Nr. 206.
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Telegramm Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".
Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.
Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Am 2. September wird in Helsingfors der neue Reichstag zur zweiten Sigungsperiode zusammentreten. Sie wird im Gegensatz zur ersten, die der großen grundsäglichen Auseinandersegungen entbehrte, da zunächst eine Anzahl minder wichtiger Gesetzesvorlagen zu erledigen war, heftige Kämpfe und weittragende Entscheidungen bringen müssen.
Finnlands Verhältnisse haben etwas Zwiespältiges auf der einen Seite das demokratische Wahlrecht, das selbst den Frauen volle Gleichberechtigung gewährt, die starke sozialdemokratische Vertretung im Parlament, auf der anderen der russische Generalgouverneur, die drohende russische Konterrevolution. Trotz seiner sonst so demokratischen Verfassung hat das Land keine parlamentarische Regierung. Der Senat, von der Regierung in St. Petersburg aus der Zahl finnischer Bürger ernannt, ist nur dem Kaiser verantwortlich.
Eng mit Rußland berbunden, empfindet Finnland das Auf und Ab der politischen Zustände in Rußland an seinen eigenen inneren Verhältnissen. Je mächtiger die Reaktion in St. Petersburg das Haupt erhebt, umsomehr ist auch die Freiheit Finnlands bedroht.
In dieser Situation muß die Sozialdemokratie Finnlands ihren Kampf führen. Sie hat dem Reichstag mehrere wichtige Anträge unterbreitet, die sicherlich erbitterte Debatten hervorrufen werden. So z. B. die Vorlage über den Zwang zur Bodenbebauung.
Mittwoch, den 28. August 1907.
St. Petersburg für gut befunden worden und soll alsbald der Volfsvertretung vorgelegt werden.
Die Entscheidung dieser Frage wird mit Recht als der Probierstein der Volksvertretung angesehen.
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.
Die preußische Wahlrechtsfrage.
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Die evangelischen Arbeiter und die Wahlreform. Andere wichtige Geseze, die unsere Genossen zu vertreten und zu verteidigen haben, betreffen die Erweiterung Die Arbeit", das ,, Publikationsorgan des Verbandes der Konstitution und der Volksrechte. Diese An- der evangelischen Arbeiterbereine von Berlin träge enthalten die folgenden Forderungen: Die Rechte der und Umgegend, des Nationalen Arbeiter Wahlausschusses Volksvertretung sollen erweitert werden, damit sie eine selb-( Sig Effen)", sieht sich genötigt, sich ebenfalls mit der Wahlständige gesetzgebende Institution werde. Der Senat soll der rechtsfrage zu befassen. In einem Artikel ,, Der Stand Majorität der Volts vertretung angehören und ihr ver- der preußischen Wahlrechtsreform" wird die antwortlich sein. Stellung der einzelnen Parteien zur Wahlrechtsfrage ab Das Wahlrecht soll allen 21 Jahre alten Einwohnern gehandelt. Eine Stelle, die sich eigentlich gegen den Freisinn verliehen werden.( Jetzt ist das Wahlalter 24 Jahre.) Die und feine Blockfuhhandelsgelüfte richtet, lautet wörtlich:. Abstimmung in der Volksvertretung soll eine offene sein. ( Sonst kann es passieren, daß die bürgerlichen Parteien sich öffentlich für irgend eine Forderung erklären, in der geheimen Abstimmung jedoch dagegen stimmen, wie es im alten Ständetage bereits bei Alkoholeinschränkungsgesetzen geschehen ist. Die Rede-, Presse- und Koalitionsfreiheiten sollen für unangetastet erklärt werden.
Für die Kommunalwahlen sollen alle 20 Jahre alten Einwohner beiderlei Geschlechts das allgemeine, gleiche und direkte aktive und passive Wahlrecht erhalten.
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Während das Volk sich nach der Bobrikowschen Herrschaft und der ihr folgenden Revolution einem natürlichen Ruhebedürfnis hingibt in der vertrauensvollen Erwartung, daß die Volksvertretung jezt das Ihrige tun wird, rüstet sich die Regierung zur Reaktion, und nicht allein die russische in Petersburg , sondern auch die finnische zu Helsingfors .
„ Die Nationalliberalen und die Konservativen beider Nichtungen denken in ihrem Interesse nicht an eine gründliche Reform des Wahlrechts und werden sich niemals dazu hergeben, das Reichstagswahlrecht für Preußen zu vertreten."
Man sollte also meinen, daß das Blatt der evangelischsozialen Arbeiter alles aufbieten müßte, um einen Wahlrechtssturm der Arbeiter entfachen zu helfen, sintemalen des doch auch die Haltung des Freisinns und 8entrums mehr als verdächtig ist! Aber im Gegenteil: das Blatt begegnet dem sozialdemokratischen Appell an die Proletariermassen mit unbegreiflichem Optimismus:
Die Sozialdemokratie mag sich beruhigen. Wir glauben, daß die Führer der Zentrums wie die der christlichfozialen Partei den Wünschen und dem Drängen der Arbeiter Rechnung tragen werden, wie sie ja das bisher in anderen Fragen auch getan haben."
Dieser Glaube evangelischer Arbeiter an die guten In Finnland gibt es noch sehr viel unbebautes Land, Um den russischen Emigranten den Aufenthalt in Finn - Absichten der Zentrumsführer fönnte zwar Berge veraber auch viel landlose Landarbeiter. Die Sozialdemokratie land unmöglich zu machen, sind die Paßverordnungen von feßen, aber er wird auf das Zentrum ohne den geringsten will es durchseßen, daß acerfähiger Boden in Kultur genommen Beit zu Zeit immer engherziger gestaltet worden. Gegen Eindruck bleiben, wenn sich eben nicht die Zentrums. werden soll. Tun die Privatbesizer oder der Staat das nicht wärtig revidiert die Helsingforser Polizei die Pässe mindestens arbeiter selbst mit aller Tatkraft ins Zeug legen. Von felber, so soll ein jeder, der willens ist, Ackerbau zu treiben, so sorgfältig wie ihre Kollegin an der Newa . Man verlangt den den Konservativen die doch das Blatt selbst zu das gefeßliche Recht haben, ihn in Anbau zu nehmen, und von den Einwohnern die schriftliche Beantwortung von allerlei den geschworenen Wahlrechtsfeinden zählt!- zwar zu Bachtbedingungen, die von dazu durch allgemeine Fragen; unter anderen auch, zu welcher Kirchen- freundnachbarlich gesellten„ Christlichsozialen " braucht Wahlen eingesette fommunale Behörden festgesetzt werden gemeinde man gehört. Soweit hat sich selbst die russische nicht erst gesprochen zu werden. Diese Handvoll Leute könnte sollen. Die Pachtverträge sollen für mindestens Polizei noch nicht verstiegen! Die aus Estland hierher selbst beim besten Willen den Kohl nicht fett machen. 50 Jahre geschlossen werden und nur solche sollen rechts- emigrierten und ausgewiesenen estnischen Arbeiter haben Zur Wahlrechtsfrage selbst betont das Blatt der evangelischfräftig sein, die vor den oben erwähnten Behörden vereinbart unter dieser Paßkontrolle besonders zu leiden. Einige hat sozialen Arbeiter: die Polizei bereits Rußlands Gefängnissen ausgeliefert, einen sogar zum Selbstmord getrieben!
werden.
Die Landfrage ist in Finnland sehr brennend, da es Hunderttausende von Zwergpächtern gibt, die von den Boden- Die Polizei, die nach der Ottober revolution eine befizern schonungslos ausgebeutet werden. Außerdem befinden demokratische Ordnungsinstitution war, ist jetzt zu einem. fich die auf 8-900 000 geschäßten Landarbeiter in einer troft- Unterdrückungsinstrument des Kapitalismus geworden. Losen Lage. Ueber die Koalitionsfreiheit belehrt die LandesNicht wenig Kampf wird auch die Abschaffung der total regierung die Polizei und die Bevölkerung, daß dieses Recht veralteten Gesindeordnung erheischen, unter welcher alle oben- in Finnland nur den finnischen Bürgern zukommt. genannten Arbeitermassen leiden. Die Sozialdemokratie ver- Versammlungen und Vereinigungen, an denen sich Fremde langt die Außerkraftsegung dieser Geseze und die Unterstellung beteiligen, find als nicht erlaubt zu betrachten und aufaller Arbeiter unter gleiche Gesetze. zulösen. Daraufhin wurde in Helsingfors auch ein Eine nationale Eigentümlichkeit des finnischen Voltes Verein russischer Arbeiter berboten. Anist eine starke Abstinenzbewegung, die sehr breite scheinend versucht die Regierung auf diese Weise den Volksmassen ergriffen hat. Alle Parteien hatten in ihren Kapitalisten eine widerstandsfähige Arbeiterschaft zu schaffen, Wahlprogrammen die Schaffung eines Alkoholverbots- die- des Rechts der Organisation und der Koalition begesezes, d. h. es soll gefeßlich verboten werden, im raubt sich wehrlos ausbeuten lassen muß. Lande Alkohol zu erzeugen, in Handel zu bringen oder ein- Dem Geiste der Regierungen in St. Petersburg und in zuführen, es sei denn zu technischen oder medizinischen Zwecken. Helsingfors folgend, reichte die Verwaltung der finnischen Etwa 170 Abgeordnete von 200 haben sich für das Alkoholverbotsgesetz ausgesprochen.
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Wir wollen feinen Zweifel darüber lassen, daß wir durchaus auf dem Boden des Reichstagswahlrechtes für den preußischen Landtag stehen."
Für ein Blatt, das Arbeiter interessen zu vertreten vorgibt, sollte sich das ja von selbst verstehen!
Aber dieser pathetischen programmatischen Beteuerung folgt sofort der reaktionäre Pferdefuß! Heißt es doch unmittelbar darauf:
Anders ist ja die Sache, ob eine Mehrheit dafür im Landtage zu haben sein wird. Das scheint aus geschlossen zu sein. Beispielsweise sind ja weite reise ( die Sozialdemokraten eingeschlossen, wenigstens nach ihrem Programm) für die Verhältniswahl. In Sachsen ist dieselbe vorgesehen. Die Proportionalwahl wird der Gerechtigkeit mehr entsprechen. Vielleicht auch eine ständische Gliederung(!), denn dadurch sollen ja alle Stände praktisch zur Geltung tommen und politische Macht bekommen. Heute spielt der Arbeiter- und Mittelstand in den meisten Einzelparlamenten durchaus keine Rolle. Ueber ihn Staatsbahnen beim Senat das Gesuch ein, die Regierung ist man bis heute zur Tagesordnung über möchte die Gewerkschaft der Eisenbahner vergegangen. Ob diese Kreise nach dem gleichen Wahlrecht mehr zur Geltung kommen, kann man annehmen. Aber Der Senat hat den Entwurf eines solchen Verbots aus- bieten und auflösen, wie sie vor einem Jahre die praktisch ist das bis heute noch nicht überall erwiesen!" gearbeitet und zur Begutachtung nach St. Petersburg geschickt, Rote Garde aufgelöst hat. Die Entscheidung steht noch So sinnlos dies unglaubliche Verlegenheitsgestammel was allgemein als ein Versuch angesehen wird, den Volks- aus. Es werden gegenwärtig im ganzen Lande Protest- ist der Verfasser scheint nicht einmal zu wissen, daß willen zu durchkreuzen. Der Entwurf des Senats räumt den versammlungen abgehalten. Man sieht in diesen Bestrebungen Proportionalwahl nur die fremdsprachliche Bezeicheinzelnen Kommunen ein erweitertes Vetorecht in allen den den Anfang planmäßiger Versuche, die Arbeiterbewegung zu nung der Verhältniswahl ist!- die Absicht dieser Handel oder die Fabrikation des Alkohols betreffenden Fragen erdrosseln. Säße ist doch offenbar die, das gleiche Wahlrecht hinterher ein. Das scheint dem Volte nicht genug, es wünscht den Als der Generalgouverneur v. Gerard Anfang Juli auf zu verdächtigen! Denn wenn auch anzunehmen" sei, Feind mit einem Schlage niederzutreten. Auch die sozial zwei Monate Urlaub bekam und der General v. Böckmann, daß das gleiche Wahlrecht die bisher entrechteten Volksdemokratischen Abgeordneten sind insgesamt für das Ver- ber als der erfolgreiche Pazifikator Kurlands schichten mehr zur Geltung kommen lasse, so sei das„ praktisch botsgesetz. blutbesudelt nach Finnland kam, sein Stellvertreter noch nicht überall bewiesen"! Welch abgeschmackte SanneEine andere Frage, die das ganze Volk lebhaft inter - wurde, hieß es, daß Gerard nicht mehr zurückkäme und daß gießerei, dieser Erguß, in dem ein Satz dem anderen wideressiert, ist die Beisteuer zur Unterhaltung des russischen v. Böckmann als Bobrikow II. die Reaktion hier schärfer ein- spricht, ihn wieder aufhebt! Militärs 10 Millionen Mark jährlich. leiten werde. Die mächtigen Organe der wahrhaft Nur das ist klar, daß das Blatt der evangelischen Laut finnischer Grundgefeße ist die Regierung berpflichtet, russischen Leute" verlangen das ja unablässig! Nun heißt Arbeiter( 1) Vereine zugunsten des Mittelstandes( 11) ein in Finnland sogenannte Finnische Bataillone zu es jedoch, daß Gerard doch zurückkehrt, aber mit ständisches Wahlrecht befürwortet! Der Mittelstand sei bisher unterhalten, die finnisch kommandiert und von finnischen bestimmten scharfen Anweisungen, namentlich nicht genügend zur Geltung gekommen! Nun gehören aber Offizieren befehligt werden sollen, sonst aber unter russischer gegen die Voltsvertretung. Jedenfalls wird man ihrem Berufe nach im jezigen preußischen Landtag Oberleitung stehen. Nur in diesen Bataillonen sind die Finnen fie gefügig zu machen suchen. Böckmann hat seine Macht nur 12 Abgeordnete dem Kaufmannsstande, 7 dem Stande verpflichtet, ihrer Militärpflicht nachzukommen. Als der dazu ausgenugt, um aus Rußland für die finnischen der Kleingewerbetreibenden, 50 der mittleren und damalige Generalgouverneur Bobritom Ende der neun- Kapitalisten Streitbrecher zu verschreiben! tleinen Landwirtschaft an, so daß der Mittelstand durch ziger Jahre die Stonstitution mit Füßen trat, verlangte er Außerdem beendete er soeben in der Nähe Helsingfors ein 69 Berufsangehörige vertreten ist, während die Arbeiterklasse zugleich auch, daß die Finnen in Rußland und Truppenmanöver, das in Helsingfors selbst den Schluß keinen einzigen Vertreter im Landtag sizen hat! unter russischem Kommando ihren Militärdienst leisten att fand, um den Finnen russische Gewehre, Ko- Und da schwärmt das Blatt der christlichsozialen evansollten. Die finnischen Refruten stellten sich jedoch saken und Kanonen zu zeigen und ihnen Furcht ein gelischen Arbeitervereine noch im Interesse des Mittelnicht; Bobrikows Macht fand unübersteiglichen Wider zujagen. Indes verlief dies Kriegsspiel recht jammerboll ft and es für eine ständische Vertretung! stand. Als die Verfassung infolge der Oftoberrevolution 1905 und endete in der Bucht von Helsingfors mit der Kollision Die evangelischen Arbeiter ersehen daraus, wie schmachwieder eingeführt wurde, traf die russische Regierung mit dem zweier aus dem ostasiatischen Kriege übriggebliebenen Striegsschiffe. voll ihr eigenes Organ ihre Interessen zu verraten sich damaligen Senat die zeitweilige Abmachung, daß Finnland Die Lage in Finnland ist also nicht sicherer als in Ruß - anschickt! borläufig seine Militärpflicht mit 10 Millionen Mark jährlich land. Die finnische Bourgeoisie will es jedoch nicht einsehen, ablösen sollte. Die oppositionellen Parteien sind aber ent- daß nur die siegreiche Revolution in Rußschieden dagegen und auch die Suometarianer, die Alt- land auch Finnlands Sicherheit garantieren fenomanen, haben noch nicht erklärt, daß sie dafür seien. tann; sie glaubt am flügsten zu tun, wenn sie den For- Das Berl. Tagebl." hatte bekanntlich die mehr als Stolypin braucht jedoch Geld und der Senat hat auch bereits derungen Stolypins nach Möglichkeit entgegenkommt und ihre fühne Behauptung aufgestellt, in der preußischen Wahlrechtseinen Gesetzentwurf nach Petersburg gesandt, nach dem die Angelegenheiten nach den Wünschen von St. Petersburg zu frage ständen nur einige fubalterne Geister" auf 10 Millionen gezahlt werden sollen. Der Entwurf ist in ordnen sucht. Sie wird es bitter zu bereuen haben. der Seite desjenigen Teils des Freisinns, der das Reichs.
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Die subalternen Geister" wehren sich!
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