Es kommt freilich ganz anders! Das freisinnige Blatt unternimmt allerdings einen Sturmlauf, aber nicht etwa gegen die Reaktion und für das Reichstags- Wahlrecht in Preichen. sondern gegen die„ N a t i o n a l- sozialen", die gewissermaßen als verkappte Parteigänger der Sozialdemokratie abgetrunipft werden. Zunächst erscheint es uns seltsam, daß Herr Naumann von einem freisinnigen Blatte einfach als„Nationalsozialer" abgetan werden kann. Die nationalsoziale Partei hat sich doch bereits im Jahre 1903 in aller Form aufgelöst, worauf Herr Naumann und seine Freunde gleichfalls in aller Form zur Freisinnigen Vereinigung übertraten. Nun ist eS allerdings richtig, daß noch der am 23. November 1906 tagende dreißigste Parteitag der„Freisinnigen Volkspartei " erklärte, daß er ein freundnachbarliches Vcr- hältnis zur Freisinnigen Vereinigung zu pflegen bereit sei, daß er dagegen„ein Zusammenarbeiten mit nationalsozialen Elementen für eine politische Unmöglichkeit" halte. Aber dann kam Ende 1906 die Reichstagsauflösung und der freisinnige Uebergang zun« Regierungsblock, dem dann im Februar dieses Jahres der Abschluß eines Bündnisses der drei frei- sinnigen Parteien folgte. Von einem Aus- schluß„nationalsozialer Elemente" ans diesem Fraktions- kartell war da gar keine Rede mehr! Gleich- wohl sucht heute die„Voss. Zeitung" die Herren Nan- mann usw. als„Nationalsoziale" abzuwinimeln. Und das, obwohl sich obendrein den frcisinnig-volksparteilichenAgeordneten Hör mann, Mugdan usw. mit Herrn Naumanns Stellung zur Wahlrechtsfragc vor kaum 14 Tagen solidarisch erklärt hatten I Wer bestimmt also eigentlich darüber, wer zum „Verbündeten" Freisinn gehört? Doch das nur nebenbei. Ueber den„ V o l k s st u r m" selbst sagt daö freisinnige Organ: „Heute ist wieder von der Entfesselung eines Volkssturms die Rede. Dieses Mal zur Ertämpfung des Reichstagswahlrechts für den preußischen Landtag. Die Sozialdemokratie ist so freundlich, der bürgerlichen Linken für die Entfachung dieser Agitation weise Ratschläge zu geben, und einige National- soziale von lebhaftem Temperament, die sich jähre- lang für das Bündnis mit der Sozialdemokratie begeistert haben, tun der Welt kund und zu wissen:„Wenn der Herbst kommt, dann mutz Fanfare geblasen werde n." Na ja, geblasen kann schon werden; es ist nur die Frage, ob die � Gegner bei dem Trompetengcfchmetter umfallen und die Fanfaren nicht als Fanfaronnaden betrachten. Ein Sturm entsteht; aber er kann nicht zu jedem Zeitpunkt nach Belieben gemacht werden. Ein« Bewegung, die wochenlang vorher angekündigt und dann nach einem ausgeklügelten Programm in Szene gesetzt wird, er- weist sich regelmäßig als ein Schlag ins Wasser.... Nur wer beide Augen gegen die Wirklichkeit verschließt, kann sich einbilden, das Reichs- Wahlrecht sei gegenwärtig durch ei iren Volks» stürm zu erreichen. Wer wird sich an diesem Sturm be- teiligen? Auch nur diejenigen Männer, die beim Kampf gegen > die Lex-Hetnzc oder bei ähnlichen Gelegenheiten mitgemacht haben? Sicherlich nicht. ES gibt unter ihnen recht viele, die von der Uebertragung des Reichswahlrechts auf Preußen nichts wissen wollen. Auch die Nationalliberalen sind nicht von der Partie, von den/ffreikonservativen nicht erst zu reden. Es bleiben also die Gruppen unter sich, von denen man längst wußte, daß sie das demokratische Wahlrecht anstreben. Daß sich zu dieser Minderheit die Sozialdemokratie gesellt, wird seine Aussichten � nicht verbessern. Die Regierung ist zwar gewillt, eine Reform des Landtagswahlrechtes vorzunehlien und dabei dem Liberalismus entgegenzukommen; abcr daß si« so weit gehe, das Reichs- >v a h l r e ch t für Preußen vorzuschlagen, ist vollkommen ausgeschlossen, und selbst wenn sie dazu bereit wäre, stieße der Vorschlag auf unüberwindlichen Widerstand sowohl im Ab- gcordnetenhause wie im Herrenhause.... Nimmt man also nüchtern die Dinge, wie sie sind, so ist zzurzeit die Uebertragung des Rcichswahl. rechts auf Preußen unerreichbar, wohl aber unter Ilmständen erreichbar eine wesentliche Umgestaltung des preußischen Wahlsystems in liberaler Rich- t u n g. Wie weit diese Reforni gehen wird, läßt sich heute noch nicht erkennen; es läßt sich daher auch nicht sagen, wie sich die bürgerliche Linke der Vorlage gegenüber wird verhalten müssen. Jedenfalls wird sie sich ihre Taktik weder vor . der Einbringung der Vorlage noch nachher von der Sozialdemokratie oder den National- sozialen diktieren lassen. Am wenigsten wird sie sich leichten Herzen? dazu hergeben, einfach den„konservativ-liberalen Lloik" zu sprengen, wenn Fürst Bülaw nicht das volle Reichswahl- recht„präsentiert"." Das ist also abermals eine runde und nette Absage an diejenigen Freisinnigen, die die Entfesselung eines Wahlrechts- sturmcs empfohlen. Wobei wir wiederum betonen wollen, daß die„Voss. Ztg." zweifellos eine ganz andere Resonanz in der„Freisinnigen Volkspartei " besitzt, als Herr Naumann innerhalb seiner Partei, der„Freisinnigen Ver- e i n i g u n g", in der die„ W e s e r- Z t g.", die völlig auf dem Standpunkt der„Voss. Ztg." steht, politisch ungleich mehr hinter sich hat. als das„Berl. Tageb l.", das Herrn Naumann gelegentlich Gastfreundschaft gewährt. Nimmt man noch die Haltung der„Franks. Z t g." hinzu, so kann man getrost konstatieren, daß die von Naumann empfohlene Taktik eines Appells au das Volk innerhalb sämtlicher drei freisinnigen Parteien nur von einer Minder- heit vertreten wird! Die Mehrheit deSGesamt-Freisinns ist bereit, sich von Bülow mit einem Kompromißwahlrecht, das auch Konservativen nnd Nätionalliberalen genehm ist, abspeisen zu lassen. Daß das nur ein Wahlrecht nach dem Muster des sächsischen Regierungsentwurfes sein kann, vermag nur von Schaumschlägern vom Schlage der«Voss. Ztg." bestritten zu werden! Die Mehrheit des Freisinns will eS eben, wie es die «Boss. Ztg." offen ausspricht, unter keinen Umständen auf einen Bruch mit dem Block ankommen lassen! Und das von Spahn und der Z e n t r u m s p r e s s e be- trieben? aufdringliche Liebeswerben um die Gunst der Re- aktion bestärkt, wie die„Voss. Ztg." ebenfalls offen aus- spricht, die auf einen Wahlrechts-Kuhhandcl sich einrichtende Mehrheit des Freisinns in dieser würdelosen Schacherpolitik I Auch ein Beiveis dafür, daß die schmachvolle Verrätertaktit des Zentrums nur die Chancen für die Erringung des Reichstagswahlrechtes verschlechtert. Was ja fteilich auch ganz in der Absicht der führenden agrarischen und großindustriellen Zentrumskreise liegt I Geradezu abgeschmackt nimmt sich angesichts dieser Haltung der«Voss. Ztg." deren Beteuerung aus: „Wie die Freisinnigen. Wähler und Gewählte, über das Wahlrecht denken, ist bekannt. Sie wünschen und verlangen die Uebertragung des allgemeinen gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts auf Preußen. Sie haben diese Forderung schon vor Jahrzehnten gestellt, haben sie noch neuerdings im Abgrordnetenhause wiederholt und werden diesen ihren Standpunkt selbstverständlich auch im Herbst und in Zukunft, solange ihr Verlangen nicht erfüllt ist, nachdrücklich vertreten, in Wort und Schrift, im Parlament und in Volksversammlungen." Nachdem der Freisinn erklärt hat, daß die Regierung das ReichStagSwahlrecht gar nicht gewähren kann, und daß sich deshalb der Freisinn auch mit einem konservativ-liberale» Kompromiß zufrieden geben wolle, wird die Reaktion natürlich auf alle„Forderungen" und„Anträge" des Freisinns pfeifen! Sie weiß ja, daß der Freisinn nur eine K o- m ö d i e aufführt, daß er von vornherein mit der A b- lehnung dieser Forderungen rechnet! Wird nun die freisinnige Minderheit, die es mit dem Wahlrechtskampf ehrlich meint, diese jämmerliche Komödie mitmachen, oder wird sie für ihr Teil wenigstens einen wirklichen Kampf aufnehmcn? I Sitzung«le; Internationalen Sozialiitiichen Bureaus. Stuttgart , 16. August.(Telegramm.) Am heutigen Nachmittag fand eine Sitzung des internationalen sozialistischen Bureaus statt, die sich bis gegen 7 Uhr abends aus- dehnte. Anwesend waren Jglesias, Troelstra , Ferri, Bebel, Singer, Rosa Luxemburg , Jaures , V a i l l a n t, Frau Balabanoff , Lenin , Rubanowitsch, Knudscn, Vandervelde , Anseele, Huysmans , Hobson , Delcone, Brauting, van Kol. Skaret, Ncmcc, Soukup, Dr. Adler und H i l l q u i t. Den Vor- sitz führte Vandervelde . als Sekretär fungierte HuhsmanS. Zunächst ersuchte die sozialistische Partei Kubas , ihre Stimme Spanien übertragen zu dürfen. Das Ersuchen wurde abgelehnt, da jedes Land sich nur durch eigene Delegierte vertreten lassen kann. Ferner lag ein Antrag der armenischen revolutionären Föderation vor, von der sich eine Mitgliedschaft als türkische revo- lutionär-sozialistische Sektion abgesondert hat und die Anerkennung durch das Bureau als besondere sozialistische Partei mit Stims» recht auf dem Kongreß verlangt. Dieser Antrag fand lebhaften Widerspruch, da der sozialistische Charakter der Organisation von mehreren Seiten bestritten wurde. Die Beschlußfassung hierüber wurde ausgesetzt. Di« wichtigste Frage, die das Bureau zu er- lcdigen hatte, war die Frage nach der Zusammensetzung der Kommissionen. Hierzu wurde nach längerer Aussprache beschlossen, daß jede Nation höchstens vier Stimmen haben soll. Bis- her hatte jede Nation nur zwei Stimmen. In der Kommission selbst wird nach Köpfen abgestimmt, nicht nach der Zahl der Stimmen, über die jede Nation verfügt. Der Schluß der Sitzung wurde mit geschäftlichen Angelegen- hellen ausgefüllt. ver„liberale" Cerror gegen die rumsuilche Arbeiterbewegung. Bukarest , 13. August.(Eig. Ber.) Die Ausweisungen von Arbeitern und Sozialisten aus Ru- mänien nehmen kein Ende. Die Regierung hofft also aus diese Weise mit der ganzen Bewegung, deren Existenz eine ständige An- klage gegen die ins„liberale" Lager übergelaufenen Talmi- sozialisten bildet, fertig zu werden. Abcr die steigende Wut ihrer Verfolgungen deweist nur, daß die Arbeiterbewegung lebt und un- ausrottbar ist. Heute wurde Genosse Anagnoste, einer der tätigsten Führer der Bukarcster Organisation und der Schuhmachergcwerkschaft, ausgewiesen, obwohl er im Lande geboren und den Militär- dienst geleistet hat. Die hiesigen Genossen begaben sich zum Bahn- Hof, um ihn zu begleiten und ihm ihre Sympathie auszudrücken. Etwa oreihundert Arbeiter fanden sich zu dieser friedlichen De- monstratian ein. Plötzlich wurden sie von einem übermächtigen Polizeiaufgebot umzingelt, ein großer Teil von ihnen verhaftet und die übrigen auseinander getrieben. Die Verhafteten, darunter die meisten Führer der hiesigen Ar- beiterbewegung, wurden wie gemeine Verbrecher dem Untersuchungsrichter überliefert. Welche Gewaltakt» die Regierung weiter plant, ist zur Stunde noch nicht bekannt; abcr unaufhörlich regnet es Schlag aus Schlag gegen die Arbeiterorganisationen, für die eS keine Gesetze und keine Rechte mehr gibt. Die Ruhe und die Selbstbeherrschung, welche die hartgeprüften Arbeiter gegenüber dem anarchischen Treiben der Regierungsbande an den Tag legen, ist bewunderungswürdig. Eine solche Bewegung kann nicht mehr besiegt werden, denn sie hat ihr Reifezeugnis abgelegt. Aber der internationalen Sozialdemokratie erwächst die Pflicht, ihrer jüngsten Schwester in diesem schwierigen Kampf allenthalben beizustehen. Sie hat den rumänischen Staat als das zu erklären und zu bekämpfen, was er tatsächlich ist: als ein Ebenbild des russischen Zarismus unter der heuchlerischen Maöke einer Konstitution. Und die- selben Angriffsmittel, die sie in so nachdrücklicher Weise gegen „Väterchen" anwendet, hat sie auch gegen das Regiment seines Ge- vatters, Carol von Hohenzollern, anzuwenden: Entlarvung der Lügenpolitik, Untergrabung seiner Kreditpumpcrcien, Beleuchtung seiner agrarischen Blut- und Naubherrschast, sowie moralische und materielle Unterstützung der rumänischen Arbeiterbewegung. JnS- besondere wird es die Aufgabe des internationalen sozialistischen BureauS sein, das Material über die grauenhaften rumänischen Zustände zu sammeln und allen Sektionen der Internationale be- Hufs einheitlichen Eintretens gegen die Tschinowniks an der Donau zugänglich zu machen»_ tßarohfto. Der Sultan von Marokko sitzt zwischen zwei Feuern. Frankreich und Spanien versichern ihm. daß sie nicht Krieg gegen ihn führen, sondern gegen aufrührerische Stämme, die wider sein Gebot gehandelt haben. Diese beiden europäischen Freunde geben ihm so zu verstehen, daß er den Krieg haben wird, wenn er sich auf die Seite seiner Rache fordernden Untertanen stellt. Auf der anderen Seite aber fordert die islamitische Geistlichkeit, die das Volk in der Hand hat, die die öffentliche Meinung Marokkos macht, von ihm die Prokla- mierung des„heiligen Krieges" gegen die Ungläubigen. Es wird nämlich gemeldet: Paris , 16. August. Dem„Matin" wird aus Tanger gemeldet. nach brieflichen Nachrichten aus Fez habe daselbst vor dem Sultan eine Versammlung von UlemaS (Geistlichen) stattgefunden, die mit heftigen Worten gegen die Politik des Maghzen Einspruch erhoben und erklärt hätten, daß die Lage Marolkos infolge der Besetzung von Udschda und Casablanca unerträglich geworden sei. Die einzig ehrenvolle Art, aus dieser Situation herauSzu» kommen, wäre die Proklamicrung deS heiligen Krieges. Der Sherif Kattain habe sich für diese Lösung ausgesprochen. Die Minister hätten ihn beruhigt und sodann die Herstellung der Ordnung und Hintanhalttmg weiteren Blutvergießens versprochen. London , 16. August. Die„Times* berichten anS Fez: Der Sultan sei über den Beschluß der Ulenias sehr erregt. Er habe erklärt, daß er sich dadurch in einer sehr heiklen Lage befinde. Er stehe in Gefahr, entweder abgeseilt oder ermordet zu werden. Die Franzosen sind in Casablanca am 13. August aber- mals angegriffen worden, am 14. soll verhältnismäßige Ruhe geherrscht haben, eS wurden„nur einige Schüsse gehört". Der Berichterstatter des Pariser„Matin" schildert die Lage der Franzosen als ziemlich kritisch es fragt sich indes, ob er nicht im Auftrage einer Gruppe arbeitet, die eine Aus- dehnung deS Feldzuges durchsetzen will. In seinem Bericht heißt es:... „... Man dürfe sich nicht verhehlen, daß die Franzosen in der Stadt von der Landseite her gewissermaßen umzingelt seien. Die französischen Truppen seien nicht zahlreich genug. Es seien zwar LSR) Mann gelandet, davon würde aber ein Teil für milt- tärische Hülfsdicnste verwendet...." lieber den Angriff vom 13. August wird berichtet: „Am 13. August sammelten sich in der Umgebung der Stadt zahlreiche Arabcrgruppen an, die den Versuch machten, die Stadt von der Rückseite aus zu nehmen. Der französische Kreuzer.Gloire" gab etwa dreißig Granatschüsse auf sie ab, durch welche sie unter Verlusten pertrieben wurden. Die Truppen brauchten nicht vor- zugehen...." Die Flucht der Europäer und marokkanischen Juden aus den marokkanischen Städten dauert an, ein Zeichen, daß die Befürchtungen groß sind. Wie stark der Flüchtlingsstrom sein muß, das geht schon aus dem Umstand hervor, daß eine in Gibraltar erlassene Regicrungsverfügung daL Zuströmen von Flüchtlingen aus Marokko verbietet. Von den sonstigen Meldungen sind zu registrieren die folgenden: Tanger , 16. August. Die Einwohner von Casablanca , bc- sonders die Juden, die sich in der größten Not befinden, beginnen allmählich zurückzukehren. Man teilt Lebensmittel an sie mi5._ Der Handel beginnt sich wieder zu regen. Am Morgen deS 14. August war alle? ruhig.— Nie aus Fez gemeldet wird, befindet sich die dortige Bevölkerung in der größten Erregung und hält lärmende Versamm- lungen ab.— AuS Marrakesch wird gemeldet, daß alle Europäer die Stadt unier dem Schutze einer Begleitmannschaft verlassen, die ihnen von Mouleq Hafid gestellt worden ist,— Meldungen aus Elksar zufolge ist dort die Mahalla(die Truppen des Sultans) angekommen, die von Fez nach Casablanca geschickt worden ist.— Heute abend eingetroffene Meldungen besagen, daß etwa hundert Europäer M o g a d o r verlassen haben, wo der Kreuzer „Duchaylo* am 14. Augüst eingetroffen ist. Paris , 16. August. (Meldung der„Agence HavaS*.) Eine Depesche deS Admirals Philibert von gestenr meldet: Nach Ansicht der Notabel» der Stadt M a z a g a n werden die umwohnenden Stämme nicht anf Mazagan losmarschieren. Zurzeit herrscht Ruhe. Die Abwanderung der Eliropäer vollzieht sich langsam weiter. Die Lage in Casablanca ist befriedigend, ebenso in Saffi und Rabat . Köln , 15. August. Die„Kölnische Zeitung " erhält ein Tele- gramm ans Tanger , in dem es inner anderem heißt, daß im ganzen nur etwa 20 Europäer in Mazagan zurückgeblieben seien, darunter sechs deutsche Kauflcute und der deutsche Postbeamte. Die im Innern gelegene Hauptstadt des südlichen Marokko M a rr a ke s ch haben die Deutschen in der Nacht zum Sonntag sämtlich verlassen. Der Vertreter des Sultans hat ihnen eine starke Begleitmannschast gestellt. Sie beabsichtigen, in Saffi die Küste zu erreichen. Tanger , 16. Anglist. Ein französischer Missionar beurteilt die Lage in L a r r a ch e als sehr ernst. Alle Verbindungen sind unter- brachen. Da§ Zollamt ist von sämtlichen Beamten verlassen. Viele Fremde verlassen täglich die Stadt. politische(lebersicbt» Berlin , den 16. August 1907. Ein Rückzug Naumanns? Unter der Stichmarke„Was wird daraus" behandelt ein Berliner Brief der gemäßigt liberalen„Straß- durger Po st" die gegenwärtige Bewegung in der W a h l r e ch t s f r a g e. Der Artikel ist, so bemerkt die „Köln . V o l k s z t g.", geeignet, zur Orientierung über die Stimmungen und Strebungen in den Kreisen der Regierung und der rechtsliberalen Parteien zu dienen und verdient unter diesem Gejichtspunkte berücksichtigt zu werden. Nach Ansicht des Verfassers können in der Wahlrechts» frage„unvorhergesehene Zwischenfälle, man möchte fast sagen Launen nnd Unvorsichtigkeiten einiger Politiker, die unangenehmsten Zwischenfälle und Folgen her- beiführen". Man betrachte daher auch in Berlin das Vor- gehen der freisinnigen Führer in der Wahlrechtssrage mit mindestens so ernsten Blicken wie die kriegerischen Ereignisse am Mittelmcer. Die Abendausgabe des„Berliner Tage- blattes" enthalte nun wieder einen Artikel Friedrich Naumanns, der zwar sehr entschieden und scharf klinge und sich an einer Stelle sogar zu einer sehr pathetischen, aber wenig überzeugend wirkenden Ansprache an das Volk, an die „Menschen dritter Klasse", die kein Recht auf politische Macht hätten, versteige, in der Sache aber eher einem Rückzug als einem weiteren Vorstoß ähnlich sehe; denn er vermeide es. offen auszusprechen, was der Freisinn tun werde, wenn die Regierung und der Reichskanzler nicht so weit in der Reform des Wahlrechts gehen würden, wie Naumann es wünsche. So wenig ein solcher Rückzug Naumanns imstande wäre, das politische Ansehen dieses trotz aller seiner Kenntnisse und Gewandtheit nur von einem kleinen Kreise von Anhängern willig unterstützten Politikers zu erhöhen, so nützlich wäre er nach Ansicht des Gewährsmannes der „Straßburger Post" unter den gegebenen Verhältnissen, „denn man darf sich darüber keiner Täuschung hingeben, daß in dem Augenblick, wo der Freisinn unnach- g i e b i g für die Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen vor dem Parlament selbst eintritt, das Schicksal einer Wahlrechtsreform im ungünstigen Sinne besiegelt i st". Ob Herr Naumann wirklich einen Rückzug antreten wollte, wie ihm von der..Straßburger Post" unterstellt wird, wird sich ja bald genug zeigen. Einstweilen wagen wir noch zu hoffen, daß er sich durch solche Einschüchterungs- versuche eher vorwärts als rückwärts treiben lassen wird. Ist doch die Taktik der„Straßburger Post" zu durchsichtig. Die unangenehmsten Zwischenfälle", die die„Unvorsichtigkeiten einiger Politiker" hervorzurufen geeignet sein sollen, bedrohen ja keineswegs eine wirkliche Wahlreform, vielmehr das Wahlrechtstechtelmechtel, durch das das Volk um das Reichstagswahlrecht geprellt werden soll! Denn daß, wenn der Freisinn aus dem Blocke heraus und in die Oppo- sition gedrängt würde, die Chancen der Wahlreform keines- wegs verringert würden, liegt doch auf der Hand. Sobald der Freisinn mit der Sozialdemokratie einen Volkssturm für das Reichstagswahlrecht entfesselt, könnte auch das Zentrum nicht zurückbleiben. Selbst wenn also die Nationalliberalea
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