichslügenverbandsgeneralissimus die Zurücknahme seiner beschimpfenden Aeußerungen nahe- legen lassen. Des weiteren ist dann im Namen des Reichskanzlers den beleidigten Richtern das Schreiben des Liebert zugestellt worden. Wie sollten es da die Be- leidigten noch wagen, um eine Ahndung der Beleidigungen anzutragen, da ihnen doch vom höchsten Reichs- b e a m t e n mit den: Zaunpfahl zu verstehen gegeben worden ist, daß eine strafrechtliche Verfolgung seines politischen Hand-� langers nicht gewünscht wird! Dies Vorgehen kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Bevor künftig ein sich beleidigt fühlender Landrat Straf- antrag gegen einen Sozialdemokraten stellen wird, wird der Oberpräsident der betreffenden Provinz bei dem Be- leidiger höflichst anfragen, ob die Beleidigung auch wirklich beabsichtigt gewesen fei. Fühlt sich ein Richter oder Staats- anwalt gekränkt, so wird der I u st i z m i n i st e r diesen Schriftwechsel besorgen. Und sollte gar einmal Herr D e r n- bürg seine weiße Weste befleckt fühlen, so wird Fürst Bülow selb st in seiner charmanten Weise dem roten Uebeltäter nahelegen, doch freundlichst den Dreckspritzer für einen Tropfen Kölnisches Wasser zu erklären!— Kein Schutz gegen die Seuchengefahr? Wir wiesen kürzlich auf die Gefahr der Verseuchung Deutsch . landS durch die in preußischen Provinzen arg hausende G e nick- starre hin. Nach der Ansicht der Aerzte ist die Gefahr vorhanden. daß durch gesunde Äokkenträger die Krankheit in gemeingefährlicher Weise weiterverbreitet werden kann. Eine Isolierung und Behandlung der Kokkenträger zwecks Abtötung des 5trankheits- keimes ist aber unmöglich, da die Kraukenkassen sich weigern, für Gesunde Krankengeld zu zahlen. Wir forderten deshalb die st a a t l i ch e Auswerfung der erforderlichen Summen, um den Kolkenträgern die nach ärztlicher Auffassung notwendige Be« Handlung zuteil werden lassen zu können. Inzwischen ist offiziös versichert worden, daß die Ver- seuchungSgefahr keineswegs so groß sei, da seit Anfang Juni ein Rück- gang der Erkrankungen zu verzeichuen sei. Das neuer- liche starke Auftreten der Genickstarre in Köln , wo nach Blätternieldungen bereits 30 Todesfälle vorgekommen sein sollen, läßt diese Beschwichtigung keineswegs besonders beruhigend erscheinen. In einer Zuschrift des Oberarztes deS KnappschaftSvereinS Bochum an die„Rh.-Westf. Ztg." heißt es nun: „Ganz willkürlich und unbewiesen ist aber die Annahme, daß durch Verrichtung körperlicher Arbeit bei einem Kokkenträger die Gefahr, an Hirnhautentzündung zu erkranken, vermehrt werde. Diese Annahme muß um so bestimmter zurückgewiesen werden, als sie geeignet ist, ganz unbegründete Befürchtungen wachzurufen. Die Annahme, daß die Genickstarre infolge des„jähen Temperaturwechsels" zu einer „Wiuterkrankhcit" geworden ist, ist wenig haltbar. Die Menschen, die im Winter in unzureichend ventilierten Wohnungen eng und nahe bei einander leben, entbehren nur der ozonreichen Luft und der aus- trocknenden und keimtötenden Sonne des Sommer s. lleber die Häufigkeit der K o k k e n t r ä g e r bei der Genickstarre haben wir kein Urteil. Sie scheint uns aber sehr er- heblich unterschätzt zu werden. Wenn wir richtig unterrichtet sind. sind in einer Ortschaft, in der die Genickstarre aufgetreten ivar, fünf Prozent der Gesamtbevölkerung als Kokken- träger festgestellt, und jeder Genickstarrekranke war umgeben von 60 Prozent der Familienglieder als Kokken- träger. Diese Zuschrift soll die ablehnende Haltung der Kranken- kästen, gesunden Kokkcnträgern Krankenunterstützung zu zahlen, rechtfertigen. Sie beweist aber nur die Tatsache, daß die Genickstarre in erster Linie eine Proletarierkranlheit ist und daß die BerseuchungSgefahr wegen der großen Zahl gesunder Kokkenträger eine außerordentliche ist. Um so notwendiger wäre die st a a t l i ch e Bewilligung von Mitteln, die gesunden Kokkenträger ihrer Arbeitstätigkcit zu entziehen und, unter Unter- stützung ihrer Familien, zu behandeln! Dieweil es sich aber hauptsächlich um eine Proletarier- krankhcit handelt, vor der die Wohlhabenden, die ja nicht in stickigen Massenquartieren leben und mit den Kokkcnträgern zu- sammen arbeiten müssen, einigermaßen geschützt sind, bekämpft man die Seuche mit offiziösen Dementis! Uever Südwcstafrika veröffentlicht ein„alter Afrikaner", der Hauptmann Hutter,. der für daS„Berl. Tagebl." eine„Studienreise" unternommen hat, einen ersten Artikel. Er legt auf Grund des Buches des Missionars Erle, der 34 Jahre unter den H e r e r o gelebt hat, dar, daß alle Landverkäufe der Kreatur der deutschen Regierung, des dem Trünke ergebenen, widerrechtlich von der deutschen Kolonialverwaltung zum Ober- h ä u p"t l i n g gemachten S a in u e l� M a h a r e r o, widerrechtliche Eingriffe in das Recht der Hcrero darstellten! Roch im Jahre>903 hätten die Herero -Häuptlinge und Groß- leute gegen diesen Landraub feierlichst protestiert I Ueber die Kriegsperiode schreibt Hauptmann Hutter: „Die jüngste Phase der kolonialen EntWickelung deS Schutzgebietes— leider vollkommen negativ, beinahe alles bisher mühsam Geschaffeue gleich einer elementaren Naturgewalten- katastrophe vernichteud— der Kampf um die Herrschaft im Schutz- gebiete mit den einstigen Herren des Landes gehört der Tages- geschichte an. Im Epochenkalender der Herero heißt der diesem Existenz- kämpfe voraufgehende Zeitabschnitt Ojovarande jovinega, zu deutsch : die Zeit der Händler und deS Betruges. Für den Kaufmann war diese Phase, die Kriegs- jähre von 1904 an b i s f a st z u r S t u u d e, reiche Erntezeit. Die Eiufuhrziffern schwellten zu enormer Höhe an." Die„Erntezeit" der südwestafrikanischen Abenteurer, die die Früchte der„Zeit der Händler und des Be- t r u g e s" zur blutigen Reife brachten, hat dem deutschen Volke 500 Millionen und 1500 Menschenleben gekostet!— Kriegervereinliches. Der Fahnenträger des Kriegervereins Zabern , ein schön go- wachsener patriotischer Schneidermeister, besuchte am 14. Juli das französische Nationalse st in Luneville . Ein Kousin von ihm ist dort ebenfalls Fahnenträger in einem französischen Kriegcrverein. Durch irgendwelchen Umstand war dieser aber ver- hindert, am 14. Juli die Fahne bei der Demonstration zu tragen. Nichts Böses denkend, sprang der Zaberner Fahnenträger für seinen Kousin ein und trug mit dem gleichen Stolz, wie sonst die deutsche Fahne, diesmal die französische Tricolore. Dieses hochverräterische Verbrechen kam zu Ohren des Vor- standcs des deutschen Kriegervereins in Zabern und ohne Er» barmen wurde der gutmütige Fahnenträger degradiert und zum Verein hinausbefördert. Welch eine Schande wäre cS auch gewesen, wenn er bei der nächsten Gelegenheit die schöne Krieger- vcreinsfahne mit denselben Händen gehalten hätte, die eben erst die französische Tricolore getragen hatten.— Das„nationale" Geschäft. In einem Arttkel, der gegenwärtig durch die ZentrumSprcffv geht, wird dargelegt, in welchem Maße sich die„nationale" Politik, deren wesentliche Bestandteile Heer, Flotte, Kolonien und Ostmarken- frage seien, für gewisse Leute rentiere. Die Ausgaben für das Reichsheer kämen in erster Linie dem Großkapital zu gute. DaS Reich zahle dem Pulverring weit höhere Preise, als sonst üblich; die Monopolstellung der Firma Krupp koste dem Reich ungezählte Millionen; ebenso nutzten die Kohlenherren ihre Macht dem Reiche gegenüber reichlich aus; weiter werden die Gewinne angeführt, die bei der Kolonialpolitik für die Landgesellschaften und die Reeder- firmen abfallen. Zum Schluß heißt eS dann:„Wenn daS Zentrum. daS sich stets dieser kapitalisttschen Nutzbarmachung„nationaler" Interessen entgegenstellte, deshalb bei gewissen Leuten noch besonders verhaßt ist, so kann uns das nur freuen; manches wird freilich auch dadurch erklärt." Die ultramontane Preffe schreibt dem Zentrum hier mal wieder Verdienste zu, die der Partei nicht zukommen. Die riesenhaften Steigerungen der Heeres- und Flottenausgaben sind mit Hülfe des Zentrums zustande gekommen, und dasselbe ist es mit den Ausgaben für die Kolonialpolitik. Vor dem 13. Dezember 1906 hat sich das Zentrum ja seiner Mitwirkung bei der Erfüllung dieser„nationalen Aufgaben" nicht genug rühmen können. Nur an Kleinigkeiten und Stebensächlichkeiten hat es herum genörgelt, aber das System fand im Zentrum den eifrigsten Förderer. Wenn die klerikale Presie sich jetzt bemüht, mit dem Sündenregister der»nationalen" Politik die
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