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Mit dem Essener Parteitag beschäftigte sich eine Parteibersamm- luug in Nürnberg  . Es wurde beschlossen, folgende Anträge an den Parteitag zu stellen: Die Wahlrechtsfrage in den Einzel stallten auf die Tagesordnung des Essener Parteitages. die Agrarfrage auf die Tagesordnung des nächsten Parteitages zu setzen, ferner: den nächsten Parteitag in Nürnberg   abzuhalten, da es im nächsten Jahre 40 Jahre her sind, daß in Nürnberg   der erste Arbeiterkongresi im dortigen Rathause abgehalten wurde(1868). Genosse E i s n e r begründete den ersten Antrag des Vorstandes damit, daß er sagte, in Anbetracht der bevorstehenden Wahlrechts- Reform" in Preußen gäbe es für den Parteitag in Essen   kaum eine wichtigere Frage als die der Wahlrechtsfrage in den Einzel- ftaaten bezw. in Preußen. Diese Angelegenheit sei außerordentlich ernst. Das vom Negierungsblock im Verborgenen ausgearbeitete Projekt eines neuen Wahlrechts bilde zweifellos zugleich das Modell für das zukünftige Wahlrecht fiir den deutschen Reichstag. Werde dieses Projekt Gesetz, so bedeute das eine vollständige Lähmung des ganzen politischen Lebens überhaupt, denn die Zahl der Mandate werde dadurch für alle Ewigkeit sestgelegt. Die Wahlrechtsfrage sei also gegenwärtig die allerwichtigste für den Parteitag. Weniger erfolgreich sei eine ausgedehnte Dis- kussion über den Mißerfolg der letzten ReichstagSwahlen. Man müsse vielmehr ausgiebige Beratung darüber pflegen, was wir in Zukunft tun und arbeiten wollen, um vorwärts zu kommen. Alle diese Probleme laufen in der preußischen Wahlrechtsfrage zu­sammen; sie ist keine spezifisch preußische, sondern sie ist die deutsche  Frage, sie ist die Frage des deutschen   Proletariats. Genosse Merkel forderte von den zu wählenden Delegierten, die Reichstagsfraktion zu interpellieren über ihre Haltung zur Sold- erhöhung der Soldaten. Demgegenüber meinte Genosse E i S n e r, wir müßten den Militarismus nicht durch Kleinigkeiten bekämpfen. Eine Solderhöhung für die Soldaten sei zweifellos berechtigt. Unser Kampf gegen den Militarismus müsse sich erstrecken auf die inter  - nationale Frage und die Dew okratisierung der Armee. Der deutschen  Sozialdemokratie mangele es am Radikalismus der Tat. Gerade auf dem Gebiete des Militarismus erkenne man den mangelnden Einfluß der Sozialdemokratie. Wir müssen uns einmal entscheiden, was wir tun werden bei Ausbruch eines Krieges der Reaktion gegen Demo- kratie oder Revolution, waS wir tun werde», wenn eine siegreiche russische   Revolution durch preußische Bajonette um ihren Erfolg gebracht werden soll? Wenn in gewissen Augenblicken das deutsche Proletariat nicht entscheidet, dann ist es mit der politischen Be- deutung des deutschen   Proletariats überhaupt aus. Gegen erhebliche Minderheiten wurden noch folgende Anträge aus der Mitte der Versammlung heraus angenommen: Der Essener   Parteitag möge sich gegen den Trinkzwang, gegen Beteiligung an Stichwahlen zwischen bürgerlichen Kandidaten und zur Frage der Kosten- deckung für die Opfer der Maifeier entscheiden. Als Delegierte zum Parteitag wurden gewählt die Genossen Treu, Haugen st ein und Kurt E i s n e r. Eine nächste Versamnilung wird sich mit der Einsetzung eines Bildungsausschusses beschäftigen. Die dritte ordentliche Generalversammlung des sozialdemokratischen Zentralvcreins für den sechsten schleswig- holsteinischen Wahl- kreis(E l m s h o r n- P i n n e b e r g) fand am Sonntag in P i n n e- berg statt. 22 Ortsvereine hallen 46 Delegierte entsandt und außerdem waren der Vorstand, die Kontrollkommission des Vereins, dieSchleswig-Holsteinische Volkszeitung  " und die Agitationskommission Schleswig- Holsteins   vertreten. Genosse V.' E l m, der bisherige ReichStaaöabgeordnete des Kreises, war ebenfalls anwesend. In einer Resolution wurde ausgesprochen, daß die vom Vorstand und der Kontrollkommission ein- geführte Art der Agitation bei der Landbevölkerung zweckentspechend ist. ES gehen regelmäßig Genossen aus den Städten, sogenannte fliegende Arbeitersekretäre", auf das Land, kassieren Beiträge bei den Mitgliedern ein, versorgen die Landlcute mit Lektüre und stehen ihnen mit Rat zur Seite. Sodann wird eine ZeitungDer Wähler" für das Land herausgegeben. Eine Nummer dieser Zeitung ist be- reits in 15 000 Exemplaren verbreitet worden. Auf Antrag des Vcreinsvorstandes und der Kontrollkommission wurde Genosse A. v. E l m eiilstimmig wieder zum Reichstags« kandidaten für den sechsten Kreis aufgestellt. Ferner wurde Genosse A. v. Elm einstimmig als Delegierter für diesen Kreis zum internationalen Kongreß in Stuttgart   bestimmt. Zum Partei- tag in Essen   soll auch nur ein Delegierter gesendet werden. Sieben Kandidaten wurden den Genossen des Kreises zur Wahl präsentiert. Aus der Versammlung heraus wurde folgende Resolution zur Annahme empfohlen: Die am 11. August 1907 in Pinnebcrg tagende General- Versammlung des sozialdemokratischen Zentralvereins für den 6. schleswig-holsteinischen Wahlkreis spricht dem langjährigen ReichstagSabgeordncten v. E l m ihr unumschränktes Vertrauen aus. Sie weiß, daß er stets in der aufrichtigsten, arbeits- freudigsten, energischsten und uneigennützigsten Weise der Partei und der Arbeiterbewegung gedient hat und noch dient und erklärt es deshalb für eine Niederträchtigkeit, wenn er jetzt von Leuten, die sich als Parteigenossen gcrieren, zum Gaudium der Gegner und in totaler Unkenntnis der Sache inil Schmutz beworfen wird, weil er analog früheren Entschließungen anderer hervorragender Parteigenossen sich gegen ihm zu weitgehend erscheinende Forderungen über Lohn- und Arbeitöbediugungen interessierter Kreise in der Konsumgenossenschaflsbcweguiig erklärt hat." Der Antragsteller führte aus, die Resolution könne überflüssig erscheinen, weil v. Elm das Vertrauen der Versammlung durch Uebertragung des Reichötagsmandats usw. ausgesprochen sei, aber er halte eS für notwendig, daß seinen Verleumdern und Beschinipfern in der unzweideutigsten Weise gesagt werde, wie man über sie denke. Er erinnere daran, daß Genosse v. Elm weiter nichts getan habe, als Forderungen des Lagerhalterverbaudcs in derselben Weise als zu weitgehend zu bezeichnen, wie das seinerzeit die Genossen Bebel, Auer und Singer mit den Forderungen des Vereins Arbeiterpresse getan hätten. Genosse V.Elm erklärte, ihm sei es gleichgültig, ob die Resolution angenommen werde. Aber er habe es satt, sich von geivissen Journalisten beschimpfen und verleumden zu lassen und werde ihren Ausschluß aus der Partei beantragen. Was.sie von ihm behauptet hätten, daß er sich gegen den Achtuhrladenschluß, gegen die Sonntagsruhe, gegen die Besserstellung der Angestellten und gegen die Verkürzung der Arbeitszeit ausgesprochen habe, sei er- slunken und erlogen. Mit diesen Behauptungen arbeiteten die ge- kennzeichneten Journalisten nur den Gegnern in die Hände.   Die Resolution wurde einstimmig angenommen. Es will uns erscheinen, daß die Resolution und die dazu gehaltenen Reden von zu großer Empfindlichkeit gegen Parteigenössische Kritik zeugen. Soweit wir gesehen haben, ist diese Kritik zwar sachlich scharf, aber in angemessenen Worten geführt worden von Ler- leumdungen und Beschimpfungen der Person des Genossen v. Elm haben wir nichts bewerft. Genosse v. Elm sollte sich deshalb feine Ausschlußantrüge noch einmal reiflich überlegen. Dem Stuttgarter   Kongreß ist die soeben erschienene Nr. 45 der Neuen Zeit" vonrehmlich gewidmet. Die Redaktion erörtert die Bedeutung der internationalen Tagung im allgemeinen in einem Leitartikel. Einen sehr interessanten und instruktiven Beitrag zur Frage der Aus- und Einwanderung liefert Genosse Josef Diner-Dönes- Budapest in einem imAuftragedersozial- demokratischen Partei Ungarns   verfaßten Artikel über die A u S w a n d e r u n g und Einwanderung in Ungarn  . Außerdem enthält die Nummer die Fortsetzung deS Berichts des Genossen L. B. B o u d i n über die politische Lage in den Bereinigten Staaten und die Demokratische Partei  , einen Beitrag»Die Opfer der Militärjustiz' vom Genossen Dr. Siegfrieda und eine Literarische Rundschau, in der Gustav Eckstein   die von R. H. Francö herausgegebeneZeitschrift für den Ausbau der EntWickel ungs lehre, sv. Inter­nationale Uebersicht über Gewerbchygicne von Dr. E. N e i ß e r- Berlin und?ft. die neueren Bände der im Verlag der Dürrschen Buchhandlung zu Leipzig   erscheinenden Philosophischen  Bibliothek besprechen._ Sozialce. Unternehmer gegen Aerzte. Im Verlage von Richard Schmidt in Meißen   ist eine Broschüre erschienen, die einem charakteristischen Vorfalle ihre Herausgabe ver- dankt. Der Verfasser sagt darüber im Vorwort folgendes: Die Drucklegung des nachstehenden Vortrages ist die Antwort auf ein, gelinde gesagt, eigenartiges Vorgehen der Unternehmer in der Meißner Ofenindustrie. Im Herbste des Jahres 1906 ersuchte die Organisationsleitung des Fabrikarbeiterverbandes, Zahlstelle Meißen  , einen Arzt einen Herrn Dr. med. Pfeiffer in einer öffentlichen Ber- sammlung der inOfen- und Tonwarenfabrikenbeschästigten Arbeiter und Arbeiterinnen einen Vortrag zu halten überDie Berufsgefahren in der keramischen Industrie, unter besonderer Berücksichtigung der Bleivergiftung". Ursache der geplanten Versammlung war das Ueberhandnehmen der Bleivergiftungen in den erwähnten Betrieben: Zweck des Vortrages sollte sein, die Arbeiter über die ihnen drohenden Gefahren aufzuklären und den Unternehmern die Not- wendigkeit ausreichender Schutzmaßnahmen zu beweisen. Herr Dr. Pfeiffer kam dem Ersuchen der Arbeiter in dankenswerter Weise nach. Von den Unternehmern, die zu der Versammlung schriftlich geladen waren, erschienen zwei, äußerten sich jedoch in de, Versammlung nicht. Wenige Tage später aber erhoben die Vertreter der vier größten Betriebe Beschwerde über Herrn Dr. Pfeiffer beim ärztlichen Ehrenrate. Der Ehrenrat gab der Beschwerde statt und eröffnete ein Untersuchungs- verfahren, das allerdings niit Freisprechung des beschuldigten Arztes endete." Die He,-ren Unternehmer haben jedenfalls aus einem Gefühl heraus gehandelt, das ihnen sagt, der Arzt habe sich ausschließlich als Kuli des Kapitals zu betrachren. Berichts-Leitung. Aus der Stndt der Intelligenz. Eine moderne Phthia, die wie so viele andere ihrerBerufs"- Genossinnen mit großem Erfolg auf die Leichtgläubigkeit derjenigen spekuliert hat, dienicht alle werden", stand gestern in der Person der 73jährigenKartenkünstlerin" Wilhelmine Fischer vor der zweiten Ferienstrafkammer des Landgerichts II. Die Verhandlung zeigte wieder einmal, was in der Großstadt im zwanzigsten Jahrhundert noch immer möglich ist, und wie besonders Frauen, die sich auf ihre Intelligenz etwas einbilden, sich danach drängen, durch den Mund alter ungebildeter Frauen etwas über ihre Zulunft zu erfahren und sich aus dem Ei, aus Kaffeegrnnd oder aus Karten wahrsagen zu lassen. DaS Treiben der Frau Fischer, die ihreKünste nach einander in Wilmersdorf  , in Steglitz   und in der Wormserstraße in Charlottenburg   ausgeübt hat, hat seinerzeit zu Erörterungen in der Presse Veranlassung gegeben, ob es denn keine Mittel und Wege gebe, um solchem Unfug ein Ende zu machen. Die An- geklagte ist eine überaus geschwätzige, körperlich noch rüstige alte Frau, die in zlvei Minuten so viel törichtes und konfuses Zeug zusammen findet, daß der Vorsitzende seine liebe Not hatte, um den wasserfallartigen Redestrom der Angeklagten von Zeit zu Zeit wenigstens einzudämmen. Sie war früher Köchin, war dann einige Jahre hindurch unglücklich verheiratet und hat ein dürftiges Leben geführt, bis sie sich als Kartenlegerin und Wahrsagerin etablierte. Sie ist schon mehrmals vorbestraft.Literarische" Unterstützung in ihrem Ge- werbe leistete ihr ein wegen Blödsinns entmündigter Sohn, der ihr die bombastischen Nellamezettel anfertigte, durch die sie zum Besuche ihres Salons einlud. Diese Zettel wurden gewöhnlich durch Kinder auf den Straßen und in den Häusern verbreitet. Den Kindern soll sie auch noch den ihnen zugesagten Lohn in betrügerischer Weise vorenthalten und durch deren Beschäftigung auch gegen das Kinderschutzgesetz verstoßen haben. Die massenhaft verbreiteten Rellamezettel priesen die Wahr- sagekunst der Angeklagten in der schwülstigsten Weise an. Sie wurde darin gefeiert alsweltberühmt seit dem Jahre 1898". Durch Gerichtsbeschluß sei ihr Gewerbe ihr gestattet. Es handle sich nicht um Hokuspokus oder Sympathie, sondern um dieeinzig wirklich studierte Kartenkunst", für die zahl- reiche öffentliche Anerkennungen" vorlägen.Wegen der zahl- reichen Damen, die zu ihr kämen, und um einer Ueberfüllung der Wartezimmer vorzubeugen, würden nur Konsultantinnen zugelassen, jede Dame werde einzeln zur Kon- sultation hereingelassen. Honorare kulant. Wegen der vornehmen und besseren Mieter des HauseS Hubertusstraße 11 werden nur an­ständig gekleidete Frauen zur Konsultation zugelassen. Jede Be- sucherin erhält in allen juristischen Angelegenheiten von einem juristisch gebildeten Manne gegen geringe Gebühr Rat und Schutz." Dieser juristisch gebildete Beirat war der als blödsinnig entmündigte Sohn der Angeklagten, den diese in vollem Mutterstolz nicht für blödsinnig, sondern für sehr schlau erklärt. Die Donnerstage und Freitage waren in den Rellc�nen als Elitctage angesetzt. Als bei der Behörde fortgesetzt Beschwerden über daö Treiben der Angeklagten eingingen, geißelte derSteglitzer Anzeiger" unter der UeberschriftFauler Zauber" die Geschäfte der Angellagtcn. was den Sohn der letzteren vcranlaßte, in hochtrabender Weife von dem Redakteur Simon- söhn eine Berichtigung auf Grund des ß 11 des Preßgesetzes zu verlangen. Als dann ein gerichtliches Verfahren gegen die An- geklagte eröffnet wurde, verstand es diese, die Termine dadurch zu vereiteln, daß sie sich verborgen hielt. Sie tauchte dann unter dem Namen Schickes ivieder auf und nannte sich nunChiromantin". In ihren Reklamen sprach sie wieder davon, daß eZ sich umkeinen Hokuspokus",keine Sympathie", sondern nur umstudierte Planeten- und Kartenkunst" handele, daß sie große Erfolge und öffentliche Anerkennungen aus aristokratischen und bürgerlichen Kreisen aufzuweisen habe und vielfach ehrenvoll ausgezeichnet sei. Auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden. Landgerichts- direktor H o f f m a n n. waS dennChiromantie" sei, hatte sie keine Antwort, dagegen beantwortete sie die Frage, ob sie denn wisse, was ein Planet sei, dahin:Planet   ist die Stunde, in der der NNensch geboren ist". Präs.: Glauben Sie denn, daß Ihnen die Vorsehung die besondere Kunst verliehen hat, in die Zulunft zu schauen? A n g e k l.: Ja Wohl I Präs.: Wie sind Sie dazu gekommen, anzunehmen, daß Sie ein Werk der Vor- sehung seien? Angekl.: Das weiß ich nicht. Ich habe ja aber die Leute auch gar nicht betrogen, sondern ihnen ganz richtig wahrgesagt. Präs.: Auch das Publikum, welches so töricht ist. zu glauben, daß eine alte, ungebildete Frau aus Kaffeegrund oder aus Karten wahrsagen könne. muß vor Ausbeutung geschützt werden. Es gibt leider Gottes noch immer eine Menge solcher dummen und törichten Leute. Angekl.: Ich beschwindele niemand. Ich kann Hunderte von Zeugen beibringen, daß ich ihnen sehr richtig Todesfälle, große Reisen, Glücksfälle usw. prophezeit habe und alles ist eingetroffen. Sehr vornehme Leute sind bei mir gewesen, sogarbomköni- lichen Schloß sind Damen bei mir gewesen und c... waren immer sehr zufrieden. Aus dem weiteren ko.. fusen Wortschwall der Angeklagten, in dem sie den liebe» Herrgott, den Herrn Christus und verschiedene Heilige als ihre Zeugen an- rief, klang immer wieder der energische Protest gegen den Verdacht heraus, daß sie auchaus dem Kaffeegrnnd" oderaus dem Ei" wahrsage: sie übe ihre Kunst nur mit Hülfe der Karten oder des Bleiflusses aus. Nach der Bekundung der wenigen Zeuginnen, die veniommeii wurden, empfing die Alte ihre Gäste, die auf die dunklen und die heiteren Lose, die noch im Zeitenschotze für sie schlummern, allzu neugierig waren, in einem ziemlich dunklen Zinimer, breitete dann Karten dar sich aus, die mit allerlei Gebilden, wie Monde, Brote, Scheren usw. bemalt waren, undbrummelte" absolut un- verständiges und konfuses Zeug vor sich hin, wovon die Klienten gar nichts verstehen konnten. Nur ein junges Mädchen hatte aus dem Gefasel der modernen Sibylle den Rat herausgehört, daß sie sich keinen Schwarzen, sondern einen Blonden als Bräutigam anschaffen sollte. Unter den Zeuginnen be- fanden sich wirklich einige, die zugaben an die prophetische Kraft der Alten geglaubt zu haben, andere erklärten verschämt, daß sie mehr aus Neugierde auf Grund der Reklame- zettel den Weg zur Angeklagten angetreten hätten, um zu sehen, ob diese wirklich den Schleier von der Zukunft lichten könne und was sie ihnen in Aussicht stellen würde. Für die Sitzung wurde ein Honorar von 1 M. von der Angeklagten beanspruchtohne der Wohltätigkeit Schranken zu ziehen"; sie begnügte sich aber auch mit wenigen Groschen. Unter den Zeuginnen befanden sich nicht nur junge Mädchen, sondern auch Frauen, die schonaus dem Schneider" waren. Die eine war zur Angeklagten durch den Um« stand getrieben worden, daß ihr Ehemann mehr als ihm dienlich warsaufen" ging, eine andere hatte andere familiäre Schmerzen. Die Anklage konstruierte den Betrug in der Weise, daß sie sagte: die Zeuginnen seien durch die falschen Angaben in den Reklamezetteln angelockt worden und hätten das Propheten- Honorar für ein unverständliches, konfuses und wertloses Gesalbadere der Angeklagten hingegeben. Diese ist längere Zeit hindurch in der kgl. Charitö auf ihren Geisteszustand beobachtet worden. Prof. Dr. Henneberg begutachtete, daß von einer tieferen geistigen Störung bei der Angeklagten keine Rede sei. Sie zeige manche Eigentümlichkeiten, diese stehen aber mit ihrer lang- jährigen Berufstätigkeit im Zusammenhange, insbesondere ihre große Schwatzhaftigkeit. Dieser alten ungebildeten Frau sei es zur Gewohn- heit geworden, solches Gewäsch, wie sie bei ihren Wahrsagereien zum besten gebe, zu produzieren. Bon einem systematischen Können auf diesem Gebiete sei bei ihr keine Rede, sie schwatzt ins Blaue hinein, Ivos ihr gerade einfällt und für den je- weiligen Fall ihr opportun erscheint. Nicht ganz ausgeschlossen er- scheine es, daß sie infolge mancher zufälligen Treffer, die sie gehabt haben mag, in gewissem Grade an ihre Prophetengabe selbst glaubt. Der Gerichtshof trat dieser letzteren Annahme nicht bei und verurteilte die Angeklagte wegen wiederholten Betruges zu sechs Monaten Gefängnis unter Anrechnung von einem Monat Untersuchungshaft.  _ Eine Kindcsleiche im Reisekoffer wurde am 14. April d. I. anläßlich einer Haussuchung bei dem 18jährigen Dienstmädchen Emilie B. aufgefunden, daß bei einem in Biesdorf   wohnhaften Kaufmann W. in Stellung war. Die Veranlassung zu dieser Haussuchung war ein Gerücht über einen Kinoesmord gewesen, dessen sich die jugendliche B. schuldig gemacht haben sollte. Das Ergebnis der angestellten Ermittelungen führte zu einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung, wegen welcher sich die B. gestern vor der 2. Ferienstrafkammer deS Landgerichts III   verantworten mußte. ES war die alte Geschichte von der Liebe Lust und Leid mit einem überaus traurigen Abschluß. Die damals 17jährige Angeklagte hatte auf einem Tanzboden die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich bald ein Liebes- Verhältnis. Als sich die Folgen einstellten, verschwand der Lieb- haber und überließ das Mädchen seinem Schicksal. Die Angeklagte verstand es, ihren Zustand der Dienstherrschaft gegenüber zu ver- bergen. Am Morgen des 28. März kam die B. etwas aufgeregt aus ihrem Zimmer, verrichtete jedoch wie gewöhnlich des Tages über ihre leichte Arbeit. Erst nach einigen Tagen wurden ver- schiedcne Anzeichen entdeckt, daß die B. heimlich geboren hatte. Das Kind war jedoch verschwunden. Erst als das Gerücht von einem KindeSmorde auftauchte, nahm der Gendarm Schelble eine Hans- suchung vor. bei welcher eine grausige Entdeckung gemacht wurde. In einem Reisekoffer wurde völlig zusammengepreßt die Leiche eines neugeborenen Kindes gefunden. Die Obduktion ergab als Todesursache Erstickung. Da die Angabe der Angeklagten, das Kind sei während einer Ohnmacht im Bette erstickt, nicht wider- legt werden konnte, wurde nur eine Anklage wegen fahrlässiger Tütung erhoben. Vor Gericht war die Angeklagte geständig. Die Strafkammer erkannte mit Rücksicht auf die große Jugendlichkeit und die bisherige Unbescholtcnheit der Angeklagten auf eine Ge- fängnisstrafe von zwei Monaten. Außerdem wurde die B., weil sie eine Leiche ohne Vorwissen der Behörde beiseite geschafft hatte, zu einer Woche Haft verurteilt. Tie Probefahrt eineswilden Automobilisten" beschäftigte gestern die 3. Ferienstrafkammer des Landgerichts I  . Auf der Anklagebank mußte der Droschkenkutscher Max K u n i g Platz nehmen, um sich wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Der Angeklagte, welcher schon einmal wegen Körperverletzung zu vier Wochen Gefängnis verurteilt worden ist, hat bisher eine Pferdedroschke gefahren. Am 24. April traf K. in früher Morgen- stunde in einem Lokal in der Jnvalidcnstraße den Kraftdroschken- führer Schulz, der damit prahlte, daß er in der vorauf- gegangenen Nacht 61 M. eingenommen hatte, während der An- geklagte nur 15 M. verdient hatte. Als Kunig fragte, ob denn das Automobilfahren sehr schwer fei, äußerte Schulz, man könne es in einer halben Stunde lernen und wenn es ihm recht fei, könne er gleich eine Probefahrt machen. Der Angeklagte, der in feistem Leben noch in lcinci» Automobil gesessen und keinerlei Kenntnisse von den technischen Einrichtungen hatte, setzte sich in einem mehr als sträflichen Leichtsinn an das Stcuer der Antomobildroschke und fuhr darauf los. Der neben ihm sitzende Schulz gab ihm nur die nötigen Anweisungen. Nachdem der Angeklagte in einem Lokal in der Haidestraße noch mehrere Glas Bier und verschiedene Schnäpse zu sich genommen hatte, bestieg er auf Verlangen des Schulz allein das Automobil und fuhr die Haidestraße entlang. An der Ecke der Fenn- und Tegelerstraße verlor der leichtsinnige Fahrer vollständig die Herrschaft über das Fahrzeug und fuhr initte» in die den Strasicnllbergang passierenden Menschen hinein. Der Steinsetzer Emil Kurz wurde zu Boden geschleudert und über- fahren. Er erlitt so schwere Verletzungen, daß er auf dem Trans- port zur Unfallstation verstarb. Staatsanwalts-Assessor Müller hielt den Angeklagten einer unglaublich leichtsinnigen und fahr- lässigen Handlungsweise überführt. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit erscheine es angebracht, derartigen loildcn Auto» mobilistcn einen gehörigen Denkzettel zu verabreichen. Dem An- trage des Staatsanwalts gemäß erkannte auch die Strafkammer auf eine Gefünonisstrafe von neun Monaten. Kus cler fraueiibewegung. Berfammluiigen Beraustaltunge». Charlottendurg. Mittwoch, den 21. Aug., 8'/, Uhr, im Volkshaufe, Rosienenstr. 8. Vortrag. Frau Jeetze:»Wie wir arbeiten und wirtschaften müssen I"