Zweiter fnteroatlonalcr Kongreß für Schulhvgiene. London , 8. August. Zm weiteren Verlauf ihrer Beratungen beschäftigte sich die zweite Sektion(ärztliche und lchgicnische Schulaufsicht) mit der Frage der Errichtung von Schulpoliklinikcn. Augenarzt Dr. Stocker- Luzern legte dar, daß die Schulpoliklinik die moderne schulärztliche Aufsicht in fruchtbringender Weise ergänze. Die Errichtung von Schulpolikliniken sei um so notwendiger, weil die Eltern häufig den Winken der Schulärzte nicht nachkämen.— Prof. Dr. Tuba- Budapest untersucht die Frage, ob Schulärzte im Haupt- oder im Nebenamt anzustellen seien. Redner kam zu dem Schluß, daß im allgemeinen die Schulärzte im Nebenamt angestellt werden. Im zweiten Generalmeeting wurde über Schule und Tuberkulose verhandelt. Das Hauptreferat hierüber hatte der offizielle Ver- treter der preußischen Regierung, Geh. Obermcdizinalrat Dr. Kirchner-Berlin, übernommen. Die Frage der Bekämpfung der Tuberkulose in der Schule ist bei uns in Deutschland erst seit kurzer Zeit Gegenstand öffentlicher Erörterung. Wurde doch bis vor kurzum noch überall die Ansicht vertreten, daß die Tuberkulose erst in deu späteren Lebensjahren zum Ausdruck komme. Aber die Ver- breitnug der Tuberkulose ist gerade im schulpflichtigen Alter gröber, als man früher glaubte. Seit der Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Rudert Koch hat man den Kampf gegen die Tuberkulose allenthalb>en mit Erfolg aufgenommen. In allen zivilisierten Ländern ist die Tuberkulosesterblichkeitsziffer zurückgegangen. Im preußischen Staat hat sie etwa um 33 Proz. in den letzten 25 Jahren abgenommen. Das ist schon ein gewaltiger Fortschritt. Außer- ordentlich betrübend ist jedoch die Tatsache, daß die Abnahme nicht in allen Lebensjahren die gleiche ist. In den höheren Lebens- jähren ist die Abnahme sehr stark, während im schulpflichtigen Alter nicht nur keine Abnahme zu konstatieren ist, sondern die Sterb- lichkcit ganz erheblich zugenommen hat.(Bewegung.) Diese Tat- fache hat sich erst in allerletzter Zeit durch Vergleichung der Statistik herausgestellt. Die Statistik hat das überaus überraschende Er- gebnis gezeigt, daß die sogenannten Kinderkrankheiten im schul- Pflichtigen Alter fast gar keine Rolle mehr spielen. Die höchste Sterblichkeitsziffer der Masern liegt zwischen dem 3. und 4. Lebensjahr, die des Keuchhustens zwischen dem 1. und 2. und die der Diphtherie zwischen dem 5. und 6. Lebensjahr. Tie Tuberkulose nimmt aber vom 10. bis zum 12. Lebensjahre die erste Stelle ein. Daraus folgt, daß mehr zur Bekämpfung der Tuberkulose während der Schulzeit geschehen muß. Und das kann geschehen. Man vertrat früher die Ansicht, daß die Tuberkulose eine von den Eltern auf das Kind übertragene Krankheit, ein un- abwendbares Schicksal sei. Seit Robert Koch wissen wir, daß das nicht wahr ist. Fälle, in denen Kinder tuberkulös auf die Welt kommen, sind außerordentlich selten. Die Tuberkulose entsteht nicht durch Vererbung, sondern durch Nebertragung. Bereits 1889 konnte ich nachweisen, daß die Tuberkulose eine exquisite Familien- krankheit ist. Ein krankes Familienmitglied überträgt sie auf Eltern, Geschwister oder Kinder. Man kann genau ver- folgen, wie ganze Familien an Tuberkulose zugrunde gehen. Die Tuberkelbazillen setzen sich weiter in den Wohnungen fest. Wenn in einem Hause eine Person an fortgeschrittener Tuber- kulose erkrankt ist, so siedeln sich die Krankheitskeime in der Woh- nung an. Wenn dann eine andere Familie einzieht, so dauert es nicht lange, und einer nach dem anderen erkrankt an Tuber- kulose und alle gehen sie an demselben traurigen Schicksal zu- gründe. Es ist ein Dogma, das wir aufstellen müssen, und das wir uns bei der ganzen Bekämpfung der Tuberkulose vor Augen zu halten haben, daß die Quelle der Tuberkulose der kranke Mensch ist und den kranken Menschen müssen wir daher für seine Um- gebung unschädlich machen. Dieser Grundsatz gilt auch für die Schule. Man hat die Schüler bisher zu wenig untersucht, trotzdem bor sämtlichen übertragbaren Krankheiten, an denen Kinder im schulpflichtigen Alter zugrunde gehen, bei Mädchen die Tuberkulose «0 Proz., bei Knaben 48 Proz. ausmacht.(Bewegung.) Nun ist die Tuberkulosebekämpfung ja schwer, da sie in den verschiedensten Formen auftritt. Nieren-, Knochen- und Gelenktuberkulose sind nicht ansteckend und daher ungefährlicher als die Lungentuberkulose. Diese gilt es daher so bald als möglich zu erkennen. Bei der Tu- berkulosebekämpfung in der Schule haben wir es aber weiter nicht nur mrt den Schülern, sondern auch mit den Lehrern zu tun. Leider können wir als feststehend annehmen, baß viele jungen Lehrer und Lehrerinnen der Tuberkulose verfallen sind. Es ist für eine Unterrichtsverwaltung außerordentlich schwer, sich mit dieser Tatsache abzufinden. Bisher hat man mit begreiflicher Schonung des Schicksals dieser Unglücklichen noch nicht die letzte Konsequenz gezogen, nämlich sie vom Unterricht auszuschließen. Aber diese Konsequenz ist, wenn auch grausam für den einzelnen. so doch notwendig.(Zustimmung.) Das liegt auch im Interesse der kranken Lehrer selbst. Der Lehrerberuf ist ein außerordentlich an» strengender. Es ist sehr wohl möglich, daß, wenn man ihnen die notwendige Pflege angedeihcn läßt, sie nach der Wiederherstellung ohne Schaden ihrer Gesundheit einen anderen Beruf ergreifen können, in dem sie für ihre Umgebung weniger gefährlich sind. Wir in Deutschland haben 1980 ein neues Reichsseuchengesetz ge- schaffen. Aber die Tuberkulose ist mit keinem Wort darin er- wähnt. Auch in das preußische Seuchengesctz von 1985 die Tuber- kulose aufzunehmen, ist uns nicht gelungen. Leider, denn die Grundlage jeder Tuberkulosebekämpfung muh meiner Ansicht nach die Anzcigepflicht sein, die in einzelnen deutschen Bundesstaaten schon besteht. Wenn man die Kranken nicht kennt, sind keine Maßregeln gegen sie möglich. In Erkennung dieser Tatsache hat die preußische Unterrichtsverwaltung im vorigen Monat einen Erlaß herausgegeben, der die Untersuchung aller tuberkulös verdächtigen Schüler und Lehrer anordnet. Werden bei Schülern oder Lehrern Tuberkelbazillen gefunden, so sind sie sofort von der Schule aus- zuschließen.(Beifall.) So radikal ist man wohl noch nirgends vorgegangen und wir versprechen uns davon außerordentlich viel. Notwendig ist weiter die Reinhaltung der Schulen, denn im Staub setzen sich die Tuberkelbazillen mit Vorliebe fest. Die Schulen müssen täglich gereinigt und die Fußböden mit Oelen bestrichen werden. Die Ferien müssen jedesmal zu einer Generalreinigung des ganzen Schulgebäudcö verwandt werden. In Deutschland haben wir ferner eine große Anzahl staatlicher Laboratorien er- richtet. Jeoe Apotheke hat Gefäße zur Aufnahme verdächtigen Auswurfs, der in diesen Laboratorien unentgeltlich binnen L4 Stunden untersucht wird. Frühzeitige Erkennung der Tuber- kulose ist die Hauptsache, dann ist meistens auch eine rasche Heilung möglich. Je früher wir die Krankheit erkennen, um so mehr Menschen können wir retten. Es müssen in allen Ländern noch mehr Mittel wie bisher zur Errichtung von Lungenheilstätten bereit gestellt werden. Schon in der Schule muß eine eingehende Kennt- nis über die Entstehung und das Wesen der Tuberkulose gelehrt werden.(Beifall.) In den oberen Klassen der höheren Lehr- anstalten geschieht das schon seht bei uns. Errichtung von Schul. bädern und eine regelmäßige ärztliche Untersuchung aller Schul- kinder sind weitere Forderungen, die erfüllt werden müssen. Bei uns erfolgt heute die Untersuchung durch die Kreisärzte. Wie ungenügend diese Untersuchung ist, beweist die Tatsache, daß der Kreisarzt jede Schule alle fünf Jahre nur eiumnl zu sehen be- kommt. Deshalb muß die Einrichtung der Schulärzte weiter aus- gebaut werden. Wie die Militärverwaltung für die Gesundheit der Soldaten sorgt, so muß die Unterrichtsverwaltung für die Ge- sundheit der Kinder sorgen. Ferner müssen ebenso low für geistes- schwache, auch für körperlich zurückgebliebene Kinder beiondere Klassen eingerichtet werden. Diese Kinder müssen eventuell auS den Großstädten heraus aufs Land, in den Wald oder an die See gebracht werden. 4— 6 Wochen genügen da nicht, monatelang muß ein solcher Erholungsaufenthalt dauern. Wir sind alle viel zu grosie Philister. Wir bilden uns ein, daß, wer nicht regelmäßig seine Jahre in der Schule zurückgelegt hat, später nichts werden könne. Diese Ansicht ist falsch. Wer arbeiten will, der kann schon arbeiten. Wer aber nickt arbeiten kann, der soll auck nickt ar- beiten, der soll sich erholen. Wenn er das tut, dann wird er auch wieder arbeiten können, wenn er arbeiten will und soll.(Beifall.) Wir sollten endlich aufhören, Philister zu sein und uns dessen ver- antwortlich werden, daß wir für die Zukunft unseres Volkes ver- antwortlich sind.(Großer Beifall.) Interessant war die Mitteilung, die Geh. Obermedizinalrat Kirchner im Anschluß hieran noch machte, nämlich, daß der preu- ßische Staat für die tuberkulös erkrankten Lehrer und Lehrerinnen die Ouarantäne-Anstalten bei den Hafenstädten geöffnet hat, wo sie sich bei der Seeluft gut erholen könnten.— Nach diesem mit großer Spannung angehörten Vortrag wurde die Sitzung ge- schlössen._ Achter Internationaler Nohnung;- Kongreß. L o n d o n. den 8. August. In seiner Schlußsitzung beschäftigte sich der Kongreß mit der Frage der Landwohnunge«. Professor Tibbaut-Brüssel schilderte die segensreichen Folgen, die man in Belgien mit der Anlegung billiger Wohnungen auf dem Lande gemacht. Dem Zuge vom Lande in die Stadt sei nur auf diese Weise abzuhelfen.— Miß Eochrane-London , unterbreitete dem Kongreß eine Reihe von Leitsätzen, durch die nach ihrer Ansicht das ländliche Wohnungswesen gefördert werden kann.— Geh. Regieruugsrat Junge-Münster: Die Frage der Landwohnun- gen steht zwar an letzter Stelle, ist volkswirtschaftlich genommen aber die wichtigste des ganzen Kongresses. Es wäre deshalb empfehlenswert, wenn der nächste internationale Wohnungskongreß sich einmal gründlich mit ihr beschäftigte. Wir Deutsche und be- sonders wir Preußen sind an diesem Punkt vornehmlich interessiert. In wohlwollender Auslegung eines Gesetzes, das vor 28 Jahren zur Vermehrung des mittleren Bauernstandes gegeben wurde, hat die preußische Regierung von Anbeginn dieses Jahres an folgende Einrichtung getroffen: sie gibt 75 Proz. Kredit zum Bau eines kleinen ländlichen Arbeiterwohnhauses, das mit mindestens 1258 Quadratmeter Land verbunden ist. Der Landarbeiter, der sich dort ansiedelt, braucht nur etwa 18 Proz. des Wertes des Hauses und des Landes zu geben. Wenn Land und Gebäude zusammen, und das ist schon hoch, 7888 M. wert sind, dann braucht der Landarbeiter nur 788 M. zu besitzen. 75 Proz. gibt der Staat, und vom Arbeit- geber erwartet man, daß er die reftierenden 15 Proz. als Vorschuß gibt. Das wesentlichste bei dieser Einrichtung ist daß die Leute sofort Eigentum bekommen. In kurzer Zeit wird es so möglich sein. Hunderttausende von Arbeitern auf dem Lande anzusiedeln, und zwar Landarbeiter ebenso wie Industriearbeiter. Die Sonne der staatlichen Gnade scheint für beide gleichmäßig. Die Erhaltung eines zahlreichen ländlichen Arbeiterstandes ist nach unserer Ansicht für alle zivilisierten Staaten gleich wichtig. Den schrecklichen Zahlen Tibbauts von der Flucht der belgischen Landbewohner in die Städte könnte ich viel schrecklichere Zahlen aus Deutschland hinzufügen. Bis jetzt hat man kein Mittel gefunden, dem Exodus vom Lande in die Stadt, dieser schrecklichen EntWickelung. Einhalt zu tun. Die Landwohnungen scheinen uns das einzige Mittel zu sein, und Wir müssen es deshalb mit allen Kräften fördern.(Beifall.) Professor Gerlach-Königsberg: Die Verbesserung der Woh- nungsverhältnisse in den Jndustriebezirken ist verhältnismäßig leicht. Durch genossenschaftlichen Zusammenschluß, durch das weit» gehende Entgegenkommen der Landesversicherungsanstalten, des Reichs und des preußischen Staats ist es gelungen, bis zu 98 Proz. des Wertes vom Boden und Haus geliehen zu bekommen, so daß mit einem kleinen Kapital hier viel erreicht werden konnte. Anders liegen die Dinge auf dem platten Lande. Dort ist eS schwerer, von einer Zentralstelle aus für weite Gebiete Wohnungen zu errichten, noch schwieriger, dieselben zu vermieten und zu verwalten. Die baugenossenschaftliche Organisation reicht für diese Zwecke nicht aus. Vielfach rann die Herstellung von Mietswohnungen auch gar nicht in Frage kommen, weil ein Bedürfnis nach Wohnungen in solch dünn bevölkerten Gegenden gar nicht besteht. Die großen Güter auf denen Arbeiter wohnen, sind andererseits zum Teil guch so hoch mit Hypothekenschulden belastet, daß die Aufnahme neuer Kapitalien zum Zwecke dcS Baues gesunder Arbeiterwoh- nungen auf Schwierigkeiten stößt. Also das Problem ist sehr schwierig. Mit Recht hat Minister Burns schon hervorgehoben, daß die Förderung des Wohnungsbaues in den Großstädten auch eine schwere soziale Gefahr in sich birgt, wenn nämlich dadurch die Großstadt zu einem Attraktionsmittel wird, das das Flachland ent- völkcrt. Bei uns in Deutschland hat man deshalb von Anfang an das Augenmerk auH darauf gerichtet, parallel mit der Wohnungs- fürforge in den Städten eine Aktion zugunsten des flachen Landes zu betreiben. Hier sollten nicht nur die Landesversicherungsanstal- ten, sondern auch die Landschaften mit Mitteln eingreisen. Die Landschaften könnten es sehr leicht mit der Begründung, daß sie für diesen Zweck einen besonderen Meliorationskrcdit bereitstellen. Den Bau von Arbeiterwohnungen müßten sie als eine Art Melio- ration deS Gutes betrachten. So wichtig nun diese Kreditgewährung ist, höher zu schätzen ist noch ein anderes Moment. Wenn Land- schaften mfd Landesversicherungsanstalten Gelder geben, so er- iverben sie damit auch Einfluß auf die Herstellung der Wohnungen. Sie können Mindestforderungen aufstellen und damit erzieherisch auf die ländliche Bevölkerung wirken. In Pommern ist eS durch solche Maßnahmen gelungen, einen tüchtigen, wohlgenährten und fleißigen Bauernstand zu erhalten.(Beifall.) Die Frauen be- stellen das Feld, die Männer helfen dabei mit und gehen den übrigen Teil des Jahres auf Arbeit. Wir können eben nicht über- all den Großgrundbesitz aufteilen und kleine Bauern ansiedeln. Wo die Foxm des Großgrundbesitzes zweckmäßig ist, mutz sie bleiben. Der Großgrundbesitz aber braucht Arbeiter und diesen dienen unsere Maßnahmen. So glauben wir, daß wir doch einige Wege haben, um unserem Ziele näher zu kommen. Kleine Hülfs. mittel helfen aber auch hier nichts, etwas Ganzes mutz geleistet werden und das ist, das Gcsnmtkulturniveau des Landes ent- sprechend der Kulturhöhe der Städte zu heben.(Beifall.) Es mutz hier ein Ausgleich geschaffen werden.- Das Land, das den Städten die Menschen liefert, muß in anderer Beziehung von den Städten und Industriegebieten gestützt werden.— Damit schloß die Debatte und die Tagesordnung des Kongresses war erledigt.— Zu deutschen Mitgliedern des internationalen WohnungSkontiteeS wurden Professor Albrccht-Berlin, Dr. Stllbben-Berlin und Professor Fuchs-Freiburg i. Br. wiedergewählt.— Als Orte für den nächsten Kongreß wurden Zürich , Amsterdam und New Uork in Vorschlag gebracht. Die Entscheidung bleibt dem internationalen Komitee überlassen. Mit den üblichen Dank- und Schlußreden erreichte der Kongreß dann fcw Ende, dem sich eine Besichtigungsreise nach Liverpool und Manchester anschloß. Soziales. Der reiche Mann und der arme Lazarus. In der Bernauerstraße 115 in Berlin befindet sich eine„christ- liche Wohlfahrtsanstalt", genannt Lazarus-Krankcn- und Diako- nissenhaus. Verwalter Pastor W. Hochbaum, Oberin Gräfin von Hertzberg, dirigierender Arzt Dr. Sanitätsrat E. Löhlein und drei Assistenzärzte. Dort wird auch ein Gärtner beschäftigt, der zugleich den Portiersdienst mit zu versehen hat. Dieses christliche Haus suchte vor etwa vier Wochen durch ein Inserat in der Berliner Gärtuerbörse einen neuen, und zwar ver- heirateten Gärtner . Als Entlohnung schrieb die Verwaltung auS: 98 M. Monatslohn, freie Wohnung, Feuerung und ärztliche Be- Handlung. Bewerbungen sollten nur schriftl:„i eingereicht werden. Ter letzteren Bestimmung ungeachtet meldete sich ein Bewerber dennoch persönlich und wurde schließlich beim Herrn Pastor auch voraelassen. Die Unterreduna fübrte sogar zum Engagement. Der betreffende Gärtner hatie sich vorher aber die Gärtnerwohnung angesehen und dort folgende Feststellungen gemacht: Die drei Kinder des derzeitigen, im Kündigungsverhältnis stehenden Gärtners waren krank, zwei davon bettlägerig. Auch der Gärtner und seine Frau waren erst vor kurzem wieder genesen, wie sie sagten. Die Ursache der Krankheiten schien in den Wohnungs- Verhältnissen zu ruhen, denn in den Räumen war eine dumpfe, stinkige Luft, die von den— man stelle sich vor: im Monat Juli!— sehr feuchten, mit Schimmel überzogenen Wänden herrührte. Die bisherigen Gärtnerslente hatten ihm die gleiche Meinung geäußert und sich dieses Zustandcs wegen bitter beklagt. Der neue Bewerber um die Gärtnerstelle bat darum den Herrn Pastor, ihm auch gleich einmal die Gärtnerwohnung zu zeigen. Dann machte er den Herrn Pastor(als Verwalter der Anstalt) auf den gesundheitsschädigenden Zustand aufmerksam; er habe keine Lust, sich und seiner Familie hier ebenfalls die Gesundheit zu untergraben, der Herr Pastor möge ihm doch andere Räume zum Wohnen anweisen, vielleicht von denjenigen, die Herr Pastor selbst bewohne. Wenn Herr Pastor zwei Etagen innehabe, so könne er davon dem Gärtner wohl schon ein paar bescheidene und gesunde Zimmer einräumen, eventuell könne Herr Pastor dann ja die der» zeitige Gärtncrwohnung noch mitbenutzen.� Auf diesen Vorschlag ließ sich Herr Pastor aber nicht ein, das könne man ihm nicht zu- muten. Die Einrichtung müsse so bleiben, wie sie jetzt sei.„Ah so!" erwiderte nun der Bewerber um die Gärtner- und Portier- stelle,„es mutz Wohl das Symbol des Lazarus-Hauses erhalten bleiben: oben in der Zweietagenwohnung der reiche Mann und unten der arme Lazarus!" Der Herr Pastor wandte sich von dem„anmaßenden" Menschen ab und zog sich aufgeregt in seine eigenen, freundlicheren Ge- mächer zurück. Der sonst schon engagierte Bewerber verzichtete auf die Stellung und war wenige Minuten später draußen auf der Straße. Er macht sick nun überflüssige Gedanken über kirchen» christliche Theorie und Praxis.... Die„Ansknnstri" der„Bereinigung der Rechtsfteunde". Man schreibt uns: Vor einiger Zeit wurde im„Vorwärts" das Gebaren einiger „Institute ", die Darlehen hergeben, beleuchtet. Gestatten Sie mir einige Zeilen über eine andere Sache. Es betrifft die Hülfe- l e i st u n g der„Vereinigung der Rechtsfteunde Gesellschaft m. b. H. für allgemeinen Rechtsschutz". Vor längerer Zeit konstituierte sich in Berlin neben den sogenannten„VolksbureauS", die Klage- fachen usw. zu„mäßigen" Preisen anfertigen, zum Ueberfluß noch eine„Bereinigung von Rechtsfreunden", die auf allen Gebieten des öffentlichen Rechtes an Unbemittelte Auskunft erteilen will. Der Gründung dieses bürgerlichen Unter- nehmens mit dem„hochtönenden" Namen„Rechtsfteunde" stand ich mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. So soll beispielsweise eine Auskunft bei den„Rechtsfreunden" in der Oranienburgerstraße 75 Pf. kosten. Darüber wäre ja nicht viel zu sagen, anders liegt die Sache indes, wenn Honorare von den„Rechtsfreunden" gefordert werden, die unseres Erachtens über das M a ß d e S Z u l ä ss i g en weit hinausgehen und die tatsächlich die A e r m st e n der A r m e n treffen. In diesem speziellen Falle handelt es sich um einen Unfallverletzten, einen armen Maschinisten. Dieser, wir nennen ihn X., war in den Schutzgebieten der deutschen Kolonien(Omaruru ) bei einem Unter- nehmer beschäftigt. Durch einen schweren Unfall, den er sich daselbst zuzog, wurde er völlig arbeitsunfähig und infolgedessen wieder nach Deutschland abgeschoben. Der Verletzte glaubte nun, da die Firma auch in Berlin ein Unternehmen besitzt, welches zur N o r d ö st l i ch e n Eisen- und Stahl-Berufs gen o ss ensch aft gehört, bei der Berufs - genosienschaft Rentenentschädigungsansprüche geltend machen zu können. Er wurde damit indessen abgewiesen, da das Unternehmen in Omaruru nicht„versicherungspflichtig sei. X. hatte inzwischen seinen Wohnsitz von Berlin nach I. verlegt und die Klage dem Bureau der„Rechtsfteunde" über- tragen. Er wurde von diesem bor dem Schiedsgericht ver- treten, mit der Berufung indessen zurückgewiesen, weil in den Schutz- gebieten die Unfallversicherung nicht besteht. X. erhielt darauf folgendes Schreiben: Berlin , den 26. IV. 87. ... Wir halten diese Entscheidung für durchaus unrichtig und raten zur Einlegung des Rekurses bei dem Reichsversicherungs- amt. Wir fügen zu diesem Zweck einen Bogen bei, welchen Sie unausgefüllt unterschrieben uns zurücksenden wollen. Das Urteil wird Ihnen zugehen und bitten wir, uns dasselbe demnächst so- fort zuzusenden. Für die Revisionsinstanz wird ein Honorar von 100 Marl erforderlich sein. Hockachtungsvoll Vereinigung der Rechtsfteunde. Erwähnt mutz werden, daß der Verletzte, ein armer Teufel, bereits ein Honorar von 50 Mark für die Vertretung beim Schiedsgericht gezahlt hatte. Er, der völlig mittellos war, wandte sich nun wohl an die Armenbehörde um ein Arnienattest zur Weiter- führung der Klage, damit er von den Kosten der„Rechtsfreunde" be- freit würde. Das nachfolgende Schreiben von den„Rechtsfreunden" läßt wenigstens darauf schließen. Berlin , 22. Juni 1907. Herrn A. F. in K. Zur Sache: In Ihrer Unfallsache befreit Sie das ArmutS- attest allerdings von den Gerichtskosten, falls Sie solche erhalten, aber nicht von den Kosten Ihrer Vertretung, da diese von Ihnen getragen werden müssen. Um die Frist zu wahren, haben wir den Rekurs eingelegt, bitten aber nunmehr um Sendung des gefor- derten Honorars. Hochachtungsvoll (Titel). Dieser Fall beleuchtet die„Hülfe" an„Unbemittelte" in recht eigenartiger Weise. Sehm wir einmal, wie hoch die Gebühren- sätze in solchen Fällen sein dürfen. Die Gebühr für Rechtsanwälte kann, auf Grund der kaiserlichen Verordnung vom 22. Dezember 1891, bei den Schiedsgerichten von 3 bis 3 8 M. und bei dem Reichsverstcherungsamt von 5 bis 58 M. betragen. Wir sind der Meinung, daß das Honorarsätze sind, die auf einem Gebiet wie die Unfallversicherung, wo die„Juristerei" nicht in Frage kommt, wohl als ausreichende genannt werden können. Um so auffallender und unan- genehmer müssen Honorarsätze von 58 und 188 M. bezeichnet werden, wenn sie von Leuten gefordert werden, die von ihrem„Rechtssinn" und„Gerechtigkeitsgefühl" getrieben, ihre Hülfe besonders den„Unbemittelten" leihen wollen. Indessen auch die„Gesckäfispraxit," der Rechtsfreunde diinkt uns bedenklicher Art. Man schickt dem Klienten einen„leeren" Bogen, fordert von ihm, daß er seinen Namen auf denselben setze und dann den Bogen wieder zurücksendet. Das ist denn doch eine Art Geschäftsmaxime, die gerade nicht verftauenerzwingend ist. Die Einwanderung nach Amerika über den Hafen von New Uork betrug im ersten Viertel diese? Jahres 198 379 Personen. Sie blieb mit dieser Zahl aber immer noch um etwa 9888 hinter das Vorjahr zurück. Diese Tatsache ist weniger aus wirtschaftlichen als aus den politischen Verhältnissen Europas zu erklären. Die Zahl der eingewanderten Juden war um 13 888 gegen das Vorjahr gesunken und erreichte nur die Zahl 28 888. Die Ursache war die viel größere Auswanderung des Vorjahres aus Nußland. Auch die Zahl der Italiener, die an der Einwanderung nach Amerika seit Jahren mit am stärksten beteiligt sind, hat um 6888 nach- gelassen und betrug nur 58 888. Auf der anderen Seite zeigte das Hinzuströmen von Polen . Kroaten , Bulgaren und anderen eine starke Steigerung, die durch die gute Gelegenheit zu lohnender Handarbeit hervorgerufen zu sein scheint.— Von allen Ein- Wanderern waren über 18 888, darunter 4000 Italiener, früher schon einmal eingewandert und erschienen so zum zweiten Male in de? Einwanderungsstatiftik. Genau em Drittel der Ein- Wanderer gaben New Uork als Bestimmungsort an, etwas weniger als in der gleichen Zeit des Vorjahres.
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